VwGH 90/10/0068

VwGH90/10/006818.10.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und den Senatspräsidenten Mag. Onder sowie die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerden des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft in Wien, gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld, je vom 10. Jänner 1990, Zl. 14 - H - 8967/1 und Zl. 14 - H - 8964/1, betreffend die Erteilung von Rodungsbewilligungen (mitbeteiligte Partei: XY in L, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §52 Abs1;
AVG §52 Abs2;
AVG §52;
ForstG 1975 §17 Abs1 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17 Abs2 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17 Abs3 idF 1987/576;
JagdG NÖ 1974 §132 Abs1;
JagdG NÖ 1974 §132 Abs10;
JagdG NÖ 1974 §132 Abs11;
JagdRallg;
AVG §45 Abs2;
AVG §52 Abs1;
AVG §52 Abs2;
AVG §52;
ForstG 1975 §17 Abs1 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17 Abs2 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17 Abs3 idF 1987/576;
JagdG NÖ 1974 §132 Abs1;
JagdG NÖ 1974 §132 Abs10;
JagdG NÖ 1974 §132 Abs11;
JagdRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit zwei Bescheiden vom 10. Jänner 1990 erteilte die Bezirkshauptmannschaft (belangte Behörde) der mitbeteiligten Partei über deren Anträge vom 31. Oktober 1989 gemäß den §§ 17 Abs. 2 bis 4, 18 Abs. 1 lit. a und b sowie Abs. 7, 19 Abs. 1 lit. b des Forstgesetzes 1975, BGBl. Nr. 440/1975 in der Fassung der Novelle 1987, BGBl. Nr. 576, (in der Folge: ForstG) die Rodungsbewilligungen für je eine Teilfläche des Grundstückes Nr. 1039/1, KG M, im Ausmaß von 0,7 ha und des Grundstückes Nr. 152/3, KG N, im Ausmaß von 1,6 ha jeweils zum Zweck der Anlage einer Wildwiese unter gleichzeitig angeordneter Vorschreibung einer Reihe von Auflagen.

In den nahezu gleichlautenden Begründungen der beiden Bescheide gab die belangte Behörde das jeweils in der mündlichen Verhandlung erstattete Gutachten des Amtssachverständigen für Forstwesen und des "Vertreters der Jagdbehörde" wieder und führte im wesentlichen aus, daß das aus dem "Gutachten des Vertreters des Jagdbehörde" hervorgehende öffentliche Interesse an der Anlage der Wildwiesen das öffentliche Interesse an der Walderhaltung überwiege, weil durch die Schaffung der Wildwiesen Wildschäden verhindert und dadurch die Stabilität in den angrenzenden Beständen erhöht werden könnte, weshalb die gestellten Rodungsansuchen unter Erteilung von Auflagen zu bewilligen seien.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf § 170 Abs. 8 ForstG gestützten, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerden.

In den Beschwerden wird im wesentlichen vorgebracht, die in den gutachtlichen Ausführungen zum Ausdruck gebrachte Schlußfolgerung, es seien die auftretenden Wildschäden auf ein zu geringes Äsungs- und Nahrungsangebot zurückzuführen, finde in den seitens der belangten Behörde gepflogenen Erhebungen und getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keine überprüfbare und nachvollziehbare Deckung; vielmehr erscheine der zugrundegelegte Sachverhalt unvollständig erhoben, da die eingeholten JAGDLICHEN GUTACHTEN weder Aussagen über den für das betreffende Biotop angemessenen Wildstand träfen noch den durch einen tragbaren Wildbestand hervorgerufenen Äsungsbedarf konkret bezifferten. Ein wesentlicher Mangel liege darin, daß es die belangte Behörde verabsäumt habe, die tatsächlich gegebene Wilddichte zu erheben und diese mit dem biotopsadäquaten Wildbestand ins Verhältnis zu setzen, sodaß aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Wildschäden auf einen überhöhten Bestand an Rotwild zurückzuführen seien.

Grundsätzlich könne, so führen die Beschwerden weiter aus, davon ausgegangen werden, daß die Wilddichte auf die Eigenart der gewachsenen Kulturlandschaft und das sich darin bietende "natürliche" Äsungsangebot abzustimmen sei. Das Rodungsverbot des § 17 Abs. 1 ForstG stelle eine Konkretisierung der programmatischen Bestimmung des die Walderhaltung als vorrangiges Ziel festlegenden § 12 ForstG dar und diene der Gewährleistung der im öffentlichen Interesse liegenden günstigen Wirkungen des Waldes. Unter Berücksichtigung der dem Wald zukommenden bedeutenden Funktionen könne innerhalb des Regelkreises Wald-Wild nur das Ausmaß der Wilddichte als kurzfristig regelbare Variable angesehen werden. Die Prüfung und Beurteilung der angemessenen Wilddichte dürfe allerdings nicht auf einzelne Waldkomplexe beschränkt werden, sondern habe vielmehr auf einer ganzheitlichen Betrachtung des Lebensraumes einer Rotwildpopulation aufzubauen. Die Schaffung zusätzlicher Äsungsflächen führe bei einem die biotopsangemessene Wilddichte übersteigenden Wildbestand erfahrungsgemäß nicht zu einer Entschärfung der Wildschadensproblematik, sondern zu einer zusätzlichen Konzentration des Wildes im Nahbereich der geschaffenen Äsungsmöglichkeiten. Dadurch sei ein Ausbleiben von Schäden - u.a. hervorgerufen durch den Bedarf an Rauhfutter, der durch das Nahrungsangebot von Wildwiesen nicht gedeckt werden könne - nicht zu erwarten. Bei Erteilung einer Rodungsbewilligung würde der Lebensraum des Verursachers vergrößert und verbessert und folglich das Potential der Gefährdung des forstlichen Bewuchses erhöht werden. Die Schaffung zusätzlicher Äsungsflächen werde vom Beschwerdeführer nur dann für zweckmäßig erachtet, wenn dadurch Schäden durch einen biotopsangemessenen Wildstand vorgebeugt bzw. die Hege des Wildes verbessert werden könne. Unter der Annahme einer biotopsgemäßen Wilddichte müsse die Aussage des jagdlichen Gutachtens, das Rotwild finde wenig bis keinerlei Äsungsmöglichkeiten bzw. die Wildwiesen stellten die einzigen Äsungsmöglichkeiten für Rotwild dar, bezweifelt werden, da infolge der Waldpflege und Holzfällungen auf diesen Flächen bis zu einem dichten Bestandesschluß natürliches krautiges und holziges Äsungsangebot aufkomme, das von einem angemessenen Wildstand - ohne großflächige Schäden anzurichten - genützt werden könne.

In den Beschwerden wird zusammenfassend dargetan, die Erhebung der Wilddichte stelle somit eine unabdingbare Voraussetzung für die Klärung der Kausalität hinsichtlich auftretender Wildschäden und folglich für die Beurteilung der Frage dar, ob an den gegenständlichen Rodungsprojekten ein öffentliches Interesse bestehe. Der gegenwärtige Ermittlungsstand lasse eine diesbezügliche Beurteilung jedoch nicht zu, weil es die belangte Behörde verabsäumt habe, entsprechende Erhebungen bzw. eine Ergänzung des eingeholten Gutachtens des "Vertreters der Jagdbehörde" zu veranlassen.

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen sie die Abweisung der Beschwerde beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten. Gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle kann jedoch eine Rodungsbewilligung erteilt werden, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung derselben als Wald überwiegt.

Der folgende Abs. 3 des § 17 leg. cit. enthält eine demonstrative Aufzählung "öffentlicher Interessen". Daß solche u. a. auch jagdliche Interessen sein können, trifft zu.

Die Behörde hat in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob öffentliche für das Rodungsvorhaben sprechende Interessen geltend gemacht wurden und ob solche tatsächlich bestehen. Trifft dies zu, dann hat sie diese Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der zur Rodung beantragten Fläche als Wald abzuwägen und die so gewonnene Entscheidung entsprechend zu begründen. Das öffentliche Interesse an der Rodung muß schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Walderhaltung.

Die belangte Behörde hat zur mündlichen Verhandlung jeweils den Obmannstellvertreter des Bezirksjagdbeirates geladen, der nach dem Inhalt der jeweils über die mündliche Verhandlung aufgenommenen Niederschrift ein "Gutachten" als "Vertreter des Bezirksjagdbeirates" erstattet hat. Die belangte Behörde hat sich in der Begründung ihrer Bescheide jeweils auf dieses "Gutachten" des Vertreters des genannten Bezirksjagdbeirates (in der Bescheidbegründung als Vertreter der Jagdbehörde bezeichnet) gestützt. Zu dieser Vorgangsweise ist folgendes zu bemerken:

Ist, wie in den vorliegenden Fällen, die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so hat die Behörde gemäß § 52 Abs. 1 AVG die ihr beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständige) beizuziehen. Nach Abs. 2 des § 52 leg. cit. kann die Behörde dann, wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige heranzuziehen und, wenn sie nicht schon für die Erstattung von Gutachten der erforderten Art im allgemeinen beeidet sind, beeiden.

Die Jagdbeiräte (Bezirksjagdbeirat und Landesjagdbeirat) sind gemäß § 132 Abs. 1 des NÖ. Jagdgesetzes 1974 zur fachlichen Beratung der Bezirksverwaltungsbehörde und der Landesregierung in Angelegenheiten der Jagd berufen. Der Bezirksjagdbeirat (ebenso wie der Landesjagdbeirat) hat aber weder die Eigenschaft eines Amtssachverständigen im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG noch die eines nichtamtlichen Sachverständigen im Sinne des § 52 Abs. 2 AVG (vgl. dazu schon das zu den im wesentlichen gleichartigen Bestimmungen des OÖ. Jagdgesetzes 1974, LGBl. Nr. 32, ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1979, Zl. 3191/78, und die weitere dort angeführte Rechtsprechung). Schon daraus folgt, daß die als "Gutachten" bezeichnete Abgabe einer Äußerung durch den Obmannstellvertreter des Bezirksjagdbeirates (vgl. dazu auch § 132 Abs. 10 und 11 des NÖ. Jagdgesetzes 1974), die, da sie ausdrücklich als "Gutachten" des VERTRETERS DES BEZIRKSJAGDBEIRATES bezeichnet wurde, dem Bezirksjagdbeirat zuzurechnen sein sollte, kein Sachverständigengutachten darstellt, dessen Einholung von der Behörde intendiert und das zur Beantwortung der in den Beschwerdefällen rechtserheblichen Fachfragen jagdlicher Art erforderlich war. Die belangte Behörde wäre unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 AVG berechtigt gewesen, den Obmannstellvertreter des Bezirksjagdbeirates (ebenso wie jedes andere Mitglied, auch des Landesjagdbeirates) zum nichtamtlichen Sachverständigen zu bestellen und zu beeiden (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 22. Mai 1979). Dafür, daß in den Beschwerdefällen der Obmannstellvertreter des Bezirksjagdbeirates zum Sachverständigen bestellt und beeidet worden wäre, findet sich aber in den Verwaltungsakten kein Anhaltspunkt. Die Abgabe des "Gutachtens" als "Vertreter des Bezirksjagdbeirates" schließt seine Beiziehung als Sachverständiger ad personam in den beiden Beschwerdefällen offenkundig auch aus.

In den jeweiligen als Gutachten bezeichneten Äußerungen des Vertreters des Bezirksjagdbeirates wird im übrigen lediglich ausgeführt, "aufgrund des gleichartigen Bestandesaufbaues und Bestandesalters finde Rotwild wenig bis keinerlei Äsungsmöglichkeiten. Die daraus resultierenden Wildschäden seien enorm hoch. Die Wildwiese stelle die einzige Äsungsmöglichkeit dar." Es wird darin jedoch weder eine Aussage über den für das betreffende Biotop angemessenen Wildstand getroffen noch der durch einen tragbaren Wildbestand hervorgerufene Äsungsbedarf konkret beziffert, sodaß die Schlußfolgerung, die auftretenden Wildschäden seien auf ein zu geringes Äsungs- und Nahrungsangebot zurückzuführen, aus den von der belangten Behörde getroffenen Sachverhaltsfeststellungen nicht nachvollziehbar ist.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes stellt im gegebenen Zusammenhang die Erhebung der Wilddichte eine zwingende Voraussetzung für die Klärung der Kausalität bezüglich auftretender Wildschäden und in der Folge für die Beurteilung der Frage dar, ob an den gegenständlichen Rodungen (für die Anlage einer "Wildwiese") öffentliches Interesse besteht. Es ist nämlich davon auszugehen, daß die Schaffung zusätzlicher Äsungsflächen bei einem die biotopsangemessene Wilddichte übersteigenden Wildbestand zu einer erhöhten Gefährdung des forstlichen Bewuchses führen könnte.

Da der zugrunde gelegte Sachverhalt auch in dieser Beziehung unvollständig erhoben wurde, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Stichworte