VwGH 83/08/0124

VwGH83/08/012428.6.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Waldner als Richter, im Beisein des Schriftführers Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwalt in Wien I, Stubenring 20, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 2. Mai 1983, Zl. 14-SV-3119/4/83, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (mitbeteiligte Partei: AV in K, vertreten durch den zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt Dr. Gert Seeber in Klagenfurt, Feldmarschall-Conrad-Platz 8), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §354 Z1;
ASVG §384 Abs1;
ASVG §385 Abs1;
ASVG §412 Abs1;
AVG §69 Abs1;
AVG §69;
AVG §70 Abs3;
ASVG §354 Z1;
ASVG §384 Abs1;
ASVG §385 Abs1;
ASVG §412 Abs1;
AVG §69 Abs1;
AVG §69;
AVG §70 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid der Beschwerdeführerin vom 28. Mai 1980 wurde der Anspruch der mitbeteiligten Partei auf Leistungen gemäß § 173 ASVG für die am 12. Juni 1978 aufgetretene arterielle Thrombose im Bereich des rechten Armes abgelehnt. Nach der Begründung dieses Bescheides habe das Ermittlungsverfahren ergeben, daß die arterielle Thrombose im Bereich des rechten Armes und die dadurch bedingten Beschwerden mit dem als Arbeitsunfall angezeigten Ereignis vom 6. Juni 1978 nicht in Zusammenhang stünden. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung könnten daher nicht erbracht werden.

Gegen diesen Bescheid der Beschwerdeführerin erhob die mitbeteiligte Partei Klage an das Schiedsgericht der Sozialversicherung für das Bundesland Kärnten. In der mündlichen Verhandlung vor diesem Schiedsgericht am 23. Jänner 1981 zog die mitbeteiligte Partei diese Klage zurück.

Am 1. März 1982 langte bei der Beschwerdeführerin der Schriftsatz der mitbeteiligten Partei vom 26. Februar 1982 ein, in dem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 und bescheidmäßige Feststellung gestellt wurde, daß der Beschwerdeführerin ein Anspruch auf Leistung gemäß § 173 ASVG für die am 12. Juni 1978 aufgetretene arterielle Thrombose im Bereich des rechten Armes zustehe.

Mit dem Bescheid der Beschwerdeführerin vom 16. September 1982 wurde dieser Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 28. Mai 1980 abgeschlossenen Leistungsverfahrens abgelehnt. Nach der Begründung dieses Bescheides seien die von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Atteste nicht als neue Tatsachen oder Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 zu werten.

Dem dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Einspruch wurde mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben und die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 lit. b leg. cit. bewilligt. Dies nach der Begründung dieses Bescheides deshalb, da es sich um einen Erneuerungstatbestand handle.

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Nach dem Beschwerdevorbringen setze die sachliche Zuständigkeit der belangten Behörde das Vorliegen eines Bescheides in einer Verwaltungssache voraus. Der von der Beschwerdeführerin erlassene Bescheid vom 28. Mai 1980 habe aber eine Leistungssache zum Gegenstand. Ferner sei Voraussetzung für die Bewilligung der Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 AVG 1950, daß ein rechtskräftiger Bescheid vorliege. Dies treffe im vorliegenden Fall deswegen nicht zu, weil durch die von der mitbeteiligten Partei beim Schiedsgericht der Sozialversicherung für Kärnten gegen den Bescheid der Beschwerdeführerin vom 28. Mai 1980 erhobenen Klage dieser Bescheid gemäß § 384 Abs. 1 ASVG außer Kraft getreten sei. An dieser gesetzlichen Rechtsfolge habe die Zurücknehmung der Klage durch die mitbeteiligte Partei - wie sich aus § 385 ASVG ergebe - nichts geändert. Schließlich sei ein Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 nicht gegeben.

Darüber sowie über die von der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei erstatteten Gegenschriften hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach § 69 Abs. 1 AVG 1950 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und die in den lit. a bis c angeführten Voraussetzungen zutreffen.

Gegen den Bescheid eines Versicherungsträgers, mit dem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 AVG 1950, betreffend eine Leistungssache nach § 354 Z. 1 ASVG, abgelehnt wurde, steht der Einspruch gemäß § 412 ASVG an den zuständigen Landeshauptmann offen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1970, Zl. 1532/69, Slg. N.F. Nr. 7721/A). Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde liegt somit nicht vor.

Gemäß § 384 Abs. 1 ASVG tritt durch die rechtzeitige Einbringung der Klage der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft; insoweit werden frühere Bescheide, die durch den außer Kraft getretenen Bescheid abgeändert worden sind, nicht wieder wirksam.

Entsprechend dem § 385 Abs. 1 ASVG kann im Verfahren über eine Leistungssache nach § 354 Z. 1 oder Z. 4 die Klage auch ohne Zustimmung des Beklagten bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden.

Gegenstand eines wiederaufzunehmenden Verfahrens ist immer ein formell rechtskräftig gewordener Bescheid, mit dem das Verfahren, um dessen Wiederaufnahme es sich handelt, abgeschlossen worden ist (vgl. Mannlicher/Quell, Das Verwaltungsverfahren, erster Halbband, 8. Aufl., S. 393, Z. 3). In Leistungssachen ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 AVG 1950 nur zulässig, sofern der Bescheid des Sozialversicherungsträgers durch Einbringen einer Klage gemäß § 384 ASVG nicht im Umfang des Klagebegehrens bereits außer Kraft getreten ist. Auch eine Klagsrücknahme bewirkt kein Wiederaufleben des bekämpften Bescheides, sodaß auch dadurch die Zulässigkeit einer Wiederaufnahme nicht begründet werden kann (vgl. Oberndorfer in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes S. 604 lit. M.).

Diese auch vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Auslegung ergibt sich aus dem Gesetz, weil nach keiner Bestimmung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes der Bescheid eines Sozialversicherungsträgers im Falle einer Klagsrücknahme im Verfahren über eine Leistungssache wieder in Kraft tritt. Die Richtigkeit der oben wiedergegebenen Lehrmeinung wird insbesondere durch den zweiten Satz des § 385 ASVG bestätigt. Diese Vorschrift wäre nicht notwendig, wenn der Bescheid des Sozialversicherungsträgers bei Klagsrücknahme ohnehin wieder in Kraft treten würde.

Schon aus diesen Erwägungen ist der angefochtene Bescheid, mit dem die von der mitbeteiligten Partei beantragte Wiederaufnahme bewilligt wird, inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben ist.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am 28. Juni 1984

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