VwGH 90/16/0032

VwGH90/16/003220.6.1990

O gegen Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 20. Dezember 1989, GZ. 7/2/O-15/2/-/89, betreffend Zollabrechnung gemäß § 80 Zollgesetz für einen eingeführten Personenkraftwagen

Normen

BAO §26 Abs1;
VwRallg;
ZollG 1988 §93 Abs2 lita Z1;
ZollG 1988 §93 Abs2 lita Z2;
ZollG 1988 §93 Abs4;
BAO §26 Abs1;
VwRallg;
ZollG 1988 §93 Abs2 lita Z1;
ZollG 1988 §93 Abs2 lita Z2;
ZollG 1988 §93 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der beantragten Höhe von 10.110 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zum besseren Verständnis der Sach- und Rechtslage dieses Verfahrens wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das die beiden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tage, Zl. 90/16/0003, verwiesen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen und obbezeichneten Bescheid bestätigte die Finanzlandesdirektion für Kärnten als Abgabenbehörde zweiter Instanz die vom Hauptzollamt Klagenfurt von Amts wegen mit Abrechnungsbescheid vom 21. April 1988 getroffene Feststellung, daß durch die im Juni 1986 für den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 3 lit. a iVm § 93 Abs. 7 ZollG und § 11 ZollG-DVO erfolgte formlose sicherstellungsfreie Eingangsvormerkabfertigung des auch Gegenstand des obgenannten Rechtsstreites bildenden Personenkraftwagens die im Grunde des § 177 Abs. 1 ZollG bedingt entstandene Einfuhrumsatzsteuerschuld nach dessen Abs. 3 lit. e unbedingt und gemäß § 175 Abs. 2 ZollG gleichzeitig auch in Höhe von 66.543 S fällig geworden sei. Zur Begründung wurde, soweit für die Beschwerde von Relevanz, ausgeführt, eine Person könne in einem bestimmten Zeitpunkt zwar mehrere Wohnsitze iSd § 26 Abs. 1 BAO, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensverhältnisse iSd § 93 Abs. 4 ZollG haben. Die Tatsache der meldebehördlichen An- und Abmeldung an einem Wohnort sei für die Beurteilung nach dem Vorliegen des gewöhnlichen Wohnsitzes nicht von maßgeblicher Bedeutung. Rechtserheblich seien hiefür die Kriterien der persönlichen Beziehungen bzw. der Mittelpunkt der Lebensinteressen. Der Verwaltungsgerichtshof habe in ständiger Rechtsprechung dargetan, daß im Regelfall nach den Erfahrungen des Lebens die stärksten persönlichen Beziehungen zu dem Ort bestünden, an dem man regelmäßig mit seiner Familie lebe, der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse einer verheirateten Person also regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein werde. Diese Annahme setze im Regelfall die Führung eines gemeinsamen Haushaltes voraus, sowie als weiteren Umstand das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen. Daran ändere auch nichts, wenn die betreffende Person zwar ihrem Beruf außerhalb des Ortes nachgehe, in dem sich der Familienwohnsitz befinde, im allgemeinen aber regelmäßig und innerhalb von kurzen Zeitabständen, zumeist über das Wochenende (sog. "Wochenendheimfahrer"), an den Wohnort ihrer Familie zurückkehre. Von einer regelmäßig und in kurzen Zeitabständen vor sich gehenden Rückkehr könne - nach der von der Wirtschaftskommisison der Vereinten Nationen für Europa verabschiedeten Empfehlung Nr. 15 vom 26. Juni 1964, die dem Konzept des § 93 Abs. 4 ZollG zugrundeliege - im äußersten Fall dann die Rede sein, wenn die betreffende Person im allgemeinen mindestens monatlich einmal und für die Dauer von zumindest 24 Stunden an den Wohnort ihrer Familie zurückkehre. Nur dann, wenn die beruflich bedingte Trennung so weitgehend wäre, daß von einem Haushalt bei der Familie nicht mehr gesprochen werden könne und wenn der Besuch der Familie nur mehr den Charakter eines besonderen Ereignisses habe, wie z.B. wenn ein Besuch nur während des Urlaubes oder an besonderen Feiertagen erfolge, werde der getrennte Wohnsitz am Ort der Berufsausübung auch der gewöhnliche Wohnsitz sein. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Hauptzollamtes Klagenfurt und den im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers am 24. August 1987 gemachten Angaben (Errichtung eines Eigenheimes im Zollgebiet, Übersiedlung der Familie dorthin, schulische Ausbildung der Tochter im Zollgebiet, regelmäßige dreiwöchentliche Heimfahrten, Auflassung der mit der Familie gemeinsam benützten Wohnung im Zollausland und nachfolgend der Bezug eines einzelnen Zimmers am Ort der Berufsausübung) sei somit der gewöhnliche Wohnsitz des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der ersten Einbringung des streitverfangenen Beförderungsmittels als im Zollgebiet gelegen anzusehen. Habe eine Person ihren gewöhnlichen Wohnsitz iSd § 93 Abs. 4 ZollG im Zollgebiet, so könne für ein ausländisches unverzolltes Beförderungsmittel das formlose Vormerkverfahren rechtens nicht in Anspruch genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Bundesminister für Finanzen legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem gesamten Vorbringen in dem Recht verletzt, den streitverfangenen Personenkraftwagen im formlosen Vormerkverfahren nach Österreich einbringen zu dürfen und daher die vorgeschriebene Einfuhrumsatzsteuer nicht entrichten zu müssen. In Ausführung des so aufzufassenden Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die belangte Behörde habe den maßgeblichen Sachverhalt mangelhaft erhoben und es insbesondere unterlassen, seine Wohnsitzverhältnisse genau zu prüfen. Es sei richtig, daß seine Ehefrau und seine Tochter seit dem Jahre 1984 im Zollgebiet wohnen. Aus der Tatsache, daß seine Familie hier wohne bzw. er gelegentlich ins Zollgebiet eingereist sei, um seine Familie zu besuchen, könne jedoch nicht abgeleitet werden, sein gewöhnlicher Wohnsitz befinde sich im Zollgebiet. Er sei nach der Übersiedlung seiner Familie durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft gewesen und sei auf Grund der großen Entfernung nur ca. alle drei bis vier Wochen übers Wochenende zu seiner Familie auf Besuch gefahren. Sein gewöhnlicher Wohnsitz sei jedenfalls bis zu der mit Wirkung vom 31. März 1988 erfolgten Auflösung seines Arbeitsverhältnisses bei der X-Aktiengesellschaft, Stuttgart, in der Bundesrepublik Deutschland gewesen, wo er sowohl beruflich als auch gesellschaftlich integriert gewesen sei und auch einen eigenen Haushalt geführt habe.

Die Beschwerde ist begründet.

Gemäß § 67 Abs. 3 lit. a ZollG ist der Eingangsvormerkverkehr auch zulässig für ausländische (unverzollte) Beförderungsmittel samt Zugehör zur vorübergehenden Einbringung in das Zollgebiet. Gemäß § 93 Abs. 2 lit. a Z. 1 ZollG ist die Eingangsvormerkbehandlung von ausländischen unverzollten Beförderungsmitteln zum eigenen Gebrauch unter anderem dann zulässig, wenn der Halter und der Benützer des Beförderungsmittels seinen gewöhnlichen Wohnsitz oder seinen Sitz im Zollausland hat. Nach der Vorschrift des § 93 Abs. 7 leg. cit. iVm § 11 ZollG-DVO dürfen Beförderungsmittel unter anderem bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 93 Abs. 2 lit. a Z. 1 ZollG OHNE Ausstellung eines Vormerkscheines und ohne Leistung einer Sicherstellung zu vorübergehenden Fahrten in das Zollgebiet eingebracht oder den begünstigten Personen zum selben Zweck voraus- oder nachgesandt werden (formloses Vormerkverfahren). Gemäß § 177 Abs. 3 lit. e ZollG wird die gemäß Abs. 1 dieser Gesetzesstelle für den Vormerknehmer zunächst bedingt entstandene Zollschuld im Zeitpunkt der Ausfolgung der Waren unbedingt, wenn die Waren infolge unrichtiger oder unvollständiger Angaben zum Vormerkverkehr zugelassen wurden.

Nach der Legaldefinition des § 93 Abs. 4 erster Satz ZollG ist unter mehreren Wohnsitzen einer Person als GEWÖHNLICHER Wohnsitz derjenige anzusehen, zu dem sie die stärksten persönlichen Beziehungen hat und der den Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse darstellt.

Eine Person kann, wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, in einem bestimmten Zeitpunkt zwar mehrere Wohnsitze (vgl. § 26 Abs. 1 BAO), jedoch nur EINEN Mittelpunkt der Lebensverhältnisse iSd § 93 Abs. 4 ZollG haben.

Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen auf Grund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachen, an ein bestimmtes Land binden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Feber 1970, Zl. 1001/69).

Der Verwaltungsgerichtshof hat hiezu in ständiger Rechtsprechung dargetan, daß im REGELFALL nach den Erfahrungen des Lebens die stärksten persönlichen Beziehungen zu dem Ort bestehen, an dem man regelmäßig und Tag für Tag mit seiner Familie lebt, daß also der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein wird. Diese Annahme setzt allerdings im Regelfall die Führung eines GEMEINSAMEN HAUSHALTES sowie als weiteren Umstand das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen voraus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 83/16/0177, Slg. Nr. 6006/F, sowie die darin zitierte Vorjudikatur; ferner die Erkenntnisse vom 27. Oktober 1988, Zl. 88/16/0068 und vom 15. März 1989, Zl. 88/16/0229). Der Familienwohnsitz ist also nur bei gemeinsamer Haushaltsführung von ausschlaggebender Bedeutung, also nicht bei getrennten Haushalten.

Bei von der Familie GETRENNTER HAUSHALTSFÜHRUNG kommt es auf die Umstände der Lebensführung, wie etwa eine eigene Wohnung, einen selbständigen Haushalt, gesellschaftliche Bindungen, aber auch auf den Pflichtenkreis einer Person und hier insbesondere auf ihre objektive und subjektive Beziehung zu diesem an (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1979, Zlen. 2365/78, 2051/79, Slg. Nr. 5401/F).

Der Gerichtshof hat weiters in seinem Erkenntnis vom 19. Feber 1987, Zl. 86/16/0198 dargetan, daß die auf die einzelnen Wohnsitze entfallenden Aufenthaltszeiten, wie aus der Regelung des § 93 Abs. 2 lit. a Z. 2 ZollG erhelle, ein bedeutsames quantitatives Kriterium dafür seien, wo der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse einer Person bestehe.

Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte der Beschwerdeführer anläßlich seiner am 24. August 1987 erfolgten ersten Vernehmung als Beschuldigter vor dem Hauptzollamt Klagenfurt als Finanzstrafbehörde erster Instanz zur Niederschrift folgende Erklärung abgegeben:

"In der Regel besuche ich meine Familie alle 3 Wochen über das Wochenende. Auch verbringe ich bzw. verbrachte ich im Jahre 1986 meinen Urlaub in Österreich um das Eigenheim fertigzustellen. ... Auch besitze ich in Österreich einen PKW der Marke Y mit dem behördl. Kennzeichen NN, welchen ich anläßlich meiner Aufenthalte in Österreich hauptsächlich benütze. Den PKW der Marke Z benütze ich lediglich für die Fahrt von meiner Arbeitsstelle zu meinen Zweitwohnsitz bei meiner Familie in M. Keinesfalls war es von mir beabsichtigt, den PKW entgegen den österr. Zollvorschriften in Österreich zu benützen. Auf Befragen gebe ich an, daß ich diesen zweiten PKW im Jahre 1986 höchstens 50 Tage in Österreich benützt habe. Im Jahre 1987 benützte ich den PKW zwischen 30 und 40 Tagen in Österreich."

Einer derart zeitlich begrenzten Gestaltung des eigenen, Familienlebens kommt bei Zutreffen der obigen Behauptungen in Ansehung der vom Gesetz geforderten "stärksten persönlichen Beziehungen" Rechtserheblichkeit zu. Diese umfassen nämlich die gesamte private Lebensführung einer Person. Dazu gehören familiäre und gesellschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen, aber auch Beziehungen zu einer Sache oder Sachgesamtheit (Privatsammlung, Reitstall), die Mitgliedschaft bei einem Verein und die Ausübung eines Hobbys.

Eben diese Kriterien hätten jedoch in Ansehung der vom Beschwerdeführer behaupteten und quantitativ nicht sehr bedeutsamen Aufenthaltszeiten im Zollgebiet vor dem Hintergrund der obigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer eingehenden Feststellung und Begründung bedurft. Für eine abschließende Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ist die Sache noch nicht reif.

Diese Mängel hindern den Verwaltungsgerichtshof daran, die inhaltliche Rechtmäßigkeit des Bescheides im Sinne des § 41 Abs. 1 VwGG auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes zu überprüfen.

Daraus ergibt sich, daß einerseits infolge fehlender Sachverhaltsfeststellung der angefochtene Bescheid ergänzungsbedürftig geblieben ist, anderseits die belangte Behörde Verfahrensvorschriften über die Begründungspflicht außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung konnte gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG im Dreiersenat erfolgen.

Die Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz des Aufwandes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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