VwGH 83/08/0125

VwGH83/08/012530.9.1983

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Liska, Mag. Öhler, Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Starlinger, über die Beschwerde der MH in T, vertreten durch Dr. Harry Zamponi, Rechtsanwalt in Linz, Kaisergasse 17, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 5. Mai 1983, Zl. SV-1057/2-1983, betreffend Berichtigung eines Pensionsbescheides (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1) , zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §354;
ASVG §355;
ASVG §357 Abs1;
ASVG §357;
ASVG §412 Abs1;
AVG §62 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
ASVG §354;
ASVG §355;
ASVG §357 Abs1;
ASVG §357;
ASVG §412 Abs1;
AVG §62 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 21. Oktober 1981 wurde der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Witwenpension gemäß § 270 in Verbindung mit § 258 ASVG anerkannt und ausgesprochen, dass die Pension gemäß § 86 leg. cit. am 1. September 1981 beginne und ab diesem Zeitpunkt monatlich S 9.251,20 zuzüglich einer Wohnungsbeihilfe von S 30,-- betrage. In der dem Bescheid angeschlossenen Pensionsberechnung wurde, ausgehend von einer Gesamtpension (des Ing. FH) im Betrag von S 11.404,30, als Witwenpension der Beschwerdeführerin (60 % der Gesamtpension) ein Betrag von S 6.842,60 angeführt; dem folgt die Bemerkung "Erhöhung auf Grund der Pensionsanpassung = S 9251.2".

Mit Datum 10. November 1981 erließ die mitbeteiligte Partei nachstehenden, an die Beschwerdeführerin gerichteten Bescheid:

"Die Höhe der Ihnen mit Bescheid vom 21. 10. 1981 ab 1. 9. 1981 zuerkannten Witwenpension wird von monatlich brutto S 9.251,20 auf monatlich brutto S 6.842,60 richtig gestellt.

Der in der Zeit vom 1. 9. 1981 bis 30. 11. 1981 entstandene Mehrbezug wird nicht rückgefordert.

Begründung

Gemäß § 62 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1950, BGBl. Nr. 172 in Verbindung mit § 357 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BG. vom 9. 9. 1955, BGBl. Nr. 189 kann die Berichtigung von Schreib- und Rechnungsfehlern oder anderen offenbar auf einem Versehen beruhenden Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen vorgenommen werden.

Bei der Feststellung Ihrer Witwenpension ist ein Fehler unterlaufen, da die bereits zum Stand 1. 9. 1981 ermittelte Witwenpension versehentlich mit einem Anpassungsfaktor erhöht wurde.

Die Richtigstellung erfolgt ab Pensionsbeginn."

Dieser Bescheid enthielt die Rechtsmittelbelehrung, es könne dagegen beim Schiedsgericht der Sozialversicherung für Oberösterreich innerhalb der unerstreckbaren Frist von drei Monaten, gerechnet vom Tag der Zustellung an, Klage erhoben werden. Wann dieser Bescheid der Beschwerdeführerin zugestellt wurde, ist nicht aktenkundig. Es findet sich lediglich auf dem im Akt erliegenden Bescheid der Vermerk "expediert 11. Nov. 1981".

Das Schiedsgericht der Sozialversicherung für Oberösterreich wies die von der Beschwerdeführerin gegen den genannten Bescheid erhobene, am 12. Jänner 1982 beim Schiedsgericht eingelangte Klage mit Urteil vom 20. April 1982, GZ 7 C 4/82-6, ab. Aus Anlass der von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Berufung hob das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 28. Oktober 1982, AZ 34 R 171/82, das erstinstanzliche Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Begründet wurde dieser Beschluss wie folgt: Die Klägerin gebe zu, dass die mit Bescheid vom "11. 11. 1981" festgestellte Höhe der Witwenpension mit S 6.842,60 richtig gerechnet sei, und bestreite lediglich die Zulässigkeit der Berichtigung. Bei diesem Verfahren handle es sich ohne Zweifel (§ 357 ASVG) so wie bei der Frage, ob eine Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens zu Recht bewilligt oder abgelehnt werde (SSV 6/27; SVSlg 26212, 22291; Hellbling, Probleme des Verwaltungsverfahrens im Lichte des ASVG, S. 72 ff), um keine Leistungssache im Sinne des § 354 ASVG, sondern um eine Verwaltungssache. Da das Schiedsgericht der Sozialversicherung wegen seiner sukzessiven Kompetenz den Versicherungsträgern nur neben- und nicht als Rechtsmittelbehörde übergeordnet sei, dürfe es über die rein verfahrensrechtliche Frage, ob im konkreten Fall die Behörde die Berichtigung zu Recht vorgenommen habe, nicht entscheiden. Dazu seien allein die im Verwaltungsverfahren vorgesehenen Verwaltungsbehörden, also der zuständige Landeshauptmann, berufen.

