VwGH 93/18/0587

VwGH93/18/058727.1.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. September 1993, Zl. SD 403/93, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z2;
FrG 1993 §20 Abs2;
FrPolG 1954 §14b Abs1 Z4;
KFG 1967 §64 Abs1;
MeldeG 1991 §22;
PaßG 1969 §22 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
VwRallg;
AVG §56;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z2;
FrG 1993 §20 Abs2;
FrPolG 1954 §14b Abs1 Z4;
KFG 1967 §64 Abs1;
MeldeG 1991 §22;
PaßG 1969 §22 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. September 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 2 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Als maßgeblichen Sachverhalt stellte die belangte Behörde fest, daß der Beschwerdeführer in der Zeit von November 1988 bis November 1992 wegen folgender Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden sei: § 64 Abs. 1 KFG (zweimal); § 5 Abs. 1 StVO (zweimal); § 5 Abs. 2, § 4 Abs. 1 lit. a, § 4 Abs. 5 (je einmal); § 20 Abs. 2 StVO (einmal); § 22 Abs. 1 Paßgesetz 1969 (einmal); § 14b Abs. 1 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz (einmal). Darüber hinaus sei er im Jahr 1993 wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet und wegen Übertretung des Meldegesetzes bestraft worden. Mit diesen Bestrafungen habe der Beschwerdeführer den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG verwirklicht; auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme sei gerechtfertigt.

Das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer - er lebe seit 1982 mit seinen Eltern in Österreich - stelle zweifellos einen gewichtigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar. Angesichts der zahlreichen vom Beschwerdeführer begangenen Gesetzesverstöße und der raschen Abfolge der Begehung sei aber diese Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter - dringend geboten. Daß den Beschwerdeführer nicht einmal rechtskräftige Bestrafungen davon abgehalten hätten, unmittelbar danach neuerlich straffällig zu werden, lasse eine positive Zukunftsprognose nicht zu. Auch die Bestrafungen wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet sowie des Paßgesetzes und des Meldegesetzes zeigten deutlich, welch gleichgültige Einstellung der Beschwerdeführer zu den verschiedenen Rechtsbereichen habe. Es müßten daher den öffentlichen Interessen bzw. den nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der Vorrang gegenüber den (beträchtlichen) Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie eingeräumt werden. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers komme ihm auch nicht die Bestimmung des § 20 Abs. 2 FrG zugute. Einer Verleihung der Staatsbürgerschaft wäre nämlich § 10 Abs. 1 Z. 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 entgegengestanden, weil der Beschwerdeführer nach seinem Verhalten keine Gewähr dafür biete, daß er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung bzw. Sicherheit darstelle. Das Aufenthaltsverbot sei demnach auch im Grunde der §§ 19 und 20 FrG zulässig.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser trat die Beschwerde nach Ablehnung von deren Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 30. November 1993, B 1890/93).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behauptet der Beschwerdeführer der Sache nach inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und begehrt aus diesen Gründen dessen Aufhebung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 18 Abs. 1, Abs. 2 Z. 2 sowie der §§ 19 und 20 Abs. 1 und 2 FrG lauten:

"§ 18. (1) Gegen einen Fremden ist ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt

  1. 1. die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder
  2. 2. anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

2. im Inland mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung, einer Übertretung dieses Bundesgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes 1969, BGBl. Nr. 423, des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, rechtskräftig bestraft worden ist;

§ 19. Würde durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.

§ 20. (1) Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen.

  1. 1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
  2. 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.

(2) Ein Aufenthaltsverbot darf außerdem nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre auf § 18 Abs. 2 Z. 1 zu gründen, weil der Fremde wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden ist."

2. In der Beschwerde blieben die in der Sachverhaltsdarstellung (oben I.1.) angeführten rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Bestrafungen des Beschwerdeführers unbestritten. Die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, es sei vorliegend der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG verwirklicht, begegnet keinem Einwand. Zum einen handelt es sich jedenfalls bei den Übertretungen des § 64 Abs. 1 KFG sowie des § 5 Abs. 1 und des § 5 Abs. 2 StVO nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um schwerwiegende Verwaltungsübertretungen i.S. der vorzitierten Bestimmung des Fremdengesetzes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. Jänner 1994, Zl. 93/18/0427, mwN). Zum anderen durfte die belangte Behörde auch die Bestrafungen wegen Übertretung des Fremdengesetzes und des Meldegesetzes aus dem Jahr 1993 ebenso wie jene wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes aus dem Jahr 1992 dem § 18 Abs. 2 Z. 2 (zweiter Fall) FrG subsumieren. Angesichts der von alkoholisierten Kraftfahrzeuglenkern ausgehenden großen Gefahr für die Allgemeinheit und des Umstandes, daß das Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung zu den gröbsten Verstößen gegen das KFG zählt, sowie des hohen Stellenwertes, welcher der Einhaltung der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden in Österreich für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zukommt, durfte die belangte Behörde aber auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme für gerechtfertigt halten.

3. Was die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG anlangt, so erachtete die belangte Behörde - nach zutreffender Bejahung eines relevanten Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers - diese Maßnahme für dringend geboten i.S. dieser Norm. Dies gleichfalls zu Recht. Denn die sich in der Vielzahl der inkriminierten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers manifestierende Gefährdung öffentlicher Interessen läßt zu deren Wahrung (konkret: zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung strafbarer Handlungen - Art. 8 Abs. 2 MRK) das Aufenthaltsverbot notwendig erscheinen.

4. Im Rahmen der nach § 20 Abs. 1 FrG gebotenen Interessenabwägung berücksichtigte die belangte Behörde auf der Seite der für den Beschwerdeführer sprechenden Gesichtspunkte seinen langen Aufenthalt in Österreich (seit 1982) und das damit gegebene hohe Maß an Integration sowie die Tatsache, daß sich auch die Eltern des Beschwerdeführers, mit denen er gemeinsam lebe, seit 1982 im Bundesgebiet aufhielten. Der dazu erhobene Beschwerdevorwurf, "die belangte Behörde (hätte) diese privaten und persönlichen Interessen auch zur Gänze festzustellen gehabt bzw. konkretisieren müssen", schlägt schon deshalb nicht durch, weil es der Beschwerdeführer unterläßt aufzuzeigen, welche insoweit erheblichen Umstände die belangte Behörde festzustellen verabsäumte und gegebenenfalls inwieweit ein Unterbleiben eines Versäumnisses zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis der Interessenabwägung geführt hätte. Daß die Abwägung einer, wie die Beschwerde meint, nachvollziehbaren Begründung ermangelt, kann der Gerichtshof nicht finden; vielmehr legte die belangte Behörde, wie den diesbezüglichen Passagen aus der Begründung des bekämpften Bescheides zu entnehmen ist (vgl. oben I.1.), die für das von ihr gewonnene Abwägungsergebnis bestimmenden Erwägungen in ausreichender Weise dar. Wenn diese Erwägungen nicht dazu führten, die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie als schwerer wiegend zu werten als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme, so haftet dieser Beurteilung im Hinblick auf die zahlreichen schwerwiegenden Gesetzesverstöße des Beschwerdeführers - vom "Begehen einiger kleinerer Verwaltungsübertretungen" kann entgegen der Beschwerde keine Rede sein -, die einen sehr hohen Grad an Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit konstituieren, Rechtswidrigkeit nicht an.

5.1. Die Beschwerde rügt schließlich die ihrer Ansicht nach unrichtige Anwendung des § 20 Abs. 2 FrG seitens der belangten Behörde. Sie führe diese Norm "dahingehend ad absurdum", daß sie meine, das für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes heranzuziehende Verhalten habe gleichzeitig auch die Verleihung der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Die Formulierung des § 20 Abs. 2 FrG lasse - so die Beschwerde - die Intention des Gesetzgebers erkennen, "daß hier schwerpunktmäßig auf die Dauer des Aufenthaltsverbotes (gemeint wohl: des Aufenthaltes) abgezielt wurde und somit eine gesetzliche Vermutung einer weitgehenden Integration vorliegt".

5.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Der für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) gegeben sind, entscheidende Zeitpunkt ("vor" Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes i.S. des § 20 Abs. 2 FrG) war der der Rechtskraft der vorletzten der zutreffend dem § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG subsumierten Bestrafungen des Beschwerdeführers (s. oben II.2.), d.i. jener vom 16. November 1992 wegen übertretung des § 64 Abs. 1 KFG und des § 14b Abs. 1 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz. Bezogen auf diesen Zeitpunkt hatte die belangte Behörde zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer sämtliche der in § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG angeführten Voraussetzungen erfüllt. War das Vorliegen auch nur einer dieser (kumulativen) Voraussetzungen zu verneinen, so stand der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer § 20 Abs. 2 FrG nicht entgegen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0491).

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er (u.a.) keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bildet. Diese Verleihungsvoraussetzung war beim Beschwerdeführer im (vorhin bezeichneten) maßgeblichen Zeitpunkt nicht gegeben. Die Art und Häufigkeit der kontinuierlich begangenen, sich auf einen Zeitraum von vielen Jahren bis in die jüngste Vergangenheit erstreckenden Straftaten, lassen ein Charakterbild des Beschwerdeführers erkennen, das zweifelsohne den Schluß rechtfertigt, er sei gegenüber den zum Schutz der Sicherheit und der Gewährleistung eines geordneten Fremdenwesens erlassenen Vorschriften negativ eingestellt und bilde solcherart eine "Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit". Von daher gesehen ergab sich auch aus § 20 Abs. 2 FrG für die belangte Behörde kein Hindernis, die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer als zulässig anzusehen.

6. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

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