VwGH 89/12/0200

VwGH89/12/020023.6.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Herberth, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Stöckelle, über die Beschwerde der F in V, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 12. September 1989, Zl. SchA-69275/40/1989, betreffend Ruhegenußfähigkeit einer Karenzurlaubszeit nach § 58 Abs. 3 LDG 1984, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §871;
BDG 1979;
B-VG Art130 Abs2;
LDG 1984 §106 Abs1 Z2;
LDG 1984 §58 Abs1;
LDG 1984 §58 Abs2;
LDG 1984 §58 Abs3;
PG 1965 §6 Abs2;
VwRallg impl;
VwRallg;
ABGB §871;
BDG 1979;
B-VG Art130 Abs2;
LDG 1984 §106 Abs1 Z2;
LDG 1984 §58 Abs1;
LDG 1984 §58 Abs2;
LDG 1984 §58 Abs3;
PG 1965 §6 Abs2;
VwRallg impl;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Berücksichtigung des verlängerten Karenzurlaubes (1. September 1989 bis 9. September 1990) als ruhegenußfähige Dienstzeit ausgeschlossen hat, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Kärnten hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin steht als Volksschullehrerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Kärnten. Ihre Dienststelle ist die Volksschule L.

Nach der Geburt ihres gehörlosen Sohnes gewährte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin über ihr Ansuchen (im Anschluß an den Urlaub gemäß § 15 Abs. 1 Mutterschutzgesetz) Karenzurlaub nach § 58 Abs. 1 LDG 1984 (Bescheid vom 1. Februar 1988; Dauer 31. Jänner bis 31. August 1988), den sie in der Folge verlängerte (Bescheid vom 4. Juli 1988; Dauer:

1. September 1988 bis 31. August 1989).

In den diese Karenzurlaube gewährenden Bescheiden findet sich auch folgender Satz:

"Die Berücksichtigung als ruhegenußfähige Dienstzeit ist ausgeschlossen."

Über Antrag der Beschwerdeführerin vom 23. Dezember 1988 stellte die belangte Behörde mit Bescheid vom 15. März 1989 fest, daß die beiden oben genannten Karenzurlaube der Beschwerdeführerin gemäß § 58 Abs. 3 LDG 1984 nicht als ruhgenußfähige Dienstzeit anzurechnen seien. Sie begründete dies im wesentlichen damit, der von der Beschwerdeführerin für die Inanspruchnahme des Karenzurlaubes ins Treffen geführte Grund (Betreuung ihres gehörlosen Kindes) könne nur als im privaten Interesse gelegen betrachtet werden. "Öffentliches Interesse" müsse im vorliegenden Fall aus dem LDG 1984 begründet werden, d.h. der Karenzurlaub müßte ihre künftige Dienstleistung als Volksschullehrer stärker positiv beeinflussen als die bei durchgehender Unterrichtstätigkeit gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse. Die belangte Behörde sehe sich im vorliegenden Fall außerstande, unter den gegebenen Voraussetzungen andere als private Interessen für die Inanspruchnahme des Karenzurlaubes anzuerkennen. Die gegen diesen Bescheid vom 15. März 1989 von der Beschwerdeführerin erhobene Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde blieb erfolglos. Mit Erkenntnis vom 16. Oktober 1989, Zl. 89/12/0094, wies der Verwaltungsgerichtshof diese Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung ab, die beiden den Karenzurlaub bzw. dessen Verlängerung gewährenden Bescheide hätten bereits rechtskräftig über die Ruhegenußfähigkeit der Karenzurlaubszeit abgesprochen. Die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin sei jedoch durch die (verfehlte) Sachentscheidung über ihren Feststellungsantrag keine schlechtere, als sie durch die (richtige) Zurückweisung ihres Antrages wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) gewesen wäre.

Am 12. Juni 1989 stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, ihr für die Zeit vom 31. August 1989 bis 31. August 1990 eine Verlängerung des Karenzurlaubes zu gewähren, da es für die Entwicklung ihres hochgradig schwerhörigen Sohnes wichtig sei, ihm durch intensive Sprachanbahnung innerhalb der Familie eine spätere Integration zu ermöglichen.

Hierauf richtete die belangte Behörde am 21. Juli 1989 folgendes Schreiben an die Beschwerdeführerin:

"Zu Ihrem Antrag vom 12.6.1989 auf Verlängerung des Karenzurlaubes gem. § 58 Abs. 1 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 bis 31.8.1990 werden Sie um ergänzende Mitteilung ersucht, ob Sie mit der Bewilligung dieses Urlaubes bei Nichtberücksichtigung des Zeitraumes als ruhgenußfähige Dienstzeit einverstanden sind.

Eine Beurlaubung zu der von Ihnen durch Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde geltend gemachten Bedingung der Ruhegenußfähigkeit kann Ihnen nicht in Aussicht gestellt werden."

Darauf antwortete die Beschwerdeführerin mit folgendem Schreiben vom 2. September 1989:

"Da Sie es mir in Ihrem Schreiben vom 21. Juli 1989 zur Bedingung einer weiteren Verlängerung meines Karenzurlaubes machen, daß ich auf die Berücksichtigung dieses Zeitraumes als ruhegenußfähige Dienstzeit verzichte, bin ich damit einverstanden."

Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12. September 1989 :

"Auf Ihr Ansuchen vom 12.6.1989 wird der Ihnen mit Bescheid vom 1.2.1988, Zahl: SchA-69275/1988, bewilligte und zuletzt mit Bescheid vom 4.7.1988, Zahl: SchA-69275/36/1988, verlängerte Karenzurlaub gemäß § 58 Abs. 1 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, BGBl Nr. 302/1984, bis 9.9.1990 verlängert.

Der Urlaubszeitraum wird mit dem Tag des Wiederantrittes des Dienstes zur Hälfte für die Vorrückung wirksam. Die Berücksichtigung als ruhegenußfähige Dienstzeit ist ausgeschlossen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel

zulässig."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof insoweit, als die Berücksichtigung der gewährten Karenzurlaubszeit als ruhegenußfähige Dienstzeit ausgeschlossen wurde. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bekämpft den angefochtenen Bescheid im wesentlichen mit dem Vorbringen, der Bescheid enthalte keine Begründung, weshalb auch nicht nachprüfbar sei, ob die belangte Behörde vom richtigen Sachverhalt ausgegangen sei. Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit geht die Beschwerdeführerin davon aus, die belangte Behörde stehe offenbar weiterhin auf jenem Standpunkt, den sie in ihrem Feststellungsbescheid vom 15. März 1989 (siehe oben) vertreten habe. Gegen diese Auffassung bringt sie (wie bereits in ihrer unter Zl. 89/12/0094 protokollierten Beschwerde) im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe die erste Tatbestandsvoraussetzung nach § 58 Abs. 3 LDG 1984 unrichtig ausgelegt: Zum einen dürften die öffentlichen Interessen nicht mit der Förderung der Unterrichtstätigkeit des Lehrers gleichgesetzt werden, zum anderen verlange das LDG 1984 überhaupt nicht das Vorliegen öffentlicher Interessen, sondern stelle auf die Maßgeblichkeit "andere(r) als private(r) Interessen des Landeslehrers" ab. Die beiden Begriffe seien nicht "komplementär". Im übrigen geht die Beschwerdeführerin insbesondere auch unter Rückgriff auf § 18a ASVG und § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz davon aus, daß die Betreuung und Pflege eines behinderten Kindes die Tatbestandsvoraussetzungen des § 58 Abs. 3 LDG 1984 erfülle. Vorsichtshalber wendet sie auch ein, aus ihrer Äußerung vom 2. September 1989 könne jedenfalls kein rechtswirksamer Verzicht abgeleitet werden. Dies schon im Hinblick darauf, daß eine für sie geradezu auswegslose Situation bestanden habe, das Abverlangen eines Verzichtes in einer solchen Situation unzumutbar und unzulässig sei und die erforderliche Freiheit der Willensäußerung keinesfalls als gegeben angesehen werden könne.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.

§ 58 des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes, BGBl. Nr. 302/1984, (LDG 1984) lautet:

"(1) Dem Landeslehrer kann auf sein Ansuchen ein Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub) gewährt werden, sofern nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen.

(2) Die Zeit des Karenzurlaubes ist für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen, soweit in den Besoldungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist.

(3) Sind für die Gewährung eines Karenzurlaubes andere als private Interessen des Landeslehrers maßgebend und liegen berücksichtigungwürdige Gründe vor, so kann verfügt werden, daß die gemäß Abs. 2 mit der Gewährung des Karenzurlaubes verbundenen Folgen nicht oder nicht im vollen Umfang eintreten."

Eine von dem im § 58 Abs. 2 LDG 1984 normierten Grundsatz der Nichtberücksichtigung der im Karenzurlaub zurückgelegten Zeiten für die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängigen Rechte abweichende Gesetzesbestimmung, die allgemein die gänzliche oder teilweise Anerkennung dieser Zeit als ruhegenußfähige Dienstzeit des Landeslehrers vorsehen würde, gibt es nicht. Im übrigen erklärt auch § 6 Abs. 2 vorletzter Satz des Pensionsgesetzes 1965 - das PG 1965 gilt nach § 106 Abs. 1 Z. 2 LDG 1984 auch für Landeslehrer; die dort getroffenen Sonderbestimmungen sind für den Beschwerdefall ohne Bedeutung - die Bestimmungen über die Ruhegenußfähigkeit der Zeit einer Beurlaubung gegen Entfall der Bezüge für unberührt.

Darüber hat die belangte Behörde im letzten Satz des nur in diesem Umfang angefochtenen Bescheides normativ verbindlich abgesprochen (vgl. dazu näher das die Beschwerdeführerin betreffende zur gleichen Sach- und Rechtslage ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Oktober 1989, Zl. 89/12/0094).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 23. Jänner 1951, Slg. N.F. Nr. 1889/A, ausgesprochen, daß ein Irrtum im Sinne des § 871 ABGB geeignet sei, die Rechtswirksamkeit eines Verzichtes auf einen im öffentlichen Recht wurzelnden Rechtsanspruch auszuschließen. Da allgemeine Regelungen über die Wertung von Willenserklärungen in Verwaltungsvorschriften oder in den Verfahrensvorschriften nicht enthalten sind, hält der Verwaltungsgerichtshof die Heranziehung des ABGB in dieser Frage für berechtigt.

Nach der zitierten Gesetzesstelle entsteht für den Erklärenden u.a. keine Verbindlichkeit, wenn er in einem wesentlichen Irrtum befangen und dieser durch den anderen Teil veranlaßt war. Es wird weder absichtliche noch fahrlässige Irreführung gefordert (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1975, Zl. 1268/74 = Slg. N.F. Nr. 8860/A - nur Leitsatz; vgl. zur Irrtumslehre z.B. Rummel in Rummel - Hrsg, Kommentar zum ABGB2, Rz 15 zu § 871, mit weiteren Nachweisen).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes besteht zwar zwischen den beiden Ermessensentscheidungen (Gewährung des Karenzurlaubes nach § 58 Abs. 1 LDG 1984; Nachsicht von den in Abs. 2 von der Gewährung verbundenen Rechtsfolgen nach § 58 Abs. 3 leg. cit.) ein Zusammenhang, dennoch ist das Abhängigmachen der Gewährung des Karenzurlaubes von der Nichtgebrauchnahme von der Nachsichtsmöglichkeit nach § 58 Abs. 3 LDG 1984 keine (im Sinne des Gesetzes liegende) Ermessensübung. Die Entscheidung nach § 58 Abs. 3 LDG 1984 setzt nämlich die Gewährung des Karenzurlaubes voraus und kommt damit erst zum Tragen, wenn die Dienstbehörde - aus der Sicht des Landeslehrers - positiv über sein Ansuchen nach § 58 Abs. 1 LDG 1984 entschieden hat (arg.: Satzeingang des § 58 Abs. 3 LDG 1984 "sind für die Gewährung eines Karenzurlaubes andere als private Interessen des Landeslehrers maßgebend ..."). Daraus ist auch zu schließen, daß die Ermessensdeterminanten für beide Entscheidungen unterschiedliche sind.

Entgegen der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Auffassung, konnte ihre Erklärung vom 21. Juli 1989 nicht bloß in dem Sinn verstanden werden, sie habe es lediglich abgelehnt, die im freien Ermessen liegende Anrechnung des Karenzurlaubes als ruhegenußfähige Dienstzeit vorzunehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß diese Mitteilung der belangten Behörde bei objektiver Auslegung des Erklärten so verstanden werden müßte, die Gewährung des Karenzurlaubes (nach § 58 Abs. 1 LDG 1984) werde davon abhängig gemacht, daß die Beschwerdeführerin der in Aussicht genommenen Nichtberücksichtigung der fraglichen Karenzurlaubszeit als ruhegenußfähige Zeit (Nichtanwendbarkeit des § 58 Abs. 3 LDG 1984) zustimme.

Daß die Beschwerdeführerin diese behördliche Mitteilung auch im Sinn eines nach dem Gesetz unzulässigen Junktims verstanden hat, ergibt sich offenkundig aus ihrer Erklärung vom 2. September 1989.

Damit wurde jedoch der Irrtum der Beschwerdeführerin über die Notwendigkeit ihrer Verzichtserklärung betreffend die Anrechnung des Karenzurlaubes als ruhegenußfähige Dienstzeit als Voraussetzung für die Gewährung des Karenzurlaubes, dem Wesentlichkeit zukommt, durch eine unklare behördliche Mitteilung in Verbindung mit der Unterlassung weiterer Aufklärung, die gegenüber der Beschwerdeführerin nach ihrer Erklärung vom 2. September 1989 schon aus der sich aus dem Dienstverhältnis ergebenden Fürsorgepflicht geboten gewesen wäre, veranlaßt.

Aus diesem Grund konnte daher die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht von einem rechtswirksamen Verzicht der Beschwerdeführerin auf Anrechenbarkeit der Karenzurlaubszeit als ruhegenußfähiger Dienstzeit ausgehen und zur Annahme gelangen, die von ihr im angefochtenen Bescheid getroffene Entscheidung trage vollinhaltlich dem Standpunkt der Partei Rechnung, weshalb sie offenkundig im angefochtenen Bescheid nach § 58 Abs. 2 AVG die Begründung entfallen ließ.

Die belangte Behörde hat daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu prüfen haben, ob aus den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Überlegungen (insbesondere auch dem Hinweis auf § 18a ASVG und § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz) nicht doch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 58 Abs. 3 LDG 1984 vorliegen, wobei davon auszugehen ist, daß "andere als private Interessen des Landeslehrers" nicht mit öffentlichen Interesse (in dem von der Behörde eingeschränkten Begriffsverständis) gleichgesetzt werden können.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der gemäß ihrem Art. III Abs. 2 anzuwendenden Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte