VwGH 90/11/0183

VwGH90/11/018316.4.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des S gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 13. August 1990, Zl. 702.643/1-2.5/90, betreffend Befreiung vom ordentlichen Präsenzdienst, zu Recht erkannt:

Normen

WehrG 1990 §35 Abs1;
WehrG 1990 §36 Abs2 Z2;
WehrG 1990 §53 Abs8;
WehrG 1990 §35 Abs1;
WehrG 1990 §36 Abs2 Z2;
WehrG 1990 §53 Abs8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der am 4. Juli 1968 geborene Beschwerdeführer wurde am 27. August 1986 der Stellung unterzogen und für tauglich befunden.

Mit dem an das Militärkommando Oberösterreich gerichteten Schreiben vom 10. Jänner 1990 beantragte er die dauernde Befreiung vom Grundwehrdienst mit der Begründung, er habe mit Pachtvertrag vom 10. Februar 1988 die Landwirtschaft seiner Eltern gepachtet und sei unabkömmlich.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 13. August 1990 wurde der Beschwerdeführer auf Grund seines Antrages vom 10. Jänner 1990 gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 Wehrgesetz 1990 "wegen Vorliegens besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen" von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befristet bis 15. August 1991 befreit. Das Mehrbegehren auf gänzliche Befreiung wurde abgewiesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 Wehrgesetz 1990 können Wehrpflichtige auf ihren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interesse erfordern.

Die belangte Behörde nahm für die Zeit bis 15. August 1991 das Vorliegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen des Beschwerdeführers an und verneinte die besondere Rücksichtswürdigkeit der beim Beschwerdeführer gegebenen wirtschaftlichen Interessen. Sie legte ihrer Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

Eigentümer des vom Beschwerdeführer mit Wirkung ab 1. März 1988 gepachteten Landwirtschaftsbetriebes sind sein im Jahre 1926 geborener Vater und seine im Jahre 1931 geborene Mutter. Bewirtschaftet wird ein Eigengrund im Ausmaß von 13,5 ha sowie ein Pachtgrund im Ausmaß von 0,85 ha. Die maschinelle Ausstattung des Betriebes besteht aus einem Traktor, einem Ladewagen, Zetter, Schwader und sonstigen Bearbeitungsmaschinen. Der Viehstand setzt sich zusammen aus 11 Kühen, 8 Jungrindern und 80 Schweinen. Im gemeinsamen Haushalt mit dem Beschwerdeführer und seinen Eltern leben eine im Jahre 1969 geborene, als Hilfsarbeiterin beschäftigte Schwester und ein im Jahre 1973 geborener, als Tischlereiarbeiter beschäftigter Bruder des Beschwerdeführers. Als Arbeitskräfte stehen die Eltern "nur bedingt" zur Verfügung, weil beim Vater des Beschwerdeführers eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % und bei der Mutter eine solche von 100 % besteht. Der Vater bezieht von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern monatlich eine Pension von S 10.299,90, die Mutter eine solche von S 4,081,40. Führerscheine besitzen nur der Beschwerdeführer und sein Vater. Der Beschwerdeführer hat in den Jahren 1984, 1985 und 1987 eine Landwirtschaftsschule besucht.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die beim Beschwerdeführer bestehenden wirtschaftlichen Interessen an der Führung des gepachteten Betriebes seien nicht besonders rücksichtswürdig, weil er mit dem Abschluß des Pachtvertrages gegen die jeden Wehrpflichtigen treffende Obliegenheit verstoßen habe, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten so einzurichten, daß für den Fall seiner Einberufung vorhersehbare Schwierigkeiten vermieden werden. Es lägen allerdings beim Beschwerdeführer besonders rücksichtswürdige familiäre Interessen vor, und zwar deshalb, weil den Eltern des Beschwerdeführers, deren Erwerbsfähigkeit beträchtlich vermindert sei, im Falle der Einberufung des Beschwerdeführers zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes derzeit keine ausreichende Unterstützung zur Verfügung stünde, sodaß eine weitere Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes nicht ausgeschlossen werden könne. Nach Ablauf des Befreiungszeitraumes stünden den Eltern die beiden Geschwister des Beschwerdeführers "teilweise bzw. abwechselnd zur Verfügung". Zur Unterstützung der Eltern sei nicht nur der Wehrpflichtige, sondern die gesamte Familie berufen. Nach Ablauf des Befreiungszeitraumes könne insbesondere vom Bruder des Beschwerdeführers auf Grund seines bis dahin erreichten Lebensalters eine angemessene Unterstützung der Eltern erwartet werden. Bis zum Ablauf des Befreiungszeitraumes könnten sich alle betroffenen Personen, soweit es ihr Gesundheitszustand zulasse, die nötige fachliche Qualifikation aneignen. Während der Leistung des Präsenzdienstes durch den Beschwerdeführer sei eine vorübergehende Einschränkung der Tierhaltung zumutbar, falls dies zur Vermeidung einer Überbeanspruchung der Eltern und der Geschwister des Beschwerdeführers erforderlich sein sollte. Der Beschwerdeführer werde zudem während seiner dienstfreien Zeit Gelegenheit haben, seine Eltern bei der Führung des Betriebes zu unterstützen, zumal das Militärkommando Oberösterreich beabsichtige, den Beschwerdeführer nach Möglichkeit in eine seinem Wohnort nahe gelegene Garnison einzuberufen. In dringenden Fällen, die seine Anwesenheit zu Hause unbedingt erforderlich erscheinen lassen, habe er außerdem Gelegenheit, bei seinem Einheitskommandanten um Dienstfreistellung gemäß § 53 Abs. 8 Wehrgesetz 1990 anzusuchen. Nach Ablauf des Befreiungszeitraumes sei daher die Ableistung des Präsenzdienstes durch den Beschwerdeführer möglich, ohne daß deshalb eine weitere Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes seiner Eltern zu erwarten sei. Eine nähere Erörterung der in der Berufung beschriebenen finanziellen Situation des Betriebes habe unterbleiben können, weil dies zu keiner anderen Entscheidung hätte führen können.

