VwGH 91/04/0148

VwGH91/04/014821.9.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 18. April 1991, Zl. 313.659/1-III-3/91, betreffend Genehmigung einer Betriebsanlage (mitbeteiligte Parteien: 1. FT in S, 2. MT in S, 3. EF in S, 4. JR in S und

5. ER in S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.260,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 26. Jänner 1990 wurde dem Beschwerdeführer "gemäß den §§ 74 und 77 in Verbindung mit §§ 356 (1) und 359 der Gewerbeordnung 1973, BGBl. Nr. 50/1974, in der geltenden Fassung, im Zusammenhang mit § 27 (2) des Arbeitnehmerschutzgesetzes BGBl. Nr. 234/1972

... die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung eines Gastgewerbebetriebes in der Betriebsart eines Buffets im Rahmen des Fischerei- und Eisschützenbetriebes zwecks Versorgung von Sport- und Freizeittreibenden auf GSt. Nr. 319 der KG. S, Ortsgemeinde W, nach Maßgabe der mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Planunterlagen" und unter Zugrundelegung der im folgenden angeführten Betriebsbeschreibung sowie unter Vorschreibung einer Reihe von Auflagen erteilt. Die Einwendungen der Nachbarn - unter anderem der mitbeteiligten Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - wurden als unbegründet abgewiesen.

Die dagegen unter anderem seitens der mitbeteiligten Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erhobenen Berufungen wurden mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 15. Jänner 1991 teils als unzulässig zurückgewiesen - darunter auch die der mitbeteiligten Partei EF - und teils als unbegründet abgewiesen "als ihnen nicht durch die unter Spruch II.b geänderten bzw. zusätzlichen Auflagen Rechnung getragen wurde". Mit dem Spruch II. wurde "aus Anlaß der gegenständlichen Berufungen" der erstinstanzliche Bescheid dahingehend geändert, daß die Betriebsbeschreibung einen neuen Wortlaut erhielt, zwei Auflagen geändert sowie eine weitere Auflage neu aufgenommen wurde. Im übrigen wurde der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 26. Jänner 1990 bestätigt.

Aufgrund der gemeinsamen Berufung der mitbeteiligten Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 18. April 1991 "der angefochtene Bescheid ...... im Grunde des § 359 Abs. 4 GewO 1973 behoben".

Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich bei der mitbeteiligten Partei EF um eine nicht rechtsfreundlich vertretene Partei handle und weiter eingedenk der zur Frage der Zulässigkeit einer Berufung nach dem AVG entwickelten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es genüge, daß aus der Berufung - im Zusammenhang mit dem Verhalten der Partei im Verfahren vor der Unterinstanz - mit Sicherheit erschlossen werden könne, was sie mit der Berufung anstrebe bzw. aus welchen - wenn auch nicht stichhältigen - Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft werde, vermöge in Würdigung dessen gesamten Vorbringens der Bundesminister nicht zu erkennen, "daß sich dessen Rüge des technischen Gutachtens vom 28. Dezember 1989 und die darauf gestützte Behauptung der Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Bescheides lediglich auf den Schutzzweck des § 74 Abs. 2 Z. 4 GewO 1973 bezogen" hätte; vielmehr sei die Frage der Verkehrsfrequenz auch eine solche, welche, infolge der von Kraftfahrzeugen emittierten Abgase, den - vom Nachbarn F rechtzeitig geltend gemachten - Schutzzweck des § 74 Abs. 2 GewO zu berühren geeignet sei. Es ergebe sich also, daß sich der zweitinstanzliche Bescheid auch bezüglich dieses Schutzzweckes mit der Berufung des EF hätte auseinandersetzen müssen; die Zurückweisung dieser Berufung entbehre daher der Rechtsgrundlage. Wiewohl der zweitinstanzliche Bescheid nicht nur über die Berufung des EF, sondern auch über die anderer Nachbarn abgesprochen habe und, gestützt auf die Berufung der Nachbarn R, auch in der Sache selbst - d.h. über das dem Verfahren zugrunde liegende Ansuchen des Beschwerdeführers - entschieden habe, habe die fehlerhafte Zurückweisung der Berufung des EF die gänzliche Behebung des angefochtenen Bescheides zur Folge haben müssen, weil ansonsten dasselbe Verfahren gleichzeitig in verschiedenen Instanzen anhängig geworden wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde enthält folgenden Beschwerdepunkt:

"Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, Art. 83, Abs. 2 B-VG und zwar auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, verletzt.

Die Rechtsverletzung liegt auch darin, daß der Beschwerdeführer durch die unrichtige Anwendung des § 66 Abs. 2 A-VG sanktionslos um sein verankertes Recht um Sachentscheidung durch die Berufungsbehörde gebracht wurde, zumal genügende Entscheidungsgrundlagen vorhanden wären, in der Sache selbst zu entscheiden, er durch die kassatorische Entscheidung nun wieder den Nachteil erleidet, daß das Verfahren in ein früheres Stadium zurücktritt und zur Verlängerung des Verfahrensganges zwangsläufig führt, wodurch ihm Schäden in seinem Fortkommen entstehen, da er ja ohne Betriebsbewilligung das Gewerbe nicht ausüben kann."

Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, gemäß § 66 Abs. 4 AVG verletze die Berufungsbehörde das Recht auf Sachentscheidung, wenn sie den Bescheid der Vorinstanzen gegebenenfalls im Grunde des § 359 Abs. 4 GewO 1973 behebe und die Angelegenheit an die Vorinstanzen verweise. Die Berufungsbehörde habe grundsätzlich in der Sache selbst meritorisch zu entscheiden. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens berechtige die Berufungsbehörde nach der Vorschrift des § 66 Abs. 2 AVG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich der Mangel nicht anders als mit Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben lasse. Durch diese in § 66 AVG getroffene Regelung solle gesichert werden, daß ein im Stadium der Berufung befindliches Verfahren möglichst zu einer Berufungsentscheidung in der Sache führe. Die Zurückverweisung des Verfahrens solle nur ausnahmsweise möglich sein. Im gegebenen Fall hätte daher der Bundesminister, gestützt auf die im Akt erliegenden Gutachten, vor allem im Hinblick auf die erlassenen Auflagen, in der Sache selbst entscheiden können, zumal bei Einhaltung der Auflagen mit einer Störung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1973 nicht zu rechnen sei. Ein Lärm bei nächtlichen Veranstaltungen im Freien könne nicht gegeben sein, "da der Freisitzgarten nur in der Zeit von 08.00 bis 21.00 Uhr betrieben werden darf und die Betriebsanlage so zu betreiben ist". Außerdem sei verfügt worden, daß der A-bewertete energieäquivalente Dauerschallpegel bei den Nachbarwohngebäuden die ÖAL Richtlinien Nr. 3, Blatt 1, im Freien nicht übersteigen dürfe. Da der Nachbar EF sein Anwesen an einer Gemeindestraße errichtet habe, die Zunahme des Verkehrs aus verkehrstechnischer Sicht zumutbar sei, zwangsläufig auch die damit verbundenen Schadstoffemissionen in Kauf zu nehmen seien, gehe auch der Einwand der Schadstoffemission ins Leere.

Die belangte Behörde hat mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den Berufungsbescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 15. Jänner 1991 (ersatzlos) behoben. Die durch diese kassatorische Entscheidung möglicherweise bewirkte Rechtsverletzung kann darin gelegen sein, daß der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Sachentscheidung - über seinen Antrag auf Genehmigung der in Rede stehenden Betriebsanlage - durch die Berufungsbehörde gebracht werden könnte, und zwar innerhalb der in § 73 Abs. 1 AVG genannten Frist. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung in einem subjektiv-öffentlichen Recht ist daher möglich.

Die Beschwerde ist begründet:

Die belangte Behörde meint, daß zumindest die Berufung einer der mitbeteiligten Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (des EF) gegen den Bescheid der BH Deutschlandsberg im Berufungsbescheid des Landeshauptmannes zu Unrecht zurückgewiesen worden sei. Um zu verhindern, daß "dasselbe Verfahren gleichzeitig in verschiedenen Instanzen anhängig" werde, müsse "die fehlerhafte Zurückweisung der Berufung des EF die gänzliche Behebung des angefochtenen Bescheides zur Folge haben". Ausdrücklich wurde dieser Behebungsbescheid auf § 66 Abs. 4 AVG gestützt.

Dem ist entgegenzuhalten, daß gemäß § 66 Abs. 4 AVG - außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall, der nach den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen auch nach Annahme der belangten Behörde nicht gegeben ist - die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden hat. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Daraus folgt aber, daß die Berufungsbehörde, wenn der meritorischen Entscheidung der Vorinstanz ein Antrag einer Partei zugrunde lag, sie - abgesehen vom Fall des § 66 Abs. 2 AVG - auch über diesen Antrag abzusprechen hat. Eine bloße - nicht auf § 66 Abs. 2 AVG gegründete - Behebung vorinstanzlicher Bescheide hätte nämlich zur Folge, daß die Unterbehörde über den Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf und daß somit der auf die Entscheidung der Vorinstanz bezughabende Parteienantrag unerledigt bliebe (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 15. September 1992, Zl. 92/04/0120 und die dort zitierte weitere hg.

Rechtsprechung).

Da die belangte Behörde, die ihren Abspruch über die ersatzlose Behebung des vorinstanzlichen Bescheides nach der spruchgemäß bezogenen Gesetzesstelle ausschließlich auf § 66 Abs. 4 AVG stützte, dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurfte.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den über den gesetzlich pauschalierten Aufwandersatz für den Beschwerdeschriftsatz hinausgehenden, für "20 % USt" angesprochenen Betrag.

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