VwGH 90/16/0167

VwGH90/16/01672.7.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Närr, Mag. Meinl, Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kirchmayr, über die Beschwerde der H in T, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 9. August 1990, Zl. GA 11 - 908/2/90, betreffend Erbschaftssteuer, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1278;
ABGB §536;
ABGB §551;
ABGB §726;
ABGB §805;
BAO §114;
B-VG Art7 Abs1;
ErbStG §2 Abs1 Z1;
ErbStG §2 Abs2 Z4;
ErbStG §3 Abs1 Z1;
ErbStG §3 Abs1 Z2;
StGG Art2;
VwGG §13 Abs1 Z1;
ABGB §1278;
ABGB §536;
ABGB §551;
ABGB §726;
ABGB §805;
BAO §114;
B-VG Art7 Abs1;
ErbStG §2 Abs1 Z1;
ErbStG §2 Abs2 Z4;
ErbStG §3 Abs1 Z1;
ErbStG §3 Abs1 Z2;
StGG Art2;
VwGG §13 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich - in Übereinstimmung mit der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin gemäß § 28 Abs. 1 Z. 3 VwGG - im wesentlichen folgendes:

In ihrem (letzten) eigenhändig geschriebenen und eigenhändig mit ihrem Namen unterfertigten Testament vom 9. Juni 1988 hatte die am 16. August 1988 verstorbene Inländerin P (in der Folge: Erblasserin) ihre inländische Cousine, die Beschwerdeführerin, zur Universalerbin eingesetzt.

Mit Schenkungsvertrag vom 24. August 1988, über den ein Notariatsakt aufgenommen worden war, hatte die Beschwerdeführerin vor Abgabe einer Erbserklärung "die Hälfte des auf sie entfallenden gesamten Nachlasses" ihrem Ehegatten geschenkt.

In der Folge hatten die Beschwerdeführerin (am 26. August 1988) und ihr Ehegatte (am 13. Februar 1989) auf Grund des angeführten Testamentes je zur Hälfte eine unbedingte Erbserklärung abgegeben.

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes vom 5. Mai 1989 war der Nachlaß der Erblasserin der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten je zur Hälfte eingeantwortet worden.

Im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Beantwortung der Frage streitentscheidend, ob der die Beschwerdeführerin betreffende Erwerb durch Erbanfall nach § 2 Abs. 1 Z. 1 ErbStG (im Sinne der angefochtenen Berufungsentscheidung) den gesamten Nachlaß der Erblasserin umfaßt oder (im Sinne der Beschwerde, die insbesondere auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Mai 1988, Zl. 86/16/0255, verweist) nur dessen Hälfte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG verstärkten Senat - erwogen:

Wenngleich der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Z. 1 ErbStG an das bürgerliche Recht und nicht an wirtschaftliche Vorgänge anknüpft (siehe z.B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1985, Zl. 83/16/0178, Slg. Nr. 6058/F, und im Zusammenhang mit "Erbanfall" das Erkenntnis vom 19. Mai 1988, Zl. 86/16/0255, ÖStZB 24/1988, S. 551, Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts, Band II2, Wien 1988, S. 60 - 62, Dorazil, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz3, Wien 1990, Tz 6.1 der Einf. und Tz 4. 1 zu § 2, und Fellner, Stempel- und Rechtsgebühren, Grunderwerbsteuer, Erbschafts- und Schenkungssteuer, Band III 4. Teil8, Enns - Stand nach der Ergänzung S August 1991, insbesondere Tz 33 zu § 1), erscheint zur Vermeidung von Mißverständnissen folgende Darlegung geboten:

Die allfällige Erbschaftssteuerpflicht der Beschwerdeführerin für den gesamten Nachlaß der Erblasserin könnte nicht nur bedeuten, daß diese Pflicht die dem Ehegatten geschenkte Hälfte dieses Nachlasses umfaßt, sondern auch die Schenkungssteuerpflicht des Ehegatten (als Erwerber und die der Beschwerdeführerin als Geschenkgeber) für die genannte Hälfte.

Würde eine derartige Annahme einer verfassungskonformen Interpretation nicht standhalten, wären weitere Überlegungen entbehrlich, weil dann die eingangs angeführte streitentscheidende Frage im Sinne der Beschwerdeführerin beantwortet werden müßte.

Der Gesetzgebung und Vollziehung bindende Gleichheitssatz verbietet unsachliche, willkürliche Entscheidungen. Gleichheit bedeutet nicht Identität. Ob zwei verschiedene Fälle gleich (vergleichbar) sind, kann immer nur im Hinblick auf einzelne Gegebenheiten geprüft werden. Welche Faktoren hiebei in Betracht gezogen werden, ist letztlich eine Frage der (gesetzesgebundenen) Wertung. Die Frage, welche Gesichtspunkte geeignet sind, Differenzierungen sachlich zu rechtfertigen, ist daher die praktische Kernfrage des Problems. Die unterschiedliche Behandlung muß in einer sachlichen Relation zu Unterschieden im Tatsachenbereich stehen; die tatsächlichen Unterschiede müssen in bezug auf die rechtliche Regelung wesentlich sein. Für die Sachlichkeit einer Norm können nicht die subjektive Einschätzung und die Motive des Gesetzgebers, sondern nur ihr objektiver Gehalt maßgebend sein (siehe z.B. Doralt - Ruppe, a.a.O., S. 155 - 157).

Selbst wenn man davon ausginge, mit der von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten gewählten Vorgangsweise in bezug auf eine Hälfte des Nachlasses der Erblasserin lägen zwei Rechtsvorgänge zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zweckes vor, dann käme nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes für die Annahme einer verfassungskonformen Gesetzesauslegung im Sinne der angefochtenen Berufungsentscheidung doch den Umständen besondere Bedeutung zu, daß dieser Weg keinesfalls im Gesetz ausdrücklich vorgesehen und nicht jedem Erben es wie der Beschwerdeführerin möglich ist, durch Schenkung an eine Person der Steuerklasse I keine Erbschaftssteuer als Person der Steuerklasse V entrichten zu müssen, sondern lediglich und nur allenfalls als Gesamtschuldnerin die um mindestens 12 bis höchstens 45 % geringere Schenkungssteuer.

Auch aus den - die betreffenden Beschwerden jeweils abweisenden - Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 1976, B 266/74, Slg. Nr. 7880 (betreffend einen Fall der denkmöglichen Anwendung des § 2 Abs. 1 Z. 1 ErbStG), vom 2. Oktober 1985, B 559/80, Slg. Nr. 10585 (betreffend einen Fall der Festsetzung von Schenkungssteuer für einen Erbschaftskauf) und vom 6. Dezember 1990, B 175/90, wonach der Gleichheitssatz keine allgemeine Gleichbehandlung von Pflichtteilsberechtigten und Erben verlangt, vermag der Verwaltungsgerichtshof nichts herauszulesen, wovon auf eine Unsachlichkeit der Annahme, die Beschwerdeführerin hätte im vorliegenden Fall Erbschaftssteuer vom gesamten Nachlaß der Erblasserin zu entrichten, geschlossen werden könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt in seinem Erkenntnis vom 19. Mai 1988, Zl. 86/16/0255, ÖStZB 24/1988, S. 551, seine Rechtsprechung zur sogenannten "qualifizierten Erbausschlagung" wie folgt zusammengefaßt:

Als "Erbanfall" im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 1 ErbStG könne nur jener Vermögensanfall von Todes wegen gelten, der auf einem Erbrecht beruhe. Ein solcher gründe sich zufolge § 533 ABGB auf den nach den gesetzlichen Vorschriften erklärten Willen des Erblassers, auf einen nach dem Gesetze zulässigen Erbvertrag oder auf das Gesetz schlechthin (Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 11. November 1965, Zl. 1913/64, Slg. Nr. 3356/F, und das Erkenntnis vom 14. November 1978, Zl. 2751/76, ÖStZB 13/14/1979, S. 175, nur mit dem Rechtssatz in der Slg. Nr. 5319/F, mit Anführung von fünf weiteren Erkenntnissen).

Seit seinem - nach Beantwortung der ihm vorgelegten Rechtsfrage durch einen verstärkten Senat beschlossenen - Erkenntnis vom 15. Oktober 1952, Zl. 484/51, Slg. Nr. 643/F, habe der Verwaltungsgerichtshof weiters daran festgehalten, daß dann, wenn ein zur Erbschaft Berufener vor der Abgabe der Erbserklärung zugunsten einer bestimmten Person auf sein Erbrecht verzichte, eine erbschaftssteuerpflichtige Übertragung an den Verzichtenden nicht anzunehmen sei (Hinweis auf die Erkenntnisse vom 15. Oktober 1952, Zl. 1438/50, ÖStZB 1/1953, S. 2, vom 5. November 1952, Zl. 865/50, ÖStZB 3/1953, S. 11, vom 21. Oktober 1953, Zl. 1878/51, ÖStZB 23/24/1953, S. 96, und vom 3. September 1987, Zl. 86/16/0190, ÖStZB 7/1988, S. 185, mit Literaturangaben).

Der Verwaltungsgerichtshof habe ferner in seinen Erkenntnissen vom 28. November 1968, Zl. 666/68, Slg. Nr. 3821/F, vom 15. Juni 1972, Zlen. 2311 - 2313/71, Slg. Nr. 4404/F, und vom 28. Juni 1973, Zl. 980/72, ÖStZB 22/1973, S. 269, ausdrücklich hervorgehoben, daß die sogenannte "qualifizierte Erbausschlagung" - das sei die Erklärung des Erben, auf die Erbschaft zugunsten einer bestimmten Person zu verzichten (Hinweis auf Dorazil, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz2, Wien 1975, S. 23) - beim Ausschlagenden zu KEINEM steuerpflichtigen Erwerb durch Erbanfall im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 1 ErbStG führe.

Dabei mache es - wie aus den beiden zuletzt zitierten Erkenntnissen hervorgehe - keinen Unterschied, ob es sich bei den durch Verzicht Begünstigten um nächstberufene Erben oder völlig außenstehende Personen handle.

In dem angeführten Erkenntnis vom 28. Juni 1973 habe der Verwaltungsgerichtshof weiters ausdrücklich dargetan, daß es gleichgültig sei, ob sich die Ausschlagung auf den ganzen Erbteil beziehe oder ob - wie im damaligen Beschwerdefall - lediglich eine teilweise Erbausschlagung vorliege. Von dieser Rechtsauffassung sei der Verwaltungsgerichtshof auch schon in dem angeführten Erkenntnis vom 4. Mai 1955 ausgegangen.

In der steuerrechtlichen Literatur werden zu der hier streitentscheidenden Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten (siehe insbesondere einerseits Torggler, Abgabenrechtliche Probleme des Erbschaftskaufes, Beilage zum NBlRA Nr. 11/12/1966, S. 224 ff, bzw. Erbausschlagung und Erbschaftssteuer, ÖStZ 12/1969, S. 140 f, und andererseits Hausleithner, Erbausschlagung und Erbschaftssteuer, ÖStZ 7/1969, S. 74 ff, sowie Doralt - Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts, Band II2, Wien 1988, S. 62).

Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (siehe z.B. die Entscheidungen vom 4. Februar 1913, Rv. I, 65/13, GlUNF Nr. 6287, vom 30. Jänner 1976, AZ. 7 Ob 509/76, NZ 1977, S. 124, und vom 15. Oktober 1980, AZ. 6 Ob 738/80, EF-Slg. Nr. 36.147), und die zivilrechtliche Literatur (siehe z.B. Welser in Rummel, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Band, Wien 1984, Rdz 1, 6, 8 und 9 zu § 1281, bzw. a.a.O., 1. Band2, Wien 1990, Rdz 29 - 31 zu §§ 799, 800, und Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts, Band II9, Wien 1991, S. 393 f und 404 f) gehen im wesentlichen übereinstimmend davon aus, daß Gegenstand einer Erbschaftsschenkung bzw. einer - unter Einhaltung der gesetzlich geforderten Formvorschriften - dieser gleichzusetzenden "qualifizierten Erbausschlagung" das Erbrecht als solches ist.

Nun ist das Erbrecht gemäß § 532 ABGB das ausschließliche Recht, die ganze Verlassenschaft, oder einen in Beziehung auf das Ganze bestimmten Teil derselben (z.B. die Hälfte, ein Dritteil) in Besitz zu nehmen. Es ist ein dingliches Recht, welches gegen einen jeden, der sich der Verlassenschaft anmaßen will, wirksam ist.

Weiters tritt nach § 536 ABGB das Erbrecht erst nach dem Tode des Erblassers ein. Stirbt ein vermeintlicher Erbe vor dem Erblasser; so hat er das noch nicht erlangte Erbrecht auch nicht auf seine Erben übertragen können.

Im Hinblick auf die zuletzt zitierte Gesetzesstelle kann zu Lebzeiten des Erblassers im Sinne des § 551 ABGB noch nicht auf das Erbrecht, sondern nur auf die betreffende Anwartschaft verzichtet werden.

Hingegen besteht jedenfalls schon mit dem Erbfall bzw. Erbanfall, also mit dem Tode des Erblassers, für den Erben schon mehr als eine bloße Anwartschaft auf sein Erbrecht. Bereits die Möglichkeit, etwa im Sinne des § 726 ABGB der Erbschaft zu entsagen oder sie auf Grund des § 805 ABGB (unbedingt bzw. einfach) auszuschlagen, spricht für einen echten Vermögensvorteil des Erben im Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Die Möglichkeit aber, die Erbschaft oder einen Teil derselben vor Abgabe einer Erbserklärung entgeltlich (Erbschaftskauf) oder unentgeltlich (Erbschaftsschenkung) veräußern zu können, zeigt eindeutig, daß der Erbe bereits durch Erbanfall bzw. mit dem Tode des Erblassers durch den Erwerb seines Erbrechtes von Todes wegen bereichert sein muß.

Im Hinblick auf den wesentlichen Gleichklang der zitierten Bestimmungen des ABGB mit denen des ErbStG, nach dessen § 2 Abs. 1 Z. 1 u.a. der Erwerb durch Erbanfall als Erwerb von Todes wegen gilt bzw. nach dessen § 12 Abs. 1 Z. 1 die Steuerschuld bei Erwerb von Todes wegen grundsätzlich mit dem Tode des Erblassers entsteht, ergibt sich, daß derjenige, der die Erbschaft ohne sie im Sinne des § 805 ABGB ausdrücklich anzutreten, verschenkt, bereits durch einen Vermögensvorteil bereichert gewesen sein muß.

Durch den Verzicht auf die Erbschaft zugunsten eines Dritten wird daher vom Erbrecht Gebrauch gemacht und dieses übertragen. Im Sinne des ErbStG ist auch das der der Erbschaftssteuer unterliegende Erwerb durch Erbanfall. Damit im Einklang steht auch, daß § 2 Abs. 1 Z. 1 ErbStG den Grundtatbestand, § 2 Abs. 2 Z. 4 ErbStG, wonach u.a. die Abfindung für die Ausschlagung einer Erbschaft als vom Erblasser zugewendet gilt, den Auffangtatbestand darstellt (siehe z.B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 1985, Zl. 83/16/0178, Slg. Nr. 6058/F).

Da sich der Verwaltungsgerichtshof aus den angeführten Gründen veranlaßt sieht, von seiner oben dargestellten Rechtsprechung in bezug auf die sogenannte "qualifizierte Erbausschlagung" abzugehen, ist die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Zuerkennung des Aufwandersatzes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte