VwGH 89/01/0319

VwGH89/01/03194.4.1990

AÜ gegen Vorarlberger Landesregierung vom 6. Juli 1989, Zl. Ia 370-27/88, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben auf die mitbeteiligten Parteien BÜ und die mj CÜ, DÜ, EÜ, FÜ und GÜ

Normen

StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §11;
StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §11;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetezn; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde das Ansuchen des Beschwerdeführers um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG) und die Anträge der mitbeteiligten Parteien auf Erstreckung dieser Verleihung ab.

In der Begründung ihres Bescheides ging die belangte Behörde von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer sei am 15. April 1955 in Akcaabat/Türkei geboren worden und seit seiner Geburt türkischer Staatsangehöriger. Er sei in der Türkei aufgewachsen, habe dort die Pflichtschule besucht und bis 1971 dort gewohnt. Im Oktober 1971 sei er als Gastarbeiter nach Österreich gekommen. In der Zeit von Februar 1975 bis Jänner 1977 habe er sich zur Ableistung des Militärdienstes in der Türkei aufgehalten. Seit 14. Jänner 1977 habe er ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich. Er sei seit 1973 mit der ebenfalls türkischen Staatsangehörigen BÜ, geborene Y (Erstmitbeteiligte), verheiratet. Aus dieser Ehe seien fünf Kinder (Zweit- bis Sechstmitbeteiligte) hervorgegangen, die bei den Eltern wohnten. Der Beschwerdeführer sei seit 1979 als "Nachseher" bei der Firma K beschäftigt. Den Überprüfungen der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zufolge (festgehalten im Aktenvermerk vom 15. April 1988 und in der Niederschrift vom 17. Mai 1988) beherrsche der Beschwerdeführer die deutsche Sprache mündlich - zwar mit einiger Mühe - in einem Maße, daß eine Verständigung möglich sei. Das Lesen eines Textes in deutscher Sprache und die Wiedergabe des Inhaltes eines selbstgelesenen Textes sowie die Abfassung eines Schriftstückes in deutscher Sprache bereiteten dem Beschwerdeführer jedoch große Schwierigkeiten. Für seine Gattin sei eine Verständigung in deutscher Sprache kaum, das Lesen und Schreiben in Deutsch überhaupt nicht möglich. In der Familie werde überwiegend Türkisch gesprochen. Abgesehen von Kontakten am Arbeitsplatz hätten der Beschwerdeführer und seine Gattin keine intensiveren Kontakte zur einheimischen Bevölkerung. Insbesondere sei eine auf eine erfolgte Integration hinweisende Einbindung in das örtliche Gemeinschaftsleben (z.B. die Mitgliedschaft in Vereinen) nicht erfolgt.

Rechtlich erachtete die belangte Behörde zwar die allgemeinen Voraussetzungen des § 10 StbG als erfüllt, ging aber davon aus, daß die Frage der Assimilierung eines Einbürgerungswerbers das gemäß § 11 leg. cit. zu berücksichtigende allgemeine Wohl und die dort genannten öffentlichen Interessen berühre. Für die Eingliederung stelle die Beherrschung der deutschen Sprache einen sehr wesentlichen Faktor dar. Der Sprache komme nicht nur als Verständigungsmittel im Alltag entscheidende Bedeutung zu, sie sei auch wesentliche Voraussetzung für die Wahrnehmung der Rechte und die Erfüllung der Pflichten eines Staatsbürgers. Die Beherrschung der Sprache berühre auch unter diesem Gesichtspunkt die öffentlichen Interessen. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Personen, die der deutschen Sprache (in Wort und Schrift) nicht in ausreichendem Maße mächtig und damit noch nicht im notwendigen Ausmaß integriert seien, widerspreche dem allgemeinen Wohl und den öffentlichen Interessen. Die belangte Behörde sah sich deshalb trotz des seit 12 Jahren dauernden, ununterbrochenen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich nicht in der Lage, ihm die Staatsbürgerschaft zu verleihen, zumal das Ermittlungsverfahren keine weiteren Sachverhalte ergeben habe, die im Sinne des § 11 StbG gegen die dargelegten, die Eingliederung und die Beherrschung der Sprache betreffenden Gesichtspunkte hätten abgewogen werden können. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe zwar beantragt, die Deutschkenntnisse der Kinder des Beschwerdeführers, die in Österreich die Schule besuchten, zu überprüfen, dies erscheine aber wenig sinnvoll, weil einerseits keine Zweifel bestünden, daß die Kinder die deutsche Sprache beherrschten bzw. erlernten, wenn sie hier aufwüchsen und die Schule besuchten, andererseits dieser Umstand für die Beurteilung der maßgeblichen Frage, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfülle, nicht relevant sei. Da beim Beschwerdeführer auch keine der Voraussetzungen für eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach §§ 11a, 12, 13 und 14 StbG gegeben seien, scheide auch eine Verleihung auf Grund dieser Tatbestände aus, weshalb das Ansuchen um Verleihung der Staatsbürgerschaft abzuweisen gewesen sei. Eine Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 18 leg. cit. sei nur gleichzeitig mit der Verleihung zulässig, weshalb das Ansuchen der Mitbeteiligten ebenfalls abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann einem Fremden die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hat (Abs. 1 Z. 1) und den weiteren, in den Z. 2 bis 8 im einzelnen umschriebenen Einbürgerungsbedingungen entspricht. Die Entscheidung liegt - sofern die genannten Anforderungen erfüllt sind - sodann im Ermessen der Behörde, wobei gemäß § 11 leg. cit. auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei Rücksicht zu nehmen ist. Die Feststellung, ob die Einbürgerungsbedingungen erfüllt sind, liegt nicht im freien Ermessen der Behörde (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 19. November 1986 Zl. 86/01/0202 und die dort zitierte hg. Vorjudikatur).

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid im wesentlichen auf die mangelnden Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers und seiner Gattin gestützt. In diesem Punkt fällt zunächst auf, daß die belangte Behörde festgestellt hat, der Beschwerdeführer beherrsche, die deutsche Sprache mündlich "nur mit einiger Mühe", daß sich aber bei Einsicht in die dazu vom angefochtenen Bescheid zitierten Unterlagen (nämlich den Aktenvermerk vom 15. April 1988 und die Niederschrift vom 17. Mai 1988) hiefür, was den Beschwerdeführer anlangt, keine Belegstelle findet. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang offensichtlich einerseits die Angaben der Gattin des Beschwerdeführers anläßlich der niederschriftlichen Befragung vom 17. Mai 1988 (vgl. Seite 61 der Verwaltungsakten) mit denen des Beschwerdeführers verwechselt und andererseits die aus dem Aktenvermerk vom 15. April 1988 erkennbare Mühe des Beschwerdeführers beim Lesen und der Wiedergabe eines gelesenen deutschen Textes auf die Frage der mündlichen Verständigung des Beschwerdeführers im allgemeinen ausgedehnt. Bereits dadurch hat sie aber ihren Bescheid mit einer wesentlichen Aktenwidrigkeit im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG belastet, weil sie gerade dem Umstand der unzureichenden Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers besonderes Gewicht beigemessen hat.

Dazu kommt, daß die belangte Behörde die Frage der Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall überbewertet hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem schon oben zitierten Erkenntnis vom 19. November 1986, Zl. 86/01/0202 betont hat, kommt es bei der Beurteilung der Person eines Einbürgerungswerbers, der aus einem nicht dem deutschen Sprachraum angehörigen Land stammt, auf das GESAMTVERHALTEN des Betroffenen an. Dabei kann die Frage der Sprachkenntnisse (insbesondere die Problematik der Beherrschung der deutschen Sprache betreffend die Abfassung und das Lesen von Schriftstücken) immer nur eines von mehreren maßgeblichen Beurteilungskriterien sein. Dem Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang zuzugeben, daß für die Beurteilung seiner Integration in Österreich auch die Frage der Lebenssituation seiner Kinder eine nicht unmaßgebliche Rolle spielen kann. Auch indem die belangte Behörde den diesbezüglichen Beweisantrag des Beschwerdeführers vom 20. April 1989 (vgl. die Seiten 105 bis 109 der Verwaltungsakten), der sich nicht nur auf die Deutschkenntnisse der Kinder des Beschwerdeführers, sondern auf deren gesellschaftliche und kulturelle Integration überhaupt bezogen hat, für irrelevant erachtete und daher unbehandelt ließ, ist ihr ein wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen, weil nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei näherer Prüfung der Lebenssituation der minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers und damit unter Umständen der gesamten Familie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Nicht unerwähnt soll schließlich noch bleiben, daß das insbesondere auch in der Gegenschrift von der belangten Behörde gebrauchte Argument, es fehle beim Beschwerdeführer an einer Einbindung in das örtliche Gemeinschaftsleben (womit sich die belangte Behörde ganz offensichtlich auf die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung bezieht, es fehle zB an einer "Mitgliedschaft in Vereinen") einen abweislichen Bescheid nicht zu tragen vermag. Zwar kann die Mitgliedschaft eines Einbürgerungswerbers bei einem örtlichen Verein durchaus ein Indiz für seine soziale Integration im Inland darstellen, jedoch besagt das Fehlen eines derartigen Umstandes nicht das GegenteilÜ

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a bis c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989 BGBl. Nr. 206; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens bezieht sich auf die angesprochene Umsatzsteuer.

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