VwGH 90/01/0139

VwGH90/01/013921.11.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde

1.) des AX, 2.) der GX und 3.) des mj. NX (dieser vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Kindesmutter), gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 18. Juli 1990, Zlen. 4 297.026/1-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 9.370,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, rumänische Staatsangehörige, reisten am 30. Mai 1990 in des Bundesgebiet ein und stellten am 11. Juni 1990 schriftliche und begründete Asylanträge.

Der Erstbeschwerdeführer brachte vor, seine Frau sei die Tochter des ehemaligen rumänischen Handelsdelegierten in Wien, der der Bruder des ehemaligen "Präsidenten" Rumäniens gewesen sei. Der Erstbeschwerdeführer habe als Arzt in der Armee gemeinsam mit seinen Kollegen für die Revolution gekämpft. Nach fast drei Wochen der Teilnahme an Kämpfen habe man ihn zunächst befördern wollen, er sei jedoch trotz der Anerkennung seiner Verdienste aus der Armee entlassen worden. Dies deshalb, da man erfahren habe, daß er Mitglied der Familie C. sei. Der Erstbeschwerdeführer sei niemals politisch tätig gewesen und erst vor zwei Jahren der kommunistischen Partei beigetreten, da dies in der Armee erforderlich gewesen sei. Man habe ihm bei seiner Entlassung verboten, über seine Missionen bei den Kämpfen zu sprechen. Seine Kollegen, die alle befördert worden seien, hätten mit ihm keinen Kontakt aufnehmen dürfen. Um das Land überhaupt verlassen zu können, habe er sich auf nicht legalem Wege einen Reisepaß besorgen müssen. Wenn "sein Wissen" bekannt würde, bestünde Gefahr für ihn. Deshalb habe er auch um seine Schwiegermutter und seine Schwägerin in Rumänien Angst. Man habe auch seinen Vater aus der Armee entlassen. Dieser sei jedoch in Rumänien geblieben. Die Familie seiner Frau habe ihm "Schwierigkeiten" gemacht. Im Jahre 1982 sei eine von ihm geplante Reise nach Frankreich und Österreich verhindert worden, da die Familie C. befürchtet habe, er wolle Rumänien verlassen. Seit dieser Zeit habe er keinen Reisepaß gehabt. Mehrfach habe man ihm gedroht, sein Haus anzuzünden; auch nachts sei er unter Drohungen angerufen worden. Er befürchte Racheakte haßerfüllter Personen, obwohl er mit den Taten des Regimes C. nichts zu tun gehabt habe. Trotz der Angst vor Verfolgung habe er die Änderung der Lage in seinem Land ohne Arbeitsplatz abgewartet. Nach seiner Flucht aus Rumänien sei er über Ungarn und die Tschechoslowakei nach Ostberlin gefahren, um in Schweden Asyl zu erhalten. Da dies nicht möglich gewesen sei, sei er nach Ungarn zurückgereist.

Bei der niederschriftlichen Befragung des Erstbeschwerdeführers am 20. Juni 1990 führte dieser aus, in den Jahren 1980 und 1981 habe er sich als Tourist in Wien aufgehalten. Im Jahre 1982 sei er als Tourist in Budapest gewesen. Am 22. Februar 1990 sei er nach Wien gereist, um Informationen über den plötzlichen Tod seines Schwiegervaters einzuholen. Aus Angst, in Österreich ebenso wie in Schweden keine Aufnahme zu finden, habe er bei seinem Visumsantrag vor der österreichischen Botschaft in Budapest seine Absicht, in Österreich einen Asylantrag zu stellen, verschwiegen. Es sei für ihn schwer bzw. unmöglich gewesen, gegen das Ceausescuregime initiativ zu werden. Seine familiären Bindungen hätten für ihn keine positiven Auswirkungen gehabt. Es sei auch zu Diskrepanzen zwischen den Brüdern C. gekommen, worunter auch er zu leiden gehabt habe. Man habe ihm und seiner Frau auch nahegelegt, auf ihr Erbe zu verzichten, um sich nicht nach rumänischem Recht strafbar zu machen.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte in ihrem ebenfalls schriftlich eingebrachten Asylantrag vor, sie sei die Tochter des XY, der Handelsdelegierter in Wien gewesen sei, und habe bis zum Jahre 1979 die Schule in Wien besucht. In der Folge habe sie in Bukarest studiert und bei der rumänischen Presseagentur gearbeitet. Sie habe sich trotz vorhandener Angebote nicht politisch betätigt. So habe sie es abgelehnt, die Akademie für politische Wissenschaften zu absolvieren. Weiters habe sie auch das Angebot eines Postens im Büro der Grundorganisation der Partei abgelehnt. Deswegen sei ihr eine berufliche Prüfung verwehrt worden. Am 22. Dezember 1989 habe man ihr erklärt, daß es für sie zu gefährlich sei, ins Büro zu kommen. In der Folge habe man ihr unbezahlten Urlaub nahegelegt, der ihr jedoch nicht bewilligt worden sei. Statt dessen sei die Zweitbeschwerdeführerin aufgefordert worden, zu kündigen. Inzwischen sei ihr Mann aus der Armee entlassen worden, obwohl er für die Revolution gekämpft habe. Sie habe ZY nicht gekannt und ihn nur einmal persönlich gesehen, als sie acht Jahre alt gewesen sei. Ihre Familie habe ihr nie geholfen, sondern vielmehr "Schwierigkeiten" gemacht. So habe man sie im Jahre 1982 an einer Auslandsreise gehindert und ihr den Paß abgenommen. Seit der Revolution werde ihre Familie bedroht. Trotz ihrer Angst habe sie abgewartet, ob sich die Lage in Rumänien ändern werde. Sie habe auch an den ständigen Demonstrationen auf dem Universitätsplatz in Bukarest teilgenommen. Diese Demonstrationen seien gefilmt worden. Sie habe nun wegen ihrer familiären Herkunft befürchtet, doppelt benachteiligt zu werden. Ihren Reisepaß habe sie über Bekannte und durch Geschenke auf illegalem Weg erhalten. In der Folge sei sie über die Tschechoslowakei nach Ostberlin gereist, wo sie den schwedischen Konsul kontaktiert habe. Dieser habe jedoch erklärt, daß er nichts für sie tun könne, und so habe sie sich nach Ungarn begeben, wo sie eine Einladung für die Bundesrepublik Deutschland und ein Transitvisum für Österreich erhalten habe. Sie habe eine Reise nach Österreich angestrebt, da sie hier Bekannte habe. Aus Angst vor Verfolgung und weil sie ihrer materiellen Existenzgrundlage beraubt worden sei, habe sie nicht mehr nach Rumänien zurückkehren können. Auch ihr Schwiegervater habe seinen Arbeitsplatz verloren. Weiters sei in Rumänien ein Verfahren gegen ihren Vater trotz seines Todes anhängig. Im Falle einer Verurteilung müsse sie für die von ihrem Vater verursachten Schäden aufkommen. Sie könnte sich keinen Schutz von den rumänischen Behörden erwarten, zumal ein solcher ihrer Mutter auch nicht zuteil geworden sei.

Bei der niederschriftlichen Befragung vor der Behörde erster Instanz am 20. Juni 1990 brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, sie sei lediglich Mitglied der RKP gewesen und habe sich politisch "inaktiv" verhalten. Sie habe es abgelehnt, politisch zu avancieren. Von der österreichischen Botschaft in Budapest habe sie aus Angst, nicht einreisen zu dürfen, keine Angaben über ihren beabsichtigten Asylantrag gemacht. Ihr Ehemann habe sich am 22. und 23. Februar 1990 in Wien aufgehalten, um näheres über den Tod ihres Vaters zu erfahren. Es sei nun ihr Wunsch, in die USA zu gelangen. In Ungarn habe sie aus Angst wegen des bestehenden Konfliktes mit Rumänien nicht um Asyl angesucht.

Mit zwei Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. Juni 1990 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes sind.

In der von den Beschwerdeführern dagegen erhobenen Berufung wurde im wesentlichen gleichlautend ausgeführt, ihr Asylantrag sei mit einem Formular abgewiesen worden. Auf Grund der Zugehörigkeit zur Familie des ehemaligen Präsidenten von Rumänien hätten sie wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Sie hätten die politischen Ansichten des Regimes nicht geteilt und seien nicht Angehörige der "Nomenklatura" gewesen. Wegen dieser vermeintlichen politischen Überzeugung hätten sie wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Im Anschluß an die Revolution hätten sie ihre Arbeitsplätze verloren und seien damit ihrer materiellen Existenz beraubt worden. Auch sei der Hochkommissär der Vereinten Nationen für das Flüchtlingswesen in ihrer Sache nicht gehört worden, was einen Verstoß gegen § 9 Asylgesetz darstelle.

Mit den nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde wurden die Berufungen abgewiesen.

Betreffend den Erstbeschwerdeführer führte die belangte Behörde zur Begründung im wesentlichen aus, es sei diesem im gesamten Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen, konkrete Verfolgungen seiner Person aus einem der in der Genfer Konvention taxativ aufgezählten Tatbestände darzutun. Aus seiner Entlassung aus der Armee lasse sich nicht objektiv eine Verfolgung seiner Person aus Gründen der Konvention ableiten. Auch habe er sein Heimatland über Ungarn verlassen. Da Ungarn Mitglied der Genfer Konvention sei, wäre es ihm bereits in Ungarn möglich gewesen, einen Asylantrag zu stellen. Hätte der Erstbeschwerdeführer Rumänien tatsächlich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen, so hätte er nicht gezögert, sofort nach seiner Einreise in Ungarn Asylantrag zu stellen. Außerdem stelle seine Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei ein Indiz für seine regimekonforme Haltung dar. Das Vorbringen, es drohe ihm eine Bestrafung, da er sein Land unerlaubterweise verlassen habe, könne nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen, denn "paßpolizeiliche Sanktionen" für sich stellten allein keine politische Verfolgung dar. Auch der Umstand, daß der Erstbeschwerdeführer im Zuge seiner beruflichen Laufbahn Zugang zu geheimen Informationen gehabt habe, könne die Anerkennung als Flüchtling nicht rechtfertigen. Da das Ermittlungsverfahren keine Anhaltspunkte für eine konkrete Verfolgung seiner Person ergeben habe, sei nicht davon auszugehen, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention außerhalb seines Heimatlandes befinde.

Zur Zweitbeschwerdeführerin führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, es sei dieser im gesamten Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen, konkrete Verfolgungen ihrer Person aus einem der in der Konvention taxativ aufgezählten Tatbestände darzutun. Der Umstand, daß sie der kommunistischen Partei als Mitglied angehört habe, sei ein Indiz für ihre regimekonforme Haltung. Aus ihren Schwierigkeiten am Arbeitsplatz lasse sich eine Verfolgung ihrer Person aus Gründen der Konvention objektiv nicht ableiten. Außerdem hätte sie bereits in Ungarn, das Mitglied der Genfer Konvention sei, einen Asylantrag eingebracht, wenn sie sich tatsächlich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb ihres Heimatlandes befunden habe. Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei, daß den vom Asylwerber im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Argumenten zu entnehmen sei, er habe konkrete Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung zu befürchten. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu.

Gegen diese Bescheide richten sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerden. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf Anerkennung als Flüchtling verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden und hierüber erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796 (Asylgesetz), ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Punkt 2. der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne des Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die belangte Behörde stützte ihre Bescheide zum ersten darauf, daß der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin Mitglieder der kommunistischen Partei gewesen seien und dies ein regimekonformes Verhalten indiziere. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Genannten ihre Furcht vor Verfolgung nicht auf die Zustände vor den revolutionären Ereignissen im Dezember 1989/Jänner 1990 gestützt haben, sondern auf die nachfolgenden Verhältnisse in ihrem Heimatlande, bei denen die Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei keine "regimekonforme" Haltung aufzeigt. Wesentlich sind aber, nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer, ihre familiären Beziehungen zur ehemaligen herrschenden Schichte in ihrem Heimatland vor den Ereignissen zur Wende des Jahres 1989/1990. Auf die von den Beschwerdeführern nunmehr befürchtete und nicht von der Hand zu weisende Verfolgung aus den in der Konvention genannten Gründen unter den neuen politischen Verhältnissen - mögen sie auch nur geringfügige Vorteile während des vergangenen Regimes erfahren haben - ist die belangte Behörde zu Unrecht nicht eingegangen, sind doch Drohungen nach den Angaben der Beschwerdeführer gegen sie ausgestoßen worden. Daß der Verlust des Arbeitsplatzes des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin unter den von ihnen eingehend geschilderten Umständen keine konkrete Verfolgung im Sinne der Konvention darstellt, ist mangels einer entsprechenden Begründung nicht einsichtig. Der Umstand schließlich, daß die Beschwerdeführer zuerst nach Ungarn geflohen sind, das Mitglied der Genfer Konvention ist, und nicht bereits dort einen Asylantrag gestellt haben, ist im vorliegenden Fall schon deshalb unbeachtlich, weil insbesondere die Zweitbeschwerdeführerin Gründe für die Unterlassung angegeben hat, auf die die belangte Behörde nicht eingegangen ist, abgesehen davon, daß die Beschwerdeführer weder nach dem Asylgesetz noch nach der Konvention verhalten sind, einen Asylantrag bereits im ersten Land nach ihrer Flucht zu stellen.

Da die Begründung der angefochtenen Bescheide in wesentlichen Punkten mangelhaft geblieben ist und nicht auszuschließen ist, daß bei Vermeidung dieser Verfahrensfehler die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, waren die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 und 59 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte