Normen
GewO 1973 §74 Abs2 idF 1988/399;
GewO 1973 §75 Abs2;
GewO 1973 §75 Abs3;
GewO 1973 §77 Abs1 idF 1988/399;
GewO 1973 §79 Abs1 idF 1988/399;
GewO 1973 §79 Abs2 idF 1988/399;
GewO 1973 §79 Abs2;
GewO 1973 §79 idF 1988/399;
GewO 1973 §81 idF 1988/399;
GewO 1973 §74 Abs2 idF 1988/399;
GewO 1973 §75 Abs2;
GewO 1973 §75 Abs3;
GewO 1973 §77 Abs1 idF 1988/399;
GewO 1973 §79 Abs1 idF 1988/399;
GewO 1973 §79 Abs2 idF 1988/399;
GewO 1973 §79 Abs2;
GewO 1973 §79 idF 1988/399;
GewO 1973 §81 idF 1988/399;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 15. Mai 1990 wurden dem Beschwerdeführer für seine gewerbliche Betriebsanlage im Standort X, Y-Straße 9, gemäß § 79 GewO 1973 in Verbindung mit § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1973 folgende zusätzliche Auflagen vorgeschrieben:
1) Während der Durchführung von Reparaturarbeiten an Kfz haben die auf die Y-Straße weisenden Tore der Werkstätte geschlossen gehalten zu werden.
2) Als tägliche Betriebszeiten werden festgesetzt: Montag bis Freitag 6.00 bis 20.00 Uhr, Samstag 6.00 bis 13.00 Uhr. An Sonn- und Feiertagen hat der Betrieb der Betriebsanlage zu unterbleiben.
3) Die Betriebsanlage ist mit einer mechanischen Lüftungsanlage entsprechend den §§ 12 Abs. 2 und 13 Abs. 3 bis 5 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung 1983 künstlich zu belüften. Der Einbau ist von einer befugten "Fachfirma" vornehmen zu lassen. Die Fertigstellung ist der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen anzuzeigen.
Die Auflagen 1 und 3 seien ab neun Monaten nach Rechtskraft des Bescheides, Auflage Nr. 2 sei sofort zu erfüllen. Zur Begründung führte der Bundesminister nach Darstellung des Verfahrensganges, insbesondere des Inhaltes der Gutachten der von ihm beigezogenen Sachverständigen sowie des Inhaltes der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen, zusammengefaßt aus, der medizinische Amtssachverständige habe aufbauend auf den Darlegungen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen überzeugend ausgeführt, Arbeiten in der Betriebsanlage bei geschlossenen Toren seien nur in geringem Maße geeignet, das Wohlbefinden der Nachbarn bei Einhaltung der Betriebszeiten zu beeinträchtigen. Eine solche geringe Beeinträchtigung des Wohlbefindens sei jedoch im Sinne des § 77 Abs. 2 GewO 1973 gesunden, normal empfindenden Erwachsenen jedenfalls zumutbar. Hinsichtlich der bei geöffneten Toren von der Betriebsanlage ausgehenden Geräusche, wie impulsartigen Hämmerns, Schlagens oder Knallens, hochfrequenten Sägens oder unregelmäßig heulender Geräusche ab ca. einem Schallpegel von 60 bis 65 dB habe der medizinische Amtssachverständige konstatiert, daß diese, ohne eine direkte Schädigung des menschlichen Organismus herbeizuführen, als unangenehm störend und alarmierend empfunden würden. Eine solche graduell stärkere Beeinträchtigung des Wohlbefindens erachte der Bundesminister auch im Hinblick auf die lange tägliche Betriebszeit als einem Nachbarn nicht mehr zumutbar. Zur Reduzierung der von der Betriebsanlage ausgehenden Belästigung der Nachbarn auf ein zumutbares Maß habe sich daher die Verfügung der Schließung der Werkstättentore während der Durchführung von Service- und Reparaturarbeiten angeboten. Diese Maßnahme erfordere jedoch zum Schutz der in der Betriebsanlage beschäftigten Arbeitnehmer die Installierung einer mechanischen Entlüftungsanlage. Die vorgeschriebenen Auflagen entsprächen dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, da deren Erfüllung den bestehenden Betrieb (aus näher dargestellten Gründen) nicht belasteten. Dem in der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 1988 vom Beschwerdeführer erhobenen Einwand, die mitbeteiligten Parteien seien als im Sinne des § 79 Abs. 2 GewO 1973 später hinzugekomene Nachbarn anzusehen, sei entgegenzuhalten, daß diese jedenfalls seit 1966 als Nachbarn der gegenständlichen Betriebsanlage anzusehen seien. Da die Betriebsanlage in den nachfolgenden Jahren (1969 bis 1972 und 1978) wesentliche gewerbebehördlich genehmigte Änderungen und Erweiterungen erfahren habe, die mitbeteiligten Parteien vor diesem Zeitpunkt aber bereits Nachbarn der Betriebsanlage gewesen seien, treffe dieser Einwand nicht zu. Den mitbeteiligten Parteien stehe daher der volle Nachbarschaftsschutz zu.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Unterbleiben der Vorschreibung der in Rede stehenden Auflagen verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides unter anderem vor, der Rechtsansicht der belangten Behörde, den mitbeteiligten Parteien komme im Hinblick auf die nach dem Zeitpunkt der Erlangung ihrer Nachbarstellung erfolgten genehmigten Änderungen der in Rede stehenden Betriebsanlage voller Nachbarschaftsschutz zu, könne nicht gefolgt werden. Zwar seien nach diesem Zeitpunkt einige weitere Erweiterungen der Betriebsanlage vorgenommen worden, entscheidend sei aber in diesem Zusammenhang, daß nach Auffassung des Beschwerdeführers sich dadurch die wesentlichen Lärmemissionen, welche von diesem Betrieb ausgegangen seien, nicht geändert hätten. Gerade jene Arbeiten, die nach dem Ermittlungsverfahren die höchsten Lärmspitzen erzeugten, seien auch im gleichen Umfang schon im Jahre 1958 (dem Zeitpunkt der Erteilung des Grundkonsenses) also weit vor dem Zeitpunkt, zu dem die Nachbareigenschaft der mitbeteiligten Parteien begründet wurde, durchgeführt worden. Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, das Maß jener Immissionen festzustellen, welche vor dem Zeitpunkt der Erlangung der Nachbareigenschaft durch die mitbeteiligten Parteien von der Betriebsanlage ausgegangen seien.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.
Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1973 in der im Hinblick auf das
Datum der Bescheiderlassung hier anzuwendenden Fassung der
Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, dürfen gewerbliche
Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde (§§ 333, 334,
335) errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der
Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer
Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet
sind, .......
2) die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub,
Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen, ......
Nach § 81 leg. cit. bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.
Zufolge § 79 Abs. 1 leg. cit. hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid und im Betriebsbewilligungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.
Nach dem ersten Satz des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle sind Auflagen im Sinne des Abs. 1 zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 geworden sind, nur insoweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind.
Nach dem diesbezüglich eindeutigen Wortlaut der zuletzt zitierten Bestimmung soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein erst nach Genehmigung der Anlage zugezogener Nachbar - den Fall der Gesundheitsgefährdung ausgenommen - von dieser Anlage bei konsensgemäßem Betrieb ausgehende Immissionen ohne Rücksicht auf eine sich nachträglich allenfalls ergebende Belästigung hinnehmen müssen. Zweck dieser Gesetzesstelle ist der Schutz des Betriebsinhabers vor einer Verschlechterung seiner Rechtsposition durch nachträglich, in Kenntnis des Bestehens der Betriebsanlage und der von dieser ausgehenden Immissionen, zugezogene Nachbarn.
Unter Genehmigungen im Sinne des § 79 GewO 1973 sind sowohl Genehmigungen nach § 77 als auch solche nach § 81 leg. cit. zu verstehen.
Der dargestellte Zweck des § 79 Abs. 2 erster Satz leg. cit. erfordert es, in einem Fall wie dem vorliegenden, wo nach Erteilung des Konsenses für eine Betriebsanlage, aber vor Genehmigung (weiterer) Änderungen dieser Betriebsanlage, Personen die Stellung eines Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 erlangten, zu differenzieren: Hinsichtlich des Maßes der Immissionen, die von jenen Anlageteilen bei konsensgemäßem Betrieb ausgehen, die von genehmigten Änderungen, die nach dem Zeitpunkt der Erlangung der Nachbareigenschaft erfolgten, unberührt blieben, genießen die neu zugezogenen Nachbarn nur den eingeschränkten Schutz des § 79 Abs. 2 erster Satz GewO 1973. Hinsichtlich jener Immissionen, die von Anlageteilen ausgehen, die von seither erfolgten genehmigten Änderungen erfaßt wurden, genießen diese hingegen den vollen Schutz des § 79 Abs. 1 leg. cit. (vgl. sinngemäß das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. November 1977, Slg. NF. Nr. 9.437/A).
Zur Beurteilung, ob und allenfalls welche Auflagen im vorliegenden Fall in Erfüllung des Gesetzesauftrages des § 79 GewO 1973 von der Behörde vorzuschreiben sind, hätte es daher neben der Feststellung der heute von der Betriebsanlage ausgehenden Immissionen auch der Feststellung des Maßes dieser Immissionen bei konsensgemäßem Betrieb der in Rede stehenden Betriebsanlage in jenem Zeitpunkt bedurft, in dem die mitbeteiligten Parteien die Stellung von Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1973 erlangten.
Auf das in diesem Zusammenhang von den mitbeteiligten Parteien erstattete Vorbringen über den Zeitpunkt, zu dem sie die Nachbarstellung im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1973 erlangten, konnte der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das zufolge § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot nicht eingehen.
Da die belangte Behörde die dargestellte Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das höheren Stempelgebührenaufwand betreffende Begehren war abzuweisen, da es bei gesetzmäßiger Ausführung der Beschwerde des Wiedervorlageschriftsatzes vom 7. August 1990 nicht bedurft hätte.
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