VwGH 88/14/0003

VwGH88/14/000318.3.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Baumann, Mag. Heinzl und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kirchmayr, über die Beschwerde des HE und des FE in M, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der FLD für Stmk vom 30. 6. 1987, Zl. B 89-3/87, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Feststellung von Einkünften für die Jahre 1983 und 1984 und Feststellung von Einkünften für die Jahre 1983 bis 1985, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs3;
BAO §303 Abs4;
EStG 1972 §8 Abs4 Z3;
AVG §69 Abs3;
BAO §303 Abs4;
EStG 1972 §8 Abs4 Z3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Für die erklärungsgemäß veranlagten Jahre 1983 und 1984 fand im Unternehmen der Beschwerdeführer, das nach eigenen, patentierten Erfindungen Futtermittelzusätze herstellt, eine Betriebsprüfung statt, bei der der Prüfer unter anderem feststellte, daß für bestimmte Wirtschaftsgüter des Anlagevermögen die vorzeitige Abschreibung nach § 8 Abs. 4 Z. 3 EStG 1972 zu Unrecht vorgenommen worden sei, weil mit diesen Wirtschaftsgütern entgegen den gesetzlichen Bestimmungen auch zum Zweck der gewerblichen Weiterveräußerung produziert worden sei.

Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen, nahm die rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung für 1983 und 1984 von Amts wegen wieder auf und erließ neue Abgabenbescheide sowie den Abgabenbescheid für 1985.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufungen gegen die in Rede stehenden Bescheide ab und führte in der Begründung aus, daß die Wirtschaftsgüter, für die die vorzeitige Abschreibung gemäß § 8 Abs. 4 Z. 3 EStG 1972 geltend gemacht worden sei, nicht nur der Forschung, sondern auch der Produktion gedient hätten, was dem Finanzamt bei der Erlassung der Feststellungsbescheide 1983 und 1984 noch nicht bekannt gewesen sei. Die erst im Zuge des Betriebsprüfungsverfahrens erlangte Kenntnis über die Verwendung der Anlagen auch für Produktionszwecke stelle daher eine neu hervorgekommene Tatsache dar, die anders lautende Bescheide herbeizuführen geeignet sei. Da die Bestimmung des § 303 Abs. 4 BAO dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit gegenüber jenem der Rechtsbeständigkeit den Vorrang einräume, sei - zumal es im vorliegenden Fall nicht um geringfügige steuerliche Auswirkungen gehe - die Wiederaufnahme zu verfügen gewesen.

Zur Nichtanerkennung der vorzeitigen Abschreibung wies die belangte Behörde darauf hin, daß sich das Unternehmen der Beschwerdeführer als Hersteller von Futtermittelzusätzen bezeichne und seine Umsätze in den Streitjahren ein wertmäßiges und mengenmäßiges Ausmaß erreicht hätten, das jedenfalls nicht mehr mit der Veräußerung von Prototypen oder Explorationsverkäufen abgetan werden könne. Dies gelte um so mehr, als die Produkte in einem dem Prüfer vorgelegten Erzeugungsprogramm aufscheinen und auch nicht mit auf Forschungsabfall hinweisenden Bezeichnungen vertrieben werden. Daß einzelne der strittigen Wirtschaftsgüter bzw. einzelne Räume der Forschungshalle ausschließlich der Forschung gedient hätten, sei von den Beschwerdeführern nicht nachgewiesen worden. Daß im vorliegenden Fall alle strittigen Wirtschaftsgüter auch der Produktion gedient hätten, erhelle am deutlichsten aus dem im Betriebsprüfungsverfahren eingebrachten Vorschlag der Beschwerdeführer, die Aufteilung nach dem Zeitaufwand, dem Energieaufwand, dem Arbeitsaufwand und der betriebswirtschaftlichen Gesamtwertigkeit vorzunehmen. In einer weiteren Eingabe hätten sie ausgeführt, mit den neuen Einrichtungen die biologische Aktivität des als volkswirtschaftlich wertvoll bescheinigten Produktes gesteigert, den Grad der Kontamination dieses Produktes drastisch gesenkt und somit ein besseres Produkt erzeugt zu haben.

