VwGH 91/13/0059

VwGH91/13/005921.7.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des Präsidenten der FLD für Wien, NÖ und Bgld gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der FLD für Wien, NÖ und Bgld Berufungssenat I, vom 24. Jänner 1991, GZ. 6/1-1273/89-01, betreffend Umsatzsteuer 1985 bis 1987 (mitbeteiligte Partei: Dr. A in W), zu Recht erkannt:

Normen

UStG 1972 §10 Abs2 Z7 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
UStG 1972 §10 Abs2 Z7 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Umsatzsteuer 1985 bis 1987 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei ist Facharzt für Neurologie und hält Vorträge und Seminare bei der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur über Akupunktur und chinesische Massage.

Anläßlich der Durchführung einer abgabenbehördlichen Prüfung führte der Betriebsprüfer hinsichtlich der Vortragstätigkeit aus: Die Kurse über Akupunktur und chinesische Massage im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur fänden an Wochenenden statt; ein Kurs dauere ungefähr ein Jahr. Es gebe Kurse für Anfänger, mäßig Fortgeschrittene und Fortgeschrittene. Zu den Kursen über chinesische Massage seien Ärzte, physikalische Assistenten und diplomierte Masseure zugelassen; die Akupunkturseminare richteten sich ausschließlich an Ärzte. Die Kurse können mit einer Prüfung abgeschlossen werden; die Teilnahme sei aber freiwillig. Die Tätigkeit der mitbeteiligten Partei bestehe im Vortrag, in der Demonstration und in der Diskussion mit den Teilnehmern.

Das Finanzamt qualifizierte die Vortragstätigkeit als unterrichtende Tätigkeit und unterwarf die Umsätze dem Normalsteuersatz von 20 v.H. (§ 10 Abs. 1 UStG 1972).

In der gegen die erstinstanzlichen Bescheide gerichteten Berufung hielt die mitbeteiligte Partei ergänzend fest, sie beherrsche auf Grund der Kenntnis der chinesischen Sprache sowie von Seminar- und Studienaufenthalten in China die Teilgebiete Akupunktur und Massage der chinesischen Medizin, deren theoretische Grundlage die gleiche sei. Akupunktur sei vom Obersten Sanitätsrat teilweise (Schmerzbehandlung, Behandlung des Bewegungsapparates) als wissenschaftliche Heilmethode anerkannt. Ihre Aufgabe im Rahmen der Seminare über Akupunktur bestehe im Vortrag über Besonderheiten der chinesischen Medizin sowie in der Weitergabe von Erfahrungen aus der Praxis und von Erkenntnissen der Fachliteratur. Im Rahmen der Seminare über chinesische Massage spreche die mitbeteiligte Partei über Massage an orthopädischen und neurologischen Patienten. Es sei gerechtfertigt, die mitbeteiligte Partei als Wissenschaftler zu bezeichnen, weil sie versuche, bei der Behandlung von Schmerzen und Störungen des Bewegungsapparates eine Synthese zwischen abendländischer und traditioneller chinesischer Medizin zu schaffen. Für den wissenschaftlichen Charakter der Vorträge spreche ein Publikum, welches das Fachgebiet übersehe und zu Neuerungen und Problemen ohne Erarbeitung eines Grundwissens Stellung beziehen könne.

In der Berufungsverhandlung brachte die mitbeteiligte Partei vor, sie habe dreimal den Pischinger-Preis für wissenschaftliche Arbeiten betreffend die Verbindung chinesischer und europäischer Medizin bekommen. Bei den Vorträgen, die sich an Ärzte richten, werde nicht Standardwissen vermittelt, sondern bestehendes Wissen ergänzt. Es werde auch die praktische Anwendung - Einsetzen der Nadel - vorgetragen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung diesbezüglich stattgeben und die Umsätze aus der Vortragstätigkeit bei der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur dem ermäßigten Steuersatz von 10 v.H. für sonstige Leistungen aus der Tätigkeit als Wissenschaftler (§ 10 Abs. 2 Z. 7 lit. b UStG 1972) unterworfen. Die belangte Behörde bejahte das Merkmal der Wissenschaftlichkeit, weil der Teilnehmerkreis auf Ärzte ausgerichtet sei und daher geeignet sei, auf wissenschaftliche Diskussionen einzugehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde insoweit, als damit über die Umsatzsteuer 1985 bis 1987 abgesprochen wurde. Die mitbeteiligte Partei erstattete keine Gegenschrift.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist strittig, ob die von der mitbeteiligten Partei gehaltenen Seminare über Akupunktur und chinesische Massage als wissenschaftliche Tätigkeit anzusehen sind und ob daher diese Umsätze unter § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. b UStG 1972 in der bis 1988 geltenden Fassung zu subsumieren sind.

