VwGH 92/01/1083

VwGH92/01/108327.1.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Oktober 1992, Zl. 4.340.839/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1 Z1;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1 Z1;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein liberianischer Staatsangehöriger, reiste am 5. September 1992 in das Bundesgebiet ein und stellte am 14. September 1992 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Bei seiner am 17. September 1992 vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, erfolgten niederschriftlichen Einvernahme gab er im wesentlichen an, in Liberia herrsche seit November 1989 Bürgerkrieg, wobei die Kämpfe erst 1990 richtig ausgebrochen seien, nachdem der Präsident Samuel Doe ermordet worden sei. Von diesem Zeitpunkt an sei jeder, der den Rebellen Charles Taylor und Prince Johnson nicht unterstützt habe, ermordet worden. Bis zum Tode von Samuel Doe hätte der Beschwerdeführer auf dessen Seite gekämpft, nachher habe er sich der Gruppe um Taylor, der "National Patriotic Front" angeschlossen. Ende 1990 habe die Gruppe um Johnson ("Independant National Front") ihren Machtbereich auf den Großteil des Landes ausgedehnt und die "Mitglieder" von Taylor hätten um ihr Leben fürchten und aus dem Land flüchten müssen. Da er den Gegnern als Mitglied der Gruppe um Taylor bekanntgewesen sei, habe er sich in Liberia nicht verstecken können; wäre er von Mitgliedern der Gruppe um Johnson "erwischt" worden, wäre er sofort umgebracht worden. Anfang 1991 sei er nach Sierra Leone gereist und seither nicht mehr nach Liberia zurückgekehrt, da er im Falle seiner Rückkehr von Anhängern Johnsons getötet würde. Auch über Vorhalt, jetzt beherrsche Taylor den Großteil des Landes, gab der Beschwerdeführer an, er sei in Unkenntnis dieses Umstandes gewesen, die politische Situation sei aber trotzdem ungeklärt, er wolle überhaupt nicht mehr kämpfen und sich auch keiner politischen Gruppe mehr anschließen. Auf die Frage, weshalb er nicht in Sierra Leone geblieben sei, gab der Beschwerdeführer an, das Leben in Afrika sei wirklich schlecht, er habe in Europa sein Leben retten und etwas aus sich machen wollen, hinzu käme die Hungersnot in Liberia. Er sei bis März 1992 in Sierra Leone geblieben, von dort er über Sofia, Belgrad und Ungarn nach Österreich gekommen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. September 1992 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer über sein bisheriges Vorbringen hinausgehend aus, es sei unrichtig, daß er WEGEN einer Hungersnot in Liberia nach Österreich gekommen sei, er habe sein Land auch nicht deswegen verlassen, sondern aus politischen Gründen. Diese Angaben in seinem Erstinterview seien falsch interpretiert worden. Er habe immer genug zu essen gehabt und habe sich nie über eine Hungersnot beklagt. Aber es sei weltweit bekannt, daß in Liberia bis zum heutigen Tag politische Instabilität und Unruhe herrsche und es Massentötungen und politische Ausschreitungen gegeben habe. Nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte er ein Recht, politisches Asyl zu erhalten und wüßte nicht, weshalb ihm dies verweigert würde, da Personen mit weißer Hautfarbe und gleichen Problemen Asyl gewährt worden sei. Er habe ohne Ausbildung in den Krieg ziehen und kämpfen müssen, infolge der vielen Auseinandersetzungen sei seine Rolle in Liberia öffentlich bekanntgeworden. Die Regierung suche ihn, da viele Menschen, darunter auch seine Eltern, getötet und einige schwer verletzt worden seien. Er wisse bis heute nichts über seinen jüngeren Bruder. Im Falle seiner Rückkehr werde er getötet werden. In Sierra Leone sei ihm kein Schutz im Sinne der Genfer Konvention gewährt worden, Sierra Leone habe zwar das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge unterzeichnet, es gebe jedoch kein Anerkennungsverfahren, das die Rechtsstellung der Flüchtlinge garantiere. Fast alle 240.000 Liberianer, die in Sierra Leone Zuflucht gesucht hätten, seien im März 1991 nach dem Einfall der Rebellen der National Patriotic Front nach Guinea oder Elfenbeinküste gegangen, wo jedoch Personen, die aus Gebieten der National Patriotic Front kämen, generell von der Asylgewährung ausgeschlossen seien. Die Lage sei nach wie vor instabil, vier verschiedene, untereinander verfeindete Truppeneinheiten seien präsent und die zukünftige Entwicklung könne nicht vorhergesagt werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde zu Spruchpunkt 1 die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Ablehnung seines Asylantrages gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und behob zu Spruchpunkt 2 jenen Teil des erstinstanzlichen Bescheides, mit dem die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen worden war.

Gegen den Spruchpunkt 1 dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist dem Beschwerdeführer zuzugestehen, daß er seinen Asylantrag nicht primär auf die in seinem Heimatland herrschende Hungersnot gestützt hat. Nach dem Inhalt der mit ihm am 17. September 1992 aufgenommenen Niederschrift hat er jedoch auf die Frage, warum er nicht in SIERRA LEONE geblieben sei, angegeben, daß "das Leben in Afrika wirklich schlecht" sei. "Sein Leben retten und etwas aus sich machen" könne er "in ganz Afrika nicht", sondern nur in Europa. "Dazu" komme noch die Hungersnot in Liberia. Dies alles seien Gründe, weshalb er auf keinen Fall nach Liberia zurückkehren könne. Abgesehen davon, daß er die Richtigkeit dieser Niederschrift nach Übersetzung durch seine Unterschrift bestätigt hat und diese Protokollierung auch mit seinem Beschwerdevorbringen in Einklang zu bringen ist, kommt diesem Einwand Relevanz nicht zu, weil weder das Bundesasylamt noch die belangte Behörde ihre Entscheidung allein auf diesen Umstand stützten.

Insoweit die Beschwerde rügt, der bekämpfte Bescheid stütze sich zu Unrecht auf jene Judikatur, die "Desertion" als tauglichen Asylgrund ablehnt, so ist ihr zuzugeben, daß von "Desertion" im Sinne von "Fahnenflucht", nämlich der Verweigerung bzw. eigenmächtigen Beendigung der jeden Staatsbürger treffenden Wehrpflicht, wie sie diesen Erkenntnissen zugrundelagen, bei Zwangsrekrutierungen durch rivalisierende Gruppierungen in einem Bürgerkrieg nicht gesprochen werden kann. Dennoch kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie eine asylrechtlich relevante Verfolgungsgefahr verneint hat. Zum einen hat der Beschwerdeführer selbst anläßlich seiner Ersteinvernahme und nach Konfrontation mit der ihm bis dato angeblich unbekannt gewesenen Änderung der Machtverhältnisse in seinem Heimatland zwar die weiterhin instabile Lage als Begründung für die Fortdauer der ihn betreffenden Verfolgungsgefahr genannt, nicht jedoch, er sei nunmehr zum Verfolgungsobjekt für die "Leute von Taylor" geworden, weil er sein Land verlassen habe. Dieses Vorbringen erstattete er erstmals in der Berufung.

Die belangte Behörde hatte gemäß § 20 Abs. 1 und 2 AsylG 1991 das Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens ihrer Entscheidung zugrunde zu legen, dies schon deshalb, weil § 20 Abs. 2 AsylG 1991 eine offenkundige Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz verlangt, welche im gegenständlichen Falle nicht dargetan wurde. Tragende Begründung für seine Flucht war nach den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Ersteinvernahme am 17. September 1992 das Bestreben "überhaupt nicht mehr kämpfen und mich keiner politischen Gruppe mehr anschließen" zu müssen und damit der Wunsch, nicht mehr in den bewaffneten Kampf hineingezogen zu werden. Damit macht er aber keinen der im § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Fluchtgründe geltend. Der Umstand, daß in der Heimat des Beschwerdeführers zufolge des Bürgerkriegs allenfalls eine funktionierende Staatsgewalt fehlt und ein Machtvakuum eingetreten ist, in dem er, ohne Schutz von staatlichen Stellen erhalten zu können, Zwangsrekrutierungsmaßnahmen der Rebellen (wieder) ausgesetzt wäre, besagt noch nicht, daß dem Beschwerdeführer deshalb wohlbegründete Furcht, in seiner Heimat aus Gründen des § 1 Z. 1 AsylG 1991 verfolgt zu werden, zuzubilligen ist. Schon aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.

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