Mit dem am 16. Dezember 1982 bei der mitbeteiligten Partei eingelangten Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin, unter Hinweis auf den eben zitierten Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien, ihre Schiedsgerichtsklage "als Einspruch gemäß § 412 ASVG anzusehen und mit Ihrer Stellungnahme dem Landeshauptmann von Oberösterreich vorzulegen". Gemäß § 61 Abs. 4 AVG sei die Berufung auch dann richtig eingebracht, wenn sie bei der angegebenen Behörde eingebracht worden sei. Die mitbeteiligte Partei hätte in ihrem Bescheid vom "11. 11. 1981" angegeben, der Bescheid könne binnen drei Monaten ab Zustellung mittels Klage beim Schiedsgericht angefochten werden. Die Klage der Beschwerdeführerin sei daher als rechtzeitig eingebrachter Einspruch gemäß § 412 ASVG anzusehen.

Daraufhin erließ die mitbeteiligte Partei einen mit dem Bescheid vom 10. November 1981 - bis auf die Rechtsmittelbelehrung (in der auf die Einspruchsmöglichkeit gemäß § 412 ASVG hingewiesen wurde) - wortgleichen, mit 15. Februar 1983 datierten Bescheid.

Dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch der Beschwerdeführerin gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid mit der Begründung keine Folge, die mitbeteiligte Partei habe zu Recht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 4 AVG als gegeben erachtet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei beantragten in ihren Gegenschriften die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst war zu prüfen, ob es sich beim Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 15. Februar 1983 überhaupt um einen Bescheid in einer Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG gehandelt hat und demgemäß die sachliche Zuständigkeit der belangten Behörde nach den §§ 412 Abs. 1, 413 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. gegeben war. Dies ist aus den vom Oberlandesgericht Wien im obzitierten Beschluss aufgezeigten Gründen zu bejahen.

Ihnen ist folgendes hinzuzufügen: Die mit Bescheid vorzunehmende Berichtigung eines Bescheides nach der Bestimmung des § 62 Abs. 4 AVG, die nach § 357 Abs. 1 ASVG im Verfahren in Verwaltungs- und in Leistungssachen vor den Versicherungsträgern Geltung hat, bewirkt zwar, dass der berichtigende Bescheid - soweit sein Inhalt reicht - an die Stelle des berichtigten Bescheides, der damit rückwirkend geändert wird, tritt (vgl. Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts2, S. 143 mit Judikaturhinweisen). Gegenstand des berichtigenden Bescheides ist aber zunächst die verfahrensrechtliche Frage, ob die Voraussetzungen des § 62 Abs. 4 AVG vorliegen oder nicht, und erst im Fall der Bejahung dieser Frage die inhaltliche Berichtigung des Bescheides. Vor der Frage, ob diese Berichtigung rechtmäßig ist - dies stellt dann, wenn der Gegenstand des berichtigten Bescheides eine Leistungssache ist, auch eine solche dar -, ist somit die Frage zu klären, ob die Auffassung der Behörde, es liege ein Berichtigungsfall vor, dem Gesetz entspricht. Die Klärung dieser Frage ist keiner der in § 354 ASVG genannten Tatbestände von Leistungssachen, an die § 371 Z. 1 ASVG die sachliche Zuständigkeit der Schiedsgerichte knüpft, subsumierbar, sondern eine Verwaltungssache. Erhärtet wird dies durch folgende, das System der sukzessiven Kompetenz der Schiedsgerichte berücksichtigende Überlegung: Stellt man bei der Bewertung eines berichtigenden Bescheides als Verwaltungs- oder Leistungssache ohne die genannte Differenzierung nur auf den Gegenstand des (durch diesen Bescheid abgeänderten) berichtigten Bescheides ab, so hätte die rechtzeitige (und zulässige: vgl. Oberndorfer in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes, S. 649, Anm. 1) Einbringung der Klage in einer insofern als Leistungssache zu bewertenden Angelegenheit nach § 384 Abs. 1 ASVG zur Folge, dass mit ihr der berichtigende Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft träte und insoweit der frühere Bescheid, durch den der außer Kraft getretene Bescheid abgeändert worden ist (nämlich der berichtigte Bescheid), nicht wieder wirksam würde. Das Schiedsgericht hätte daher - dem System der sukzessiven Kompetenz entsprechend nicht die Rechtmäßigkeit der vom Versicherungsträger vorgenommenen Berichtigung zu prüfen, sondern auf Grund eines völlig neuen eigenen Verfahrens über die dem berichtigten Bescheid zu Grunde liegende Leistungssache zu entscheiden. Der Versicherungsträger könnte demnach Bescheide in Leistungssachen jederzeit und ohne Beschränkung auf die Gründe des § 62 Abs. 4 AVG (und der §§ 69 ff AVG) "berichtigen", ohne dass der davon betroffenen Partei eine wirksame Abhilfemöglichkeit zustünde. Dies widerspräche aber dem § 357 Abs. 1 ASVG, wonach sowohl in Verwaltungs- als auch in Leistungssachen u.a. § 62 Abs. 4 und die §§ 69 und 70 AVG gelten. Die belangte Behörde war somit zu einer meritorischen Entscheidung über den Einspruch der Beschwerdeführerin sachlich zuständig.

Bei dieser Entscheidung hat die belangte Behörde aber übersehen, dass die mitbeteiligte Partei mit ihrem dem Bescheid vom 10. November 1981 - bis auf die Rechtsmittelbelehrung - wortgleichen Bescheid vom 15. Februar 1983 den erstgenannten Bescheid aufgehoben hat (vgl. das in einem ähnlichen Fall ergangene Erkenntnis vom 26. Juni 1981, Zl. 81/08/0023), dazu aber nach den von ihr anzuwendenden Verfahrensnormen nicht berechtigt war. Das AVG ist auf das behördliche Verfahren von den Trägern der Sozialversicherung nicht allgemein anzuwenden (Art. II Abs. 2 B Z. 27 EGVG 1950); gemäß § 357 ASVG gelten vielmehr nur bestimmte Normen dieses Gesetzes; § 68 AVG zählt nicht dazu. Zwar kann, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. u.a. Erkenntnis vom 3. Oktober 1980, Zl. 3451/78), der Umstand, dass in § 357 ASVG der § 68 AVG nicht angeführt ist, den Versicherungsträger keinesfalls der Verpflichtung entheben, auch in seiner Entscheidung dem die österreichische Rechtsordnung beherrschenden Grundsatz der Rechtskraft behördlicher Entscheidungen zum Durchbruch zu verhelfen, die Anwendung der diesen Grundsatz gerade durchbrechenden Bestimmung des § 68 Abs. 2 AVG im Verfahren vor den Versicherungsträgern setzt aber eine ausdrückliche Geltungsanordnung dieser Norm voraus (vgl. Erkenntnis vom 16. Dezember 1959, Zl. 2094/58). Die von der mitbeteiligten Partei mit ihrem Bescheid vom 15. Februar 1983 vorgenommene Aufhebung des Bescheides vom 10. November 1981 war daher, unabhängig von der Frage, ob überhaupt die Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 AVG vorlagen, rechtswidrig.

Dadurch, dass die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage den Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 15. Februar 1983 nicht behoben hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 30. September 1983

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte