VwGH 84/13/0218

VwGH84/13/021821.2.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden

Senatspräsident Mag. Hofstätter und Senatspräsident

Dr. Iro sowie die Hofräte Dr. Drexler,

Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein der

Schriftführerin Mag. Wimmer, über die Beschwerde des X gegen

das Finanzamt Wien-Umgebung wegen Verletzung der

Entscheidungspflicht betreffend Vermögensteuer zum 1. Jänner

1982, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §311 Abs2;
BAO §311;
BAO §85;
B-VG Art132;
VwGG §27;
BAO §311 Abs2;
BAO §311;
BAO §85;
B-VG Art132;
VwGG §27;

 

Spruch:

Eine Neuveranlagung der Vermögensteuer des Beschwerdeführers zum 1. Jänner 1982 findet nicht statt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe

von S 10.550,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu

ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde vom Finanzamt durch Zusendung eines Vermögensteuererklärungsformulars aufgefordert, bis 4. März 1983 eine Vermögensteuererklärung zum 1. Jänner 1982 abzugeben. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung innerhalb auf Antrag verlängerter Frist am 31. Mai 1983 nach.

Mit der am 9. Oktober 1984 eingebrachten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht geltend, weil das Finanzamt über seine Vermögensteuererklärung nicht entschieden hatte.

Der Gerichtshof hat die belangte Behörde (Finanzamt Wien-Umgebung) mit Verfügung vom 12. Dezember 1984 aufgefordert, innerhalb der Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen. Die belangte Behörde hat dieser Aufforderung nicht entsprochen, sondern die Verwaltungsakten sowie eine Gegenschrift vorgelegt, in der die Zurückweisung der Säumnisbeschwerde beantragt wird. Der Beschwerdeführer habe keinen Antrag auf Neuveranlagung gestellt. Die Zusendung des Vermögensteuererklärungsformulars habe nur den "Charakter einer Anfrage" gehabt, "um die belangte Behörde in die Lage zu versetzen, eine Überprüfung dahingehend zu treffen, ob die Voraussetzungen für eine amtswegige Maßnahme" gemäß § 13 Abs. 4 VStG (Neuveranlagung) gegeben seien. Eine solche amtswegige Maßnahme stehe im Ermessen der Behörde. Eine Verpflichtung zur Erlassung eines Bescheides sei daher nicht gegeben. Abgesehen davon lägen die Voraussetzungen für eine Neuveranlagung nicht vor. Das steuerpflichtige Vermögen des Beschwerdeführers (und der mit ihm zusammen zu veranlagenden Personen) sei zum 1. Jänner 1981 bescheidmäßig mit S Null festgestellt worden. Zum 1. Jänner 1982 habe das Vermögen laut Vermögensteuererklärung ebenfalls S Null betragen. Die im § 13 Abs. 1 VStG für die Vornahme einer Neuveranlagung erforderliche Abweichung des Vermögens vom letzten Veranlagungszeitpunkt sei daher nicht gegeben.

Der Beschwerdeführer hat zu der Gegenschrift eine Stellungnahme abgegeben, in der er sich mit der grundsätzlichen Entscheidungspflicht der belangten Behörde auseinandersetzt; der obigen Sachverhaltsdarstellung der belangten Behörde ist der Beschwerdeführer nicht entgegengetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht an den Verwaltungsgerichtshof erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.

Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat.

In der Bundesabgabenordnung war die Entscheidungspflicht im § 311 in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 312/1987 wie folgt geregelt:

"(1) Die Abgabenbehörden sind verpflichtet, über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen (§ 85) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.

(2) Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind (§§ 185 bis 206), der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen zugestellt, so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen; er ist abzuweisen, wenn die Verspätung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen ist."

Auf der Grundlage dieser zitierten Bestimmungen hatte der Gerichtshof zunächst zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzung für die Erhebung einer Säumnisbeschwerde erfüllt, nämlich daß er die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte, tatsächlich angerufen hat und daß diese Behörde säumig geblieben ist.

Im Zuge dieser Prüfung entstanden beim Gerichtshof verfassungsrechtliche Bedenken gegen die im § 311 Abs. 2 erster Satz BAO, in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 312/1987 normierten Einschränkung der Devolutionsmöglichkeit und zwar gegen die Worte ".... mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind (§§ 185 bis 206), ....".

Der Gerichtshof stellte daher am 18. März 1987 unter Zl. A 9/87 an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, die zitierte Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Erkenntnis vom 30. September 1989, G 77/87, hat der Verfassungsgerichtshof diesen Antrag abgewiesen. Im Beschwerdefall ist die angefochtene Bestimmung daher in vollem Umfang anzuwenden.

Wie § 311 Abs. 1 BAO zu entnehmen ist, besteht die Entscheidungspflicht der Abgabenbehörden uneingeschränkt bezüglich aller Anbringen der Partei. Was unter Anbringen zu verstehen ist, wird durch Verweis auf § 85 BAO bestimmt. Gemäß § 85 BAO sind "Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) grundsätzlich schriftlich, telegraphisch oder durch Fernschreiben einzureichen (Eingaben)".

Abgabenerklärungen stellen demnach zweifelsfrei Anbringen im Sinne des § 85 BAO dar, über die die Abgabenbehörde gemäß § 311 BAO ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden hat. Diese Entscheidungspflicht besteht unabhängig vom Inhalt der zu treffenden Entscheidung. Auch wenn ein Anbringen als unzulässig zurückzuweisen ist oder aus anderen Gründen keine rechtsverändernde Wirkung nach sich ziehen kann, hat die Abgabenbehörde darüber zu entscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Zlen. 934 und 1223/73, Slg. Nr. 9458/A).

Die Behauptung der belangten Behörde, nicht alle Anbringen im Sinne des § 85 BAO unterlägen der Entscheidungspflicht, findet im Gesetz keine Stütze. Das herangezogene Beispiel der Beantwortung eines Bedenkenvorhaltes vermag deswegen nicht zu überzeugen, weil ein Bedenkenvorhalt regelmäßig im Zuge der Erledigung eines Anbringens ergeht, sodaß in seiner Beantwortung sehr wohl ein (zusätzliches) Anbringen enthalten sein kann, über das die Abgabenbehörde, meist im Rahmen der Entscheidung über das "Erstanbringen" zu entscheiden hat.

Die belangte Behörde hat daher ihre Entscheidungspflicht verletzt. Die Frage, ob diese Verletzung der Entscheidungspflicht den Beschwerdeführer zur Erhebung einer Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG berechtigte, ist aus folgenden Erwägungen zu bejahen:

Unter dem Gesichtspunkt jenes Rechtsschutzbedürfnisses, dem die Einrichtung der Säumnisbeschwerde dient, nämlich der Partei die Möglichkeit zur Betreibung ihrer Rechtssache zu geben, um zu verhindern, daß rechtliche Anliegen einer Partei einfach durch sanktionsloses Untätigbleiben der zuständigen Behörde keiner Erledigung zugeführt werden, darf es keinen Unterschied machen, welcher Organisationsstufe die untätig bleibende Behörde zuzuordnen ist. Es muß auch gleich sein, ob die Partei deswegen gehindert ist, eine Behörde höherer Organisationsstufe anzurufen, weil eine solche nicht mehr vorgesehen ist, oder ob durch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung, wie sie § 311 Abs. 2 BAO darstellt, ein Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht auf eine vorhandene Oberbehörde für unzulässig erklärt wird. Auch im letztgenannten Fall "konnte" eben die Partei keine übergeordnete Behörde mehr anrufen, sodaß ihr der Weg einer Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof offenstehen muß, will man ihr die Möglichkeit nicht nehmen, ihre rechtlichen Anliegen durchsetzen zu können.

Wie bereits gesagt, besteht die Verpflichtung zur Entscheidung über ein Anbringen losgelöst davon, welcher Art diese Entscheidung ist. Im Beschwerdefall liegen die im § 13 Abs. 1 VStG genannten materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Neuveranlagung der Vermögensteuer des Beschwerdeführers unbestritten nicht vor. Die zu treffende Entscheidung konnte sich daher auf die Feststellung beschränken, daß mit Rücksicht auf diesen Umstand eine Neuveranlagung der Vermögensteuer zum 1. Jänner 1982 nicht vorzunehmen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 55 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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