VwGH 89/13/0260

VwGH89/13/026013.2.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des B gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. September 1989, GZ. 6/1 - 1050/87, betreffend Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1980 bis 1984, Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1981, 1982, 1983, 1984, sowie Einkommensteuervorauszahlung 1986, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §184 Abs3;
BAO §184 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.710,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Kürschner, betrieb von seiner Privatwohnung aus einen Einzel- und Großhandel mit Fellen und Pelzbekleidung. Seit Beginn seiner Tätigkeit im Jahre 1977 erklärte er, der kein Personal beschäftigte, ausschließlich Verluste aus Gewerbebetrieb.

Anläßlich einer 1986 hinsichtlich der Streitjahre durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Prüfer neben - eher geringfügigen - formellen Mängeln der Buchhaltung des Beschwerdeführers bei Überprüfung der Erlöse fest, daß die Rohaufschläge bei den wenigen Verkäufen an gewerbliche Weiterveräußerer (insgesamt neun Lieferungen in vier Jahren) wesentlich höher seien, als bei den Verkäufen an Private, meist namentlich nicht genannte Abnehmer. So seien z.B. Persianermäntel an gewerbliche Weiterveräußerer mit Rohaufschlägen von 66 Prozent, an Privatkunden hingegen mit Verlusten von je S 29,-- verkauft worden.

Im übrigen seien die durchschnittlichen Rohaufschläge in den in Rede stehenden Jahren erheblich niedriger als die branchenüblichen Aufschläge gewesen.

Bei der Bewertung der Warenvorräte sei der Einstandpreis einer Fellart gleichmäßig auf die Anzahl der entsprechenden Fellieferungen verteilt worden. Da jedoch innerhalb der Fellarten Wertunterschiede vorkämen, habe der Beschwerdeführer "die Felle selektiert" und die weniger wertvollen meist zur Kappenverarbeitung verwendet. Der Wert der selektierten Felle liege daher über dem pauschalen Anschaffungswert.

Im Hinblick darauf werde der Warenwert jährlich um S 20.000,-- erhöht angenommen.

Den um jeweils diesen Betrag verminderten Wareneinsätzen der Streitjahre wurden 100 prozentige Rohaufschläge zugerechnet. Diesen sich so ergebenden Beträgen stellte der Prüfer die erklärten Jahresumsätze gegenüber. Die Differenzbeträge wurden den erklärten Umsätzen und Gewinnen zugeschätzt. Außerdem wurden die Gewinne noch um die auf Grund der Aufwertung der Warenvorräte (jährlich S 20.000,--) pro Prüfungsjahr erhöht.

Gegen die auf der Basis der Feststellungen des Betriebsprüfers erlassenen Abgabenbescheide erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung. In dieser wird im wesentlichen darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer kein Gassenlokal besitze und daher "nicht die von der Betriebsprüfung als branchenüblich bezeichneten Aufschläge von 100 Prozent für Einzelhändler erzielen kann". Demnach könne ein äußerer Betriebsvergleich mangels eines entsprechenden Vergleichsbetriebes "den tatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise nahekommen".

Wie sich anhand der dem Prüfer vorgelegten Unterlagen ergebe, verkaufe der Beschwerdeführer nur in geringem Ausmaß an gewerbliche Weiterveräußerer. Für diese Lieferungen seien ordnungsgemäße Rechnungen mit allen notwendigen Daten ausgestellt worden. Für die Lieferungen im Einzelhandel an Letztverbraucher sei die Bestimmung des § 129 BAO jedoch nicht anzuwenden. Der "Belegerteilungspflicht gemäß § 132a BAO wurde durch Ausstellung einer Quittung mit Durchschlag Rechnung getragen". Die Angabe von Name und Adresse des Kunden sei hier nicht zwingend vorgeschrieben "und wird in der Regel auch nicht im Pelzeinzelhandel praktiziert".

Die Rohaufschläge bewegten sich bei ihm in den einzelnen Verkäufen zwischen 0 bis 155 Prozent, wobei sich jährliche Durchschnittssätze von rund 15 Prozent, 20 Prozent und 51 Prozent ergeben würden.

Was die Bewertung der Warenvorräte anlange, sei auszuführen, daß der Beschwerdeführer die Felle überwiegend persönlich bei einem renommierten Unternehmen, das ihm die Waren in Ballen liefere, kaufe. Ein solcher enthalte eine bestimmte, in der Faktura angegebene Anzahl von Fellen. Der in der Faktura ausgewiesene Einzelpreis sei Ausdruck der Qualitäts- und Größenklasse, der das betreffende Fell nach der bereits vom Lieferanten durchgeführten Selektion angehöre. Trotz dieser Klassifizierung durch den Lieferanten wiesen einzelne Felle eines Ballens Qualitätsunterschiede auf. Daher führe der Beschwerdeführer eine weitere Selektion durch. Für die Bewertung des Warenlagers setze er die in den Fakturen der Lieferanten ausgewiesenen Preise zuzüglich sämtlicher Nebenkosten an. Eine exakte Einzelbewertung jedes Felles eines Ballens sei praktisch undurchführbar "(Durchbrechung des Mindestwertprinzipes)". Infolge der einheitlichen Bewertung der bereits vom Lieferanten vorselektionierten Felle ergäben sich bei Verwertung der vom Beschwerdeführer nochmals selektionierten Felle "buchhalterische Aufschlagsunterschiede".

Die bei ihm auf Lager befindlichen Felle seien von bester Qualität und ließen eine "beträchtliche Gewinnrealisierung" erwarten. An einer solchen sei er bisher wegen schwerer Erkrankungen (1981 einen Magendurchbruch), die eine wochenlange Spitalsbehandlung notwendig gemacht hätten, gehindert worden.

In einer Stellungnahme zu diesem Rechtsmittel beharrte die Betriebsprüfung im wesentlichen auf dem von ihr schon bisher eingenommenen Standpunkt.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung änderte die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid die Bescheide betreffend Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1980 bis 1984, Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1981, 1. Jänner 1982, 1. Jänner 1983 und 1. Jänner 1984 sowie Einkommensteuervorauszahlung 1986 ab und führte begründend im wesentlichen aus:

Im Beschwerdefall erblicke die Betriebsprüfung formelle Mängel in den Aufzeichnungen des Beschwerdeführers darin, daß zwei Eintragungen im Wareneingangsbuch "offensichtlich nachträglich oder zumindest nicht an den dafür vorgesehenen Stellen erfolgt sind". Weiters seien Differenzen hinsichtlich des Materialverbrauches zwischen den Angaben auf vom Beschwerdeführer einerseits und von den die Waren in Fremdarbeit herstellenden Unternehmen andererseits ausgestellten Rechnungen zutage gekommen.

Diese "für sich alleine noch nicht so schwerwiegenden formellen Mängel" erhielten eine stärkere Bedeutung durch die "festgestellten sachlichen Ungereimtheiten in der Buchführung" des Beschwerdeführers, "die durch 10 Jahre ausschließlich zur Erklärung von Verlusten führte".

Vor allem entsprächen die erheblich niedrigeren Rohaufschläge bei Verkäufen an Privatkunden als bei Verkäufen an gewerbliche Weiterveräußerer weder den Erfahrungen des täglichen Lebens im allgemeinen noch denen des Wirtschaftslebens im besonderen.

Da der Beschwerdeführer nicht bereit gewesen sei, "an der Klärung dieser Frage mitzuwirken" und trotz Aufforderung keine überprüfbaren Daten hinsichtlich seiner Privatkunden bekanntgegeben habe, "erfolgte die Zuschätzung der Betriebsprüfung zu Recht". Dies um so mehr, als auch die Privateinlagen in dem vom Beschwerdeführer getätigten Umfang bzw. deren vom Beschwerdeführer behauptete ausschließliche Finanzierung mit zinsenlosen Privatdarlehen nicht als den Lebenserfahrungen glaubhaft anzusehen seien.

Von einer Aufwertung der Warenvorräte sei hingegen Abstand zu nehmen, weil die vom Beschwerdeführer "behauptete Anhäufung von qualitativ hochwertigen Fellen bzw. der Abverkauf von nur geringwertigen Stücken laut Stellungnahme der Betriebsprüfung zur Berufung nicht der Realität entspricht und unter diesem Aspekt die Berufungsausführungen betreffend die Bewertung der Wareneinkäufe" durch den Beschwerdeführer "als glaubhaft und plausibel anzusehen sind".

Die durchschnittlichen Jahresrohaufschläge des Beschwerdeführers seien nach Ansicht der belangten Behörde zu Recht von der Betriebsprüfung mit 100 Prozent geschätzt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen. Zu schätzen ist gemäß § 184 Abs. 3 leg. cit. ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.

Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung (vgl. Stoll, BAO, Wien 1980, Seite 420 f und die dort zitierte hg. Judikatur) führen formelle Fehler der Bücher und Aufzeichnungen, die begründetermaßen zu Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der Bücher und Aufzeichnungen Anlaß geben, prinzipiell zur Schätzungsberechtigung. Eines Nachweises, daß die Bücher und Aufzeichnungen mit den Wirtschaftsabläufen tatsächlich nicht übereinstimmen, bedarf es unter diesen Voraussetzungen nicht. Dem Abgabepflichtigen steht allerdings die Möglichkeit offen, die sachliche Richtigkeit seiner formell mangelhaften oder unrichtigen Aufzeichnungen zu beweisen und damit der sonst bestehenden Schätzungsbefugnis entgegenzuwirken.

Da formell ordnungsgemäße Bücher die Vermutung der sachlichen Ordnungsmäßigkeit für sich haben, ist bei formeller Ordnungsmäßigkeit der Bücher eine Schätzung nur dann gerechtfertigt, wenn die Behörde NACHWEISE ERBRINGT, welche die Ordnungsmäßigkeit in materieller Hinsicht EINDEUTIG ausschließen, wenn sich also zweifelsfrei ergibt, daß das ausgewiesene Ergebnis den Tatsachen nicht entsprechen kann. Bei formell ordnungsmäßigen Büchern und Aufzeichnungen wäre eine Schätzung mit Hilfe einer Nachkalkulation nur dann gerechtfertigt, wenn der Unterschied zwischen dem erklärten und dem kalkulatorischen Ergebnis erheblich ist. Hiezu muß allerdings noch kommen, daß sich die Abweichungen vom erklärten Ergebnis nicht durch besondere, vom Regelfall abweichende Umstände und Verhältnisse des Betriebes bzw. des Abgabepflichtigen sinnvoll und einsichtig erklären lassen.

Im Beschwerdefall bestreitet die belangte Behörde die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht, wonach die Finanzverwaltung hinsichtlich der beiden ersten Jahre des Streitzeitraumes (1980 und 1981) keine formellen Mängel in den Büchern und Aufzeichnungen des Beschwerdeführers feststellte. Aber auch hinsichtlich der in Rede stehenden restlichen drei Jahre vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid selbst die Auffassung, daß die formellen Mängel der Bücher und Aufzeichnungen des Beschwerdeführers "für sich allein nicht so schwerwiegend" seien und sie spricht auch noch in der Gegenschrift ausdrücklich von "verhältnismäßig geringfügigen Formmängeln in den Aufzeichnungen des Beschwerdeführers".

Offenbar im Hinblick auf diese unbestrittene Tatsache verweist die belangte Behörde, die anscheinend selbst der Auffassung ist, daß die festgestellten formellen Mängel nicht ausreichen, um begründeten Anlaß zu Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der Bücher und Aufzeichnungen des Beschwerdeführers zu geben, immer wieder darauf, daß die wahre Begründung für die von der Finanzverwaltung durchgeführte Schätzung im Vorliegen materieller Mängel zu erblicken sei.

Im angefochtenen Bescheid wird, nach Anführung verschiedener Gesetzesbestimmungen und umfangreicher Zitate aus Lehre und Rechtsprechung, - allerdings in eher kursorischer Weise - dargelegt, daß sich diese Mängel "vor allem" in den erheblich niedrigeren Rohaufschlägen bei Verkäufen an Privatkunden als bei Verkäufen an gewerbliche Weiterveräußerer manifestierten. Ohne weitere Begründung wird auch festgestellt, daß nach Ansicht der belangten Behörde von der Betriebsprüfung zu Recht von einem durchschnittlichen Jahresrohaufschlag von 100 Prozent ausgegangen worden sei. Schließlich wird in einem Satz noch ohne nähere Auseinandersetzung mit dem betreffenden Faktum die Behauptung aufgestellt, daß "auch die Privateinlagen in dem vom Beschwerdeführer getätigten Umfang bzw. deren vom Beschwerdeführer behauptete ausschließliche Finanzierung mit zinsenlosen Privatdarlehen nicht als den Lebenserfahrungen entsprechend und glaubhaft anzusehen sind".

Mit diesen, im wesentlichen ganz allgemein gehaltenen Ausführungen, die auch auf die in der Berufung vorgebrachten Hinweise des Beschwerdeführers auf Besonderheiten seines Betriebes und seiner Person wie z.B. Fehlen eines Gassenlokales, Auswirkung von Einzel- und Großhandel, monatelange schwere Erkrankung des Beschwerdeführers etc. mit keinem Wort eingehen, vermochte die belangte Behörde, nach deren eigenen Auffassung, wie bereits oben dargelegt, die geringfügigen formellen Mängel der Buchhaltung des Beschwerdeführers allein zur Begründung einer Schätzung nicht ausreichen, nicht Nachweise zu erbringen, welche die Ordnungsmäßigkeit der Bücher und Aufzeichnungen des Beschwerdeführers in materieller Hinsicht EINDEUTIG ausschließen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Beschwerdeführer seine Privatkunden, hinsichtlich derer ja - wie er richtig ausführt - eine namentliche Erfassung nicht vorgesehen ist, nicht nannte.

Im Hinblick auf diese Sachlage aber erscheint die Berechtigung zur Vornahme der in Rede stehenden Schätzung nicht gegeben.

Was schließlich noch die Durchführung der Schätzung anlangt, so ist dem Beschwerdeführer beizustimmen, wenn er sinngemäß rügt, daß der angewandte durchschnittliche Jahresrohaufschlag von 100 Prozent im angefochtenen Bescheid weder begründet noch auch nur entsprechend erläutert wird und sich die belangte Behörde auch mit den von ihm in der Berufung ermittelten durchschnittlichen Jahresrohaufschlägen nicht auseinandersetzte.

Da sich demnach schon aus den angeführten Überlegungen der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte