VwGH 81/10/0057

VwGH81/10/005710.9.1981

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Mag. Öhler, Mag. Onder, Dr. Hnatek und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberrat Mag. Dr. Paschinger, in der Beschwerdesache des P H in L, vertreten durch Dr. Helmuth Hackl, Rechtsanwalt in Linz, Hauptlatz 23/II, gegen die Bundespolizeidirektion Linz, vertreten durch die Finanzprokuratur, betreffend Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Verweigerung der Akteneinsicht und Verweigerung des Rechtsbeistandes bei einer Einvernahme, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §17 Abs4;
AVG §63 Abs2;
B-VG Art131a;
EGVG 2008 Art5;
AVG §17 Abs4;
AVG §63 Abs2;
B-VG Art131a;
EGVG 2008 Art5;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer begehrt in seiner auf Art. 131 a B-VG gestützten Beschwerde, die am 11. März 1981 vor der Bundespolizeidirektion Linz (in der Folge: belangte Behörde) seitens deren näher bezeichnete Beamte vorgenommene Verweigerung der Akteneinsicht durch den Beschwerdeführer selbst sowie durch seine ausgewiesenen Rechtsanwälte und die Verweigerung der Intervention Rechtsanwälte bei der Einvernahme für rechtswidrig zu erklären. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diese Verweigerung in seinen Rechten gemäß § 17 AVG 1950 und gemäß § 10 Abs. 5 AVG 1950 verletzt.

Die belangte Behörde hat Akten über die betreffenden Verfahrensvorgänge vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie in erster Linie die Zurückweisung der Beschwerde, in eventu deren Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof stellt folgenden Sachverhalt fest:

Laut einer Anzeige zweier Beamter eines Wachzimmers in Linz vom 3. März 1981 soll der Beschwerdeführer am 2. März 1981 anläßlich einer an diesem Tag von den genannten Beamten durchgeführten Kontrolle der Kraftfahrzeugsteuerkarte öffentlich vor mehreren Personen die beiden Beamten unter Verwendung beleidigender Schimpfwörter angebrüllt haben. Die beiden Beamten erklärten bereits in dieser Anzeige, die Ermächtigung zur Strafverfolgung des Beschwerdeführers wegen der geschilderten Beleidigung zu erteilen. Der Beschwerdeführer wurde hierauf fernmündlich von einem Beamten der kriminalpolizeilichen Abteilung der belangten Behörde aufgefordert, bei dieser zu erscheinen; als Zeitpunkt dieses Erscheinens wurde zwischen dem Beschwerdeführer und dem betreffenden Beamten ebenfalls fernmündlich der 11. März 1981, 8.30 Uhr, vereinbart. Der Beschwerdeführer erschien zu dieser Zeit in Begleitung seines Rechtsbeistandes vor der belangten Behörde. Es wurde ihm dort erklärt, daß er wegen des Vorfalles vom 2. März 1981, nämlich der Beschimpfung von Polizisten, einvernommen werden soll. Der Beschwerdeführer begehrte hierauf, ihm oder seinem Rechtsbeistand Akteneinsicht zu gewähren. Dies wurde dem Beschwerdeführer von den diensthabenden Beamten der belangten Behörde ebenso verweigert, wie die Anwesenheit des Rechtsbeistandes bei der anschließenden Vernehmung des Beschwerdeführers als Verdächtiger. Hierauf kam es in Abwesenheit des Rechtsbeistandes des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde zur Aufnahme einer Niederschrift mit dem Beschwerdeführer als Verdächtiger, laut deren Inhalt das bereits im Akt aufscheinende Nationale des Beschwerdeführers festgehalten, der Beschwerdeführer mit dem Gegenstand der Einvernahme vertraut gemacht wurde und der Beschwerdeführer hierauf erklärte: "Mir wurde der gegenständliche Sachverhalt zur Kenntnis gebracht. Ich gebe dazu an, daß ich bei der Polizei keine Angaben machen werde. Meine Aussage werde ich erst in Anwesenheit meines Rechtsanwaltes bei Gericht machen." Diese Niederschrift wurde vom Beschwerdeführer unterfertigt. In der Folge erstattete die belangte Behörde die mit 11. März 1981 datierte Strafanzeige wegen Beleidigung von Beamten durch den Beschwerdeführer anläßlich des Verfalles vom 2. März 1981 an das Bezirksgericht Linz, in welcher die belangte Behörde ihre und der beleidigten Beamten Ermächtigung zur Strafverfolgung mitteilte.

Diese Feststellungen gründen sich auf die in den wesentlichen Punkten übereinstimmende Darstellung der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, die durch den Inhalt der von der belangten Behörde vorgelegten Akten bestätigt wird.

 

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Wegen Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person kann diese Person gemäß Art. 131 a B-VG Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben, wenn sie durch die betreffende Maßnahme in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet.

Die belangte Behörde vertritt in ihrer Gegenschrift die Ansicht, daß sie bei Verfolgung eines Ermächtigungsdeliktes (§§ 115, 117 Abs. 2 StGB) im Dienste der Strafjustiz tätig geworden sei, weshalb ihr Verhalten nicht dem Verwaltungsbereich, sondern ausschließlich dem Gericht zuzurechnen sei. Die belangte Behörde bestreitet solcherart, daß es sich bei den mit der vorliegenden Beschwerde bekämpften Maßnahmen überhaupt um Akte gehandelt habe, die der Verwaltungsbehörde zuzurechnen seien.

Diese Ansicht der belangten Behörde ist verfehlt.

Da den bekämpften Maßnahmen ein richterlicher Auftrag nicht zugrunde lag - die belangte Behörde beruft sich auf einen solchen Auftrag selbst nicht -, sind sie nicht als abgeleitete richterliche Tätigkeiten anzusehen und daher als Verwaltungsakte der belangten Behörde, nicht jedoch dem Gericht zuzurechnen, mögen diese Akte auch ihre gesetzlichen Grundlagen in § 24 StPO 1975 gefunden haben und gemäß Art. V EGVG 1950 im Dienste der Strafjustiz erfolgt seien.

Gemäß Art. V EGVG 1950 finden, sofern sich aus den Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren nichts anderes ergibt, die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes auch auf die Amtshandlungen sinngemäß Anwendung, die von den Verwaltungsbehörden im Dienste der Strafjustiz vorzunehmen sind. Gemäß § 24 StPO 1975 haben die Sicherheitsbehörden allen Verbrechen und Vergehen, sofern sie nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten untersucht werden, nachzuforschen und, wenn das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, die keinen Aufschub gestattenden vorbereitenden Anordnungen zu treffen. Dies gilt gemäß § 447 Abs. 1 StPO 1975 auch für das Verfahren wegen der strafbaren Handlungen, die dem Bezirksgericht zur Untersuchung und Bestrafung zugewiesen sind. Gemäß § 2 Abs. 3 StPO 1975 sind alle nicht der Privatanklage unterliegenden strafbaren Handlungen einschließlich derer, bei denen es zur Verfolgung eines Antrages oder einer Ermächtigung bedarf, Gegenstand der öffentlichen Anklage.

Bei ihren Nachforschungen nach dem gerichtlicher Strafbarkeit unterliegenden Ermächtigungsdelikt im Sinne der §§ 115, 117 Abs. 2 StGB, dessen der Beschwerdeführer verdächtigt war, und bei den im Zuge dieser Nachforschungen getroffenen Anordnungen handelte die belangte Behörde daher im Dienste der Strafjustiz im Sinne des Art. V EGVG 1950, wobei es für die folgende Untersuchung über die Prozeßvoraussetzungen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dahingestellt bleiben kann, ob die getroffenen Anordnungen deshalb gesetzwidrig waren, weil sie einen Aufschub gestattet hätten, um das unverzügliche Einschreiten des Gerichtes zu erwirken, oder aus den in der Beschwerde geltend gemachten Gründen.

Die Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren enthalten keine Bestimmungen über die Gewährung der Akteneinsicht durch Sicherheitsbehörden im Zuge von Nachforschungen oder von vorbereitenden Anordnungen im Dienste der Strafjustiz; hierauf sind daher die Bestimmungen des Verwaltungsstrafverfahrens sinngemäß anzuwenden. Zufolge § 24 VStG 1950 gelten im Verwaltungsstrafverfahren die Vorschriften des § 17 AVG 1950 über die Akteneinsicht. In Verfahren, in denen ein die Angelegenheit abschließend erledigender Bescheid im Sinne des § 63 Abs. 2 AVG 1950 nicht in Betracht kommt - dies trifft auf Verfahren über Nachforschungen und vorbereitende Anordnung im Dienste der Strafjustiz zu - hat über die Verweigerung der Akteneinsicht ein im Instanzenzug anfechtbarer Bescheid zu ergehen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. November 1948, Zl. 761/48, Slg. N.F. Nr. 597/A, Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Mai 1953, Zl. 1114/53, Slg. N.F. Nr. 3306/A; Mannlicher-Quell,

Das Verwaltungsverfahren, erster Halbband, Seite 201).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 131 a B-VG (Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1977, Zl. 2750/76, Slg. N.F. Nr. 9439/A, u.v.a.) kann - im Hinblick auf die mit der Einschaltung dieser Bestimmung in das Bundes-Verfassungsgesetz offenbar vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Absicht, eine Lücke im Rechtschutzsystem zu schließen, nicht aber neue Zweigeleisigkeiten für die Verfolgung ein- und desselben Rechtes zu schaffen - das, was im Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, nicht Gegenstand einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nach Art. 131 a B-VG sein, wobei deren Zulässigkeit insbesondere auch nicht von der (allenfalls längeren) Dauer des sonst zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehenden Verwaltungsverfahrens abhängt.

Da der Beschwerdeführer sein Recht auf Akteneinsicht in einem durch Bescheid zu erledigenden Verfahren durchzusetzen hat - ob ein Bescheid bereits allenfalls mündlich erlassen und in einer besonderen Niederschrift beurkundet wurde, kann in dieser Beschwerdesache dahingestellt bleiben - kann von einer Lücke im Rechtsschutzsystem, welche durch den Rechtsbehelf im Sinne des Art. 131 a B-VG zu schließen wäre, nicht die Rede sein. Die Verweigerung der Akteneinsicht erfüllt daher schon deshalb nicht den Tatbestand des Art. 131 a B-VG. Gleiches gilt für die Nichtzulassung eines Rechtsbeistandes zu einer Verfahrenshandlung, hier also für die Nichtzulassung des Rechtsbeistandes bei der Vernehmung des Beschwerdeführers als Verdächtigter.

Was nämlich die Einvernahme des Beschwerdeführers als Verdächtigen unter Verweigerung des Rechtsbeistandes anlangt - betrachtet man die Beschwerde in ihrer Gesamtheit, so läßt sie sich dahin verstehen, daß der Beschwerdeführer auch hierin die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen seine Person erblickt, durch die er in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet -, zeigt der festgestellte Sachverhalt, daß der Beschwerdeführer fernmündlich zu einem mit ihm vereinbarten Zeitpunkt geladen worden war. Daß diese Ladung unter Anwendung oder auch nur Androhung von Zwangsgewalt erfolgt sei, wurde vom Beschwerdeführer selbst nicht behauptet, dergleichen läßt sich auch den Verwaltungsakten nicht entnehmen, zumal der Beschwerdeführer laut Niederschrift in Abwesenheit eines Rechtsbeistandes lediglich erklärt hat, unter diesen Umständen keine Aussage vor der belangten Behörde zu machen; die fernmündliche Ladung stand mangels Beachtung der in den §§ 41, 42 VStG 1950, 19 AVG 1950 vorgesehenen Förmlichkeiten auch nicht unter gesetzlicher Sanktion. Weder das Vorbringen des Beschwerdeführers noch der Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten bietet daher einen Anhaltspunkt dafür, daß die belangte Behörde durch die mit Beschwerde bekämpfte, ohne Zulassung seines Rechtsbeistandes erfolgte Einvernahme des Beschwerdeführers gegenüber diesem unmittelbar Zwangsgewalt ausgeübt hat. Die Beschwerde gemäß Art. 131 a B-VG steht nur gegen die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu. Da von der belangten Behörde Zwangsgewalt nicht ausgeübt wurde, ist auch hinsichtlich des zweiten Teiles der Beschwerde der Zuständigkeitstatbestand des Art. 131 a B-VG nicht verwirklicht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher im Beschwerdefall nicht wahrzunehmen, ob die belangte Behörde die Bestimmung des § 10 Abs. 5 AVG 1950, wonach sich die Beteiligten eines Rechtsbeistandes bedienen und auch in dessen Begleitung vor dem Amt erscheinen können, in Verbindung mit § 24 VStG 1950 und Art. V EGVG 1950 verletzt hat.

Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG 1965 wegen offenbarer Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zurückzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 61, 47 Abs. 1 und 2 lit. b, 48, 49 VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 10. September 1981

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