VwGH 89/08/0337

VwGH89/08/033716.4.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11. Oktober 1989, Zl. MA 14-H 56/89, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 (mitbeteiligte Partei: HG), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §410 Abs1 Z4;
ASVG §67 Abs10;
ASVG §68 Abs1;
VwRallg;
ASVG §410 Abs1 Z4;
ASVG §67 Abs10;
ASVG §68 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 21. Juli 1989 sprach die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse aus, daß der Mitbeteiligte als erbserklärter Erbe, dem die Verlassenschaft nach HH, Inhaber der protokollierten Firma J-Erben, zur Besorgung und Verwaltung gemäß § 810 ABGB übertragen wurde, gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG verpflichtet sei, der beschwerdeführenden Kasse die auf dem Beitragskonto des Beitragsschuldners, protokollierte Firma J-Erben, Inhaber HH, Bäckerei und Konditorei rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 18. Juli 1989) im Betrag von S 190.989,68 zuzüglich Verzugszinsen seit 19. Juli 1989 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, berechnet von S 138.623,13,--, binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.

Nach der Begründung seien die im angeschlossenen Rückstandsausweis vom 18. Juli 1989 ausgewiesenen Beiträge samt Nebengebühren bisher trotz Fälligkeit und Mahnung nicht entrichtet worden. Der Mitbeteiligte sei als erbserklärter Erbe, dem die Verlassenschaft nach HH, Inhaber der protokollierten Firma J-Erben, zur Besorgung und Verwaltung gemäß § 810 ABGB übertragen worden sei, zur Vertretung des Beitragsschuldners berufen. Zu den Pflichten des erbserklärten Erben gehöre es, dafür zu sorgen, daß die Beiträge bei Fälligkeit entrichtet würden. Da dies schuldhaft unterblieben sei, habe die Haftung für die Beiträge samt Nebengebühren gemäß § 410 Abs. 1 Z. 4 ASVG ausgesprochen werden müssen.

Gegen diesen Bescheid hat der Mitbeteiligte Einspruch erhoben.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch des Mitbeteiligten gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 stattgegeben und ausgesprochen, daß dieser gemäß § 67 Abs. 10 ASVG nicht verpflichtet sei, die ihm von der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse mit Bescheid vom 21. Juli 1989 vorgeschriebenen Beiträge zuzüglich Verzugszinsen zu bezahlen.

Nach der Begründung habe der Mitbeteiligte im Einspruch im wesentlichen vorgebracht, daß ihm der vorgeschriebene Betrag bereits mit Bescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse vom 19. Mai 1987 - allerdings gestützt auf § 67 Abs. 3 ASVG - vorgeschrieben worden sei. Dieses Verfahren sei derzeit beim Verwaltungsgerichtshof (unter der Zl. 88/08/0018) anhängig.

Nach Wiedergabe des § 67 Abs. 10 ASVG verwies die belangte Behörde in ihrer Begründung zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0252, in dem dieser ausgesprochen habe, daß die Verjährungsregeln des § 68 ASVG auf den Beitragsmithaftenden nur sinngemäß angewendet werden könnten. Die belangte Behörde verwies ferner auf das Erkenntnis vom 22. September 1988, Zl. 87/08/0262, wonach die Rechtswirksamkeit einer Haftung gemäß § 67 ASVG einen bescheidmäßigen Ausspruch gegenüber dem Haftpflichtigen voraussetze. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes könne dem Beitragsmithaftenden gegenüber die Verjährung nicht durch jede zum Zweck der Hereinbringung getroffene Maßnahme, sondern nur durch die Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß § 67 ASVG unterbrochen werden. Auf dem Boden dieser Rechtsprechung vertrat die belangte Behörde nunmehr die Auffassung, daß die dem Mitbeteiligten von der beschwerdeführenden Kasse vorgeschriebenen Beiträge verjährt seien: Der Bescheid der Kasse vom 21. Juli 1989 sei dem Mitbeteiligten am 24. Juli 1989 zugestellt worden. Die dem Mitbeteiligten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG vorgeschriebenen Beiträge seien aber länger als 2 Jahre vor Zustellung des Bescheides der Kasse fällig geworden (die Vorschreibung 12/85 mit Ablauf des 22. Jänner 1986, die Vorschreibung 1/86 und 1. Nachtrag 1/86 mit Ablauf des 19. Februars 1986, die Vorschreibung 2/86 und der

1. Nachtrag 2/86 mit Ablauf des 19. März 1986, die Vorschreibung 3/86 sowie der 1. Nachtrag 3/86 mit Ablauf des 21. April 1986, die Vorschreibung 4/86 mit Ablauf des 21. Mai 1986 und die Vorschreibung 5/86 mit Ablauf des 20. Juni 1986).

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

1.4. Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nahm, hat die Verwaltungsakten vorgelegt.

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. 1986/111, lautet:

"(10) Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge aus Verschulden des Vertreters nicht bei Fälligkeit entrichtet werden."

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 9. März 1989, G 163/88 und Folgezahlen, die Worte "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" in dieser Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 28. Februar 1990 in Kraft tritt. Da der dem Beschwerdefall zugrundeliegende Tatbestand jedoch vor der Aufhebung verwirklicht worden ist und es sich um keinen Anlaßfall handelt, ist die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetzesstelle im Beschwerdefall gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG weiterhin anzuwenden.

2.2. Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vertritt die Beschwerdeführerin im wesentlichen die Auffassung, daß die der mitbeteiligten Partei gemäß § 67 Abs. 10 ASVG vorgeschriebenen Beiträge noch nicht verjährt seien. Sie habe dem Mitbeteiligten denselben Haftungsbetrag nämlich bereits mit Bescheid vom 19. Mai 1987, allerdings gestützt auf die Bestimmung des § 67 Abs. 3 ASVG, zur Zahlung vorgeschrieben. Auf die rechtliche Richtigkeit eines solchen Feststellungsbescheides für die Wertung als Unterbrechungsmaßnahme im Sinne der Verjährungsbestimmungen des § 68 ASVG komme es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 26. September 1980, Zl. 3343/79) nicht an. Der Verwaltungsgerichtshof habe in diesem Erkenntnis die Auffassung vertreten, daß im Bereich der Beitragsmithaftung als verjährungsunterbrechende Maßnahme jedenfalls die Erlassung des Haftungsbescheides nach § 410 Abs. 1 Z. 4 ASVG zu werten sei. Für die Unterbrechung der Verjährung komme es - nach Auffassung des Gerichtshofes - lediglich darauf an, daß vom Versicherungsträger eine Maßnahme "zum Zwecke der Feststellung" getroffen und dem Zahlungspflichtigen (im gegenständlichen Zusammenhang dem Beitragshaftenden) zur Kenntnis gebracht werde. Auf die inhaltliche Richtigkeit der "Feststellungsmaßnahme" selbst komme es bei ihrer Wertung als Unterbrechungsfall nicht an. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung schade es nach Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, daß sie ihren Bescheid vom 19. Mai 1987 auf § 67 Abs. 3 ASVG und nicht auf die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG gestützt habe. Da der älteste Beitragsrückstand 12/85 erst im Jänner 1986 vorgeschrieben worden sei, eine "Feststellung von Beitragsschulden" im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG, also frühestens mit diesem Zeitpunkt erfolgt sei (wobei es außer Betracht bleiben könne, ob eine Vorschreibung überhaupt als eine Feststellung von Beitragsschulden zu werten sei und nicht nur als eine zur Feststellung der Zahlungsverpflichtung dienende Maßnahme im Sinne des § 68 Abs. 1 ASVG), sei jedenfalls die Verjährung durch den Bescheid vom 19. Mai 1987 unterbrochen worden. Die Unterbrechung habe bis zur Aufhebung dieses Bescheides durch die belangte Behörde gedauert, das heiße bis zur Zustellung ihres Bescheides vom 1. Dezember 1987 am 22. Dezember 1987. Damit habe wieder die zweijährige Verjährungsfrist des § 68 Abs. 2 ASVG zu laufen begonnen. Die Verjährungsfrist könne daher frühestens am 22. Dezember 1989 abgelaufen sein. Der gegenständliche Haftungsbescheid der beschwerdeführenden Kasse vom 21. Juli 1989 sei jedoch bereits mit seiner Zustellung am 24. Juli 1989 erlassen worden.

2.3. Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist im wesentlichen nur die Frage strittig, ob die dem Mitbeteiligten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG vorgeschriebenen Beiträge bereits verjährt sind.

2.3.1. Die zur Beurteilung dieser Frage relevanten Bestimmungen des § 68 Abs. 1 ASVG lauten:

"Das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen verjährt binnen 2 Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge... Die Verjährung des Feststellungsrechtes wird durch jede zum Zwecke der Feststellung getroffene Maßnahme in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Zahlungspflichtige hievon in Kenntnis gesetzt wird."

2.3.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. Erkenntnisse vom 30. Jänner 1986, Zl. 85/08/0116, und vom 25. September 1990, Zl. 90/08/0060) ist unter einer (zur Unterbrechung der Verjährung des Feststellungsrechtes geeigneten) Maßnahme jede nach außen hin in Erscheinung tretende und dem Beitragsschuldner zur Kenntnis gebrachte Tätigkeit des zuständigen Versicherungsträgers zu verstehen, die der rechtswirksamen Feststellung der Beitragsschuld dient.

Im Bereich der Beitragsmithaftung ist als eine solche Maßnahme jedenfalls die Erlassung eines Haftungsbescheides nach § 410 Abs. 1 Z. 4 ASVG zu werten. Auf die inhaltliche Richtigkeit der "Feststellungsmaßnahme" selbst kommt es bei ihrer Wertung als Unterbrechungsfall nicht an (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 1980, Zl. 3343/79).

2.4. Im Beschwerdefall betrifft der älteste Beitragsrückstand 12/85 Beiträge, die im Jänner 1986 fällig geworden sind. Durch den auf § 67 Abs. 3 ASVG gestützten Haftungsbescheid der beschwerdeführenden Kasse vom 19. Mai 1987 erfolgte daher noch innerhalb der zweijährigen Verjährungsfrist eine wirksame Unterbrechungsmaßnahme. Daß dieser Bescheid auf § 67 Abs. 3 ASVG gegründet ist - worauf der Mitbeteiligte in seiner Gegenschrift verweist -, schadet im Sinne der unter Punkt 2.3.2. wiedergegebenen Rechtsprechung nicht, wurde doch der Mitbeteiligte bereits mit diesem Bescheid davon in Kenntnis gesetzt, daß während der Zeit seiner Betriebsführung als erbserklärter Erbe, dem die Verlassenschaft nach HH zur Besorgung und Verwaltung gemäß § 810 ABGB übertragen worden ist, bestimmte Beiträge aufgelaufen sind. Genau diese Beiträge wurden ihm aber auch (nach dem der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 1. Dezember 1987 den auf § 67 Abs. 3 ASVG gegründeten Bescheid der Kasse nicht bestätigt hat) mit dem nunmehr auf § 67 ABS. 10 ASVG gestützten Bescheid der Kasse vom 21. Juli 1989 vorgeschrieben.

Die durch den auf § 67 Abs. 3 ASVG gestützten Haftungsbescheid vom 19. Mai 1987 bewirkte Unterbrechung der Verjährung dauert dabei im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/08/0060, mit weiteren Judikaturhinweisen) auch während des weiteren Ganges des - noch nicht erledigten - verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur Zl. 88/08/0018.

Der auf § 67 Abs. 10 ASVG gestützte Haftungsbescheid der beschwerdeführenden Kasse vom 21. Juli 1989 sprach daher über noch nicht verjährte Beiträge ab.

2.5. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

2.6. Aus Gründen der Verfahrensökonomie verweist der Gerichtshof darauf, daß im fortgesetzten Verfahren § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. 1986/111, weiterhin anzuwenden sein wird (vgl. dazu die Ausführungen im Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0177).

2.7. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze, BGBl. 1991/104, die mit ihrem Art. III Abs. 2 anzuwenden war.

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