VwGH 92/15/0230

VwGH92/15/02305.10.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der J Gesellschaft m.b.H. in M, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 29. Oktober 1992, Zl. GA 5-2114/91, betreffend Haftung für Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen für den Zeitraum vom 1. Jänner 1988 bis 31. Dezember 1989 sowie für Säumniszuschlag, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1972 §47 Abs1;
EStG 1972 §47 Abs3;
EStG 1988 §47 Abs1;
EStG 1988 §47 Abs2;
EStG 1972 §47 Abs1;
EStG 1972 §47 Abs3;
EStG 1988 §47 Abs1;
EStG 1988 §47 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin betreibt ein Zulieferunternehmen für die Schuhindustrie und setzte im Haftungszeitraum Arbeitskräfte für Aushilfsarbeiten, wie Reinigungs- und Verpackungsarbeiten, das Pressen, Nieten, Stanzen und Fräsen von Brandsohlen ein. Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist strittig, ob das Rechtsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und den einzelnen Aushilfskräften im Haftungszeitraum als Dienstverhältnis im Sinne der §§ 47 EStG 1972 bzw. 1988 anzusehen ist.

Der im Verwaltungsakt erliegende "Musterwerksvertrag"

lautet wie folgt:

" Werksvertrag

abgeschlossen zwischen der Firma J GmbH, im folgenden

Auftragsgeber genannt, und .... andererseits, im folgenden

Auftragnehmer genannt:

1. Beginn und Umfang des Werksvertrages

Der Beginn dieses Werkvertrages ist der .... Dieser Vertrag

ist ein Rahmenauftrag, welcher auf die Zeit der Zusammenarbeit der Vertragspartner geschlossen wird und in welchem die laufend geschlossenen Werkverträge ihre Deckung finden.

Der Abschluß dieser Werkverträge erfolgt entweder mündlich durch Zuteilung von zu erbringenden Leistungen oder stillschweigend innerhalb der laufenden Bearbeitung der vereinbarten Leistungen.

2. Gegenstand des Werkes

Der Auftragsnehmer übernimmt die Durchführung der ...,

Diese Arbeiten werden für die gesamte Firma J durchgeführt.

Die werkvertraglichen Leistungen werden am Firmensitz der Firma J in M ausgeführt. Die Begründung eines Dienstverhältnisses infolge der Durchführung der Leistungen in den Räumen der Auftraggeber innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit, sowie der Wahl der Bemessung des Entgeltes wird hiemit, da auch nicht im Willen der Vertragspartner befindlich, ausdrücklich ausgeschlossen.

3. Durchführung des Werkes

Die Leistung des Auftragnehmers werden selbständig und in voller Eigenverantwortlichkeit erbracht. Bei Meinungsverschiedenheiten in fachlichen Fragen zwischen den Vertragspartnern entscheidet der Auftraggeber. Das Recht des Auftraggebers die endgültige Gestaltung des Werkes zu beeinflussen, bedeutet keine Bindung des Auftragnehmers an fachliche Weisungen. Der Ort der Einbringung der Leistungen des Auftragnehmers bestimmt sich nach den Erfordernissen des jeweiligen Auftrages sowie den Wünschen des Auftraggebers. Hauptsächlich sind die Leistungen jedoch am Firmensitz in M zu erbringen. Der Auftragnehmer steht dem Auftraggeber zur Erbringung der beauftragten Leistungen von Montag bis Freitag in der Zeit von 7 Uhr bis 16 Uhr zur Verfügung. Diese Zeit ist in 48 Wochen des Kalenderjahres zu erbringen. Ansonsten gilt freie Zeitvereinbarung. Der Auftragnehmer kann das Werk auch durch fachliche geeignete Erfüllungshilfen durchführen lassen.

4. Verrechnung des Entgeltes

Der Auftragnehmer rechnet die von ihm erbrachten Leistungen auf Grund des verbrachten Zeitaufwandes mit einem fixen, vorher festgelegten ATS-Preis, zuzüglich Mehrwertsteuer ab.

5. Verschwiegenheitspflicht

Der Auftragnehmer ist verpflichtet über die geschäftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers, die ihm durch seine Tätigkeit bei dem Auftraggeber oder in anderer Weise zugänglich werden, strengste Verschwiegenheit zu wahren, und zwar gegenüber jedermann und auch nach Beendigung des Werkvertrages.

6. Kündigungsbestimmungen

Dieser Werkvertrag kann von beiden Vertragspartnern unter Einhaltung einer zweimonatigen Kündigungsfrist jeweils zum Monatsletzten gekündigt werden."

Schon der Lohnsteuerprüfer hielt in seinen Arbeitsunterlagen hiezu unter anderem fest, daß sämtliche ihm vorgelegten "Werkverträge" nur mit dem Firmenstempel der Beschwerdeführerin versehen und von den Auftragnehmern NICHT unterschrieben seien.

Im Berufungsverfahren gegen den erstinstanzlichen Haftungsbescheid führte die Beschwerdeführerin zum Sachverhalt aus, daß von den Aushilfskräften nicht nur die schon erwähnten Tätigkeiten verrichtet worden seien, sondern auch noch die folgenden: "STREIFEN KLEBEN; PAKETE- STAHLGELENKE NUTEN UND

SORTIEREN; KASCHIEREN; ZUSTELLUNGSDIENSTE UND ÄHNLICHE

MASSENARBEITEN". Über sämtliche dieser Tätigkeiten seien "ordnungsgemäße Rechnungen erstellt und der Empfang des Werklohnes auch quittiert" worden. Zum Teil seien die von den Aushilfskräften zu leistenden Arbeiten auch in Heimarbeit bzw. in der Wohngemeinschaft der Aushilfskräfte erbracht worden. Dies gelte für Arbeiten, die nicht maschinell durchgeführt werden könnten, wie beispielsweise für das händische Einkleben von Schaumgummiteilen in maschinell vorgefertigte Brandsohlen.

Das Finanzamt befragte hierauf mehrere Aushilfskräfte und nahm über diese Einvernahmen Niederschriften auf. In diesen ist mehrfach davon die Rede, daß die befragten Aushilfskräfte vorher versendete Fragebögen unter Anleitung eines Organs der Beschwerdeführerin ausgefüllt hätten und daß diese Angaben nicht vollinhaltlich der Wahrheit entsprächen. Eine Aushilfskraft schilderte ihre Tätigkeit bei der Beschwerdeführerin wie folgt:

"Ich war bis 1986 bei der Firma J als Hilfsarbeiterin beschäftigt. 1988 rief mich Hr. W an und bot mir eine Verdienstmöglichkeit. Es wurde vereinbart, daß ich auf Abruf in der Firma um S 60,- Stundenlohn tätig werde. Tätigkeiten:

Brandsohlen pressen und fräsen. Diese Arbeiten sind nur mit den in der Firma stehenden Maschinen durchführbar gewesen."

Alle Zeugen mit einer Ausnahme gaben an, keinen "Werkvertrag" mit der Beschwerdeführerin unterschrieben zu haben.

Das Finanzamt stützte sich dementsprechend in der Begründung seiner abweislichen Berufungsvorentscheidung unter anderem auf diesen Umstand.

Die Beschwerdeführerin beantragte hierauf ohne weitere Ausführungen die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Die Beurteilung der Rechtsbeziehung zwischen der Beschwerdeführerin und den einzelnen Aushilfskräften als Dienstverhältnis gründe sich auf das Überwiegen der für ein Dienstverhältnis sprechenden Verhältnisse sowohl nach dem Mustervertrag als auch nach der tatsächlichen Ausgestaltung der einzelnen Arbeitsverhältnisse. Auch habe die Beschwerdeführerin der Vermutung des Finanzamtes, durch die Errichtung von "Werkverträgen" hätte die Verpflichtung zur Abfuhr der Lohnabgaben umgangen werden sollen, nicht widersprochen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach Lehre und Rechtsprechung sind bei Abgrenzungsfragen zwischen selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit wesentliche Werkmale einerseits das Vorliegen eines Unternehmerwagnisses, andererseits das Vorliegen einer Weisungsgebundenheit, d.h. die Verpflichtung einer natürlichen Person - als Dienstnehmer -, bei ihrer Tätigkeit die Weisungen eines anderen - des Dienstgebers - zu befolgen, sowie die organisatorische Eingliederung in den Betrieb des Dienstgebers. Es ist daher das Gesamtbild einer Tätigkeit darauf zu untersuchen, ob die Merkmale der Selbständigkeit oder jene der Unselbständigkeit überwiegen (vgl. hiezu beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 16. Februar 1994, Zl. 90/13/0251, und Zl. 92/13/0149). Hiebei kommt es auf die tatsächlich verwirklichten vertraglichen Vereinbarungen an (vgl. hiezu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1982, Zl. 14/2635/78, 82/14/0169).

Da die Beschwerdeführerin den Sachverhaltsfeststellungen des Finanzamtes in seiner als Vorhalt wirkenden Berufungsvorentscheidung weder im Verwaltungsverfahren noch auch im Beschwerdeverfahren etwas entgegengesetzt hat, kann von Werkverträgen nach dem eingangs wiedergegebenen Vertragsmuster nicht ausgegangen werden. Damit ist aber allen von solchen Verträgen ausgehenden Rechtsausführungen der Beschwerdeführerin - etwa, aus der vereinbarten Berechtigung der Aushilfskräfte, sich durch fachlich geeignete Erfüllungsgehilfen vertreten zu lassen, müsse auf das Vorliegen von Werkverträgen geschlossen werden - von vornherein der Boden entzogen. In der oben wiedergegebenen Zeugenaussage ist dagegen von einem vereinbarten Stundenlohn die Rede, was klar für das Vorliegen von Dienstverhältnissen spricht.

Auch aus der eigenen Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin ist zu ersehen, daß sie die Aushilfskräfte für sehr verschiedene Arbeiten herangezogen hat, wobei auf der Hand liegt, daß ein Großteil dieser Arbeiten schon wegen der betrieblichen Abläufe nicht ohne persönliche Unterordnung der Hilfskräfte unter den Willen des Betriebsführers der Beschwerdeführerin erfolgen konnte. Es ging also großteils nicht um die sach- und termingerechte Erfüllung von Werkverträgen durch selbständige Auftragnehmer, sondern um die Aushilfe durch Hilfskräfte über einen bestimmten Zeitraum bei den gerade anfallenden Arbeiten, somit also um die Zuverfügungstellung der Arbeitskraft der Hilfskräfte an die Beschwerdeführerin. Infolgedessen überwiegen im Beschwerdefall die für das Vorliegen von Dienstverhältnissen die für Selbständigkeit sprechenden Merkmale.

Da infolgedessen der angefochtene Bescheid frei von der behaupteten Rechtswidrigkeit ist, mußte die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2.

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