VwGH 90/19/0243

VwGH90/19/024314.5.1990

K gegen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. Oktober 1989, Zl. SD 132/89, betreffend Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes

Normen

AVG §13a;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
EMRK Art8 Abs2;
AVG §13a;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Den Beschwerdeausführungen in Verbindung mit dem angefochtenen Bescheid und dem vom Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof mit der abgetretenen Beschwerde übermittelten Verwaltungsakt läßt sich folgender Sachverhalt entnehmen:

1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. April 1984 war gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer - einen italienischen Staatsangehörigen - gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b in Verbindung mit § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet erlassen worden. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß der Beschwerdeführer im Jahr 1983 von einem österreichischen Strafgericht wegen des Verbrechens gemäß § 75 StGB und des Vergehens gemäß § 36 Abs. 1 lit. b Waffengesetz 1967 zu achtzehn Jahren Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden wäre. Wegen der Schwere der dieser gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten und damit wegen des besonderen öffentlichen Interesses, den Beschwerdeführer künftig vom Aufenthalt im Bundesgebiet auszuschließen, wäre die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer gerechtfertigt gewesen.

1.2. Die gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war von diesem mit Erkenntnis vom 13. Juni 1984, Zlen. 84/01/0136, 0137, als unbegründet abgewiesen worden.

2.1. Mit Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. Februar 1987 war dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 4. Oktober 1983 abgeschlossenen Strafverfahrens stattgegeben worden.

2.2. Aufgrund eines daraufhin vom Beschwerdeführer eingebrachten diesbezüglichen Antrages war das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. März 1988 gemäß § 8 des Fremdenpolizeigesetzes aufgehoben worden.

3. In dem wiederaufgenommenen Verfahren wurde der Beschwerdeführer neuerlich wegen § 75 StGB (Mord) zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Jahren rechtskräftig verurteilt (Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. Jänner 1989).

4. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 31. Oktober 1989 wurde gegen den Beschwerdeführer - unter Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 in der Fassung BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) - neuerlich ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet erlassen.

Das Aufenthaltsverbot gründe sich auf eine Verurteilung wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Jahren. Es bedürfe keiner weiteren Erörterung, daß damit der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG und angesichts einer Freiheitsstrafe von solcher Dauer die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 leg. cit. gegeben seien. Es könne aber auch kein Zweifel bestehen, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer im Hinblick darauf, daß er vor der Tat (1981) schon lange Zeit in Österreich gelebt habe und auch seine nächsten Familienangehörigen (Eltern und Geschwister) in Österreich lebten, einen schweren Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers darstelle. Angesichts der Art der begangenen Tat sei aber die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zum Schutz der Gesundheit sowie der Rechte und der Freiheit anderer dringend geboten und damit der Eingriff auch zulässig. Da der Beschwerdeführer keine eigene Familie (Ehegattin, Kinder) habe und eine Ausübung des Berufes eines Malers und Graphikers - der Beschwerdeführer sei Künstler - auch außerhalb Österreichs offenbar keine schwerwiegende Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens bilde, würden die öffentlichen Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.

Bemerkt werde noch, daß die Notwendigkeit eines Aufenthaltsverbotes weder durch eine bedingte Verurteilung noch durch eine bedingte Entlassung und umso weniger durch die bloße Möglichkeit einer künftigen bedingten Entlassung beseitigt werde. Die für den Beschwerdeführer bestehende Unmöglichkeit, das Bundesgebiet innerhalb der im Gesetz vorgesehenen einwöchigen Ausreisefrist zu verlassen, bzw. die Unmöglichkeit, das Aufenthaltsverbot während der Dauer der Strafhaft zu vollstrecken, habe nicht die Unzulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Folge. Der Vollständigkeit halber sei noch anzumerken, daß das seinerzeit schon bestandene Aufenthaltsverbot nur deshalb aufgehoben worden sei, weil das Gerichtsurteil durch den Beschluß über die Wiederaufnahme des Verfahrens außer Kraft gesetzt worden sei.

Da ein Wegfall der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebenden Gründe nicht absehbar sei, habe die Erstinstanz das Aufenthaltsverbot zu Recht unbefristet ausgesprochen.

5. Die Behandlung der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem mit Beschluß vom 26. Februar 1990,

B 1572/89, abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

6. Vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft der Beschwerdeführer diesen Bescheid mit der Behauptung inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Behauptung der Verletzung von Verfahrensvorschriften und begehrt aus diesen Gründen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist.

Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. ist, wenn durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen: 1) Die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen; 2) die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen; 3) die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2. Die belangte Behörde hat die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens des Mordes (§ 75 StGB) zu einer Freiheitsstrafe, die den im § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG genannten Zeitraum um ein Vielfaches übersteigt, als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" gewertet. Dies - unter Zugrundelegung des eindeutigen Gesetzeswortlautes - zu Recht. Damit ist davon auszugehen, daß die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (§ 3 Abs. 1 FrPolG). Wenngleich es zutrifft, daß nicht jedem durch eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG begründetem öffentlichen Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes das gleiche Gewicht zukommt, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie im vorliegenden Fall unter Hinweis auf die Art der begangenen Tat und die Dauer der über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe die Ansicht vertreten hat, es bedürfe keiner weiteren Erörterung, daß damit die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot erfüllt seien. Abgesehen davon, daß jeder Bruch der Rechtsordnung eine den öffentlichen Interessen widerstreitende Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, handelt es sich vorliegend im Hinblick auf die Schwere des Deliktes gemäß § 75 StGB und der darin zum Ausdruck kommenden bewußten Geringschätzung menschlichen Lebens zudem um eine Tatsache, deren Eignung, jenes Maß an Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sowie auch - wie von der belangten Behörde angenommen - der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer (vgl. Art. 8 Abs. 2 MRK) zu begründen, das die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer dringend geboten erscheinen läßt, offen zutage liegt. Angesichts dessen bedurfte es - entgegen der Meinung der Beschwerde - keiner weiteren, ins einzelne gehender Darlegungen seitens der belangten Behörde (insbesondere nicht dahingehend, ob durch den Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine "unerträgliche Gefahr einer neuerlichen strafbaren Handlung konkret zu erwarten wäre"), um ihrer Entscheidung das besonders große Gewicht der für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer sprechenden öffentlichen Interessen in rechtlich unbedenklicher Weise zugrunde legen zu dürfen.

3. Aber auch die gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 3 Abs. 3 FrPolG vorgetragenen Beschwerdeeinwände versagen. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid sämtliche in der Beschwerde angeführten, die familiäre Situation des Beschwerdeführers kennzeichnenden Momente berücksichtigt, und zwar derart, daß sie die dadurch konstituierten privaten Interessen des Beschwerdeführers, die jenen unter II.2. umschriebenen öffentlichen Interessen entgegenstehen, als erheblich gewertet und insoweit die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes als einen "schwerwiegenden Eingriff" in das Privatleben des Beschwerdeführers bezeichnet hat. Des weiteren hat sie auf den Gesichtspunkt des beruflichen Fortkommens des Beschwerdeführers Bedacht genommen. Der Gerichtshof vermag nicht zu erkennen, daß die Interessenabwägung im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG rechtswidrig wäre. Daß die belangte Behörde ungeachtet des Vorhandenseins beachtlicher persönlicher, familiärer und beruflicher, für den Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechender Gründe dennoch die öffentlichen Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes als unverhältnismäßig schwerer wiegend beurteilt hat, ist im Hinblick auf das unter II.2. Ausgeführte nicht zu beanstanden.

4.1. Unter dem Titel der Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet die Beschwerde einen Verstoß gegen den Grundsatz des Parteiengehörs, und zwar derart, daß dem Beschwerdeführer "nicht ausdrücklich und formell die Gelegenheit zu einer Stellungnahme eingeräumt worden ist". Zur Beurteilung der Tatbestandserfordernisse des § 3 Abs. 1 und 3 FrPolG hätte es einer Beweisaufnahme bedurft; so wären zur Überprüfung der nach § 3 Abs. 3 leg. cit. erforderlichen Abwägung der Strafakt des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beizuschaffen gewesen sowie die Verwandten des Beschwerdeführers und jene Personen, zu denen eine enge persönliche Beziehung des Beschwerdeführers bestehe, zu vernehmen gewesen. Vom Ergebnis dieser Beweisaufnahmen wäre der Beschwerdeführer in Kenntnis zu setzen gewesen und hätte ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geboten werden müssen. Überdies hätte der Beschwerdeführer als rechtsunkundige und nicht vertretene Person angeleitet werden müssen, "welche entscheidungswesentlichen Tatsachen er konkret hätte vorbringen und welche Beweise er für diese Behauptungen hätten anbieten müssen".

4.2. Zur Behauptung der Verletzung des Parteiengehörs ist zu bemerken, daß alles das, was der Beschwerdeführer zu den Tatbestandselementen des § 3 Abs. 1 und 3 FrPolG in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht im Verfahren hätte vorbringen können - wie das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde zeigt -, von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid berücksichtigt worden ist, und diese Entscheidung - wie unter II.2. und 3. dargetan - materiell-rechtlich unbedenklich ist. Gleiches gilt hinsichtlich einer allenfalls unvollständigen Beweisaufnahme. Was die vom Beschwerdeführer angesprochene Manuduktionspflicht anlangt, so ist, abgesehen davon, daß nach dem Vorgesagten im Beschwerdefall die Relevanz einer allfälligen Verletzung dieser behördlichen Pflicht nicht zu erkennen ist, festzuhalten, daß die Pflicht zur Rechtsbelehrung im Sinne des § 13a AVG 1950 die Behörde nicht dazu verhält, eine Partei zur Erhebung bestimmter Einwendungen bzw. zur Erstattung eines konkreten, ihrem Anliegen förderlichen Tatsachenvorbringens und dessen Untermauerung anzuleiten.

5. Da sohin bereits die Beschwerdeausführungen erkennen lassen, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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