VwGH 93/06/0066

VwGH93/06/006621.10.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Kratschmer und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des F in G, vertreten durch Dr. P, RA in I, gegen den Bescheid der Tir LReg vom 2. 2. 1993, Zl. Ve1-550/1749/10, betreffend Wiederaufnahmeantrag in einem baubehördlichen Bewilligungsverfahren (mP: 1. RA, 2. XA und 3. HA, alle in G, alle vertreten durch Dr. J, RA in I, sowie 4. Gemeinde G, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §70 Abs3;
BauO Tir 1989 §31;
B-VG Art119a Abs5;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §70 Abs3;
BauO Tir 1989 §31;
B-VG Art119a Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. Mai 1989 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde G den erst-, zweit- und drittmitbeteiligten Parteien (Bauwerber) nach Durchführung einer mündlichen Bauverhandlung am 25. April 1989 gemäß § 31 der Tiroler Bauordnung (TBO) die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Anbaues an das bestehende Wohnhaus auf der GP 1169/2, KG G "nach Maßgabe der genehmigten Pläne" und unter Einhaltung bestimmter Auflagen. Auf Seite 2 der Niederschrift über die dem Bebaubewilligungsbescheid zugrundeliegende Bauverhandlung vom 25. April 1989 ist die Äußerung des Sachverständigen für Hochbau wiedergegeben, "gegen die Erteilung der Baubewilligung bei plangemäßer Ausführung inklusive Plankorrekturen und bei Einhaltung der TBO und TBV" sowie bestimmter Vorschreibungspunkte keinen Einwand zu erheben.

Mit Bescheid vom 31. Juli 1990 untersagte der Bürgermeister der Gemeinde G den Bauwerbern gemäß § 40 Abs. 1, 2 und 3 TBO wegen der (anläßlich einer am 11. Juli 1990 durchgeführten Baukontrolle festgestellten) konsenswidrigen Bauausführung (insbesondere Nichteinhaltung des Seitenabstandes sowie Überschreitung der Wandhöhe) die Weiterführung des Baues und trug gleichzeitig die Herstellung des der Baubewilligung entsprechenden Zustandes binnen zweier Monate auf. Die gegen diesen Bescheid von den Bauwerbern erhobene Berufung wies der Gemeindevorstand der Gemeinde G mit Bescheid vom 8. Oktober 1990 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Die Tiroler Landesregierung hob über Vorstellung der Bauwerber mit Bescheid vom 13. März 1991 gemäß § 112 Abs. 5 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 idgF diesen Berufungsbescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an dem Gemeindevorstand. Begründend wurde ausgeführt, die vom Bausachverständigen in der Bauverhandlung vorgenommenen Eintragungen könnten nicht als Plankorrekturen gewertet werden (erforderlich wären bezüglich der Einhaltung des Nachbarabstandes von 4 m zusätzliche klare Einzeichnungen bei sämtlichen Geschoßen sowie bezüglich der Einhaltung einer maximalen Wandhöhe von 5,71 m eine Darstellung der konkreten Maßnahme als Planänderung in der Darstellung der Ost- und Westansicht gewesen) und daher nicht als von der Baubewilligung umfaßt angesehen werden. Daher sei das Projekt in der ursprünglich eingereichten und dargestellten Form als baubehördlich bewilligt anzusehen; die Bauwerber hätten mit Ausnahme eines Erkers entsprechend den genehmigten Plänen gebaut.

Der Gemeindevorstand der Gemeinde G hob mit Bescheid vom 10. Juni 1991 den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde G vom 31. Juli 1990 auf. Die gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobene Vorstellung wies die Tiroler Landesregierung gemäß § 112 Abs. 5 Tiroler Gemeindeordnung 1966 idgF mit Bescheid vom 24. Juli 1991 mit der Begründung zurück, daß dem Nachbarn im baubehördlichen Auftragsverfahren keine Parteistellung zukomme.

Mit Schreiben vom 10. September 1991 stellte der Beschwerdeführer beim Bürgermeister der Gemeinde G als Baubehörde erster Instanz gemäß § 69 Abs. 3 AVG den Antrag auf Wiederaufnahme des Baubewilligungsverfahrens und führte hiezu begründend im wesentlichen aus, durch die tatsächliche Bauführung sei offenbar geworden, daß von den Bauwerbern zwingende Bauvorschriften "mutwillig verletzt" worden seien. Da dem Beschwerdeführer im baupolizeilichen Verfahren eine Parteistellung nicht zugebilligt worden sei, sei "die einzige Möglichkeit der Beseitigung dieses unseligen Zustandes in einer Wiederaufnahme des Baubewilligungsverfahrens zu sehen", wobei erst mit Zustellung des seine Vorstellung zurückweisenden Bescheides der Tiroler Landesregierung vom 24. Juli 1991 (ihm am 31. Juli 1991 zugekommen) für den Antragsteller die den Wiederaufnahmsgrund bildende Situation eingetreten sei. Ausdrücklich geltend gemacht werde die Wiederaufnahme des Baubewilligungsverfahrens aus den Gründen des § 69 Abs. 1 lit. a und b AVG, zumal hinsichtlich der lit. a nicht ausgeschlossen werden könne, "daß die Bauwerber von Anfang an nicht die Absicht hatten, sich an die Korrekturen des bautechnischen Sachverständigen zu halten".

Diesem Antrag gab der Bürgermeister der Gemeinde G mit Bescheid vom 4. Mai 1992 gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG Folge. Die gegen diesen Bescheid von den Bauwerbern erhobene Berufung wies der Gemeindevorstand der Gemeinde G gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit Bescheid vom 22. Juli 1992 "zurück", und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid "vollinhaltlich", wobei auch aus der Begründung zweifelsfrei hervorgeht, daß die Behörde in der Sache entschieden, d.h. die Berufung abgewiesen hat.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die Tiroler Landesregierung der Vorstellung der Erst-, Zweit- und Drittmitbeteiligten gemäß § 112 Abs. 5 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 idgF Folge, behob den Bescheid des Gemeindevorstands der Gemeinde G vom 22. Juli 1992 infolge Verletzung von Rechten der Bauwerber und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand der Gemeinde G. Begründend führte die belangte Behörde aus, der von den Behörden erster und zweiter Instanz angenommene Erschleichungstatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG sei nicht gegeben. Vielmehr lägen dem Bauantrag die zur Beurteilung notwendigen Unterlagen zugrunde. So hätten die Einreich- und Planunterlagen Darstellungen der Ansichten, aller Grundrisse sowie Schnitte, in der die beabsichtigte Bauführung im Detail dargestellt worden sei, enthalten. Von den Bauwerbern seien keine objektiv unrichtigen Angaben - und nur solche könnten das Tatbild der Erschleichung verwirklichen - mit der Absicht gemacht worden, die Behörde irrezuführen und sich somit eine Bewilligung zu erschleichen. Bloße subjektive Absichten eines Bauwerbers, sich bei der Ausführung eines Bauvorhabens sodann nicht an den Umfang einer erteilten Bewilligung zu halten, stellten aber keinen Erschleichungstatbestand dar. Auch hätte der Beschwerdeführer bereits mit Kenntnis des Bescheides des Gemeindevorstands der Gemeinde G vom 10. Juni 1991, gegen den er in der Folge mit Schreiben vom 25. Juni 1991 Vorstellung erhoben habe, von dem von ihm behaupteten Wiederaufnahmegrund wissen müssen. Darüber sei der Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 24. Juli 1991 ergangen. Der Antrag auf Wiederaufnahme, welcher am 13. September 1991 bei der Gemeinde G eingelangt sei, datiere hingegen erst mit 10. September 1991.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde: Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Stattgebung seines Wiederaufnahmeantrages verletzt. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die erst-, zweit- und drittmitbeteiligten Parteien in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde führt aus, aus dem Gesamtverhalten der Bauwerber ergebe sich, daß diese zwar in der seinerzeitigen Baubewilligungsverhandlung die vom Bausachverständigen vorgenommenen Änderungen akzeptiert, in der Folge jedoch den Bau gemäß den ursprünglich vorgelegten (daher unkorrigierten) Plänen "durchgezogen" hätten. Daraus folge, daß die Bauwerber "immer schon nach den von ihnen vorgelegten Plänen bauen wollten" und nicht gewillt gewesen seien, Änderungen zu akzeptieren. Weiters macht die Beschwerde den Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ("Neuerungstatbestand") geltend, da erst durch den Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde vom 24. Juli 1991 erkennbar gewesen sei, daß die vom Bausachverständigen vorgenommenen Eintragungen nicht als Plankorrekturen gewertet werden könnten.

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder ...

Nach Abs. 2 der genannten Bestimmung ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen vom Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

Vorausgeschickt sei, daß dem Beschwerdeführer - ungeachtet der Frage, ob sein Wiederaufnahmsantrag fristgerecht eingebracht und ob überhaupt ein tauglicher Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wurde - aus dem Bescheid des Bürgermeisters der viertmitbeteiligten Gemeinde vom 4. Mai 1992, mit dem die Wiederaufnahme aufgrund dieses Antrages verfügt wurde, (zunächst) ein Recht erwachsen ist. Er kann daher durch den angefochtenen Bescheid, insbesondere durch die damit der Berufungsbehörde überbundene Rechtsansicht der belangten Behörde, auch dann in seinem Recht verletzt sein, wenn man die Auffassung der belangten Behörde teilt, daß der Wiederaufnahmsantrag des Beschwerdeführers (aus welchen Gründen immer) unzulässig gewesen wäre. Die Beschwerde ist daher zulässig.

Die Beschwerde ist im Ergebnis aber auch berechtigt: Selbst wenn der Wiederaufnahmsantrag des Beschwerdeführers als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen, kann die Rechtswidrigkeit des Bescheides des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 4. Mai 1992 vom Gemeindevorstand nur aufgrund eines zulässigen Rechtsmittels ausgesprochen werden. Ein solches zulässiges Rechtsmittel liegt aber schon deswegen nicht vor, weil gemäß § 70 Abs. 3 zweiter Satz AVG gegen die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme (mag sie auch rechtswidrig erfolgt sein) eine abgesonderte Berufung nicht zulässig ist. Die belangte Behörde hätte daher dem Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde richtigerweise die Rechtsauffassung überbinden müssen, die Berufung der mitbeteiligten Bauwerber gegen den die Wiederaufnahme verfügenden Bescheid des Bürgermeisters gemäß § 70 Abs. 3 AVG als unzulässig zurückzuweisen. Die Erst-, Zweit- und Drittmitbeteiligten (Bauwerber) können ihre Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des die Wiederaufnahme verfügenden Bescheides erst mit ihren (allfälligen Rechtsmitteln) gegen eine neuerliche Entscheidung in der Sache selbst geltend machen.

Der sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftete Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den geltend gemachten Schriftsatzaufwand samt Stempelgebühren für eine Äußerung des Beschwerdeführers zur Gegenschrift der belangten Behörde sowie der mitbeteiligten Parteien (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 686 wiedergegebene hg. Judikatur).

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