Normen
BDG 1979 §110 Abs1 Z2;
BDG 1979 §94 Abs1 Z1;
BDG 1979 §94 Abs1;
BDG 1979 §96;
BDG 1979 §110 Abs1 Z2;
BDG 1979 §94 Abs1 Z1;
BDG 1979 §94 Abs1;
BDG 1979 §96;
Spruch:
Die beiden angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 21.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Oberrat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist die Landwirtschaftlich-chemische Bundesanstalt in Wien.
Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die belangte Behörde am 27. Feber 1990 beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979) ein Disziplinarverfahren durchzuführen (Einleitungsbeschluß) und gemäß § 124 Abs. 1 leg. cit. eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Im Spruch dieser beiden, dem Beschwerdeführer am 8. März 1990 zugestellten Bescheide wird dem Beschwerdeführer wörtlich übereinstimmend zur Last gelegt, er habe
1. die Außenstelle A der Landwirtschaftlichen-chemischen Bundesanstalt veranlaßt, einen Prüfnummernantrag der H & Co KG vom 18. Feber 1989 (eingegangen am 19. April 1989) nicht anzunehmen,
2. am 2. Mai 1989 eine als Gutachten bezeichnete, aber nicht als solche zu qualifizierende Äußerung hinsichtlich des Antrages der genannten Firma abgegeben,
3. die Befolgung der Weisungen vom 28. April 1989 und vom 12. Mai 1989 auf Verkostung und Untersuchung wiederholt verweigert,
4. die Befolgung der Weisung auf Untersuchung und Verkostung vom 26. Juli 1989 verweigert und
5. durch nicht gesetzmäßige Behandlung des Antrages (§§ 31, 50 Abs. 2 WeinG 1985) die Gefahr einer Amtshaftung herbeigeführt.
Gegen diese beiden Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Bescheide sowie deren Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Disziplinarakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf, daß er nicht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 91 ff BDG 1979, insbesondere nicht trotz gemäß § 94 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. eingetretener Verjährung durch Beschlußfassungen gemäß §§ 123 und 124 BDG 1979 disziplinär verfolgt werde, durch unrichtige Anwendung der zitierten Normen sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, die beiden angefochtenen Entscheidungen hätten nicht getroffen werden dürfen, weil bereits Verjährung eingetreten sei. Hinsichtlich aller Anschuldigungspunkte sei, weil nach seinem Schreiben vom 3. August 1989 keine weitere Weisungsverweigerung stattgefunden habe, die sechsmonatige Verjährungsfrist jedenfalls bereits im Feber 1990 abgelaufen, also noch vor Beschlußfassung über die beiden angefochtenen Bescheide und erst recht vor deren Zustellung. Da das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft als Dienstbehörde und damit auch als Disziplinarbehörde (§ 96 Z. 1 BDG 1979) mehr als sechs Monate vor Erlassung eines Einleitungsbeschlusses von den angeblichen Dienstpflichtverletzungen Kenntnis erlangt habe, hätten die beiden angefochtenen Bescheide wegen Verjährung nicht mehr erlassen werden dürfen. Sie seien inhaltlich rechtswidrig.
Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.
Nach § 94 Abs. 1 BDG 1979 darf der Beamte wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist, oder innerhalb von drei Jahren gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung, eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde.
Disziplinarbehörden sind nach § 96 BDG 1979 die Dienstbehörden, die Disziplinarkommission und die Disziplinaroberkommission. Welche Behörden Dienstbehörden sind, bestimmt § 2 DVG, welcher als Zuständigkeitsnorm auch im
9. Abschnitt des BDG 1979 anwendbar ist. Nach der Anordnung des Abs. 2 erster Satz der zuletzt zitierten Gesetzesstelle sind die Dienststellen bei den Obersten Verwaltungsorganen als Oberste Dienstbehörden in erster Instanz zuständig. Da der Beschwerdeführer der obersten Dienstbehörde angehört, ist für ihn das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft Dienstbehörde.
Die gesetzliche Bezeichnung "Dienstpflichtverletzung" in der oben wiedergegebenen Bestimmung ist irreführend, weil eine solche erst nach abschließender und verbindlicher Sachaufklärung vorliegen kann. § 94 Abs. 1 BDG 1979 stellt vielmehr auf die "Kenntnis" eines Verhaltens des Beamten ab, das den Verdacht einer schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten nahelegt.
