Normen
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
GmbHG §16;
GmbHG §18;
GmbHG §25;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
GmbHG §16;
GmbHG §18;
GmbHG §25;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers für die nach dem 30. Juni 1987 fällig gewordenen Abgabenschulden betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer der X Gesellschaft m.b.H. Mit Haftungsbescheid vom 28. April 1989 zog der Magistrat der Stadt Wien den Beschwerdeführer gemäß §§ 7, 54 WAO als Haftungspflichtigen für Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft (Lohnsummensteuer und Dienstgeberabgabe Jänner 1987 bis April 1988) heran.
In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Gesellschaft habe mit 31. Mai 1987 geendet. Trotz seiner Urgenzen hätten die Gesellschafter die Löschung im Handelsregister erst durch Gesellschafterbeschluß vom 8. Juni 1988 veranlaßt. Bereits am 1. Dezember 1987 habe der Beschwerdeführer dem Handelsgericht Wien mitgeteilt, daß er seit 31. Mai 1987 nicht mehr Geschäftsführer sei. Die Abgabenrückstände gingen auf nach dem Ausscheiden des Beschwerdeführers als Geschäftsführer abgegebene Erklärungen der Gesellschaft zurück. Der Beschwerdeführer habe weder Kenntnis von den Abgabenrückständen noch die Möglichkeit gehabt, deren Zahlung zu veranlassen, da er nicht mehr Geschäftsführer gewesen sei. Während seiner Geschäftsführertätigkeit habe er regelmäßig für die erforderlichen Zahlungen gesorgt. Der zweite Geschäftsführer der Gesellschaft habe jedoch die vom Beschwerdeführer getätigten Banküberweisungen "gestoppt". Diese Vorgangsweise sei dem Beschwerdeführer erst durch Urgenzen von Lieferanten bekannt geworden und habe ihn zur Beendigung seiner Tätigkeit veranlaßt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie vertrat die Auffassung, der Beschwerdeführer habe seine Behauptung, seine Funktion als Geschäftsführer habe bereits mit 31. Mai 1987 geendet, nicht belegen können. Es sei zwischen der Funktion als Geschäftsführer und einem allfälligen Dienstverhältnis zu unterscheiden. Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben vom 22. Mai 1987 betreffe die Aufkündigung des Dienstverhältnisses; der Beschwerdeführer habe nicht erklärt, seine gesellschaftsrechtliche Funktion als Geschäftsführer ebenfalls zu beenden. Das Schreiben der Gesellschaft vom 26. Mai 1987 bestätige lediglich das Ende des "Angestelltenverhältnisses" und bringe gleichzeitig zum Ausdruck, daß der Beschwerdeführer weiterhin für die Gesellschaft als Konsulent tätig sei. Die Mitteilung an das Handelsgericht Wien sei ohne rechtliche Relevanz, da eine Rücktrittserklärung nur gegenüber der Gesellschaft abgegeben werden könne. Eine Aufteilung der Geschäftsführeragenden, die den Beschwerdeführer hätte entlasten können, habe dieser nicht behauptet. Daß der zweite Geschäftsführer Überweisungen "gestoppt" habe, hätte dem Beschwerdeführer bei einer Kontrolle auffallen müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend macht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 1 WAO haften die in den §§ 54 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Nach § 54 Abs. 1 WAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Zu den in § 54 Abs. 1 WAO genannten Personen gehören auch die Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten haben.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß die in Haftung gezogenen, in der Zeit von Jänner 1987 bis April 1988 fällig gewordenen Abgaben bei der "Primärschuldnerin" uneinbringlich sind. Er vertritt jedoch - wie schon im Berufungsverfahren - die Auffassung, daß er "die Funktion als Geschäftsführer nur bis Ende Mai 1987 tatsächlich ausgeübt" habe; allerdings habe er das Dienstverhältnis per Ende Juni 1987 aufgekündigt.
Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, daß zwischen der organschaftlichen Bestellung des Geschäftsführers und seiner Anstellung, die eine besondere schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Geschäftsführer und der Gesellschaft erzeugt, zu unterscheiden ist (vgl. Reich - Rohrwig, GmbH-Recht 96, 103 mit weiteren Nachweisen). Dementsprechend ist zwischen der Beendigung der Organfunktion und der Beendigung des Anstellungsvertrages zu unterscheiden; die Beendigung des Anstellungsverhältnisses bewirkt somit in der Regel nicht per se die Beendigung der Organstellung und umgekehrt (Reich -Rohrwig, aaO 109; Baumbach - Hueck, GmbH-Gesetz14 § 38, Rz 39).
Der Anstellung kann - je nach ihren Merkmalen - auch ein freier Dienstvertrag, ein Werkvertrag oder ein Auftrag zu Grunde liegen (Reich - Rohrwig, aaO 103); in der Regel - vor allem bei sogenannten "Fremdgeschäftsführern" - ist der Anstellungsvertrag ein echter Dienstvertrag (Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht 807) im Sinne der §§ 1151 ff ABGB.
Das Dienstverhältnis kann durch den Geschäftsführer einseitig durch Kündigung (§ 1159 ABGB, § 20 AngG) oder vorzeitige Auflösung (§ 1162 ABGB, § 25 AngG) beendet werden. In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, daß der Geschäftsführer auch berechtigt ist, seine Organfunktion jederzeit niederzulegen; die Rücktrittserklärung stellt dabei eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 1988, Zl. 85/14/0161 und die darin zitierte Vorjudikatur; OGH SZ 58/181;
Reich - Rohrwig, aaO 166, Gellis, Kommentar zum GmbH-Gesetz2, 164). Nach herrschender Ansicht kann die Niederlegung der Funktion nicht nur gegenüber den Gesellschaftern und dem Aufsichtsrat, sondern auch gegenüber einem anderen Geschäftsführer erklärt werden (Reich - Rohrwig, aaO 166; Mertens in Hachenburg, GmbH-Gesetz7, § 38 Rz 76). Der Rücktritt wird mit dem Zugang der Erklärung wirksam (Reich - Rohrwig, aaO 166; OGH SZ 58/181), wenn nicht - wie im vorliegenden Fall - ein späterer Zeitpunkt genannt wird. Der zurückgetretene Geschäftsführer kann seine Löschung im Handelsregister durch Klage erzwingen (vgl. z.B. OGH GesRZ 1980, 90); der Zeitpunkt der Löschung im Handelsregister ist im vorliegenden Zusammenhang aber nicht von Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 1988, Zl. 85/14/0161, und die darin zitierte Vorjudikatur).
Im vorliegenden Fall ist somit streitentscheidend, ob durch die Erklärung des Beschwerdeführers gegenüber der Gesellschaft vom 22. Mai 1987 lediglich das Anstellungsverhältnis - wie die belangte Behörde meint, die sich dabei auf die Verwendung der Worte "Aufkündigung des Dienstverhältnisses" durch den Beschwerdeführer stützen kann - oder auch die Organfunktion als Geschäftsführer beendet wurde. Diese Frage ist mit Hilfe der Auslegung der strittigen Erklärung nach den Auslegungsregeln der §§ 914 ff ABGB, die auch für einseitige Erklärungen gelten (vgl. z.B. OGH SZ 56/176, JBl 1983, 559 u.a.), zu lösen. Nach der zitierten Vorschrift ist das Ziel der Auslegung die Feststellung der Absicht der Parteien (bei einseitigen Erklärungen die Absicht des Erklärenden); es ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdruckes zu haften. Die Auslegung der einzelnen Erklärung ist am "Empfängerhorizont" zu messen; die "Umstände der Erklärung" sind stets zu berücksichtigen (vgl. Rummel in Rummel, ABGB2, Rz 4, 7 zu § 914).
Eine umfassende Auslegung der strittigen Erklärung des Beschwerdeführers kann somit nicht allein auf den Umstand, daß darin lediglich von der "Aufkündigung des Dienstverhältnisses", nicht aber (ausdrücklich) auch von der "Beendigung (Niederlegung, Rücktritt von) der Organfunktion" die Rede ist, gegründet werden. Die Kündigung des Anstellungsvertrages durch den Geschäftsführer wird vielmehr in der Regel gleichzeitig Amtswiderlegung bedeuten (Baumbach - Hueck aao § 38 Rz 39). Selbst wenn man unterstellt, daß der Beschwerdeführer hätte wissen müssen, daß zwischen dem Anstellungsverhältnis und der gesellschaftsrechtlichen Bestellung zum Geschäftführer zu unterscheiden ist, und ausschließt, daß die Parteien die Begriffe "Dienstverhältnis" bzw. "Angestelltenverhältnis" subjektiv als Bezeichnung der Gesamtheit der aus dem Dienstverhältnis UND der Bestellung zum Geschäftsführer erfließenden Rechte und Pflichten verstanden haben, ergibt selbst die wörtliche Auslegung der Erklärung schon Anhaltspunkte für die Absicht des Erklärenden, nicht nur das Dienstverhältnis (im eigentlichen Sinn), sondern auch die Organfunktion als Geschäftsführer zu beenden, weil der Beschwerdeführer (wenigstens implizit) die "Beendigung meiner Tätigkeit in ihrer Gesellschaft" ankündigt, ohne dies auf den Dienstvertrag einzuschränken. Einer solchen Erklärung könnte man einen Sinngehalt, das Dienstverhältnis bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Organfunktion als Geschäftsführer aufzulösen, wohl nur bei Vorliegen einer Interessenlage unterstellen, die nahelegt, daß der Geschäftsführer die aus seiner Organstellung resultierenden Pflichten (und das Haftungsrisiko eines Geschäftsführers) aus anderen Gründen als wegen der aus dem Dienstverhältnis resultierenden Gegenleistungen der Gesellschaft auf sich nehmen wollte. Eine solche Interessenlage, die bei einem "Fremdgeschäftsführer" nur bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht kommen wird, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich; ebensowenig ist ersichtlich, daß der Beschwerdeführer nach dem 30. Juni 1987 noch Vertretungshandlungen für die Gesellschaft gesetzt hätte.
Der Empfänger einer solchen Erklärung könnte diese somit nur bei Kenntnis von einer besonderen Interessenlage des Geschäftsführers, die diesem die weitere Ausübung seiner Funktion auch ohne die Entgeltansprüche aus dem Dienstverhältnis geboten scheinen lassen könnte, als Beendigung bloß des Dienstverhältnisses bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Funktion als Geschäftsführer verstehen.
Die belangte Behörde hat - gestützt auf ihre nach dem Gesagten unrichtige Rechtsauffassung, die strittige Erklärung des Beschwerdeführers könne nur die Beendigung des Dienstverhältnisses, nicht aber der Organfunktion bewirken - den Zugang der Erklärung, deren Inhalt und die Umstände, unter denen sie abgegeben wurde, nicht festgestellt. Ebensowenig wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nach dem 30. Juni 1987 Vertretungshandlungen für die Gesellschaft gesetzt hätte. Bei dieser Sachlage hat die belangte Behörde durch die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung für nach dem 30. Juni 1987 entstandene Abgabenschuldigkeiten ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Soweit der Beschwerdeführer seine Haftung offenbar auch für den Zeitraum bis zum 30. Juni 1987 mit der Behauptung bestreitet, der zweite Geschäftsführer habe die Überweisungsaufträge des Beschwerdeführers "gestoppt", ist er darauf zu verweisen, daß es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Sache des Geschäftsführers ist, darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, daß die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1989, Zl. 88/15/0065, 89/15/0037, und die darin zitierte Vorjudikatur). Ist ein Geschäftsführer an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Obliegenheiten gehindert, so muß er entweder sofort die Behinderung der Ausübung seiner Funktion abstellen oder seine Funktion niederlegen und als Geschäftsführer ausscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1989, Zl. 85/13/0214, und die dort zitierte Vorjudikatur). Im Innenverhältnis erteilte Weisungen binden den Geschäftsführer insoweit nicht, als sie ihn zur Verletzung zwingender gesetzlicher Verpflichtungen nötigen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 10. September 1987, Zl. 86/13/0148).
Mit der vorliegenden, weder in zeitlicher Hinsicht noch inhaltlich konkretisierten Behauptung, der zweite Geschäftsführer habe seine Banküberweisungen "gestoppt", hat der Beschwerdeführer den ihm obliegenden Beweis gar nicht angetreten.
Da der Beschwerdeführer nicht dartun konnte, daß er ohne sein Verschulden nicht in der Lage gewesen wäre, die vor dem 30. Juni 1987 fällig gewordenen Abgabenschulden der Gesellschaft zu entrichten, ist er zu Recht für diese Abgabenschulden als Haftender in Anspruch genommen worden. Die belangte Behörde hat jedoch in Verkennung der Rechtslage den Beschwerdeführer auch für nach diesem Zeitpunkt fällig gewordene Abgabenschulden zur Haftung herangezogen. Der angefochtene Bescheid war daher insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
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