VwGH 90/17/0505

VwGH90/17/050517.11.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Raunig, über die Beschwerde der Gemeinde F, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 16. November 1990, GZ. 7 - 48 Li 24/1 - 1990, betreffend Vorschreibung eines Aufschließungsbeitrages (mitbeteiligte Parteien: 1) OL und 2) ML, beide in F), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Stmk 1968 §6a Abs3 idF 1989/014;
BauRallg;
VwRallg;
BauO Stmk 1968 §6a Abs3 idF 1989/014;
BauRallg;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der beschwerdeführenden Gemeinde Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Begehren auf Stempelkostenersatz wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 26. April 1990 erteilte der Bürgermeister der beschwerdeführenden Gemeinde den Mitbeteiligten die Baubewilligung "für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit angebauter Garage auf dem Grundstück Nr. 514/11 der Katastralgemeinde D".

1.2. Mit gleichzeitig ergangenem Abgabenbescheid wurde vom Bürgermeister der Gemeinde F den Mitbeteiligten für das genannte Grundstück gemäß § 6a Steiermärkische Bauordnung 1968, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 149 in der Fassung der Steiermärkischen Bauordnungsnovelle 1988, LGBl. Nr. 14/1989 (im folgenden: Stmk BauO 1968), ein Aufschließungsbeitrag in Höhe von S 34.896,-- vorgeschrieben. Als Grundlage der Abgabenfestsetzung wurde folgendes Produkt von Einheitssatz je m 2 und ermittelter Geschoßfläche herangezogen: 348,96 m2 x S 100,--. Die verbaute Fläche des Erdgeschosses wurde hiebei mit 174,48 m2 ausgewiesen und zur Gänze berücksichtigt; die Rubrik "Garage ... m2 1/2 ... m2" hingegen blieb unausgefüllt. (Das Flächenausmaß von 174,48 m2 ergibt sich aus der Verhandlungsschrift über die Bauverhandlung vom 20. Feber 1990: Erdgeschoß 132,23 m2, Garage 42,25 m2.)

In der dagegen erhobenen Berufung vertraten die Mitbeteiligten sinngemäß die Auffassung, die Garage sei ein Nebengebäude und dementsprechend sei deren verbaute Fläche nur zur Hälfte bei der Ermittlung der Geschoßfläche heranzuziehen. Die Garage sei nicht unterkellert, habe keinen Zugang zum Wohnbau und weise weder einen ausbaufähigen Dachraum noch eine mit dem Haus gemeinsame Überdachung auf.

1.3. Mit Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde vom 15. Oktober 1990 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Begründend heißt es in diesem Bescheid, die Garage sei direkt an das Wohngebäude angebaut und bilde daher mit demselben ein einheitliches Ganzes, wodurch sie nicht als "Nebengebäude (= Bauwerk neben dem Gebäude)" im Sinne des § 6a der Stmk BauO 1968 gewertet werden könne.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Mitbeteiligten Vorstellung und wiederholten darin im wesentlichen ihre Berufungsausführungen.

1.4. Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16. November 1990 wurde der Vorstellung der Mitbeteiligten Folge gegeben, der Bescheid des Gemeinderates vom 15. Oktober 1990 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die beschwerdeführende Gemeinde verwiesen. In der Begründung wird ausgeführt, es sei strittig, ob das auf dem eingangs erwähnten Grundstück zu errichtende Einfamilienwohnhaus einerseits und die Garage andererseits einen einheitlichen Baukörper oder zwei selbständige, bloß aneinandergebaute Gebäude darstellten. Die Mitbeteiligten hielten zwei selbständige Gebäude für gegeben, weil die Garage weder einen Zugang zum Wohnhaus noch eine mit diesem gemeinsame Überdachung aufweise. Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lasse sich entnehmen, daß in erster Linie die bauliche Gestaltung jenes Kriterium bilde, an Hand dessen die in Streit stehende Frage zu entscheiden sei. Der Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde habe in seiner Berufungsentscheidung festgestellt, daß ein einheitliches Bauwerk und nicht zwei selbständige Gebäude vorläge(n). Die belangte Behörde könne angesichts der im Verwaltungsakt befindlichen Baupläne nicht finden, daß die gemeindebehördlichen Abgabenbehörden im Streitpunkt zu einer richtigen Beurteilung gelangt wären. Weder bestehe eine bauliche Verbindung zwischen Einfamilienhaus und Garage in der Weise, daß die Garage für sich allein baulich nicht bestehen könnte, noch lasse ein Zugang zum Wohnhaus eine ineinandergreifende Nutzung beider Gebäude zu.

1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, von der Gemeinde F eingebrachte Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Feststellung der belangten Behörde, die Garage sei als Nebengebäude zu werten, weil sie baulich selbständig bestehen könnte und keine gemeinsame Nutzung mit dem Wohnhaus aufweise, stütze sich lediglich auf die im Verwaltungsakt befindlichen Baupläne; es sei jedoch in keiner Weise begründet worden, auf Grund welcher konkreten Umstände und Überlegungen die belangte Behörde zu dieser Auffassung gelangt sei. Es liege daher ein schwerwiegender Begründungsmangel vor. Bei genauer Betrachtung der Baupläne hätte der belangten Behörde weiters auffallen müssen, daß zwischen Wohnhaus und Garage sehr wohl eine untrennbare bauliche Verbindung bestehe; diese Verbindung ergebe sich einerseits durch den Windfang und andererseits durch einen Geräteraum. Der Windfang, welcher ein Teil des Hauses sei, weise gleichzeitig mit der Garage einen gemeinsamen Mauerteil auf; das gleiche gelte auch für den Geräteraum, der von der Garage aus zugänglich sei. Es spreche schließlich nicht nur die bauliche Gestaltung der Verbindung zwischen zugebauter Garage und Wohnhaus, sondern auch der klare Sinngehalt der einschlägigen Bestimmungen der Stmk BauO 1968 für die Argumentation der beschwerdeführenden Gemeinde. Daß die gegenständliche Garage kein selbständiges Bauwerk im Lichte der Bestimmung des § 4 Abs. 2 der Stmk BauO 1968 sei, könne zwingend daraus ersehen werden, daß die Prüfung der für selbständige Gebäude vorgesehenen Abstandsregelung nicht vorzunehmen gewesen sei, weil es sich im Sinne eines "Zubaues" mit dem vorhandenen Hauptbauwerk (um ein) verbundenes, weiteres Bauwerk handelte, dem es am Charakter der Selbständigkeit auf Grund seiner speziellen baulichen Gestaltung mangle.

1.6. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 6a Stmk BauO 1968 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 14/1989 lautet:

"Aufschließungsbeitrag

(1) Die Baubehörde hat gleichzeitig mit der Erteilung der Baubewilligung einen Aufschließungsbeitrag für die im Bauland (§ 23 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974, LGBl. Nr. 127) gelegenen Grundstücke vorzuschreiben. Dieser Beitrag, der für die Errichtung der Fahrbahn und der Straßenbeleuchtung sowie für die Oberflächenentwässerung zu verwenden ist, wird zur Hälfte mit Rechtskraft der Baubewilligung fällig. Die zweite Hälfte des Beitrages wird mit Rechtskraft der Benützungsbewilligung oder einer Teilbenützungsbewilligung fällig. Der Aufschließungsbeitrag wird jedoch zur Gänze mit Rechtskraft der Baubewilligung fällig, wenn die Aufschließung des Grundstückes zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen ist.

(2) ...

(3) Der Aufschließungsbeitrag errechnet sich aus dem Produkt von Einheitssatz je m2 und der ermittelten Geschoßfläche. Bei der Ermittlung der Geschoßfläche ist die verbaute Fläche heranzuziehen. Dabei wird das Erdgeschoß zur Gänze, die übrigen Geschosse sowie der Keller und bewohnbare Dachgeschosse zur Hälfte berechnet. Für Nebengebäude (Garagen, Ställe, Scheunen und dergleichen) ist ebenfalls nur die Hälfte der Geschoßflächen heranzuziehen.

...

(6) Abgabepflichtig ist der Bauwerber, der Eigentümer des Grundstückes zur Zeit der Erteilung der Baubewilligung haftet solidarisch. ...

..."

2.2. In Streit steht im Beschwerdefall ausschließlich die Frage, ob die Garage der Mitbeteiligten als ein Nebengebäude im Sinne des § 6a Abs. 3 Stmk BauO 1968 idF LGBl. Nr. 14/1989 zu beurteilen ist oder ob das Wohnhaus und die Garage einschließlich der zwischen ihnen liegenden Räume (Windfang und Geräteraum) zusammen als bauliche Einheit das der Beitragsbemessung zugrundezulegende Gebäude darstellen.

2.2.1. In dieser Frage vertrat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1976, Slg. N.F. Nr. 4997/F, im Falle einer an ein Wohnhaus ohne Aufführung einer Trennmauer angebauten Garage die Auffassung, daß die damals belangte Behörde die Garage zu Recht als Zubau zum bestehenden Wohnhaus und nicht als selbständiges Gebäude gewertet habe. Dies sei vor allem deswegen gerechtfertigt, weil eine untrennbare bauliche Verbindung zwischen der Garage und dem alten Baubestand in der Weise bestehe, daß der überwiegende Teil der einen Seitenwand der Garage durch die bisherige Außenmauer des bestehenden Wohngebäudes gebildet werde und die Träger des Garagendaches in dieser Wand verankert seien, sodaß die Garage für sich allein baulich nicht bestehen könnte.

Aus dieser Judikatur gehe - so sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 1983, Zl. 81/17/0208, aus - hervor, daß in erster Linie die bauliche Gestaltung jenes Kriterium bilde, an Hand dessen die in Streit stehende Frage zu entscheiden sei. Im zuletzt zitierten Erkenntnis führte der Verwaltungsgerichtshof weiter aus, die damals belangte Behörde habe auf dieser Grundlage an Hand der im Bauverfahren eingereichten Baupläne und ergangenen Bescheide der Baubehörde sowie auf Grund eines Augenscheins unter Hinzuziehung eines bautechnischen Sachverständigen festgestellt, daß ein einheitliches Bauwerk und nicht mehrere selbständige Gebäude vorgelegen seien. Der Verwaltungsgerichtshof könne insbesondere angesichts der im Verwaltungsakt befindlichen Baupläne nicht finden, daß die (damals) belangte Behörde in diesem Punkt zu einer unrichtigen Beurteilung gelangt wäre; vielmehr hätte vor allem die beide Gebäudeteile tragende gemeinschaftliche Wand und die bauliche Gestaltung, die eine ineinandergreifende betriebliche Nutzung zugelassen habe, im damaligen Fall für die Rechtsansicht der belangten Behörde gesprochen.

Auch im hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1986, Zl. 86/17/0026, nahm der Gerichtshof auf die genannte Rechtsprechung Bezug; in diesem Beschwerdefall bestand eine untrennbare bauliche Verbindung zwischen der neuen Ausstellungshalle und dem alten Baubestand in der Weise, daß der überwiegende Teil zweier Seitenwände der neuen Ausstellungshalle durch Außenmauern des Altbestandes gebildet wurde und überdies eine Seitenwand zwei Öffnungen aufwies, sodaß die alte mit der neuen Ausstellungshalle eine funktionelle Einheit bildete. Bei diesen Gegebenheiten sei es richtig gewesen, alten und neuen Baubestand als ein Gebäude zu betrachten.

2.2.2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist auch im vorliegenden Fall die bauliche Gestaltung im engeren Sinne und der funktionale Zusammenhang der als selbständige Gebäude oder als bloße Gebäudeteile zu qualifizierenden Baukörper zueinander von entscheidender Bedeutung.

Der Verwaltungsgerichtshof kann nun in diesem Zusammenhang nicht finden, daß die unter Bezugnahme auf die eingereichten Baupläne getroffene Feststellung der belangten Behörde, es bestehe weder eine bauliche Verbindung zwischen Einfamilienhaus und Garage in der Weise, daß die Garage für sich allein nicht bestehen könnte, noch lasse ein Zugang zum Wohnhaus eine ineinandergreifende Nutzung beider Gebäude zu, in den dem Verwaltungsgerichtshof mit den Verwaltungsakten vorgelegten Bauplänen gedeckt wäre. Aus den Bauplänen ist vielmehr zu erkennen, daß den Zwischenraum zwischen dem Wohnhaus (im Westen) und der Garage (im Osten), von Süden her gesehen, ein Windfang (der von Süden betreten wird und den Zugang zum Haus bildet) und daran nördlich anschließend ein Geräteraum (der einen Zugang aus der Garage hat) einnimmt. Aus dem Windfang gibt es keinen Zugang zur Garage und zum Geräteraum; aus letzterem keinen Zugang ins Wohnhaus. Haus und Windfang sind auf dem Bauplan als "Wohnhausanteil" (orange) bezeichnet, Garage und Geräteraum (grün) als "Garagenteil".

Zwar ist es richtig, daß aus dem "Garagenteil" der "Wohnhausteil" nicht betreten werden kann und insofern keine funktionelle Einheit in dieser Hinsicht gegeben ist. Dies spielt allerdings im Hinblick auf die vorliegende bauliche Gestaltung, auf die es entscheidend anzukommen hat, keine Rolle. Diese ist hier durch ein Ineinandergreifen der beiden Baukörper gekennzeichnet und bewirkt, daß der "Garagenteil" ohne den Baukörper "Wohnhausteil" nicht selbständig bestehen könnte. Die Westwand des Geräteraumes ist nämlich die Wohnhausmauer, die südliche Wand ist die gemeinsame Trennwand zum Windfang, über Geräteraum und Windfang befindet sich ein gemeinsames Flugdach. Entsprechendes gilt für die bauliche "Selbständigkeit" des "Wohnhausteiles"; auch er könnte nicht unverändert weiterbestehen, wenn der Garagenteil weggedacht würde.

Die genannte Feststellung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, es bestehe keine bauliche Verbindung zwischen Einfamilienhaus und Garage in der Weise, daß die Garage baulich für sich allein nicht bestehen könnte, ist somit durch den Akteninhalt nicht gedeckt. Vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Rechtsprechung erweist sich dieser Mangel als wesentlich.

2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat. Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG aufzuheben.

2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 sowie Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991. Ersatz der geltend gemachten Stempelgebühren war wegen der Gebührenbefreiung der gegen den Vorstellungsbescheid beschwerdeführenden Gemeinde gemäß § 2 Z. 2 und 3 Gebührengesetz 1957, BGBl. Nr. 267, nicht zuzusprechen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. Jänner 1993, Zl. 90/17/0200, und vom 30. September 1993, Zl. 91/17/0159).

2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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