VwGH 93/06/0090

VwGH93/06/009013.5.1993

Der Verwaltungsgerichthosf hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Würth und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr.Möslinger-Gehmayr, über den Antrag der Stadtgemeinde L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. Dezember 1992, Zl. 03-12 Fu 34-92/1, betreffend Versagung einer Baubewilligung, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. April 1993, Zl. 93/06/0038, wurde das Verfahren über die Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid eingestellt, weil entgegen der Angabe in der Beschwerde, wonach der angefochtene Bescheid der Beschwerdeführerin am 23. Dezember 1992 zugestellt worden sei, eine Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt ergeben hat, daß die Zustellung tatsächlich schon am 16. Dezember 1992 erfolgte. Ausgehend vom 16. Dezember 1992 war aber die am 2. Februar 1993 zur Post gegebene Beschwerde nach Ablauf der Beschwerdefrist eingebracht. Mit Verfügung vom 5. April 1993, dem Beschwerdevertreter zugestellt am 20. April 1993, wurde der Beschwerdeführerin die Verspätung der Beschwerde vorgehalten.

Mit dem vorliegenden Antrag, der am 24. April 1993 zur Post gegeben wurde, begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde. Zur Begründung des Antrages wurde ausgeführt, es sei richtig, daß der angefochtene Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung am 16. Dezember 1992 beim Stadtamt L eingegangen sei. Aufgrund eines Fehlers einer Kanzleiangestellten sei die Zustellung erst mit 23. Dezember 1992 durch Einbringung des Eingangsstempels auf dem Geschäftsstück und Eintragung der Zustellung in das Postbuch in Evidenz genommen worden. Dieses unrichtige Zustelldatum sei dem Rechtsvertreter seitens der Beschwerdeführerin auch mitgeteilt worden. Diesem Antrag waren zwei eidesstattliche Erklärungen beigefügt, eine von Dr. Beatrix P., Stadtamtsdirektorin der Stadtgemeinde L, sowie eine weitere von Frau Helga T., Angestellte der Stadtgemeinde

L. Aus der eidesstattlichen Erklärung der Stadtamtsdirektorin geht hervor, daß der Bescheid der Stadtgemeinde L am 16. Dezember 1992 zugestellt wurde. Am Rückschein des RSb-Briefes sei der Eingangsstempel des Stadtamtes L von der Kanzleiangestellten, Helga T. angebracht worden. Der Rückschein sei von der Stadtamtsdirektorin unterfertigt worden. In weiterer Folge habe sie das Geschäftsstück geöffnet und die Verfügung über die weitere Bearbeitung wie folgt angebracht:

1. Herrn Bgm. zur Kenntnis, 2. Bauamt, 3. Gemeinderat. Weiters habe die Stadtamtsdirektorin auf dem Geschäftsstück "RSb" vermerkt, um darauf hinzuweisen, daß dieses Geschäftsstück unverzüglich in das Postbuch einzutragen sei. Nach dieser Erledigung habe sie den genannten Bescheid in die Kanzlei gebracht, damit durch die Kanzleiangestellte, Helga T., die Eintragung ins Postbuch und Weiterleitung erfolge. Aus völlig unerklärlichen Gründen sei der Bescheid vorerst unerledigt geblieben und sei erst am 23. Dezember 1992 mit dem Eingangsstempel auf dem Geschäftsstück versehen und im fortlaufend geführten Postbuch unter der laufenden Nummer 7765 eingetragen worden. Diese Eintragung bzw. der Eingangsstempel datiert mit 23. Dezember 1992 auf dem Geschäftsstück sei die Grundlage für sämtliche weitere Informationen hinsichtlich der Fristwahrung für die Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde gewesen. Die Stadtgemeinde L habe hinsichtlich der Evidenzhaltung von Rechtsmittelfristen ein Postbuch, das mit fortlaufenden Eintragungen geführt werde. Dieses Postbuch werde von der Stadtamtsdirektorin regelmäßig kontrolliert. Weiters werde jedes Geschäftsstück mit einem Eingangsstempel versehen. Die Stadtgemeinde L habe daher an und für sich ein lückenloses System, um derartige Fehler, wie er in der gegenständlichen Angelegenheit passiert sei, bei der Fristvormerkung auszuschließen. Die Tatsache, daß in der gegenständlichen Angelegenheit der Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. Dezember 1992 nicht sofort, nämlich am 16. Dezember 1992, im Postbuch eingetragen worden sei bzw. der Eingangsstempel nicht am Geschäftsstück angebracht worden sei, sondern erst am 23. Dezember 1992, sei ein einmaliges Versehen der Kanzlei, insbesondere der Kanzleikraft, Helga T. Diese arbeite seit ca. zwei Jahren in der Stadtgemeinde L und habe vorher drei Jahre lang als Kanzleiangestellte bei einem öffentlichen Notar in L gearbeitet. Ein derartiger Fehler bei der Fristvormerkung sei ihr bis dato nicht unterlaufen. Im übrigen sei auch eine besondere, vorweihnachtliche Streßsituation dafür verantwortlich, daß dieser Fehler unterlaufen konnte. Von der Kanzlei der Stadtgemeinde L seien durchschnittlich täglich ca. 70 Posteingangsstücke zu bewältigen. Im genannten Zeitraum vor Weihnachten erhöhe sich diese Anzahl erheblich, da zusätzliche Arbeiten (Abrechnungen, Weihnachtskorrespondenz) zu erledigen seien.

Helga T. bestätigt in ihrer eidesstattlichen Erklärung, daß ihr der oben genannte Bescheid von der Stadtamtsdirektorin am 16. Dezember 1992 zur Eintragung ins Postbuch, Anbringung des Eingangsstempels, sowie Weiterleitung, wie von ihr verfügt, übermittelt worden sei. Es habe am 16. Dezember 1992 "ein besonders hektisches Klima" in der Kanzlei geherrscht, "aufgrund des vorweihnachtlichen Stresses" habe sie, Helga T., offensichtlich diesen Bescheid erst am 23. Dezember 1992 mit dem Eingangsstempel versehen und in das Postbuch unter der laufenden Nummer 7765 eingetragen. Sie könne sich dies nur damit erklären, daß sie das Geschäftsstück aus Versehen in ein falsches Fach gelegt und vorerst vergessen habe, es sofort zu erledigen. Am 23. Dezember 1992 sei ihr nicht bewußt gewesen, daß dieser Bescheid bereits eine Woche vorher beim Stadtamt L eingelangt sei, da das Eingangsdatum am Geschäftsstück selbst nicht angebracht worden sei, sondern wie ihr erst jetzt mitgeteilt worden sei, nur auf dem Rückschein. Helga T. sei ein derartiger Fehler bis dato nicht passiert. Sie arbeite seit zwei Jahren bei der Stadtgemeinde L und führe regelmäßig das Postbuch und erledige den Posteingang. Das Postbuch werde von Dr. Beatrix P. regelmäßig kontrolliert. Auch bei ihrer Tätigkeit bei einem Notar durch ca. drei Jahre vor ihrem Eintreten in die Kanzlei der Stadtgemeinde L, sei sie mit Fristvormerkungen vertraut gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG in der Fassung des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 1985, BGBl. Nr. 564, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Während aus der eidesstattlichen Erklärung der Stadtamtsdirektorin nur hervorgeht, daß auf dem Rückschein des RSb-Briefes der Eingangsstempel angebracht war und dieser Rückschein von ihr unterfertigt wurde, das Postbuch mit fortlaufenden Eintragungen geführt und regelmäßig kontrolliert wird und weiters jedes Geschäftsstück mit einem Eingangsstempel versehen wird (wobei in dieser Erklärung nicht ausgeführt wurde, daß das Geschäftsstück bzw. das Kuvert unmittelbar bei Einlangen beim Stadtamt mit einem Eingangsstempel versehen werde) geht aus der eidesstattlichen Erklärung der Helga T. hervor, daß ihr der oben genannte Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung von der Stadtamtsdirektorin am 16. Dezember 1992 zur Eintragung ins Postbuch, Anbringung des Eingangsstempels sowie Weiterleitung, wie von ihr verfügt, übermittelt worden sei. Insbesondere aus der in dieser Hinsicht klaren Aussage der Helga T., wonach ihr der genannte Bescheid zur Eintragung ins Postbuch und Anbringung des Eingangsstempels sowie Weiterleitung übermittelt worden sei, geht hervor, daß die Anbringung des Eingangsstempels auf dem Geschäftsstück selbst nicht unmittelbar beim Einlangen des Geschäftsstückes erfolgt. Diese Organisation der Postbearbeitung ist aber selbst dann, wenn Poststücke an und für sich täglich in das Postbuch eingetragen werden, fehleranfällig (vgl. den Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 27. Mai 1992, Zl. 9 Ob A 92/92). Gerade bei einem größeren Anfall von Posteingangsstücken (hier ca. 70) täglich, ist aber die Organisation so zu gestalten, daß die Anbringung des Eingangsstempels unmittelbar bei Eingang eines Poststückes auf dem Geschäftsstück selbst bzw. auf dem Kuvert, das bei dem Geschäftsstück verbleiben müßte, zu erfolgen hat. Im gegenständlichen Fall ist aber weder davon auszugehen, daß das Schriftstück gleich beim Einlangen geöffnet wird und zu diesem Zeitpunkt mit einem Eingangsstempel versehen wird, da ja die Öffnung erst durch die Stadtamtsdirektorin erfolgt, noch daß das Kuvert nach dem Öffnen durch die Stadtamtsdirektorin beim Geschäftsstück verbleibt, da ansonsten der von ihr angebrachte handschriftliche Vermerk "RSb" obsolet wäre, weil dem Formular 4 zu § 22 des Zustellgesetzes (Kuvert für RSb-Sendungen) auch nach Abriß des Rückscheines zu entnehmen ist, daß es sich um eine RSb-Sendung handelt. Die Versäumung der Frist war daher bei dieser mangelhaften Organisation der Postbearbeitung vorhersehbar und hätte durch zumutbare Maßnahmen - etwa durch Anbringung eines Eingangsvermerkes sofort bei Einlangen auf dem Poststück selbst oder wenigstens durch Kontrolle des Eingangsdatums anläßlich der Unterfertigung des Rückscheines, aus dem das tatsächliche Zustelldatum ersichtlich war - abgewendet werden können, sodaß auch kein minderer Grad des Versehens vorliegt.

Dem Wiedereinsetzungsantrag konnte daher nicht stattgegeben werden.

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