StbG 1965 §10 Abs4;
Spruch:
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Draxler, Dr. Hoffmann, Dr. Herberth und Dr. Kremla als Richter im Beisein des Schriftführers Dr. Brauhart, über die Beschwerde des KE in R, vertreten durch Dr. Albert Feichtner, Rechtsanwalt in Kitzbühel, Josef Pirchl-Straße 12, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 25. Mai 1984, Zl. Ia 4184/12-1984, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.550,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsangehöriger, suchte am 25. Mai 1982 beim Amt der Tiroler Landesregierung um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an. Zur Begründung brachte er vor, dass er seit dem 1. Februar 1978 in Tirol (K und R) ansässig sei und Österreich zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gewählt habe. Er besitze zwar noch in Stuttgart eine Fabrik für optische Spezialgeräte, beabsichtige aber, diesen Betrieb nach Österreich zu verlegen.
In dem über dieses Einbürgerungsgesuch - in der Annahme, der Beschwerdeführer habe im Inland keinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 5 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes (StbG) 1965, BGBl. Nr. 250, zeitweilig gemäß § 39 Abs. 2 leg. cit. vom Amt der Wiener Landesregierung - durchgeführten Ermittlungsverfahren machte der Beschwerdeführer geltend, angesichts der von ihm auf wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Gebiet ausgeübten Tätigkeiten seien die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 10 Abs. 4 StbG 1965 gegeben. Er habe in der Tiroler Gemeinde R einen Betrieb zur Herstellung optischer und elektronischer Geräte gegründet, in dem auch für medizinische Zwecke geeignete Nachtsicht- und Laserapparaturen sowie Spezialscheinwerfer erzeugt werden könnten. Als Folge der Produktion dieser Geräte sei für die österreichische Wirtschaft mit interessanten und bedeutenden Exportaufträgen zu rechnen. Im übrigen bestehe von Seiten des Beschwerdeführers auch ein besonderes Interesse an einer Zusammenarbeit mit österreichischen Universitäten auf dem Gebiete der Forschung und der Entwicklung neuer technischer Produkte.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie und deren Vorhalt gegenüber dem Beschwerdeführer wies die Tiroler Landesregierung mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 25. Mai 1984 das Einbürgerungsgesuch des Beschwerdeführers gemäß § 10 Abs. 4 StbG 1965 ab. Ausgehend davon, der Beschwerdeführer habe jedenfalls bis zum 29. Juni 1982 im Inland keinen ordentlichen Wohnsitz begründet gehabt, führte die Behörde in ihrer Bescheidbegründung an, einer Einbürgerung des Verleihungswerbers stünden angesichts der geringen Wohnsitzdauer die Hindernisse des § 10 Abs. 1 Z. 1 (mindestens zehnjähriger ununterbrochener ordentlicher Wohnsitz in Österreich) sowie des § 10 Abs. 3 (mindestens vierjährige Wohnsitzdauer) entgegen und auch die Einbürgerungsbedingungen der §§ 11 a und 58 c StbG 1965 seien nicht erfüllt. Nach Lage des Beschwerdefalles käme eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer demnach nur dann in Betracht, wenn die Bundesregierung gemäß § 10 Abs. 4 StbG 1965 bestätigte, die vom Beschwerdeführer angestrebte Verleihung liege wegen der von ihm bereits erbrachten oder - insbesondere auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet - noch zu erwartenden Leistungen im Interesse der Republik. Der Beschwerdeführer habe im Verfahren zwar derartige außerordentliche Leistungen ins Treffen geführt, doch habe das hiezu um Stellungnahme ersuchte Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie mitgeteilt, dass es sich auf Grund der vom zuständigen Branchenreferat durchgeführten Recherchen nicht in der Lage sehe, aus wirtschaftspolitischer Sicht die Ausstellung einer Bestätigung der Bundesregierung gemäß § 10 Abs. 4 StbG 1965 zu befürworten. In Anbetracht dieser Äußerung hätten nach Ansicht der Landesregierung die vom Beschwerdeführer dargelegten Leistungen nicht als derart qualifiziert gewertet werden können, dass die Einholung eines Beschlusses der Bundesregierung über die Erteilung einer Interessenbescheinigung im Sinne des § 10 Abs. 4 StbG 1965 gerechtfertigt wäre. Damit aber habe dem Einbürgerungsansuchen des Beschwerdeführers keine Folge gegeben werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ohne dass der Beschwerdeführer in dem Zusammenhang ausdrücklich den Aufhebungsgrund der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend macht, wird in der Beschwerde zunächst ausgeführt, der belangten Behörde sei entgegenzuhalten, sie argumentiere widerspüchlich und verneine insoweit auch die Voraussetzungen für ihre eigene Zuständigkeit im Sinne des § 39 Abs. 2 StbG 1965, wenn sie annehme, der Beschwerdeführer habe nur einen Hauptwohnsitz in Stuttgart, in Tirol sei er zwar polizeilich gemeldet, halte sich dort aber nur vorübergehend auf. Mit diesem Beschwerdeeinwand lässt der Beschwerdeführer außer Betracht, dass die belangte Behörde das Fehlen eines ordentlichen Wohnsitzes des Beschwerdeführers im Sinne des § 5 Abs. 1 StbG 1965 im Inland, der Begründung des angefochtenen Bescheides zufolge, lediglich für die Zeit vor dem 29. Juni 1982 verneint, für später aber - wenn auch nur implizit - bejaht hat. Da sie zu der Annahme, der Beschwerdeführer habe immerhin seit dem Juni 1982 auch in Österreich (R) einen ordentlichen Wohnsitz, nach dem Inhalt der Verwaltungsakten, vor allem aber nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren durchaus berechtigt war und weder die Beschwerdeausführungen noch sonst ein Umstand erkennen lässt, der Beschwerdeführer habe im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keinen ordentlichen Wohnsitz mehr in Tirol besessen, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu ersehen, inwieweit die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der §§ 5 und 39 StbG 1965 zu Unrecht ihre Zuständigkeit zur Bescheiderlassung in Anspruch genommen haben sollte.