Erlangt die Dienstbehörde, die nach § 96 BDG 1979 zu den Disziplinarbehörden zählt, von einer Dienstpflichtverletzung "Kenntnis", so muß sie entweder binnen sechs Monaten eine Disziplinarverfügung erlassen oder die Anzeige an die Disziplinarkommission so rechtzeitig weiterleiten, daß binnen dieser Frist noch ein Einleitungsbeschluß (§ 123 Abs. 2 BDG 1979) gefaßt werden kann. Tut sie dies nicht, so ist die Tat nach Ablauf dieser Frist verjährt soweit nicht § 94 Abs. 2 BDG 1979 in Betracht kommt. Macht sie dies bzw. wird der Einleitungsbeschluß rechtzeitig von der Disziplinarkommission erlassen, so kann die Tat nicht mehr verjähren. Unabhängig von der Kenntnis durch die Dienstbehörde ist die Tat jedenfalls dann verjährt, wenn seit dem Zeitpunkt ihrer Beendigung drei Jahre vergangen sind (absolute Verjährungsfrist), soweit nicht § 94 Abs. 3 BDG 1979 in Betracht kommt.
Maßgebend für den Beginn der sechsmonatigen Verjährungsfrist ist im Beschwerdefall die KENNTNIS - nicht das Kennenmüssen - der Dienstbehörde von Tatsachen, die zur Annahme berechtigen, ein konkretes Verhalten eines Beamten falle unter einen disziplinär zu ahndenden Tatbestand. "Kenntnis erlangt" die Dienstbehörde in einer die Frist des § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 in Lauf setzenden Weise, wenn ihr - von dem später als Dienstpflichtverletzung gewürdigten Verhalten des Beamten - ausreichend Mitteilung gemacht worden ist. In Betracht kommt nur das auf sicheren Grundlagen beruhende Wissen über bestimmte Tatsachen, nicht also das bloße Erfahren eines Gerüchts. Dagegen kommt es nicht auf die zutreffende rechtliche Subsumtion, also die Kenntnis davon an, daß die bekannt gewordenen Tatsachen einen disziplinär zu ahndenden Tatbestand erfüllen. Bei der Kenntnis von solchen Umständen kann es keinesfalls darauf ankommen, daß die Dienstbehörde bereits mit Sicherheit vom Vorliegen aller dieser Tatsachen ausgeht; ist doch die Dienstbehörde gar nicht zur Durchführung eines umfassenden Beweisverfahrens berufen. Es kann somit nur auf die Kenntnis jener Umstände abgestellt werden, die für die Dienstbehörde gemäß § 110 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979 die Pflicht zur Weiterleitung der Disziplinaranzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt begründen (so die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 1989, Zl. 89/09/0112, und vom 22. Feber 1990, Zl. 89/09/0136).
Nach den oben wiedergegebenen spruchmäßigen Feststellungen der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer zuletzt die Befolgung der Weisung auf Untersuchung und Verkostung vom 26. Juli 1989 verweigert. Diese Weigerung erfolgte mit dem an das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft gerichteten Schreiben der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt vom 3. August 1989 und ist bei der Dienstbehörde nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens am 7. August 1989 eingelangt.
Auf Grund der spruchmäßigen Feststellungen der belangten Behörde in den beiden angefochtenen Bescheiden hegt der Verwaltungsgerichtshof keinen Zweifel, daß die Dienstbehörde (die zugleich auch Disziplinarbehörde ist) spätestens ab dem 7. August 1989 Kenntnis von allen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen hatte.
Da der Eintritt der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsverjährung von Amts wegen wahrzunehmen ist, war es daher rechtswidrig, wenn die belangte Behörde bezüglich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen die beiden angefochtenen Bescheide erließ, obwohl Umstände vorlagen, die die Verfolgung ausschlossen, welcher Umstand gemäß § 118 Abs. 1 Z. 3 BDG 1979 zur Einstellung des Disziplinarverfahrens zu führen gehabt hätte.
Dies hat auch der Vorsitzende der belangten Disziplinarkommission richtig erkannt und in dem bei den Akten des Verwaltungsverfahrens erliegenden Schreiben vom 26. Jänner 1990 darauf hingewiesen. Da es - wie oben dargelegt - nach dem eindeutigen Wortlaut des § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 rechtens einzig und allein darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt die DIENSTBEHÖRDE - und nicht die nach der Geschäftseinteilung mit der Bearbeitung von Disziplinarfällen befaßte Fachabteilung einer Behörde - vom Verdacht der Dienstpflichtverletzung Kenntnis erlangt hat, waren beide Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG durch einen gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen, insbesondere die zu Recht gerügte mangelnde Begründung des Einleitungsbeschlusses (vgl. in diesem Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1987, Zl. 87/09/0193, Slg. Nr. 12520/A), einzugehen war.
Die Entscheidung über den Anspruch auf Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
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