VwGH 90/19/0141

VwGH90/19/014118.6.1990

AN, vertreten durch den Vater und gesetzlichen Vertreter BN gegen Österreichische Botschaft in Ankara vom 8. August 1989, Zl. 3.32.35/7/89, betreffend Sichtvermerk

Normen

B-VG Art130 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs1;
PaßG 1969 §25 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs3 litd;
PaßG 1969 §25 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs1;
PaßG 1969 §25 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs3 litd;
PaßG 1969 §25 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem - als Bescheid zu wertenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1982, Zl. 81/01/0297) - Schreiben vom 8. August 1989 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 9. Februar 1989 auf Ausstellung eines auf zwei Jahre befristeten Sichtvermerkes gemäß "§ 25 Abs. 2" des Paßgesetzes 1969 (BGBl. Nr. 422, im folgenden kurz: PaßG) keine Folge gegeben.

Dies mit der Begründung, gemäß § 25 PaßG liege die Erteilung des Sichtvermerkes, sofern kein Versagungsgrund vorliege, im Ermessen der Behörde. Diese habe bei der Ausübung des Ermessens auf persönliche Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers sowie auf öffentliche Interessen, insbesondere auf wirtschaftliche und kulturelle Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen. Der Beschwerdeführer stehe im 18. Lebensjahr und befinde sich somit in einem Alter, in dem er einer engen Zuwendung oder Pflege durch Eltern oder Verwandte nicht mehr bedürfe und habe nach eigenen Angaben im Gegenteil in den letzten Jahren der Großmutter, bei der er lebe und die nicht mehr richtig für ihn sorgen könne, geholfen. Eine Familienzusammenführung im eigentlichen Sinn liege jedenfalls nicht vor. Weiters lebe der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben jedenfalls seit dem Volksschulalter von den in Österreich aufhältigen Eltern und Geschwistern getrennt, da er bis 1987 in der Türkei die Schule besucht habe und in den letzten zwei Jahren in der Türkei erfolglos auf Arbeitssuche gewesen sei. Der Beschwerdeführer befinde sich weiters in einem Alter, in dem üblicherweise eine Beschäftigung ausgeübt bzw. zumindest angestrebt werde. Die legale Aufnahme einer Beschäftigung könne jedoch aufgrund des Anwerbeabkommens zwischen Österreich und der Türkei, BGBl. 164/1964, und des Notenwechsels zwischen Österreich und der Türkei über die Aufhebung des Sichtvermerkszwanges, BGBl. 194/1955, nur bei Vorliegen einer "Sicherheitsbescheinigung" bzw. Einzelsicherungsbescheinigung eines österreichischen Arbeitgebers und vorheriger Sichtvermerkserteilung durch eine österreichische Vertretungsbehörde erfolgen. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, daß die Erteilung eines Sichtvermerkes im gegenständlichen Fall zu einer Umgehung der arbeitsmarktrechtlichen Regelungsmechanismen führen könnte. Abgesehen von der Familie, von der der Beschwerdeführer seit dem Volksschulalter getrennt lebe, seien aus den Ausführungen des Beschwerdeführers auch keine sonstigen besonderen Bindungen zu Österreich erkennbar. Die erklärte Absicht, die deutsche Sprache erlernen zu wollen, sei nicht näher erläutert worden. Der Beschwerdeführer könnte sich jedoch ohnehin - etwa um einen Sprachkurs zu besuchen - bis zu drei Monaten sichtvermerksfrei im Bundesgebiet aufhalten. Die Absicht, die österreichische Kultur kennenzulernen ("zu studieren"), erscheine mangels eines Naheverhältnisses zu Österreich sowie näherer Ausführungen ebenfalls nicht überzeugend (zu einem Studium im technischen Sinne fehlten dem Beschwerdeführer offensichtlich die Voraussetzungen - er müßte in der Türkei zum angestrebten Studium zugelassen sein, überdies gebe es in Vorarlberg keine entsprechende Universität). Ein besonderes subjektives Interesse an einer allgemeinen Untersuchung der österreichischen Kultur, das über ein intensives touristisches Interesse hinausginge, sei nicht dargelegt worden. Zu einem ersten Kennenlernen der österreichischen Kultur sei eine sichtvermerksfreie Aufenthaltsmöglichkeit von drei Monaten ausreichend. Der beantragten Erteilung eines Sichtvermerkes mit zweijähriger Gültigkeit könne auch deshalb nicht zugestimmt werden, weil der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben von der Unterstützung seines Vaters leben werde müssen, dieser jedoch gemäß den vorgelegten Unterlagen lediglich im Besitz einer befristeten Beschäftigungsbewilligung bis 31. Dezember 1989 sei. Wie zuvor begründet, sei jedoch auch kein Sichtvermerk mit kürzerer Gültigkeitsdauer zu erteilen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung derselben mit Beschluß vom 25. September 1989, Zl. B 1004/89, ablehnte und sie in der Folge gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Regelung des § 25 Abs. 1 PaßG zufolge kann ein Sichtvermerk einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß § 25 Abs. 3 des Gesetzes vorliegt. Nach § 25 Abs. 2 leg. cit. hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen. Nach § 25 Abs. 3 leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn (lit. d) die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder (lit. e) die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag zunächst der Ansicht des Beschwerdeführers, von der belangten Behörde seien Versagungsgründe des § 25 Abs. 3 PaßG "ausdrücklich nicht als gegeben angenommen worden", nicht beizupflichten, weil sich solches aus dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen läßt. Es ist zwar richtig, daß die belangte Behörde in ihrem Bescheid § 25 Abs. 2 leg. cit. angeführt hat, doch lassen die übrigen Ausführungen in diesem erkennen, daß sie die zitierten Versagungsgründe des § 25 Abs. 3 lit. e und allenfalls lit. d PaßG als gegeben erachtet hat. Sollte die belangte Behörde das Vorliegen zumindest eines dieser beiden Versagungsgründe rechtens bejaht haben, so ist nicht mehr zu prüfen, ob sie berechtigt wäre, eine (für den Beschwerdeführer ungünstige) Ermessensentscheidung im Grunde des § 25 Abs. 1 und 2 PaßG zu treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0135). Weiters bliebe bei Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 25 Abs. 3 PaßG für die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten, nur bei einer Ermessensentscheidung nach § 25 Abs. 1 und 2 leg. cit. zu berücksichtigenden persönlichen Verhältnisse kein Raum (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. April 1988, Zl. 88/01/0095). Insbesondere war in einem solchen Fall die vom Beschwerdeführer vermißte Anwendung des Art. 8 Abs. 2 MRK nicht geboten (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0133) und auf die familiären Verhältnisse des Fremden auch nicht unter dem Blickwinkel der "Familieneinheit" Bedacht zu nehmen (vgl. dazu den hg. Beschluß vom 23. April 1990, Zl. 90/19/0232). Die vom Beschwerdeführer angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 23. Mai 1984, Zl. 82/01/0145) und des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 24. November 1983, Slg. Nr. 9832) bezieht sich nicht auf § 25 Abs. 3 PaßG, sondern auf § 25 Abs. 1 und 2 leg. cit. Der in diesem Zusammenhang in der Beschwerde zitierte Ministerialerlaß kann ihr schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil ihm der Charakter einer über den Behördenbereich hinauswirkenden Rechtsverordnung abgeht (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0133). Auf die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten, seiner Ansicht nach den Grundsatz des Schutzes und der Einheit der Familie postulierenden "Auslegungshilfen" (Europäische Sozialcharta, BGBl. Nr. 460/1969, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. Nr. 590/1978, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. Nr. 591/1978, sowie Art. 8 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984), war nicht näher einzugehen, da - wie dargelegt - ein solcher Grundsatz im Anwendungsbereich des § 25 Abs. 3 PaßG unbeachtlich ist und diese Ausführungen des Beschwerdeführers im Lichte seiner verfehlten Ansicht zu sehen sind, daß die belangte Behörde einen Versagungsgrund im Sinne der zitierten Gesetzesstelle nicht als gegeben erachtet hat.

Ausgehend davon war zu prüfen, ob die belangte Behörde zu Recht davon ausgehen konnte, daß der von ihr jedenfalls angenommene Versagungsgrund des § 25 Abs. 3 lit. e PaßG gegeben ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, daß dies zulässig war:

Aus den diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer in Österreich von der Unterstützung seines Vaters leben werde, dessen Beschäftigungsbewilligung jedoch bis 31. Dezember 1989 befristet sei. Diesen Überlegungen, die dahin zu verstehen sind, daß die Annahme gerechtfertigt ist, bei Erteilung des angestrebten Sichtvermerkes infolge eines nach dem 31. Dezember 1989 nicht mehr gesicherten Einkommens des Vaters könnte der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen, tritt der Beschwerdeführer nicht entgegen. Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, daß diese Annahme der belangten Behörde rechtswidrig wäre. Infolgedessen war es zulässig, den Versagungsgrund des § 25 Abs. 3 lit. e PaßG als gegeben zu erachten.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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