Dies ist eine auf der Ebene der Beweiswürdigung zu lösende Sachfrage. Eine Beweiswürdigung ist dann schlüssig, wenn sie bei der Beurteilung, ob eine Vortrags- und Seminartätigkeit als wissenschaftlich anzusehen ist, folgende Kriterien in ihre Betrachtung miteinbezieht (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 28. Jänner 1987, 84/13/0153; vom 20. Jänner 1988, 86/13/0142; vom 19. Dezember 1988, 86/15/0093; vom 23. Jänner 1989, 86/15/0125 und vom 19. Mai 1993, 92/13/0119):

a.) Ein Vortrag, der seinem Inhalt, seiner Zielsetzung und Methodik nach der "wissenschaftlichen Lehre" entspricht, wie sie in aller Regel nur an Universitäten bzw. wissenschaftlichen Hochschulen betrieben wird, der also die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse unter Darstellung des vom Vortragenden als Wissenschaftler erarbeiteten Standpunktes bietet, und

b.) ein Zuhörerkreis, der, wenn auch nicht notwendigerweise selbst wissenschaftlich tätig, so doch an der wissenschaftlichen Behandlung von Problemen interessiert und auf Grund seiner Ausbildung zur wissenschaftlichen Diskussion geeignet ist.

1. Umsätze aus der Vortragstätigkeit über Akupunktur

Der beschwerdeführende Präsident räumt ein, daß Akupunktur vom Obersten Sanitätsrat in Teilbereichen als wissenschaftliche Heilmethode anerkannt ist. Er vertritt jedoch die Auffassung, es wäre durchaus denkbar, daß auch die vor Ärzten abgehaltenen Seminare über Akupunktur nicht den Zweck gehabt hätten, wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln, sondern der Ausbildung der Zuhörer auf diesem Gebiet gedient hätten.

Dieser Einwand überzeugt nicht, weil jeder wissenschaftliche Vortrag darauf abzielt, neue Erkenntnisse dem interessierten Zielpublikum näherzubringen und zu einer Ergänzung des Wissensstandes führen soll. Gerade bei Ärzten kann - wie die Berufungsbehörde überzeugend darlegt - auf Grund ihres umfassenden medizinischen Basiswissens davon ausgegangen werden, daß sich die Vortragstätigkeit nicht auf die Demonstration von Fertigkeiten beschränkt, sondern darüberhinaus eine Ergänzung ihres Fachwissens um das Teilgebiet Akupunktur beabsichtigt ist. In diesem Fall kann aber von einer bloßen Ausbildung keine Rede sein; es liegt vielmehr eine Erweiterung des Wissenstandes vor.

Weiters bringt der Präsident gegen die Begründung der Berufungsentscheidung vor, aus der Art des Zuhörerkreises könne nicht der Schluß gezogen werden, ein Wissensgebiet werde auf wissenschaftlichem Niveau dargeboten. Damit werde zum Ausdruck gebracht, die Wissenschaftlichkeit eines Vortrages hänge von der Art der Zuhörer ab. Eine solche Ansicht stehe aber im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach das primäre Abgrenzungskriterium sei, ob der Vortragende selbst wissenschaftlich tätig sei.

Die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Mai 1983, 82/15/0058; vom 17. März 1986, 84/15/0002 und 29. März 1989, 86/13/0035 - auf die der Beschwerdeführer Bezug nimmt - stützen diese Meinung jedenfalls nicht. In diesen Erkenntnissen sowie in der oben zitierten Judikatur vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, für eine wissenschaftliche Vortragstägigkeit müssen kumulativ zwei Kriterien erfüllt sein: Einerseits muß der Vortrag von wissenschaftlichem Gehalt sein und andererseits muß der Zuhörerkreis an wissenschaftlichen Diskussionen interessiert sein. Beide Voraussetzungen sind als gleichwertig anzusehen, sodaß von einer Dominanz eines Abgrenzungskriteriums nicht gesprochen werden kann. Es kann daher der belangten Behörde nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe aus der Art des Zuhörerkreises auf den wissenschaftlichen Charakter der Vorträge geschlossen.

Ergänzend kann festgehalten werden, daß sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte ergeben, wonach die Vortragstätigkeit der mitbeteiligten Partei nicht wissenschaftlich sei. Nach dem unbestritten feststehenden Sachverhalt referierte die mitbeteiligte Partei über Besonderheiten der chinesischen Medizin und berichtete über eigene Erfahrungen sowie über Erkenntnisse der Fachliteratur. Daraus ist ersichtlich, daß die Seminare der Vermittlung medizinischer Forschungsergebnisse unter Darstellung des vom Vortragenden als Wissenschaftler erarbeiteten Standpunktes dienten. Die praktische Anwendung der theoretischen Ausführungen - Einsetzen der Akupunkturnadeln - steht dieser Qualifikation nicht entgegen, weil die tatsächliche Demonstration oftmals ein unerläßlicher Bestandteil des wissenschaftlichen Vortrages ist.

Der beschwerdeführende Präsident rügt darüberhinaus, daß keine Erhebungen über die Art der Vortragstätigkeit angestellt wurden und daher nicht ersichtlich sei, ob die Vorträge den Charakter einer "wissenschaftlichen Lehre" hätten. Diesem Einwand sind die Sachverhaltsfeststellungen im Rahmen der Betriebsprüfung und die Ausführungen im Berufungsvorbringen entgegenzuhalten. Die dort getroffenen Aussagen lassen sowohl eine hinreichende Konkretisierung hinsichtlich der Art der Vortragstätigkeit als auch bezüglich des Zielpublikums zu. Da der Beschwerdeführer nicht ausführt, inwieweit die Behörde auf Grund neuer Sachverhaltsmomente zu einem anderen Spruch hätte kommen können und der Verwaltungsgerichtshof solche Umstände auch von sich aus nicht erkennen kann, kommt diesem Argument keine weitere Bedeutung zu.

2. Umsätze aus der Vortragstätigkeit über chinesische Massage

In der Begründung der Berufungsentscheidung führt die belangte Behörde aus, die Seminare über chinesische Massage erfolgten nicht zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung oder Lehre. Sinn und Zweck dieser Vorträge sei es nicht, den Teilnehmern wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln, sondern in erster Linie Ärzte, physikalische Assistenten und diplomierte Masseure auf dem Gebiet der chinesischen Massage auszubilden. Die Seminare dienten der Erlernung von Fertigkeiten auf diesem Gebiet; sie seien auf die Berufsausbildung gerichtet und daher als unterrichtende Tätigkeit zu werten.

Der beschwerdeführende Präsident rügt zu Recht, daß die Begründung im Widerspruch zum Spruch der Entscheidung steht. Da nach dem angefochtenen Bescheid (Seite 4) bei der Gesellschaft für Akupunktur ausdrücklich auch Kurse über chinesische Massage abgehalten wurden und der Teilnehmerkreis dem in der Begründung genannten entspricht, hätten die Umsätze aus der Vortragstätigkeit mit dem Normalsteuersatz versteuert werden müssen. Die Berufungsbehörde unterwarf diese Erlöse jedoch dem ermäßigten Steuersatz für die Tätigkeit als Wissenschaftler.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 17. Juni 1958, 2.374/56; vom 14. Juni 1984, 84/16/0066 und vom 24. Jänner 1990, 89/13/0175) belastet ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung eines Bescheides diesen mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Da der angefochtene Bescheid mit einem solchen Widerspruch belastet ist, war er hinsichtlich Umsatzsteuer 1985 bis 1987 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

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