VwGH 90/19/0323

VwGH90/19/032322.10.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Großmann und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Mai 1990, Zl. MA 63-L 21/89/Str., betreffend Behebung eines Straferkenntnisses gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
VStG §24;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4 idF 1983/176;
VStG §9 Abs4;
AVG §66 Abs2;
VStG §24;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4 idF 1983/176;
VStG §9 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.680,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Unter dem Datum 21. April 1989 erließ der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 16. Bezirk, gegenüber dem nunmehrigen Beschwerdeführer ein Straferkenntnis, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Sie haben als das gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1950 zur Vertretung nach außen berufene Organ der K. Gesellschaft m.b.H. als Arbeitgeberin zu verantworten, daß in der weiteren Betriebsstätte der Arbeitgeberin in W., I.-Straße (Supermarkt) am 29.2.1988 anläßlich der Durchführung von Inventurarbeiten die tägliche Arbeitszeit bei nachstehenden Arbeitnehmern mehr als zehn Stunden betragen hat:

  1. 1) B.G.:

    7.00-12.30 Uhr, 13.00-20.15 Uhr = 12 Stunden 45 Minuten;

  1. 2) L.E.:

    7.00-11.00 Uhr, 13.00-20.15 Uhr = 11 Stunden 15 Minuten;

  1. 3) H.F.:

    7.30-12.00 Uhr, 14.00-20.15 Uhr = 10 Stunden 45 Minuten;

  1. 4) W.B.:

    7.30-13.00 Uhr, 15.00-20.15 Uhr = 10 Stunden 45 Minuten.

    Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

    zu 1) bis 4):

    jeweils § 9 Arbeitszeitgesetz - AZG, BGBl. Nr. 461/1969, in der geltenden Fassung.

    Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von falls diese uneinbringlich jeweils gemäß § 28 zu 1)S 1.000,-- ist, Ersatzfreiheitsstrafe Abs. 1 AZG. zu 2)S 1.000,-- von zu 1) bis 4) jeweils

zu 3)S 1.000,-- 1 Tag, zus. insges. 4 Tagen

zu 4)S 1.000,--

zus. S 4.000,--

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG)

zu zahlen:

Zu 1) bis 4) jeweils S 100,--, d.s. zusammen S 400,--, als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher S 4.400,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 67 VStG)".

2. Aufgrund der dagegen vom Beschwerdeführer eingebrachten Berufung behob der Landeshauptmann von Wien (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 4. Mai 1990 das Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz.

Begründend führte die belangte Behörde dazu u.a. - nur insoweit ist die Bescheidbegründung für die Erledigung der Beschwerde von Belang - aus, es sei die Behauptung des Beschwerdeführers unrichtig, daß dem Filialleiter G.B. die Stellung eines verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften in der Filiale in W., I.-Straße, zukomme. Um von einem verantwortlichen Beauftragten überhaupt sprechen zu können, müsse diesem für den seiner Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen sein. Diese Anordnungsbefugnis müsse in einem bei der Behörde eingelangten Zustimmungsnachweis des verantwortlichen Beauftragten zu seiner Bestellung enthalten sein und aus der Zeit vor der Begehung der Übertretung stammen. Aus dem im Laufe des Berufungsverfahrens vorgelegten Merkblatt für die Filialführung, welches vom Filialleiter B. am 21. Dezember 1987 unterfertigt sei, gehe nicht hervor, daß diesem hinsichtlich der Einhaltung der Verwaltungsvorschriften eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen sei. Dem Filialleiter G.B. komme daher die Stellung eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 und 4 VStG 1950 nicht zu. Somit sei der Beschwerdeführer für die angelastete Verwaltungsübertretung grundsätzlich verantwortlich.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde, wobei sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf verletzt erachtet, daß das Verfahren gegen ihn "prompt einzustellen sei, sodaß ihm ein weiteres Verfahren und weitere Kosten eines solchen Verfahrens zu ersparen sind".

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Nach dem gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 66 Abs. 2 AVG 1950 kann die Berufungsbehörde dann, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen.

