VwGH 89/13/0252

VwGH89/13/025219.5.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde 1. der Dr. Mag. pharm. M KG, 2. des Dr. Y und

3. der H, sämtliche in N und vertreten durch Dkfm. DDr. X, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld vom 13.10.1989, Zl. 6/4-4388/88-03, betr einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb sowie Gewerbesteuer für das Jahr 1987, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs2;
EStG 1972 §36;
GewStG §11 Abs3;
HGB §128;
HGB §171 Abs1;
BAO §115 Abs2;
EStG 1972 §36;
GewStG §11 Abs3;
HGB §128;
HGB §171 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 10.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin, eine KG, an der die beiden anderen Beschwerdeführer zu je 50 % beteiligt sind, betreibt eine Apotheke. In ihren Steuererklärungen für das Kalenderjahr 1987 machte sie einen Sanierungsgewinn in Höhe von S 291.916,-- geltend. Dieser Teil der gewerblichen Einkünfte von insgesamt S 557.921,-- beruhe auf einem Schuldnachlaß, den die Firma H als Hauptgläubigerin und wesentliche Lieferantin deshalb gewährt habe, um die KG vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch durch Überschuldung zu retten.

Das Finanzamt sah bei Lieferantenverbindlichkeiten in Höhe von S 3,542.943,-- und Bankschulden von S 1,226.625,-- den gewährten teilweisen Schulderlaß hingegen als nicht ausreichend an, eine Gesundung des Unternehmens herbeizuführen. Im übrigen schloß die Abgabenbehörde von den laufend erzielten Gewinnen des Vorjahres auf die Ertragsfähigkeit der Apotheke und behandelte den Schuldnachlaß daher als steuerpflichtige Betriebsvermögensvermehrung.

In der dagegen erhobenen Berufung wurde vorgebracht, der gegenständliche Schuldnachlaß sei nur EIN TEIL der geplanten Sanierungsmaßnahmen. So würde die Firma H bei pünktlicher Einhaltung von vereinbarten Ratenzahlungen Ende 1988 einen weiteren Schuldnachlaß von S 400.000,-- gewähren. Außerdem sei ab 1. Jänner 1988 bereits ein Teil der Verbindlichkeiten zinsenfrei gestellt worden. Dadurch ergäbe sich eine Schuldminderung von S 750.000,-- oder 16 % der gesamten Schuldenlast. § 36 EStG 1972 begünstige ausdrücklich auch den teilweisen Gläubigerverzicht. Ob eine wirtschaftliche Gesundung tatsächlich eintreten werde, könne erst nach einem gewissen Beobachtungszeitraum endgültig beurteilt werden. Vorstellbar sei, der verbleibenden Unsicherheit durch eine vorläufige Veranlagung Rechnung zu tragen. Auch lasse die Ertragsfähigkeit des Unternehmens keineswegs, wie das Finanzamt meint, auf mangelnde Sanierungsbedürftigkeit schließen. Die Ertragsentwicklung vor und nach der Sanierung stelle nur einen von vielen Anhaltspunkten für die finanzielle Lage eines Betriebes dar. Viel wichtiger sei die Liquidität, also das Verhältnis zwischen den kurzfristig flüssigen Mitteln und der Schuldenlast. Eine Cash-flow-Rechnung ergebe für 1985 einen Verschuldungsgrad von 11,15 und für 1986 einen solchen von 10,23. Derartige Werte besagten, daß die flüssigen Mittel völlig unzureichend seien, um Schulden und Zinsen zu finanzieren. Unter Einbeziehung der Teilsanierung errechne sich für 1987 bereits ein geringerer Verschuldungsgrad von 5,76. Dies lasse hoffen, daß das Sanierungsziel in den nächsten Jahren erreicht werde. Steuerliche Gewinne hinderten nach Gesetzestext und Kommentarmeinung keinesfalls die Anerkennung eines Sanierungsgewinnes.

Das Finanzamt erließ eine abweisende Berufungsvorentscheidung, weil auch unter Einbeziehung des geplanten weiteren Forderungsverzichtes der Firma H die Überschuldung nicht beseitigt werde und daher keine allgemeine Sanierungsmaßnahme gegeben sei.

Im Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wurde auf die in den Aktiva enthaltenen stillen Reserven in der Höhe von geschätzten S 1,800.000,-- hingewiesen und die Überschuldung (nach der Teilsanierung 1987) demnach mit lediglich S 445.725,-- beziffert.

Die belangte Behörde wies die Berufung ab. Das Unternehmen sei nicht sanierungsbedürftig; Umsätze und Gewinne der letzten fünf Jahre zeigten im wesentlichen eine Aufwärtsentwicklung. Die Erstbeschwerdeführerin habe selbst vorgebracht, daß der Betrieb hohe stille Reserven aufweise, sodaß ein wirtschaftlicher Zusammenbruch konkret nicht gedroht habe. Apotheken verfügten zudem über einen Gebietsschutz und hätten daher ohne Konkurrenz einen sicheren Absatzmarkt. Die (buchmäßig hohe) Überschuldung sei darauf zurückzuführen, daß der Zweitbeschwerdeführer in den Jahren 1983 und 1984 das Fünfbis Sechsfache, in den Jahren 1985 und 1986 ca. das Eineinhalbfache des Gewinnes entnommen habe. Da mittlerweile die Entnahmen zurückgegangen seien und die Betriebsschulden auch aus "vorhandenem Privatvermögen" abzudecken gewesen wären, läge keine Sanierungsbedürftigkeit vor. Cash-flow-Rechnungen eigneten sich nicht dafür, die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinnes zu begründen, da das Abgabenrecht von den Begriffen Gewinn und Umsatz geprägt sei und demnach nur anhand dieser Größen wirtschaftliche Schlußfolgerungen gezogen werden könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen

Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 36 EStG 1972 sind vor der Anwendung des Einkommensteuertarifs jene Einkommensteile auszuscheiden, die durch Vermehrungen des Betriebsvermögens infolge eines gänzlichen oder teilweisen Erlasses von Schulden zum Zwecke der Sanierung entstanden sind. Eine gleichartige Vorschrift enthält § 11 Abs 3 GewStG 1953.

Im Gegensatz zur Abgabenbehörde erster Instanz, die dem gegenständlichen Schuldnachlaß die Sanierungseignung abgesprochen hat, verneint die belangte Behörde den Sanierungsbedarf.

Die Beschwerdeführer beziffern die Überschuldung des Unternehmens nach dem strittigen Forderungsverzicht 1987 und unter Berücksichtigung vorhandener stiller Reserven mit (gerundet) S 450.000,--. Zu Recht verweist die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf die Ertragsfähigkeit des Betriebes, die in den steigenden Gewinnen der Vorjahre ihren Niederschlag gefunden hat. So betrugen die Gewinne um steuerliche Investitionsbegünstigungen bereinigt 1984 S 192.356,--, 1985 S 362.745,-- und 1986 S 404.179,--. Der belangten Behörde kann auch gefolgt werden, wenn sie im Hinblick auf die Branche der Beschwerdeführer davon ausgeht, derartige Betriebsergebnisse seien auch in Zukunft erzielbar. Es mag zutreffen, daß Apotheken keinen eigentlichen Gebietsschutz genießen und durch ärztliche Hausapotheken konkurrenziert werden, doch zeigen die Beschwerdeführer nicht auf, daß sich diese allenfalls bestehende Wettbewerbssituation im Streitjahr verschärfte oder eine solche Verschärfung konkret absehbar war. Daß die Überschuldung des Unternehmens auf hohe Privatentnahmen und nicht auf mangelnde Ertragskraft zurückzuführen ist, wird auch von den Beschwerdeführern nicht bestritten. In der Beschwerde wird diese Aushöhlung des Betriebsvermögens mit außerordentlich hohen Ausgaben des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin für das Studium ihrer Kinder und für notwendige Operationen begründet. Diese Ausführungen sprechen durchaus für den Standpunkt der belangten Behörde, wonach sich zukünftig ein geringerer Privatbedarf abzeichnet und daher die Sanierung des Unternehmens aus den zu erwirtschaftenden Gewinnen - auch ohne Gläubigerverzicht - möglich erscheint.

Dennoch ist die Beschwerde berechtigt. Der wirtschaftliche Zusammenbruch kann einem Unternehmen nämlich selbst dann drohen, wenn nicht einmal eine Überschuldung gegeben ist. Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist primär die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (vgl. §§ 68 f KO, § 1 AO). Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner objektiv generell mangels bereiter Mittel nicht nur vorübergehend außerstande ist, fällige Geldschulden regelmäßig zu erfüllen (vgl. Feil, Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung, 2. Auflage, Tz 6 zu § 1 KO und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nun hat die Erstbeschwerdeführerin bereits in der Berufung vorgebracht, ihre flüssigen Mittel wären völlig unzureichend gewesen, um Schulden und Zinsen abdecken zu können. In Verkennung der Rechtslage hat die belangte Behörde diesem Argument jegliche Bedeutung abgesprochen. Der Umstand, daß das Abgabenrecht von den Begriffen Gewinn und Umsatz geprägt ist, läßt keineswegs den Schluß zu, die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinnes könne nur an diesen Größen gemessen werden. Ob ein Unternehmen sanierungsbedürftig ist, ist vielmehr auch nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden (vgl. Ruppe, Rechtsprobleme der Unternehmungssanierung, Seite 274). Im fortgesetzten Verfahren wird sich die belangte Behörde daher mit der Behauptung der Beschwerdeführer, dem Unternehmen habe mangels Liquidität der wirtschaftliche Zusammenbruch gedroht, auseinanderzusetzen haben, wobei es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Beschwerdeführern obliegt, in dem ausschließlich auf das Erwirken einer abgabenrechtlichen Begünstigung gerichteten Verfahren selbst einwandfrei das Vorliegen jener Umstände darzulegen, auf die die abgabenrechtliche Begünstigung gestützt werden kann (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 7. August 1992, 91/14/0139). Keinesfalls ist - wie die Beschwerde anklingen läßt - aus dem Verhältnis der Gesamtschulden zum Umlaufvermögen auf die Illiquidität zu schließen, da einerseits aus dem Betrieb der Apotheke laufend Einnahmen erzielt werden, andererseits die Verbindlichkeiten nur nach Maßgabe ihrer Fälligkeit bedient werden müssen. Ergibt ein Vergleich der sofort und in nächster Zeit fälligen Ausgaben mit den augenblicklich flüssigen Mitteln eine Finanzierungslücke, hält es der Gerichtshof für zulässig, auch die Möglichkeit der privaten Mittelzuführung zu prüfen (vgl. dazu Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuerhandbuch, 2. Auflage, Tz 6 zu § 36 EStG 1972). Dabei wird auf die unterschiedlichen Haftungsverpflichtungen der Gesellschafter Bedacht zu nehmen sein. Privates Vermögen der Gesellschafter darf somit nur insoweit in die Betrachtungen miteinbezogen werden, als die Gläubiger nach den für die KG geltenden Haftungsbestimmungen darauf greifen können (vgl. §§ 128, 171 Abs 1 HGB). Nicht erforderlich ist hingegen, wie die Beschwerde meint, ob privates Vermögen in die KG eingebracht oder veräußert werden kann; dessen Belehnbarkeit genügt.

Mit Rücksicht auf die im angefochtenen Bescheid enthaltene Aussage, wonach die Anerkennung eines begünstigten Sanierungsgewinnes voraussetze, daß die Mehrzahl der Gläubiger auf ihre Forderungen ganz oder teilweise verzichtet, sieht sich der Gerichtshof schließlich noch veranlaßt, auf seine gegenteiligen Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1990, 9o/13/0018 hinzuweisen.

In Verkennung der Rechtslage hat die belangte Behörde bei Erörterung der Sanierungsbedürftigkeit betriebswirtschaftliche Aspekte, insbesondere die Liquidität des Unternehmens, völlig außer acht gelassen und ihre Entscheidung aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Darüber hinaus hat sie auch Verfahrensvorschriften verletzt. Entgegen der Abgabenbehörde erster Instanz, die die Eignung des Schuldnachlasses als Sanierungsmaßnahme bestritten hatte, vertrat die belangte Behörde - wie bereits erwähnt - die Auffassung, daß die Sanierungsbedürftigkeit nicht gegeben sei. Zu dieser geänderten Auffassung hat die belangte Behörde der Erstbeschwerdeführerin kein Parteiengehör gewährt. Dies wäre aber schon deswegen geboten gewesen, weil dadurch andere Sachverhaltselemente entscheidungsrelevant wurden.

Da die bereits aufgezeigte inhaltliche Rechtswidrigkeit als Aufhebungsgrund prävalierte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl Nr 104/1991. Der Art III Abs 2 dieser Verordnung kommt nicht zur Anwendung, weil in der Beschwerde nur ein Teil jenes Betrages begehrt wurde, der im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung als Pauschbetrag festgesetzt war.

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