Normen
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 9. Jänner 1990 wurde der Antrag des (im Jahre 1958 geborenen) Beschwerdeführers vom 1. März 1989 auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des restlichen ordentlichen Präsenzdienstes (ein solcher wurde bereits in der Zeit vom 2. Juli bis 27. August 1984 geleistet) gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Soweit der Beschwerdeführer erklärt, er sei durch den angefochtenen Bescheid auch in seinem Recht auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes im Sinne des § 37 Abs. 2 lit. a des Wehrgesetzes 1978 verletzt worden, übersieht er, daß mit dem angefochtenen Bescheid ausschließlich über seinen Antrag vom 1. März 1989 auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes im Sinne des § 37 Abs. 2 lit. b leg. cit. entschieden worden ist. Die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer im Sinne der erstgenannten Gesetzesstelle wegen des Vorliegens öffentlicher Interessen von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes zu befreien gewesen wäre - worauf im übrigen kein Rechtsanspruch besteht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 1989, Zl. 88/11/0177, mit weiteren Judikaturhinweisen) -, ist daher nicht Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens, weshalb auch auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde nicht eingegangen werden kann.
Gemäß § 37 Abs. 2 lit. b Wehrgesetz 1978 können Wehrpflichtige von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes auf ihren Antrag befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.
Der Beschwerdeführer hat nicht hinreichend dargetan, daß die belangte Behörde das Vorliegen besonders rücksichtswürdiger FAMILIÄRER Interessen, die die begehrte Befreiung rechtfertigen würden, zu Unrecht verneint hat. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 7. November 1989, Zl. 89/11/0054, und die dort angeführte Judikatur), daß familiäre Interessen (nur) dann vorliegen, wenn ein Familienangehöriger in seinen eigenen Belangen der Unterstützung des Wehrpflichtigen bedarf, die ihm dieser aber wegen der Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes nicht gewähren kann, und solche Interessen nur dann als besonders rücksichtswürdig anzusehen sind, wenn der unterstützungsbedürftige Familienangehörige als Folge des Ausbleibens dieser Unterstützung in seiner Gesundheit oder in sonstigen lebenswichtigen Interessen gefährdet würde. Der Behauptung des Beschwerdeführers, daß er und seine (nicht berufstätige) Gattin drei Kleinkinder zu versorgen hätten, ist mit dem Hinweis auf die Bestimmungen des Heeresgebührengesetzes 1985, BGBl. Nr. 87, zu begegnen. Was die vom Beschwerdeführer weiters geltend gemachte "Verpflichtung zur Pflege und Obsorge für meine Eltern, welche zu 80 % erwerbsunfähig sind und der Pflege und Obsorge zumindest zeitweilig bedürfen", anlangt, so hat die belangte Behörde insbesondere darauf verwiesen, daß die Gattin des Beschwerdeführers, welche im gemeinsamen Haushalt mit dessen Eltern lebe, während der wehrdienstbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers eine entsprechende Betreuung durchführen könne. Der Beschwerdeführer ist dieser Begründung des angefochtenen Bescheides, die nicht von vornherein unschlüssig erscheint, in der Beschwerde nicht entgegengetreten.
Die belangte Behörde hat zwar im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer selbständig eine Ordination als Zahnarzt in Neusiedl am See betreibt, das Vorliegen eigener WIRTSCHAFTLICHER Interessen an der von ihm begehrten Befreiung angenommen, jedoch diese ebenfalls nicht als besonders rücksichtswürdig gewertet. Sie hat dies unter Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes damit begründet, daß der Beschwerdeführer der ihm obliegenden Pflicht zur Harmonisierung seiner privaten wirtschaftlichen Interessen mit seiner Verpflichtung zur Leistung des restlichen ordentlichen Präsenzdienstes nicht entsprechend nachgekommen sei. Richtig ist, daß es Sache des Wehrpflichtigen ist, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten so einzurichten, daß für den Fall seiner Einberufung zum ordentlichen Präsenzdienst vorhersehrbare Schwierigkeiten vermieden werden können und daher der Wehrpflichtige die Planung und Gestaltung seiner privaten und wirtschaftlichen (beruflichen) Angelegenheiten im Interesse einer Harmonisierung mit der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes so vorzunehmen hat, daß für den Fall der Einberufung vorhersehbare Schwierigkeiten vermieden oder möglichst verringert, nicht aber vergrößert oder gar erst geschaffen werden (vgl. beispielsweise außer dem bereits zitierten Erkenntnissen vom 16. Mai 1989, Zl. 88/11/0177 und vom 7. November 1989, Zl. 89/11/0054, noch jene vom 30. Juni 1987, Zl. 87/11/0093). Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ist die belangte Behörde von einer Verletzung der Harmonisierungspflicht weder im Zusammenhang mit dem Erwerb der Ordination durch den Beschwerdeführer im Jahre 1986 noch im Zusammenhang mit deren Verlegung per 1. November 1988 ausgegangen. Der Beschwerdeführer hat schon im Verwaltungsverfahren Gründe vorgebracht, die sowohl die vorzeitige Übernahme der Zahnarztpraxis (samt den damit verbundenen Kassenverträgen) seines (infolge eines Herzinfarktes in den Ruhestand getretenen) Vaters als auch die Verlegung der Ordination (infolge Differenzen mit seinem Bruder, der eine Verlängerung des betreffenden Mietvertrages abgelehnt hat) erforderlich gemacht hätten, ohne daß die belangte Behörde darauf eingegangen wäre. Wenn sie nunmehr in der Gegenschrift versucht, eine solche fehlende Begründung insbesondere in Ansehung der Notwendigkeit der Übernahme der Praxis nachzuholen, so kann darauf nicht Bedacht genommen werden, wozu noch kommt, daß nach der Aktenlage das Eingehen hoher Kreditverbindlichkeiten durch den Beschwerdeführer (von über S 40.000,-- monatlich) erst auf die notwendig gewordene Verlegung der Ordination zurückzuführen war.
Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ansicht vertreten, daß der Beschwerdeführer aufgrund seiner "letztmaligen befristeten Befreiung bis 15. Mai 1989" (mit Bescheid vom 18. April 1988 "wegen der festgestellten besonders rücksichtswürdigen wirtschaftlichen Interessen infolge Verlegung der Zahnarztpraxis", nachdem u.a. vorher eine (gleichfalls antragsgemäße) Befreiung mit Bescheid vom 24. November 1986 bis 15. Mai 1988 ausgesprochen worden war, weil der Beschwerdeführer "zur Zeit mit dem Auf- und Ausbau" seiner Ordination "befaßt" sei) habe wissen müssen, daß er mit seiner Einberufung zur Leistung des restlichen ordentlichen Präsenzdienstes zu rechnen habe, und er dementsprechend auch seine wirtschaftlichen Angelegenheiten einzurichten gehabt hätte. Die Frage, wie dies der Beschwerdeführer, der nicht nur die genannten Kreditverbindlichkeiten aufweist, sondern unbestrittenermaßen auch Fixkosten (exklusive Strom, Gas und Telefon) in seiner Ordination von über S 80.000,-- monatlich zu tragen und im Zusammenhang mit der Übernahme der Praxis aufgrund eines Notariatsaktes an seine Eltern je S 15.000,-- monatlich zu bezahlen hat, zu bewerkstelligen gehabt hätte, hat die belangte Behörde allerdings nicht schlüssig beantwortet. Sie hat den Beschwerdeführer hinsichtlich seiner finanziellen Verpflichtungen lediglich darauf verwiesen, daß er aufgrund der gewährten befristeten Befreiungen den Versuch hätte unternehmen können, mit seinen Kreditgebern Stundungsvereinbarungen für die Dauer des restlichen ordentlichen Präsenzdienstes abzuschließen, oder er im Hinblick auf die Höhe seiner Verpflichtungen entsprechende Ersparnisse hätte anlegen können, um damit während der Leistung des restlichen ordentlichen Präsenzdienstes seine Verbindlichkeiten zu erfüllen. Damit hat sich die belangte Behörde einer Begründung bedient, wie sie sich im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 1989, Zl. 88/11/0153, findet, obwohl nicht erkennbar ist, daß im vorliegenden Beschwerdefall ein damit vergleichbarer Sachverhalt gegeben ist. Hinsichtlich der Möglichkeit der Anlegung von Ersparnissen wurde im genannten Vorerkenntnis auf die (feststehende) Höhe des bisherigen monatlichen Einkommens abgestellt und dieses in Relation zu den bestehenden Verbindlichkeiten gesetzt; im vorliegenden Beschwerdefall hat hingegen die belangte Behörde keine konkreten Feststellungen über die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers getroffen, sodaß auch nicht beurteilt werden kann, ob bzw. inwieweit er in Verbindung mit seinen anderen Lebensumständen (insbesondere seiner laufenden Zahlungsverpflichtungen und der Versorgung einer seit August 1989 fünfköpfigen Familie) in der Lage gewesen wäre, auf diese Weise entsprechend Vorsorge zu treffen. Auch hinsichtlich der Möglichkeit des Versuches, mit den Kreditgebern Stundungsvereinbarungen abzuschließen, muß mangels geeigneter Feststellungen der belangten Behörde von vornherein bezweifelt werden, daß ein derartiger Versuch zum Erfolg hätte führen können. Diesbezüglich kommt es nämlich im Sinne des Beschwerdevorbringens entscheidend darauf an, ob der Beschwerdeführer nach der Absolvierung seines restlichen Grundwehrdienstes in der Dauer von vier Monaten und der Wiederaufnahme seiner Praxis, die unbestrittenermaßen jedenfalls in der Zwischenzeit geschlossen werden müßte, voraussichtlich - trotz der zu erwartenden Einbußen als Folge der nicht nur kurzfristigen Stillegung der Ordination - solche Einkünfte erzielen würde, die es ihm nicht nur ermöglichten, seine laufenden Verbindlichkeiten zu erfüllen, sondern darüberhinaus auch noch die gestundeten Beträge abzustatten. Dazu kommt, daß der Beschwerdeführer während der wehrdienstbedingten Abwesenheit von seiner Praxis weiterhin mit den dafür auflaufenden beträchtlichen Fixkosten belastet wäre, dies auch bezüglich seiner sechs Angestellten, sollte er sie nicht - wie er behauptet - überhaupt kündigen müssen, woraus sich aber zu seinen Lasten weitere arbeitsrechtliche Ansprüche finanzieller Natur ergeben würden. Auch die Frage, wie der Beschwerdeführer im Falle seiner Einberufung mit dem Problem der vertraglich von ihm monatlich zu leistenden Versorgungsrente an seine Eltern zurecht kommen sollte, blieb ungeklärt.
Die belangte Behörde hat daher keine ausreichende Begründung dafür gegeben, daß aufgrund rechtzeitiger Vorkehrungen des Beschwerdeführers eine vorübergehende Schließung seiner Praxis in der Dauer von vier Monaten nicht seine Existenzgefährdung nach sich ziehen würde. Wenn die belangte Behörde eine solche Existenzgefährdung abschließend mit dem Bemerken ausschließt, daß der Beschwerdeführer nach den Bestimmungen des Heeresgebührengesetzes 1985 bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Anspruch auf Familienunterhalt und Wohnkostenbeihilfe habe, so erscheint dies schon mit Rücksicht auf den Zweck dieser Leistungen, die - abgesehen von ihrer Höhe - nicht zur Abdeckung der vom Beschwerdeführer eingegangenen Verbindlichkeiten dienen, unverständlich. Auch die (u.a. unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 1984, Zl. 82/11/0349, und vom 29. September 1987, Zl. 87/11/0064, gebrauchte) Argumentation der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, eine weitere Befreiung des Beschwerdeführers würde dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Wehrpflichtigen widersprechen, ist verfehlt, weil sie voraussetzen würde, daß der Beschwerdeführer in seiner Dispositionsfreiheit nicht eingeschränkt gewesen wäre und er demnach durch sein Verhalten die bereits angesprochene Harmonisierungspflicht verletzt hätte. Davon kann aber - wie gesagt - auf dem Boden des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes keine Rede sein.
Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren (von S 100,--) war infolge eines im Kostenverzeichnis des Beschwerdeführers unterlaufenen Rechenfehlers abzuweisen.
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