VwGH 93/18/0308

VwGH93/18/030828.10.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des I in A, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 3. Mai 1993, Zl. III 63-1/93, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §81 Z2;
StGB §88 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §81 Z2;
StGB §88 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 1 und §§ 19, 20 und 21 FrG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Juli 1992 rechtskräftig wegen der Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z. 2 StGB und der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1, 3 und 4 zweiter Fall (§ 81 Z. 2) StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bestraft worden sei. Der Beschwerdeführer habe im Verlauf des 13. Oktober 1991 erhebliche Mengen alkoholischer Getränke konsumiert, obwohl ihm dabei klar gewesen sei, daß er am frühen Abend seinen PKW lenken werde. Er habe dann um ca.

18.40 Uhr seinen PKW mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,2 Promille auf der Inntalautobahn gelenkt und sei infolge mangelnder Aufmerksamkeit gegen die Mittelleitschiene geraten, worauf sich der PKW überschlagen habe, die auf dem Rücksitz mitgefahrenen Personen herausgeschleudert worden seien und eine von ihnen tödliche Verletzungen erlitten habe. Außer dem Beschwerdeführer selbst seien drei weitere Personen am Körper verletzt worden, und zwar seine Ehegattin, diese schwer, sowie sein dreijähriger Sohn und ein Cousin. Diese rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers erfülle den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FrG; das wiederum sei eine "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1", die die Annahme rechtfertige, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde (§ 18 Abs. 1 Z. 1 FrG). Der mit dem Aufenthaltsverbot bewirkte Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei mit Rücksicht auf die von alkholisierten Fahrzeuglenkern im Straßenverkehr ausgehende große Gefahr für das Leben und die Gesundheit anderer Menschen zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele des Schutzes der Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen (des Beschwerdeführers im Bundesgebiet) dringend geboten. Überdies sei der Beschwerdeführer seinerzeit (am 4. Juli 1990) ohne den erforderlichen Sichtvermerk zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in das Bundesgebiet eingereist und hiefür wegen einer Übertretung des Paßgesetzes 1969 rechtskräftig bestraft worden. Halte man sich vor Augen, daß der Beschwerdeführer die Autofahrt am 13. Oktober 1981 mit drei erwachsenen Personen und einem Kind als Mitfahrer angetreten habe, obwohl er bedingt durch seine Alkoholsierung fahruntüchtig gewesen sei und er überdies nur über eine geringe Fahrpraxis verfügt habe, sowie weiters, daß er sich vor der Tat fahrlässig durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt habe, obwohl ihm klar gewesen sei, daß er am frühen Abend seinen PKW lenken werde, so sei die der Persönlichkeit des Beschwerdeführers innewohnende besondere Verantwortungslosigkeit deutlich zu erkennen. Insgesamt gesehen falle daher die Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer keineswegs positiv aus und sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend geboten. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes: Der Beschwerdeführer und seine Familie (Gattin und zwei minderjährige Kinder) seien seit Juli 1990 im Bundesgebiet aufhältig und hier dementsprechend integriert. Der Beschwerdeführer arbeite seit 10. September 1990 bei einem näher bezeichneten Unternehmen als Schlosser. Seine Gattin sei Hausfrau und beaufsichtige die Kinder, welche in Österreich die Schule besuchten. Die Bindungen des Beschwerdeführers an das Bundesgebiet bzw. an im Bundesgebiet lebende Menschen würden - wie überhaupt das Leben des Berufungswerbers und seiner Familie - durch das Aufenthaltsverbot zwar beeinträchtigt, doch träten diese Beeinträchtigungen in den Hintergrund, wenn man sich die Straftaten des Beschwerdeführers in der kurzen Zeit seines hiesigen Aufenthaltes und die von ihm für die Allgemeinheit ausgehende große Gefahr für Leben und Gesundheit vor Augen halte. Ferner sei zu berücksichtigen, daß der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers und seiner Familie bis vor kurzem noch nicht in Österreich situiert gewesen sei und daß es der Familie des Beschwerdeführers freistehe, mit diesem das Bundesgebiet zu verlassen und so die Familieneinheit aufrechtzuerhalten. Sollte die Gattin des Beschwerdeführers mit den Kindern weiterhin in Österreich bleiben, so müsse sie ihr Leben anders einrichten als bisher, was sie aber im Hinblick auf die sechsmonatige gerichtliche Freiheitsstrafe, die der Beschwerdeführer zu verbüßen habe, jedenfalls tun müßte.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Mit Beschluß vom 21. Juni 1993, B 1054/93, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer läßt die zutreffende Auffassung der belangten Behörde, daß die mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Juli 1992 erfolgte rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten als bestimmte Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG die in § 18 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertige, unbestritten.

Nicht strittig ist ferner, daß durch das Aufenthaltsverbot im Grunde des § 19 FrG in relevanter Weise in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen würde. Die Ansicht der belangten Behörde, daß dieser Eingriff zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten sei, vermag der Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht zu teilen. Wenngleich nicht zu verkennen ist, daß von alkoholisierten Fahrzeuglenkern eine große Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht und daß das Verschulden des Beschwerdeführers an der seiner gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Tat keinesfalls gering zu veranschlagen ist, darf nicht übersehen werden, daß es sich dabei um die erste und bisher einzige derartige Verfehlung des Beschwerdeführers gehandelt hat, die zur Folge hatte, daß nicht nur nahe Angehörige des Beschwerdeführers teilweise schwer verletzt wurden, sondern daß auch dieser selbst körperlich nicht unbeträchtlich zu Schaden gekommen ist (Gehirnerschütterung und offene Luxation zweier Mittelfußknochen links). Diese Umstände im Verein mit der über den Beschwerdeführer verhängten unbedingten Freiheitsstrafe lassen die vom Aufenthalt des Beschwerdeführers ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht als so schwerwiegend erscheinen, daß die Erlassung des Aufenthaltsverbotes trotz des damit verbundenen Eingriffes in das Familienleben des Beschwerdeführers zum Schutz der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten wäre. Dem steht auch die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Übertretung des Paßgesetzes 1969 nicht entgegen, zumal diese Übertretung schon lange zurückliegt und sich der Beschwerdeführer seither keinen weiteren Verstoß gegen paß- und fremdenpolizeirechtliche Bestimmungen zuschulden kommen ließ.

Das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot erweist sich somit gemäß § 19 FrG als nicht zulässig; einer Interessenabwägung im Sinne des § 20 Abs. 1 FrG bedarf es nicht mehr.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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