Gleichwohl erweist sich die Beschwerde im Ergebnis aus den folgenden Überlegungen als unbegründet:
Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 10 Abs. 4 StbG 1965, auf die die belangte Behörde nach Spruch und Begründung des angefochtenen Bescheides die Abweisung des Ansuchens des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft allein gestützt hat, haben die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 1 (mindestens zehnjähriger ununterbrochener Aufenthalt im Inland) und des § 10 Abs. 1 Z. 7 (hinreichende Sicherung des Lebensunterhaltes) sowie des § 10 Abs. 2 StbG 1965 (u.a. Unterbleiben zumutbarer Schritte betreffend das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband etc.) dann zu entfallen, wenn die Bundesregierung bestätigt, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen der vom Fremden bereits erbrachten oder von ihm noch zu erwartenden außerordentlichen Leistungen, insbesondere auf wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder sportlichen Gebieten, im Interesse der Republik liegt.
Von dieser Verfassungsnorm ausgehend, hat die belangte Behörde, ohne zugleich in zureichender Weise darzulegen, aus welchen einer nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Erwägungen sie von dem ihr im § 10 Abs. 1 StbG 1965 eingeräumten Ermessen zum Nachteil des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht, ja ob sie überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen hat, im Beschwerdefall das Einbürgerungsgesuch des Beschwerdeführers lediglich mit der Begründung abgewiesen, die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren im Sinne des § 10 Abs. 4 StbG 1965 ins Treffen geführten Leistungen seien nach der hiezu erfolgten Äußerung des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie nicht geeignet, eine "Interessenbescheinigung" der Bundesregierung einzuholen. Mit diesem den angefochtenen Bescheid allein tragenden Argument lässt die belangte Behörde nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshof nicht nur außer Betracht, dass sich die fragliche Stellungnahme des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie nur auf die Wertung der Tätigkeiten und Leistungen des Beschwerdeführers "aus wirtschaftspolitischer Sicht" bezogen hat, es nach der (durch Unterlagen des Beschwerdeführers belegten) besonderen Art dieser Tätigkeiten und Leistungen aber immerhin denkbar wäre, dass das Vorliegen eines "Staatsinteresses" im Sinne des § 10 Abs. 4 StbG 1965 etwa unter dem Gesichtspunkt anderer Ressortinteressen (z.B. solcher der Bundesministerien für Inneres, für Landesverteidigung und für Wissenschaft und Forschung) bejaht würde und sich die Bundesregierung im Ergebnis doch zur Ausstellung einer Interessenbescheinigung verstehen könnte. Vor allem aber lässt die belangte Behörde unberücksichtigt, dass die Erteilung oder Versagung einer Bestätigung nach § 10 Abs. 4 StbG 1965 allein in die Zuständigkeit der Bundesregierung fällt und deren Beurteilung ohne ihre Befassung durch die im Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahren zuständige Landesregierung auch unter Berufung auf die Äußerung einer Zentralstelle des Bundes nicht vorweggenommen werden darf. Da die im § 10 Abs. 4 StbG 1965 verankerte Zuständigkeit der Bundesregierung zur Ausstellung oder Verweigerung einer in der bezogenen Verfassungsbestimmung vorgesehenen "Staatsinteressenbescheinigung" auch ihre alleinige und ausschließliche Befugnis einschließt, von einem Einbürgerungswerber bereits erbrachte oder noch zu erwartende besondere Leistungen als solche im Sinne des § 10 Abs. 4 StbG 1965 zu qualifizieren oder ihnen diese Qualifikation abzusprechen, kann die gemäß § 39 StbG 1965 zur Entscheidung über ein Einbürgerungsgesuch berufene Behörde allein aus dem Titel des Mangels der erforderlichen Wohnsitzdauer im Inland das Ansuchen eines Verleihungswerbers - bei Zutreffen der übrigen Verleihungsvoraussetzungen - unter Berufung auf § 10 Abs. 4 StbG 1965 rechtens nicht ohne vorherige Einholung eines Beschlusses der Bundesregierung abweisen (vgl. hiezu auch die zwar zu einer früheren, gleichwohl aber inhaltlich korrespondierenden Rechtslage ergangenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. November 1947, Slg. 196/A, vom 9. April 1948, Slg. 373/A, und vom 23. Mai 1949, Slg. 844/A).
Da die belangte Behörde dies verkannt und das Ansuchen des Beschwerdeführers, allein gestützt auf § 10 Abs. 4 StbG 1965, ohne Befassung der Bundesregierung abgewiesen hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit Art. 1 lit. a Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243, über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.
Wien, am 19. Februar 1986
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