Richtig ist der Hinweis der belangten Behörde, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Wehrpflichtiger seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen hat, daß für den Fall seiner Einberufung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes vorhersehbare Schwierigkeiten vermieden werden, nicht aber, daß durch die Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit oder durch das Eingehen finanzieller Verpflichtungen solche Schwierigkeiten erst geschaffen werden (siehe das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1990, Zlen. 90/11/0104, 0151, mit weiteren Judikaturhinweisen). Den Wehrpflichtigen trifft also die Verpflichtung, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der Wehrpflicht zu harmonisieren. Verletzt er diese Harmonisierungspflicht, können die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Interessen nicht als besonders rücksichtswürdig angesehen werden.

Die Pachtung eines Betriebes ohne Notwendigkeit hiezu stellt sohin zwar grundsätzlich eine Verletzung der Harmonisierungspflicht dar. Von einer Verletzung der Harmonisierungspflicht in diesem Sinn kann allerdings dann nicht gesprochen werden, wenn der Beschwerdeführer ohne die Pachtung des Betriebes seiner Eltern wegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen im Sinne des § 36 Abs. 2 Z. 2 Wehrgesetz 1990 zu befreien gewesen wäre, weil der Beschwerdeführer in diesem Falle durch die Pachtung des Betriebes die für den Fall der Einberufung vorhersehbaren Schwierigkeiten keineswegs vergrößert oder gar erst geschaffen hätte, wären sie doch auch sonst ebenso unvermeidlich gewesen, auch wenn es sich dabei nicht - wie jetzt - um eigene wirtschaftliche Interessen des Beschwerdeführers gehandelt hätte. Dies gilt allerdings von vornherein dann nicht, wenn die (vorübergehende) Pachtung des Betriebes durch eine andere Person als den Beschwerdeführer in Frage gekommen wäre, weil dadurch den aus der Einberufung des Beschwerdeführers sich ergebenden Schwierigkeiten hinreichend hätte begegnet werden können (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/11/0120). Eine Pachtung durch eine andere Person hat die belangte Behörde ihren Überlegungen nicht zugrunde gelegt; auch aus dem Akteninhalt ergibt sich kein konkreter Hinweis darauf, daß dies möglich und zumutbar gewesen wäre.

Im Hinblick darauf, daß der Betrieb auf Grund der erfolgten Verpachtung vom Beschwerdeführer geführt wird, ist es sein Betrieb (und nicht mehr der seiner Eltern). Der Beschwerdeführer hat im Hinblick auf die von ihm behauptete Unabkömmlichkeit von diesem Betrieb (eigene) wirtschaftliche Interessen geltend gemacht. Er hat hingegen nicht vorgebracht, daß auch (nach der Pachtung) familiäre Interessen im Sinne des § 36 Abs. 2 Z. 2 Wehrgesetz 1990 gegeben wären. Von deren Vorliegen kann nur dann gesprochen werden, wenn ein Familienangehöriger in seinen eigenen Belangen der Unterstützung durch den Wehrpflichtigen bedarf, und sie sind nur dann als besonders rücksichtswürdig zu werten, wenn durch das Ausbleiben der Unterstützung des Angehörigen durch den Wehrpflichtigen eine Gefährdung der Gesundheit oder sonstiger lebenswichtiger Interessen des Angehörigen zu befürchten ist (siehe die hg. Erkenntnisse vom 9. Oktober 1990, Zl. 90/11/0083, und vom 19. Februar 1991, Zl. 90/11/0120). Nach der Aktenlage besteht auch kein Anhaltspunkt für das (weitere) Vorliegen solcher Interessen, zumal die Eltern des Beschwerdeführers Pensionsbezüge in der oben bezeichneten Höhe haben, sodaß unter diesem Gesichtspunkt keine Gefährdung ihrer Existenz im Falle der Präsenzdienstleistung durch den Beschwerdeführer angenommen werden kann. Wenn auch der Beschwerdeführer keine familiären Interessen geltend gemacht hat, war nach dem oben Gesagten im Zusammenhang mit der Beurteilung der geltend gemachten wirtschaftlichen Interessen auch die besondere Rücksichtswürdigkeit jener familiären Interessen des Beschwerdeführers zu prüfen, die im Falle des Unterbleibens des Pachtvertrages hätten geltend gemacht werden können. Die Ausführungen der belangten Behörde zu den familiären Interessen sind daher unter diesem Gesichtspunkt rechtlich von Belang.

Die belangte Behörde geht vom Vorliegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen bis 15. August 1991 aus und meint, in der Zeit danach könnten die Eltern des Beschwerdeführers unter Mithilfe seiner Geschwister den Betrieb aufrecht erhalten. Für eine derartige Schlußfolgerung mangelt es allerdings an entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen. Die belangte Behörde ist - auch für den Fall der von ihr gegebenenfalls für notwendig erachteten Einschränkung der Tierhaltung - nicht davon ausgegangen, daß die für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderliche Arbeit anstelle des Beschwerdeführers zur Gänze von einem seiner Geschwister allein bewältigt werden könnte, sondern hat die Auffassung vertreten, daß die Geschwister "als Arbeitskräfte zumindest teilweise bzw. abwechselnd zur Verfügung stehen". In welchem Ausmaß eine Mitarbeit der Geschwister möglich und zumutbar ist, ist dem angefochtenen Bescheid ebensowenig zu entnehmen wie das gesamte Ausmaß der regelmäßig anfallenden Arbeiten. Solange aber konkrete Sachverhaltsfeststellungen diesbezüglich nicht getroffen werden, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht in ausreichendem Maße nachvollziehbar, daß die Aufrechterhaltung des Betriebes in der von der belangten Behörde aufgezeigten Weise möglich wäre.

Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde ist dabei auch die finanzielle Situation des Betriebes in die Überlegungen miteinzubeziehen, weil die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf die Möglichkeit der Einschränkung der Tierhaltung verwiesen hat. Das mögliche Ausmaß dieser Einschränkung und damit die Beantwortung der Frage, ob die Aufrechterhaltung des Betriebes durch das Zusammenwirken der Eltern und der Geschwister des Beschwerdeführers möglich wäre, hängt auch davon ab, inwieweit eine Einschränkung der Tierhaltung für die Dauer der Ableistung des Grundwehrdienstes durch den Beschwerdeführer im Hinblick auf die behauptete, bereits vor der Verpachtung entstandene Kreditbelastung wirtschaftlich zumutbar ist.

Der Hinweis der belangten Behörde auf die mögliche Mitarbeit des Beschwerdeführers während der Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes nach Maßgabe der dienstfreien Zeit, insbesondere im Hinblick auf die beabsichtigte Einberufung in eine seinem Wohnort nahe gelegene Garnison, ist argumentativ von geringem Wert, weil sowohl hinsichtlich des Einberufungstermins als auch hinsichtlich des Ortes der Präsenzdienstleistung kein Rechtsanspruch des Wehrpflichtigen besteht. Dasselbe gilt für die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Möglichkeit der Dienstfreistellung gemäß § 53 Abs. 8 Wehrgesetz 1990 (vgl. auch dazu das bereits mehrfach zitierte hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1991).

Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war deshalb abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in dem Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist und an Stempelgebührenersatz für Beilagen nur S 60,-- (für die Vorlage einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden konnten.

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