Somit hätten die strittigen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nicht ausschließlich der Entwicklung oder Verbesserung von Erfindungen, sondern auch der Produktion gedient.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der zunächst an ihn erhobenen Beschwerde mit Beschluß vom 27. November 1987, B 882/87-5, ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Mit der vorliegenden Beschwerde behaupten die Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragen, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die Beschwerdeführer stützen ihre Auffassung, es seien keine neuen Tatsachen hervorgekommen, auf die Behauptung, daß die Sachvoraussetzungen zum Teil nicht vorgelegen seien. Das Finanzamt habe von den als Wiederaufnahmegrund geltend gemachten Umständen bereits vor Erlassung der erstinstanzlichen Bescheide (zumindest für das Jahr 1984) Kenntnis gehabt. Am 11. Dezember 1985 habe ein Beamter des Finanzamtes auf Einladung der Beschwerdeführer den Betrieb besichtigt. Dieser hat in einer Niederschrift festgehalten:

"Durch innerbetrieblichen Transport (unkontrollierte anerobe Nachgärung eines aneroben Fermentationsproduktes im feuchten Zustand) einerseits und Ausfall der neu installierten Trocknungsanlage andererseits sind 10.320 bzw. 10.375 kg der Ware unbrauchbar geworden.

Die unbrauchbare Ware wurde mengenmäßig, überschlagsmäßig geschätzt und in der Produktionshalle und im Dachboden besichtigt."

Damit sei dem Finanzamt bekannt gewesen, daß die Halle auch Produktionszwecken gedient habe.

Mit den vorgebrachten Gründen verkennen die Beschwerdeführer, daß die Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, daß sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (vgl. hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, 89/15/0005).

Davon kann jedoch im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil sich die Besichtigung nur auf das Vorhandensein unbrauchbarer, in der "Produktionshalle" und auf dem Dachboden befindlicher Ware bezogen hat und, wie aus der Niederschrift ersichtlich, keine weiteren über diese Beweissicherung hinausgehenden steuerrechtlich relevanten Feststellungen zum Gegenstand hatte. Demnach bestand für das Finanzamt in Entgegnung des Vorwurfes der Beschwerdeführer, wonach es die Behörde in Kenntnis des Inhaltes der Niederschrift unterlassen habe, die tatsächlichen Verhältnisse zu ermitteln (§ 115 BAO), überhaupt keine Veranlassung, im Zuge dieser Besichtigung über den Verwendungszweck dieser Halle Nachforschungen anzustellen. Abgesehen davon stünde selbst ein schuldhaftes Unterbleiben solcher Nachforschungen einer amtswegigen Wiederaufnahme nicht entgegen (siehe Stoll, BAO-Handbuch, 726).

Weiters machen die Beschwerdeführer geltend, daß der angefochtene Bescheid ein "Begründungsdefizit" aufweise, wodurch Parteienrechte verkürzt worden seien. Überdies enthalte er keine Aussage über die Ermessensübung nach § 20 BAO. Dabei wären nämlich als Billigkeitserwägungen insbesondere auch die Devisenersparnis durch die Erzeugung inländischer Futtermittel bzw. - zusätze, die volkswirtschaftliche Bedeutung der Forschungsergebnisse und der Aufbau des Unternehmens im Grenzlandbereich zu berücksichtigen gewesen. Dem stehe als Zweckmäßigkeitsüberlegung die Tatsache gegenüber, daß Abschreibung kein "Steuergeschenk", sondern nur "Steuerstundung" bedeute.

Dem ist entgegenzuhalten, daß die Begründung des Bescheides der belangten Behörde zusammengefaßt im Rahmen der Ermessensabwägung den oben wiedergegebenen, für den Verwaltungsgerichtshof stichhältigen Grund enthält, der letztlich für die Ermessensentscheidung ausschlaggebend war. Eine Verkürzung der Parteienrechte oder eine mit Rechtswidrigkeit belastete Ermessensentscheidung vermag der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht zu erkennen.

Die gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens erhobene Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet.

Wird der Gewinn gemäß § 4 Abs. 1 oder Abs. 3 oder gemäß § 5 EStG 1972 ermittelt, so kann gemäß § 8 Abs. 1 EStG 1972 von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der im Wirtschaftsjahr angeschafften oder hergestellten abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens neben der nach § 7 EStG 1972 zulässigen Absetzung für Abnutzung eine vorzeitige Abschreibung vorgenommen werden. Die Wirtschaftsgüter müssen in einer im Inland gelegenen Betriebsstätte verwendet werden, die der Erzielung von Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z. 1 bis 3 EStG 1972 dient. Der Abschreibungssatz beträgt gemäß § 8 Abs. 4 Z. 3 EStG 1972 bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die ausschließlich und unmittelbar der Entwicklung oder Verbesserung volkswirtschaftlich wertvoller Erfindungen dienen, wenn der volkswirtschaftliche Wert der betreffenden Erfindung durch eine Bescheinigung des (im Beschwerdezeitraum zuständigen) Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie nachgewiesen wird, 80 v.H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten.

Die Beschwerdeführer machen geltend, daß die Begriffe "ausschließlich" und "unmittelbar" extensiv und - sollten nicht bloß Großunternehmen begünstigt werden - verfassungskonform als "überwiegend" zu interpretieren seien.

Gesetze sind gemäß § 6 ABGB zunächst nach dem Wortsinn auszulegen und anzuwenden. Der äußerste mögliche Wortsinn steckt dabei die Grenze der Auslegung ab. Danach konnte der belangten Behörde nicht mit Recht der Vorwurf gemacht werden, den Bestimmungen im vorliegenden Fall einen begrifflich nicht gedeckten Inhalt unterstellt zu haben. Wenn nämlich die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu einer über die Forschungstätigkeit hinausgehenden Produktion von im Handel frei erhältlichen Waren verwendet werden, dienen diese schon nach dem eindeutigen Wortsinn nicht ausschließlich und unmittelbar der Entwicklung oder Verbesserung volkswirtschaftlich wertvoller Erfindungen. Dies auch dann nicht, wenn während der Produktion ständig der Versuch unternommen wird, die Qualität der Produkte zu verbessern.

Wenn die Beschwerdeführer auf die Verletzung der Manuduktionspflicht hinweisen, verkennen sie die Rechtslage. Nach § 113 BAO haben die Abgabenbehörden den Parteien, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten sind, auf Verlangen die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben und sie über die mit ihren Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen zu belehren. Eine Mißachtung dieser Bestimmung gegenüber den im Verfahren stets vertreten gewesenen Beschwerdeführern war im Beschwerdefall nicht erkennbar. Das Finanzamt hat vielmehr mit Vorhalt sogar Gelegenheit gegeben, von den in Betracht kommenden Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens eine Aufstellung derjenigen Wirtschaftsgüter vorzunehmen, die ausschließlich und unmittelbar der Entwicklung oder Verbesserung volkswirtschaftlich wertvoller Erfindungen dienen könnten. Da, wie die belangte Behörde festgestellt hat, die Beschwerdeführer - trotz Vorhaltes - nicht nachgewiesen haben, daß einzelne Räume der Forschungshalle die gesetzlichen Voraussetzungen für die in Rede stehende vorzeitige Abschreibung erfüllt hätten (der Laborraum dient letztlich auch der laufenden Produktion), und die prozentuelle Aufteilung der Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nach Zeit-, Energie- oder Arbeitsaufwand sowie nach betriebswirtschaftlichen Kriterien den gesetzlichen Bestimmungen nicht entspricht, kann der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, weitere Ermittlungen unterlassen zu haben.

Da die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten nicht verletzt wurden, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Im Hinblick auf diesbezügliche Beschwerdeausführungen sei noch erwähnt, daß der Verwaltungsgerichtshof nur den angefochtenen Bescheid und nicht die Bescheide des Finanzamtes auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen hatte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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