1.2. Ein auf diese Gesetzesstelle gegründeter letztinstanzlicher Bescheid - ein solcher liegt im Beschwerdefall vor - ist ein verfahrensrechtlicher Bescheid, der durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann. Eine Verletzung von Rechten des Berufungswerbers durch einen solchen aufhebenden Bescheid kann darin gelegen sein, daß die Berufungsbehörde von dieser Regelung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung erlassen hat, aber auch darin, daß die Berufungsbehörde von einer für den Berufungswerber nachteiligen, jedoch für das weitere Verfahren bindenden unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 1985, Zl. 84/07/0252).

2.1. Die Beschwerde hält die von der belangten Behörde in bezug auf die rechtswirksame Bestellung einer Person zum verantwortlichen Beauftragten vertretene Ansicht, es müsse auch nachgewiesen werden, daß dem verantwortlichen Beauftragten eine entsprechende Anordnungsbefugnis erteilt worden sei, für rechtsirrig und weder durch § 9 Abs. 4 VStG 1950 noch durch die einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gedeckt. Aber selbst wenn man der Meinung der belangten Behörde folgte und davon ausginge, daß auch die taugliche Anordnungsbefugnis im Verwaltungsstrafverfahren durch Übertragung und Übernahme vor dem Zeitpunkt der Straftat nachgewiesen werden müsse, so entspringe die Ansicht der belangten Behörde, ein solcher Nachweis liege hier nicht vor, ebenfalls unrichtiger rechtlicher Beurteilung in Ansehung des der belangten Behörde im Berufungsverfahren vorgelegten, die Anordnungsbefugnis des Filialleiters ausweisenden "Merkblattes für die Filialführung".

2.2.1. Nach § 9 Abs. 1 VStG 1950 ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften unter anderem durch juristische Personen, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Nach § 9 Abs. 2 leg. cit. sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt; für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden. Nach § 9 Abs. 4 leg. cit. kann verantwortlicher Beauftragter nur eine Person mit Wohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist.

2.2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wirkt die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Behörde die Zustimmung der zum verantwortlichen Beauftragten bestellten Person nachgewiesen wird, und tritt erst mit dem Einlangen des Zustimmungsnachweises bei der Behörde ihr gegenüber der namhaft gemachte verantwortliche Beauftragte in rechtwirksamer Weise als Adressat der Verwaltungsstrafnorm an die Stelle des zur Vertretung nach außen Berufenen. Es muß bei der Behörde spätestens während des Verwaltungsstrafverfahrens ein - aus der Zeit vor der Begehung der gegenständlichen Übertretung stammender - Zustimmungsnachweis eines derartigen verantwortlichen Beauftragten eingelangt sein. Von einem aus der Zeit vor der Begehung der Verwaltungsübertretung stammenden Zustimmungsnachweis kann nur dann gesprochen werden, wenn ein die Zustimmung zur Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten betreffendes Beweisergebnis schon vor der Begehung der Tat vorhanden war (etwa in Form einer entsprechenden Urkunde, aber auch einer Zeugenaussage etc.).

2.2.3. Im Beschwerdefall wird von der belangten Behörde das Vorliegen der eben genannten, für eine wirksame Bestellung des Filialleiters G.B. zum verantwortlichen Beauftragten zu erfüllenden Kriterien nicht in Zweifel gezogen. Indes wird von ihr die Stellung des Genannten als eines verantwortlichen Beauftragten im Hinblick darauf verneint, daß die seiner Verantwortung entsprechende Anordnungsbefugnis der Behörde nicht nachgewiesen worden sei. Das vom Beschwerdeführer vorgelegte, von G.B. unterfertigte Merkblatt für die Filialführung stelle einen solchen Nachweis nicht dar.

Mit der belangten Behörde (und entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers) hält es der Verwaltungsgerichtshof für geboten, daß die Zuweisung der (der Verantwortung) "entsprechenden Anordnungsbefugnis" (§ 9 Abs. 4 VStG 1950) - gleich der Zustimmung zur Bestellung - der Behörde nachzuweisen ist. Andernfalls liefe die Anordnung des § 9 Abs. 4 leg. cit. insoweit leer, als die Behörde keine Möglichkeit hätte zu überprüfen, ob die von einer bestimmten Person (für einen klar abzugrenzenden Bereich) übernommene Verantwortung nicht bloß eine leere Hülse ist, sondern tatsächlich in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann, wozu es eben der "entsprechenden Anordnungsbefugnis" bedarf. Nicht zwingend, wenn auch zweckmäßig, ist es allerdings, daß der besagte Nachweis über die Anordnungsbefugnis der Behörde zugleich mit dem die Bestellung betreffenden Zustimmungsnachweis erbracht werden muß. Hingegen ist der belangten Behörde zuzustimmen, daß jener so wie dieser aus der Zeit vor der Begehung der Tat zu stammen hat.

Wenn die belangte Behörde freilich die Auffassung vertritt, der ihr vorgelegte Zustimmungsnachweis enthalte nicht (auch) einen Nachweis über die dem Filialleiter als verantwortlichem Beauftragten zugewiesene "entsprechende Anordnungsbefugnis" hinsichtlich der Einhaltung der Verwaltungsvorschriften, so kann ihr nicht beigepflichtet werden. Das vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 8. Jänner 1990 vorgelegte "Merkblatt für die Filialführung" - dieses ist unter dem Wort "Einverstanden" mit 21. Dezember 1987 vom Filialleiter G.B. unterfertigt - enthält nach dem einleitenden Passus "Wir haben Ihnen die Leitung der Filiale übertragen und fassen im Folgenden Ihre Verantwortlichkeit zusammen" in Punkt 4) "Beachtung der gesetzlichen Vorschriften" unter lit. h) den Aufgabenbereich "im übrigen die Einhaltung aller die Filiale betreffenden Verwaltungsvorschriften". Für den Verwaltungsgerichtshof ist nicht zweifelhaft, daß diese Wendung auch die Einhaltung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften umfaßt. Die vorzitierten Passagen in ihrem Zusammenhalt bringen nach Ansicht des Gerichtshofes aber auch hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß die Leitung der Filiale und die damit verbundene Verantwortlichkeit ihre Entsprechung u.a. in der sich auf die Einhaltung aller die Filiale betreffenden Verwaltungsvorschriften (also auch des Arbeitszeitgesetzes) beziehenden Anordnungsbefugnis der zum Leiter bestellten Person findet. Der belangten Behörde ist somit nicht nur der Nachweis über die Zustimmung des G.B. zu seiner Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten, sondern auch der Nachweis über die ihm zukommende, seiner Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften für den Bereich der Filiale "entsprechende Anordnungsbefugnis" erbracht worden. Beide Nachweise stammen aus der Zeit vor der Begehung der dem Beschwerdeführer im Straferkenntnis angelasteten Taten.

3. Da nach dem Gesagten die belangte Behörde verkannt hat, daß im Beschwerdefall die rechtswirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten i.S. des § 9 Abs. 2 und 4 VStG 1950 vorliegt, mit der Folge, daß dieser ab 9. Jänner 1990 - dem Tag des Einlangens des besagten Merkblattes für die Filialführung bei der belangten Behörde - in rechtswirksamer Weise als Adressat der Verwaltungsstrafnorm an die Stelle des zur Vertretung nach außen Berufenen (= des Beschwerdeführers) getreten ist, hat sie auch verkannt, daß für die Gebrauchnahme von § 66 Abs. 2 AVG 1950 kein Raum mehr ist.

4. Dadurch, daß die belangte Behörde trotz Nichtvorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 getroffen hat und darüber hinaus dieser Entscheidung als tragende Begründung eine dem Beschwerdeführer nachteilige und für das weitere Verfahren bindende unrichtige Rechtsansicht zugrunde liegt, ist der Beschwerdeführer in seinen aus § 66 Abs. 2 AVG 1950 erfließenden subjektiven Rechten verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war demnach im Grunde des § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung an Stempelgebühren lediglich S 570,-- (Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 90,-- Vollmachtgebühr S 120,--) zu entrichten waren.

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