VwGH 90/19/0252

VwGH90/19/025227.5.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 16. Jänner 1990, Zl. MA 12-12006/88, betreffend Gewährung von Sozialhilfe zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §94 Abs2;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;
ABGB §94 Abs2;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als sich die Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides auf den Monat Oktober 1988 und den Folgezeitraum bezieht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Am 14. April 1988 stellte der Beschwerdeführer beim Sozialreferat für den 15. Bezirk einen "Grundantrag auf Gewährung von Geldaushilfen". Mit Bescheid vom selben Tag wies der Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 12 - Sozialreferat für den 15. Bezirk) "auf Grund des § 57 AVG" den Antrag des Beschwerdeführers vom 14. April 1988 auf "Zuerkennung einer Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes" ab. In der Begründung wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer kein Arbeitseinkommen habe und das Arbeitsamt die Notstandshilfe unter Hinweis auf das hohe Einkommen seiner Gattin abgelehnt habe. Trotzdem sei er nicht bereit, seine Unterhaltsansprüche gegenüber seiner Gattin durch Einbringung einer Unterhaltsklage zu wahren.

2. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Vorstellung (vom Beschwerdeführer fälschlich als Berufung bezeichnet) wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien (Magistratsabteilung 12) vom 12. Juni 1989 keine Folge gegeben und der angefochtene Mandatsbescheid gemäß § 57 Abs. 3 AVG bestätigt.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und der über die Vorstellung ergangene Bescheid bestätigt. In der Begründung wurde den Ausführungen des Beschwerdeführers,

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 11/1973, (WSHG) hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der Bestimmungen des zweiten Abschnittes des Gesetzes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

Nach § 11 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. gehört zum Lebensbedarf der Lebensunterhalt.

Zufolge des § 12 WSHG umfaßt der Lebensunterhalt insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse. Zu den persönlichen Bedürfnissen gehört auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben im angemessenen Ausmaß.

Gemäß § 13 Abs. 1 WSHG hat die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen. Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen.

Die dazu ergangene Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Festsetzung der Richtsätze in der Sozialhilfe, LGBl. Nr. 13/1973, unterscheidet Richtsätze für Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Alleinunterstützten, den Hauptunterstützten sowie für den Mitunterstützten ohne Anspruch auf Familienbeihilfe und mit Anspruch auf Familienbeihilfe.

2.1. Unter dem Gesichtspunkt inhaltlicher Rechtswidrigkeit bringt der Beschwerdeführer vor, daß die Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach das Bestehen eines Rechtsanspruches auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes auch danach zu beurteilen sei, ob der Antragsteller durch Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber Dritten oder Einrichtungen Mittel in ausreichendem Maß zur Sicherung seines Lebensunterhaltes erwerben könne, im Gesetz keine Deckung finde und nicht vom Subsidiaritätsprinzip im Sinne des WSHG umfaßt sei. Begründet wird diese Rechtsansicht im wesentlichen wie folgt: Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 WSHG komme es nur darauf an, ob der Antragsteller von dritten Personen oder Einrichtungen tatsächlich Hilfe zur Sicherung seines Lebensbedarfes erhalte, was im vorliegenden Fall unbestritten nicht gegeben sei, womit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes vorlägen. Jede andere Interpretation ginge unzulässigerweise über den Wortlaut des § 8 Abs. 1 leg. cit. hinaus und stünde auch nicht mit § 8 Abs. 2 WSHG im Einklang. Stellte man nicht auf die tatsächliche Zuwendung ab, sondern auf die bloße Möglichkeit, eine Zuwendung zu erhalten ("Anspruch"), und schlösse man e contrario aus § 8 Abs. 2 WSHG, daß eben die Möglichkeit, eine Zuwendung von Personen, die nicht vom § 8 Abs. 2 leg. cit. umfaßt sind, zu erhalten, den Anspruch auf Geldaushilfen berühre, so bestünden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die anzuwendende Gesetzesbestimmung. Es sei nämlich nicht einzusehen, und es schiene sachlich nicht gerechtfertigt, weshalb der Unterhaltsanspruch gegen Verwandte in absteigender und in aufsteigender Linie (mit Ausnahme des Unterhaltsanspruches eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern) nicht zu berücksichtigen sein solle, wohl aber der Unterhaltsanspruch gegenüber der Ehegattin. Es werde daher angeregt, die Prüfung der angewendeten Gesetzesstelle beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 135 B-VG iVm Art. 89 B-VG wegen verfassungsrechtlicher Bedenken einzuleiten. Die am Wortlaut des § 8 leg. cit. festhaltende Interpretation stehe auch im Einklang mit den Bestimmungen des sechsten Abschnittes. Der § 27 WSHG regle den Ersatz von Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes durch Dritte, zu denen auch die unterhaltspflichtigen Angehörigen des Empfängers der Hilfe gehörten. Diese Bestimmung zeige, daß in Wahrheit nicht der Beschwerdeführer verpflichtet sei, einen - aller Voraussicht nach - wenig erfolgversprechenden Unterhaltsstreit mit seiner Ehegattin zu führen, um nachzuweisen, daß er keinerlei sonstige Hilfe beziehe, sondern der Sozialhilfeträger die Ehegattin des Beschwerdeführers darüber zu verständigen habe, daß die Ansprüche des Empfängers der Hilfe auf ihn übergegangen seien, und demnach er - sollte er dies für aussichtsreich erachten - eigenständig die übergegangenen Ansprüche geltend machen müsse. Das WSHG sehe systemkonform in keiner Bestimmung vor, daß der Empfänger der Hilfe verpflichtet wäre, seine Ansprüche gegenüber Dritten - also auch den Unterhaltsanspruch gegenüber der Ehegattin - klagsweise geltend zu machen.

2.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Vorweg ist festzuhalten, daß kein Anlaß besteht, die Anregung des Beschwerdeführers aufzugreifen, der Verwaltungsgerichtshof möge die Gesetzesbestimmung des § 8 Abs. 2 WSHG beim Verfassungsgerichtshof wegen verfassungsrechtlicher Bedenken anfechten, da diese Bestimmung im gegenständlichen Fall nicht anzuwenden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der abzugehen im vorliegenden Fall kein Anlaß besteht, ist Hilfsbedürftigkeit nicht nur dann zu verneinen, wenn ein Hilfesuchender die für seinen Lebensbedarf erforderlichen Mittel tatsächlich von einem Dritten erhält; sie liegt auch dann nicht vor, wenn dem Hilfesuchenden die nach Lage des Falles erforderliche rechtzeitige Durchsetzung seines Unterhaltsanspruches mit Hilfe der Gerichte oder Verwaltungsbehörden möglich und auch zumutbar ist (vgl. das Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032 und die dort zitierte Vorjudikatur). Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß ein nach den Bestimmungen des ABGB bestehender Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehegatten bei der Beurteilung des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruches auf Sicherung des Lebensbedarfes beachtlich ist. Weiters ist der belangten Behörde auch beizupflichten, daß ein Unterhaltsanspruch unabhängig von einer gegenwärtigen oder früheren gemeinsamen Haushaltsführung ist; allerdings ergibt sich das nicht aus dem von ihr herangezogenen § 94 Abs. 1 ABGB, sondern aus § 94 Abs. 2 dritter Satz leg. cit. (vgl. hiezu OGH vom 11. August 1977, 6 Ob 679/77 und vom 6. Oktober 1977, 6 Ob 722/77). Es erübrigt sich daher auf die Ausführungen betreffend das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines gemeinsamen Wohnsitzes des Beschwerdeführers mit seiner Ehegattin einzugehen. Soweit der Beschwerdeführer einen Unterhaltsanspruch auf Grund einer anläßlich der Eheschließung getroffenen Vereinbarung, wechselseitig keine finanziellen Forderungen zu stellen, verneint, ist er darauf hinzuweisen, daß die Unterhaltsansprüche des § 94 Abs. 2 ABGB für die Zukunft dem Grunde nach unverzichtbar sind (vgl. hiezu OGH vom 6. Oktober 1977, 6 Ob 722/77).

3.1. Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, daß die Behörde Ausführungen darüber, in welcher Höhe die Unterhaltsansprüche gegenüber der Ehegattin zu berücksichtigen seien, und inwiefern diese hypothetischen Unterhaltsleistungen der Ehegattin als ausreichend zur Sicherung des Lebensbedarfes anzusehen seien, unterlassen habe. Weiters habe sich die Behörde mit den Aussichten einer Klagsführung gegen die Ehegattin nicht auseinandergesetzt.

3.2. Dieses Vorbringen ist insofern nicht stichhältig, als die belangte Behörde - dies unter Zugrundelegung der von der Erstinstanz angestellten "Bedarfsermittlung" (S 4.091,--) - erkennbar davon ausgeht, daß der Beschwerdeführer einen Unterhaltsanspruch in der Höhe des Richtsatzes zuzüglich des Mietbedarfes entsprechend der Verordnung der Wiener Landesregierung LGBl. Nr. 13/1973 hat, weshalb für eine Sozialhilfeleistung kein Raum bleibt. Insoweit die belangte Behörde bei einem Nettoeinkommen der Ehegattin von S 19.574,94 bzw. S 18.728,94 auch bei Berücksichtigung von Sorgepflichten für zwei minderjährige Kinder einen Unterhaltsanspruch des Beschwerdeführers in Höhe des festgestellten Bedarfes von S 4.091,-- annimmt, kann ihr im Hinblick auf die einschlägige Rechtslage (vgl. dazu die bei DITTRICH-TADES, ABGB33, Wien 1989, 69 ff. abgedruckten Entscheidungen) nicht entgegengetreten werden.

Was den zweitgenannten Beschwerdeeinwand anlangt, so hat es der Beschwerdeführer im Verfahren unterlassen darzutun, daß eine Durchsetzung des Unterhaltsanspruches nicht möglich oder unzumutbar wäre; auch aus den Akten ergeben sich keine diesbezüglichen Anhaltspunkte.

4. Dennoch ist der Beschwerde im Ergebnis zum Teil Erfolg beschieden. Der verfahrensgegenständliche Antrag ("Grundantrag auf Gewährung von Geldaushilfen") vom 14. April 1988 ist mangels einer unmißverständlichen Einschränkung durch den Beschwerdeführer auf Gewährung einer einmaligen Geldleistung als Antrag auf monatlich wiederkehrende Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes zu werten. Dem bekämpften Bescheid, aber auch dem gesamten übrigen Akteninhalt ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß die belangte Behörde den besagten Antrag rechtlich anders - als bloß auf einmalige Geldleistung gerichtet - qualifiziert hätte. Angesichts dessen kam dem der belangten Behörde - die bei ihrer Entscheidung von der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Sachlage auszugehen hatte - nach Ausweis der Akten (Aktenvermerk vom 2. Juni 1989) bekannten Umstand, daß der Beschwerdeführer seit Oktober 1988 geschieden ist, für das Schicksal des Antrages wesentliche Bedeutung zu. In diesem Sinne wäre es der belangten Behörde oblegen, Feststellungen darüber zu treffen, ob dem Beschwerdeführer anläßlich der Scheidung Unterhaltsansprüche gegenüber seiner Ehegattin zuerkannt worden sind und bejahendenfalls in welcher Höhe, sowie darüber, ob ihm nach der Scheidung vom Arbeitsamt Leistungen (Notstandshilfe) gewährt worden sind, die zur Deckung des Lebensunterhaltes ausreichen. Dies ist nicht geschehen, weshalb der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist.

5. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid insoweit, als sich die abweisliche Entscheidung auf Oktober 1988 und den Folgezeitraum bezieht, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Im übrigen, d.h. soweit sich der bekämpfte Bescheid auf die Monate April 1988 bis September 1988 erstreckt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 2 und 50 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte