VfGH G90/2013

VfGHG90/201323.6.2014

Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des SicherheitspolizeiG betreffend Voraussetzungen für eine erkennungsdienstliche Behandlung; Eingriff in das Datenschutzrecht nicht hinreichend konkretisiert und begrenzt; Klarstellung erst durch eine weitere, mit Juli 2014 in Kraft tretende Novelle

Normen

SicherheitspolizeiG §65 Abs1
EMRK Art8 Abs2
DSG §1 Abs2
SicherheitspolizeiG §65 Abs1
EMRK Art8 Abs2
DSG §1 Abs2

 

Spruch:

I. §65 Abs1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl Nr 566/1991 in der Fassung BGBl I Nr 13/2012, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B1156/2012 eine auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 31. Juli 2012 anhängig, mit dem der Beschwerdeführer aufgefordert wurde, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen und an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

Im angefochtenen Bescheid führt die belangte Behörde aus, dass "eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht erst bei rechtskräftiger Verurteilung erforderlich ist, sondern dann, wenn der Verdacht besteht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben und wenn dies unter anderem wegen der A[rt] oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint."

2. Bei der Behandlung der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §65 Abs1 SPG idF BGBl I 13/2012 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 1. Oktober 2013 beschlossen, diese Gesetzes­bestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"[…]

3.1. Die Speicherung von Daten, die das Privatleben einer Person betreffen, stellt einen Eingriff in Art8 EMRK sowie in §1 DSG 2000 dar; allenfalls bei einem entsprechenden Unionsrechtsbezug darüber hinaus auch einen Eingriff in Art8 GRC (vgl. VfSlg 19.702/2012). Dies gilt im Besonderen für DNA-Daten (vgl. hinsichtlich Art8 EMRK vor allem EGMR 4.12.2008 [GK], Fall S. und Marper, Appl. 30.562/04 ua., EuGRZ2009, 299).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind Beschränkungen des Grundrechtes auf Datenschutz nach dem Gesetzesvorbehalt des §1 Abs2 DSG 2000 (abgesehen von lebenswichtigen Interessen des Betroffenen an der Verwendung personenbezogener Daten oder seiner Zustimmung hiezu) bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art8 Abs2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und die ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar, regeln, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erlaubt ist (vgl. VfSlg 16.369/2001, 18.146/2007, 18.963/2009, 18.975/2009, 19.657/2012). Der Gesetzgeber muss somit nach den Vorgaben des §1 Abs2 DSG 2000 eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkretisiert und begrenzt werden (VfSlg 18.643/2008).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist der Schutz personenbezogener Daten von grundlegender Bedeutung für das nach Art8 EMRK geschützte Recht einer Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Das innerstaatliche Recht muss geeignete Schutzvorkehrungen vorsehen, die verhindern, dass personenbezogene Daten in einer Weise verwendet werden, die mit den Garantien dieses Artikels nicht vereinbar ist. Die Notwendigkeit solcher Vorkehrungen ist noch größer, wenn es um den Schutz personenbezogener Daten geht, die einer automatischen Verarbeitung unterzogen werden, insbesondere, wenn diese zu polizeilichen Zwecken genutzt werden. Das innerstaatliche Recht sollte insbesondere sicherstellen, dass diese Daten für die Zwecke, zu denen sie gespeichert werden, erheblich sind und nicht darüber hinausgehen und dass sie insbesondere in einer Form aufbewahrt werden, welche die Identifizierung der Betroffenen nur so lange erlaubt, wie dies für den Zweck, zu dem diese Daten gespeichert werden, erforderlich ist (vgl. EGMR, Fall S. und Marper, insb. Z103).

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt nun das Bedenken, dass der in Prüfung gezogene §65 Abs1 SPG als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung zum Zwecke der Vorbeugung künftiger gefährlicher Angriffe bloß das Vorliegen des Verdachts, eine 'mit Strafe bedrohte Handlung' begangen zu haben, verlangt sowie dass die erkennungsdienstliche Behandlung 'wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.'

3.3. Mit der am 1. April 2012 in Kraft getretenen Novellierung des §65 Abs1 SPG durch BGBl I 13/2012 entfiel das Wort 'weiterer' in der Wortfolge 'wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint' (Hervorhebung nicht im Original). Durch diese Streichung scheint die Schwelle, wann die Sicherheitsbehörden zur Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung ermächtigt sind, drastisch herabgesetzt worden zu sein. Denn die Einschränkung auf 'weitere' gefährliche Angriffe bei der Prognoseentscheidung scheint nahegelegt zu haben, dass bislang auch die Ausgangstat bereits einen gefährlichen Angriff iSd §16 SPG gebildet haben muss (siehe Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz Kommentar4, 2011, 694; vgl. auch RV 1520 BlgNR 24. GP, 10).

Nunmehr scheint daher der Verdacht der Begehung jedweder strafbarer Handlung – selbst einer Verwaltungsstraftat sowie gerichtlich strafbarer Fahrlässigkeitsdelikte oder gerichtlich strafbarer Vorsatzdelikte mit geringem Unwertge-halt ('Bagatelldelikte') – Anlass für eine erkennungsdienstliche Behandlung geben zu können.

Dazu kommt, dass für die anzustellende Prognoseentscheidung lediglich die generell-abstrakte Annahme des Verdachtes der zukünftigen Begehung eines gefährlichen Angriffes auszureichen scheint.

3.4. Ungeachtet der im SPG an mehreren Stellen festgelegten, an die Vollzugsbehörden gerichteten Verpflichtung zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit (§§28a Abs3, 29 Abs1, 51 Abs1 SPG) geht der Verfassungsgerichtshof daher vorläufig – auch vor dem Hintergrund neuester Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte – davon aus, dass die nahezu schrankenlose Ermächtigung des §65 Abs1 SPG zur Zulässigkeit erkennungsdienstlicher Behandlungen durch Sicherheitsbehörden unverhältnismäßig ist und einen Verstoß gegen Art8 EMRK bewirkt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nämlich jüngst in seinem Urteil vom 18. April 2013, Fall M.K., Appl. 19.522/09, die Auffassung vertreten, dass die staatliche Gesetzgebung sicherstellen muss, dass die Daten nur insoweit gespeichert werden, als sie relevant sind, und die Speicherung nicht exzessiv in Relation zu den verfolgten Zielen ist. Die Begründung der französischen Polizei für die Datenspeicherung – es solle damit ein Identitätsdiebstahl verhindert werden – verwarf der Gerichtshof mit dem Argument, dass dieses Ziel keine Grundlage in der staatlichen Gesetzgebung fände und sogar eine so extreme Maßnahme wie die Speicherung von Identitätsdaten der gesamten Bevölkerung decken könnte.

§65 Abs1 SPG scheint jedoch genau ein solches, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgezeigtes Missverhältnis zwischen den verschiedenen berührten Interessen zu bewirken und die Kriterien für die zu treffende Entscheidung eindeutig zu Gunsten 'vorsorglicher' Speicherung zu verschieben.

3.5. Im Ergebnis scheint der Gesetzgeber eine Rechtsgrundlage geschaffen zu haben, die es den Sicherheitsbehörden ermöglicht, in einem breiten Anwendungsbereich erkennungsdienstliche Behandlungen durchzuführen. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Ermächtigung des §65 Abs1 SPG die Grenzen des verfassungsrechtlich Erlaubten überschreitet.

4. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird jedoch zu prüfen sein, ob der Gesetzgeber mit der Wortfolge 'eine mit Strafe bedrohte Handlung' Bagatelldelikte überhaupt erfassen wollte und ob – da bei der erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß §65 Abs1 SPG keine Ermittlung eines DNA-Profiles erfolgt (vgl. zur besonderen Sensibilität eines DNA-Profiles VfGH 12.3.2013, G76/12) – die allgemeinen Verpflichtungen des SPG bei der Vornahme von Eingriffen (insb. die Verpflichtungen zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit), die gesetzlichen Löschungsverpflichtungen sowie die Vorschriften über den Rechtsschutz hinreichen, um die verfassungsrechtlichen Vorgaben einzuhalten.

[...]"

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zum einen beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird, und im Übrigen den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken zusammengefasst wie folgt entgegentritt:

"[…]

1.2.1. Bereits mit der SPG-Novelle 1999, BGBl I 146/1999, ist der Gesetzgeber in §65 Abs1 SPG für die Definition des 'Anlasstatverdachts' der erkennungsdienstlichen Behandlung vom Begriff des gefährlichen Angriffs zu Gunsten der 'mit Strafe bedrohten Handlung' abgegangen. Diese Änderung erfolgte mittels Abänderungsantrag im Ausschuss für innere Angelegenheiten (AB 2023 BlgNR 20. GP), wobei die bezughabenden Änderungen des §65 SPG nicht begründet wurden.

§65 Abs1 SPG lautete in der Fassung BGBl I Nr 146/1999 wie folgt:

'§65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der in Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn der Betroffene im Rahmen bandenmäßiger oder organisierter Kriminalität tätig wurde oder dies sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint.'

Eine Anwendung früherer Fassungen dieser Bestimmung, in denen (so wie in der aktuell geltenden Fassung) der Begriff 'weiterer' (gefährlicher Angriffe) nicht enthalten war und ebenfalls zur Definition der Anlasstat auf den Begriff der 'mit Strafe bedrohten Handlung' abgestellt wurde, erfolgte in den Erkenntnissen VfSlg 16.383/2001 (zur Fassung BGBl I 146/1999), VfSlg 16.439/2002 (zur Fassung BGBl I 85/2000) sowie VfGH 25.11.2003, B762/03 (zur Fassung BGBl I 104/2002).

Durch die mit BGBl I Nr 146/1999 bewirkte Änderung sollten die Voraussetzungen der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht mehr an den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffes, sondern allgemein an den Verdacht der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung anknüpfen, weil es möglich ist, dass aufgrund der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nicht unter den Begriff des gefährlichen Angriffes gemäß §16 Abs2 SPG fällt, auf die künftige Begehung gefährlicher Angriffe geschlossen werden kann (zB dass ein mittelloser Suchtmittelabhängiger 'Beschaffungskriminalität' begehen wird). Ein ausdrücklicher Ausschluss der Fahrlässigkeitsdelikte ist nicht erforderlich, weil es bei dieser Deliktsart von vornherein nicht denkbar ist, dass der Schluss gezogen werden kann, jemand werde einen gefährlichen Angriff begehen.

Abgesehen vom Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch als Anlasstat, die eine erkennungsdienstliche Behandlung rechtfertigt, trugen auch noch andere gerichtlich strafbare Tatbestände der Nebengesetze, die nicht von der Definition des gefährlichen Angriffs umfasst waren, zum Übergehen auf die 'mit Strafe bedrohte Handlung' bei, wie etwa der unbefugte Besitz oder das unbefugte Führen von genehmigungspflichtigen Schusswaffen nach dem Waffengesetz 1996 oder die – zum damaligen Zeitpunkt bereits geplante – Überführung des Tatbestands der Schlepperei aus dem StGB in das Fremdengesetz 1997 (siehe dazu das Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz 1997 und das Strafgesetzbuch geändert werden, BGBl I Nr 34/2000 vom 30. Juni 2000).

1.2.2. Im Zuge der Novellierung des SPG im Jahr 2000, BGBl I 85/2000, wurden die Organisationsdelikte des StGB (§§278, 278a und ab 1. Jänner 2005 §278b StGB) aus der Definition des gefährlichen Angriffs (§16 Abs2 Z1 SPG) herausgelöst, um deutlich zu machen, dass in diesem Zusammenhang nicht die Gefahr der Begehung einzelner Straftaten im Vordergrund steht, sondern der kriminelle Zusammenschluss per se, der sich – insbesondere durch Schaffung einer Organisationsstruktur – gegenüber dem Verhalten des Einzelnen verselbständigt und eine Eigendynamik entfaltet (Erläuterungen zur RV 81 BlgNR 21. GP, 5). Eine Anknüpfung an das Vorliegen des Verdachts eines gefährlichen Angriffs in §65 Abs1 SPG hätte dazu geführt, dass mit Inkrafttreten dieser Änderung bei den schwersten Formen von organisierter Kriminalität (§§278, 278a und §278b StGB), etwa bei Beteiligung oder Gründung einer kriminellen Vereinigung, eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht mehr zulässig gewesen wäre. Daher wurde auch in diesem Zeitpunkt der Begriff (des Verdachts einer) 'mit Strafe bedrohte[n] Handlung' als auslösendes Moment der erkennungsdienstlichen Behandlung beibehalten.

1.2.3. Auch wenn in den Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats ein entsprechender Hinweis fehlt, zeigt die Entstehungsgeschichte der Regelung klar, dass der Gesetzgeber mit diesen Änderungen an der grundsätzlichen (Justiz-)Strafrechtsakzessorietät der sicherheitspolizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr nichts ändern wollte. Die historische Betrachtung der Regelung zeigt, dass eine Einbeziehung von Verwaltungsübertretungen in die Wortfolge 'mit Strafe bedrohte Handlung' in §65 Abs1 SPG rechtlich niemals intendiert war. Die Rechtslage unterscheidet sich damit deutlich von jener des französischen Rechts, die es dem EGMR zufolge ermöglicht hätte, sogar Bagatellsachen zum Anlass einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu machen ('susceptible d’englober de facto toutes les infractions, y compris les simples contraventions', vgl. EGMR 18. April 2013, M.K./Frankreich, Beschw. Nr 19.522/09, Rz. 41). Eine Einbeziehung von Verwaltungsübertretungen ist im Übrigen auch faktisch durch technische Sperren in den Datenerfassungsmasken in der zentralen erkennungsdienstlichen Evidenz unterbunden. Im Übrigen wird die Wortfolge 'mit Strafe bedrohte Handlung' auch in anderen Materiengesetzen in der Weise verwendet, dass nur gerichtlich strafbare Handlungen umfasst sein sollen (vgl. §50 Abs1a WaffG, §59 Abs4 FPG, §70 Abs1 FPG) […].

1.3. Die Begehung von gerichtlich strafbaren Fahrlässigkeitsdelikten eignet sich von vornherein nicht denkmöglich zur Erstellung einer Prognose dahingehend, dass der Verdächtige künftig gefährliche Angriffe begehen werde. Die begriffsimmanente Unvorhersehbarkeit von Fahrlässigkeitstaten schließt es aus, dass diese im Hinblick auf die Begründung der 'Erforderlichkeit' der erkennungsdienstlichen Behandlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen überhaupt in Betracht gezogen werden können. Unter Beachtung des für den gesamten 4. Teil des SPG über das Verwenden personenbezogener Daten im Rahmen der Sicherheitspolizei geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§51 Abs1 iVm. §29 SPG) ist darüber hinaus bei jedem (gesetzlich vorgesehenen) Eingriff in die Rechtssphäre Betroffener durch Verarbeitung personenbezogener Daten im Einzelfall ua. zu prüfen, ob dieser Eingriff – insbesondere im Hinblick auf seine Schwere – in einem vertretbaren Verhältnis zu dem mit der Datenverwendung angestrebten Zweck steht.

1.4.1. In Rn. 19 des Prüfungsbeschlusses äußert der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass für die anzustellende Prognoseentscheidung lediglich die generellabstrakte Annahme des Verdachtes der zukünftigen Begehung eines gefährlichen Angriffs auszureichen scheint. Diese Ausführungen können sich nach Ansicht der Bundesregierung nur auf jenen Fall des §65 Abs1 SPG beziehen, in dem die erkennungsdienstliche Behandlung allein wegen der Art der Tat zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint. Der Grund für die Normierung einer abstrakten Prognose liegt darin, dass insbesondere bei Ersttätern aus einer für bestimmte Deliktsbereiche typischen (statistischen) Rückfallgefahr auf eine Wiederholungsgefahr iSd. §65 Abs1 SPG geschlossen werden kann, der durch die erkennungsdienstliche Behandlung vorgebeugt werden soll. Den Erläuterungen zufolge soll in diesem Fall eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit genügen, die an der verwirklichten Tat anknüpft und den Schluss rechtfertigt, die Tat werde nach der allgemeinen Lebenserfahrung kein Einzelfall bleiben (EB zur Regierungsvorlage 272 BlgNR 23. GP, 8 f). In diese Richtung geht auch die Rechtsprechung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts, wenn es für die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Maßnahme prüft, ob nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, der Betroffene könne künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden und die erkennungsdienstlichen Daten können die dann zu führenden Ermittlungen fördern (BVerwG 19.10.1982, 1 C29.79; BVerwG 23.11.2005, 6 C2.05). Die abstrakte Betrachtungsweise befreit aber die Sicherheitsbehörde nicht davon, sich ausreichend mit der Art der vorgeworfenen Tat auseinanderzusetzen (vgl. VwSlg 17.700 A/2009).

Bei einer relativ geringfügigen Anlasstat erfordert eine Prognose eine entsprechend sorgfältige Begründung (vgl. zu einem Kalkül, bei dem zusätzliche Elemente zu berücksichtigen sind SSt 48/2 = EvBl 1977/180). Selbst eine schwerwiegende Anlasstat vermag unter Umständen die Prognoseentscheidung für sich allein nicht zu tragen, wenn andere (etwa in der Persönlichkeit des Verdächtigen und/oder der Ausführung der Tat liegende) Gründe dafür sprechen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe nicht erforderlich ist, etwa bei Tötung engster Angehöriger in einer psychischen Ausnahmesituation (vgl. wiederum zum insofern vergleichbaren Kalkül nach §21 StGB, Ratz in WK2 StGB §21 Rz. 25).

1.4.2. Daneben bieten zahlreiche – groß angelegte – wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Rückfall (Jehle, Bundesweite Rückfalluntersuchung und Bewährungsstrafen, Bewährungshilfe 1/2012, 5; Harrendorf, Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern, Bewährungshilfe 1/2012, 40) sowie die Wiederverurteilungsstatistik (höchste Wiederverurteilungsraten bei strafbaren Handlungen gegen die Staatsgewalt, nach dem Suchtmittelgesetz und gegen die Freiheit sowie gegen fremdes Vermögen, jeweils über 40 % im Jahr 2012, Gerichtliche Kriminalstatistik 2012, 53) Parameter für eine entsprechende Prognose. So ist etwa der groß angelegten Rückfalluntersuchung von Jehle zu entnehmen, dass Täter von Raubdelikten und schweren Formen des Diebstahls zu mehr als 50 % rückfällig werden (Jehle, Bewährungshilfe 1/2012, 11). Dieser Befund deckt sich mit den sicherheitsbehördlichen Erfahrungswerten, wonach insbesondere qualifizierte Eigentumsdelikte mit einer sehr hohen Rückfallwahrscheinlichkeit behaftet sind.

1.5. Zu dem im Prüfungsbeschluss erwähnten Urteil des EGMR vom 18. April 2013, Fall M.K./Frankreich, Beschw. Nr 19.522/09, ist auszuführen, dass dieses Urteil vor dem Hintergrund ergangen ist, dass die französischen Strafverfolgungsbehörden die Notwendigkeit der Speicherung der erkennungsdienstlichen Daten des Beschwerdeführers 'in seinem eigenen Interesse' damit begründet hatten, dass diese dazu dienen könne, eine falsche Verdächtigung des Beschwerdeführers bei Straftaten, die von Dritten unter missbräuchlicher Verwendung seiner Identität begangen werden könnten, anhand seiner gespeicherten Fingerabdrücke auszuschließen. Die französische Rechtslage sehe einen derartigen Speichergrund weder vor, noch ließe sich der Eingriff in die Grundrechtssphäre Betroffener durch eine solche 'vorsorgliche' Speicherung bei Abwägung der berührten Interessen rechtfertigen. Die Aussagen des EGMR bezogen sich in diesem Punkt daher auf die fehlerhafte Anwendung der französischen Rechtsgrundlagen, lassen sich in diesem Punkt also nicht unmittelbar auf die Beurteilung der österreichischen Gesetzeslage übertragen, die eine Begründung dieser Art im Übrigen ebensowenig zuließe wie das französische Recht. Der den Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens bildende §65 Abs1 SPG schließt eine vorsorgliche, im Missverhältnis zu den Interessen Betroffener stehende Datenverwendung, wie sie der EGMR im zitierten Urteil vorgefunden hatte, jedenfalls aus. Vielmehr ist als Voraussetzung für die Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung ausdrücklich verankert, dass der Betroffene selbst im Verdacht stehen muss, eine mit Strafe bedrohte Handlung (im Sinne des oben Gesagten) begangen zu haben und darüber hinaus muss die erkennungsdienstliche Behandlung wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen erforderlich scheinen (Prognose), um ihn (im Hinblick auf sein Wissen um die Möglichkeit der Identifizierung anhand der bereits ermittelten erkennungsdienstlichen Daten) von der Begehung gefährlicher Angriffe abzuhalten (Vorbeugung).

1.6. Der EGMR hat sich im zitierten Urteil (Rz. 42 ff) auch mit der Frage des ausreichenden und effektiven Rechtsschutzes Betroffener im Zusammenhang mit der Löschung der verarbeiteten Daten (insbesondere von verdächtigen, aber nicht verurteilten Personen) auseinandergesetzt. Dabei fiel ins Gewicht, dass das französische Recht kein subjektives Recht auf Löschung, sondern nur eine Möglichkeit der Löschung ('possibilité'; 'l’effacement, qui n’est […] pas un droit' – vgl. Rz. 44) vorsah und lediglich ein dahingehendes Antragsrecht des Betroffenen kannte. Das österreichische Recht, das bei fehlender 'Erforderlichkeit' der Datenverwendung ein subjektives Recht auf Löschung vorsieht, unterscheidet sich bereits in diesem Punkt wesentlich von der im zitierten Urteil angesprochenen französischen Rechtslage.

Wie der Verfassungsgerichtshof in Rn. 24 des Prüfungsbeschlusses hervorhebt, ist bei der Beurteilung der Verfassungskonformität der Regelung des §65 Abs1 SPG die Zusammenschau mit den relevanten Bestimmungen über die Datenlöschung und den Rechtsschutz für Betroffene von Bedeutung. Gemäß §65 Abs5 SPG haben die Sicherheitsbehörden jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange seine Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung bestehen. Damit werden Betroffene in die Lage versetzt, jederzeit die vorzeitige Löschung zu beantragen. In Folge der Aufhebung des §74 Abs1 und 2 SPG mit Erkenntnis des VfGH G76/12-7 vom 12. März 2013 lässt sich der begründete Antrag des Betroffenen auf Löschung (oder Richtigstellung) seiner erkennungsdienstlichen Daten auf §27 DSG 2000 stützen. Dieser Antrag ist gemäß §76 Abs6 SPG von der Landespolizeidirektion zu behandeln, in deren Wirkungsbereich die Daten verarbeitet werden bzw. vom Bundesminister für Inneres für die in seinem Auftrag verarbeiteten Daten. Gemäß §27 Abs4 DSG 2000 ist dem Betroffenen bei negativer Erledigung seines Antrags insbesondere mitzuteilen, dass und aus welchem Grund die verlangte Löschung (oder Richtigstellung) der Daten nicht vorgenommen wird. Dies ermöglicht es dem Betroffenen, gemäß §31 Abs2 DSG 2000 eine Beschwerde an die Datenschutzkommission zu richten und gegebenenfalls die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts anzurufen.

Unabhängig von einem Löschungsantrag kann sich ein Betroffener gemäß §1 Abs2 DSG 2000 mit der Behauptung, in seinem Recht auf Geheimhaltung gemäß §1 Abs1 DSG 2000 verletzt zu sein, ebenfalls an die Datenschutzkommission wenden, um bereits die Zulässigkeit der Ermittlung der erkennungsdienstlichen Daten durch die zuständige Sicherheitsbehörde überprüfen zu lassen. Damit besteht sowohl im Hinblick auf den Eingriff, der durch die bloße Ermittlung der Daten erfolgt, als auch durch deren Weiterverarbeitung in der erkennungsdienstlichen Evidenz gemäß §75 SPG ein umfassender Rechtsschutz bzw. die Kontrolle durch unabhängige Instanzen. Der Vollständigkeit halber wird auch auf die Regelung des §73 Abs1 Z4 SPG hingewiesen, wonach bei entkräftetem Verdacht grundsätzlich von Amts wegen zu löschen ist, wenn nicht im Einzelfall auf Grund konkreter Umstände und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots ein weiteres Verarbeiten erforderlich ist, um den Betroffenen von der Begehung gefährlicher Angriffe abzuhalten.

2. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die Regelung des §65 Abs1 SPG die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung in ausreichend bestimmter und im Hinblick auf die Notwendigkeit des Erkennungsdienstes zur Verhinderung von strafbaren Handlungen (im Sinne von Art8 Abs2 EMRK) in nicht überschießender, das heißt verhältnismäßiger Weise festlegt. Die flankierenden Regelungen im SPG und im DSG 2000 über die amtswegige und antragsgebundene Löschung sowie über die Überprüfbarkeit der diesbezüglichen behördlichen Entscheidungen bis zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts gewährleisten darüber hinaus die verfassungsrechtlich gebotenen, effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen. §65 Abs1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl Nr 566/1991, in der Fassung BGBl I Nr 13/2012, ist daher nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig.

[…]"

Für den Fall der Aufhebung beantragt die Bundesregierung, für das Außerkrafttreten der Bestimmung eine Frist von einem Jahr zu setzen, weil dies erforderlich sei, um die notwendigen legistischen Vorkehrungen zu treffen, ohne dass zwischenzeitig eine Lücke in der gesetzlichen Grundlage zur weiteren Speicherung bereits rechtmäßig ermittelter erkennungsdienstlicher Daten entsteht.

II. Rechtslage

1. Art8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl 210/1958 idF BGBl III 30/1998, lautet:

"Artikel 8 - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

2. Art1 §1 des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl I 165/1999, (im Folgenden: DSG 2000) lautet:

"Artikel 1

(Verfassungsbestimmung)

Grundrecht auf Datenschutz

§1. (1) Jedermann hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.

(2) Soweit die Verwendung von personenbezogenen Daten nicht im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung erfolgt, sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen, die aus den in Art8 Abs2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl Nr 210/1958, genannten Gründen notwendig sind. Derartige Gesetze dürfen die Verwendung von Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Auch im Falle zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden.

(3) Jedermann hat, soweit ihn betreffende personenbezogene Daten zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in manuell, dh. ohne Automationsunterstützung geführten Dateien bestimmt sind, nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen

1. das Recht auf Auskunft darüber, wer welche Daten über ihn verarbeitet, woher die Daten stammen, und wozu sie verwendet werden, insbesondere auch, an wen sie übermittelt werden;

2. das Recht auf Richtigstellung unrichtiger Daten und das Recht auf Löschung unzulässigerweise verarbeiteter Daten.

(4) Beschränkungen der Rechte nach Abs3 sind nur unter den in Abs2 genannten Voraussetzungen zulässig.

(5) Gegen Rechtsträger, die in Formen des Privatrechts eingerichtet sind, ist, soweit sie nicht in Vollziehung der Gesetze tätig werden, das Grundrecht auf Datenschutz mit Ausnahme des Rechtes auf Auskunft auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen. In allen übrigen Fällen ist die Datenschutzkommission zur Entscheidung zuständig, es sei denn, daß Akte der Gesetzgebung oder der Gerichtsbarkeit betroffen sind."

3. §16 und §65 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl 566/1991, in der geltenden Fassung BGBl I 13/2012, lauten (der in Prüfung gezogene §65 Abs1 SPG ist hervorgehoben):

"Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung

§16. (1) Eine allgemeine Gefahr besteht

1. bei einem gefährlichen Angriff (Abs2 und 3)

oder

2. sobald sich drei oder mehr Menschen mit dem Vorsatz verbinden, fortgesetzt gerichtlich strafbare Handlungen zu begehen (kriminelle Verbindung).

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand

1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl Nr 60/1974, ausgenommen die Tatbestände

nach den §§278, 278a und 278b StGB, oder

2. nach dem Verbotsgesetz, StGBl. Nr 13/1945, oder

3. nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I Nr 100, oder

4. nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl I Nr 112/1997, ausgenommen der Erwerb oder Besitz von Suchtmitteln zum ausschließlichen persönlichen Gebrauch (§§27 Abs2, 30 Abs2 SMG), oder

5. nach dem Anti-Doping-Bundesgesetz 2007 (ADBG 2007), BGBl I Nr 30, handelt.

(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.

(4) Gefahrenerforschung ist die Feststellung einer Gefahrenquelle und des für die Abwehr einer Gefahr sonst maßgeblichen Sachverhaltes."

"Erkennungsdienstliche Behandlung

§65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.

(2) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, im Zusammenhang mit der Klärung der Umstände eines bestimmten gefährlichen Angriffes Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn diese nicht im Verdacht stehen, den gefährlichen Angriff begangen zu haben, aber Gelegenheit hatten, Spuren zu hinterlassen, soweit dies zur Auswertung vorhandener Spuren notwendig ist.

(3) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, deren Identität gemäß §35 Abs1 Z3 festgestellt werden muß und die über ihre Identität keine ausreichenden Aussagen machen wollen oder können, sofern eine Anknüpfung an andere Umstände nicht möglich ist oder unverhältnismäßig wäre.

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung (§§73 und 74) bestehen. In den Fällen des §75 Abs1 letzter Satz ist der Betroffene über die Verarbeitung seiner Daten in einer den Umständen entsprechenden Weise in Kenntnis zu setzen.

(6) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern, Ausstellungsbehörde, Ausstellungsdatum und Nummer mitgeführter Dokumente, allfällige Hinweise über die Gefährlichkeit beim Einschreiten einschließlich sensibler Daten, soweit deren Verwendung zur Wahrung lebenswichtiger Interessen anderer notwendig ist und Aliasdaten eines Menschen (erkennungsdienstliche Identitätsdaten), den sie erkennungsdienstlich behandelt haben, zu ermitteln und zusammen mit den erkennungsdienstlichen Daten und mit dem für die Ermittlung maßgeblichen Grund zu verarbeiten. In den Fällen des Abs1 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, eine Personsfeststellung vorzunehmen."

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse vorliegen, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hegte im Prüfungsbeschluss – auf das Wesentliche zusammengefasst – das Bedenken, dass §65 Abs1 SPG ganz allgemein als Voraussetzung für eine erkennungsdienstliche Behandlung genügen lässt, dass jemand unter "Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben". Insbesondere schien dem Verfassungsgerichtshof, dass mit dieser Formulierung im Zusammenhalt mit dem Entfall des Wortes "weitere" in der Prognoseentscheidung die Eingriffsschwelle signifikant herabgesetzt wurde. Dies deshalb, da seit der Novelle durch den Entfall des Wortes "weitere" die Anlasstat kein gefährlicher Angriff mehr sein müsse, weshalb bereits bei Verwaltungsstraftaten, gerichtlich strafbaren Fahrlässigkeitsdelikten und gerichtlich strafbaren Handlungen mit geringem Unwertgehalt (Bagatelldelikten) die Eingriffsvoraussetzung erfüllt schien, wenn der Verdacht der zukünftigen Begehung eines gefährlichen Angriffes vorliege.

Diese Bedenken konnten von der Bundesregierung im Verfahren nicht zerstreut werden:

2.2. Wenn die Bundesregierung in ihrer Äußerung die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass der Begriff der mit Strafe bedrohten Handlung in §65 Abs1 SPG undifferenziert alle strafbaren Handlungen erfasse, mit dem Argument auszuräumen sucht, der Gesetzgeber habe derartiges nicht intendiert, was auch die Gesetzeshistorie belege, übersieht sie, dass die Gesetzesmaterialien zu dieser Frage keine Ausführungen enthalten, weshalb zur Interpretation des Gesetzestextes daraus auch nichts zu gewinnen ist.

2.3. Der Wortlaut des §65 Abs1 SPG selbst ist hinsichtlich des Begriffes "mit Strafe bedrohte Handlung" deutlich, nichts schränkt ihn dahingehend, dass Verwaltungsstrafsachen und Fahrlässigkeitsdelikte nicht erfasst wären, ein. Dass nun mit einer weiteren Novelle zum Sicherheitspolizeigestz (BGBl I 43/2014), die am 20. Mai 2014 im Nationalrat und am 28. Mai 2014 im Bundesrat beschlossen sowie am 12. Juni 2014 kundgemacht wurde und gemäß §94 Abs37 SPG idF BGBl I 43/2014 mit 1. Juli 2014 in Kraft tritt, diese Einschränkung vorgenommen wird, erhellt, dass der Gesetzgeber selbst diese "Klarstellung" als notwendig erachtet.

Mit der zitierten Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz wird – im Sinne der Bedenken, die der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss hegte –normiert, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nur bei mit gerichtlicher Strafe bedrohten vorsätzlichen Handlungen, insoweit auch alle übrigen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, zulässig ist. Selbst wenn die vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogene Wortfolge im Sinne der nunmehr erfolgten Novellierung schon stets – so die Bundesregierung – so verstanden werden wollte, ist bloß darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut der Bestimmung jedoch eine viel weitere, verfassungswidrige Ermächtigung zur erkennungsdienstlichen Behandlung beinhaltet.

2.4. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits erkannt hat (VfGH 12.3.2013, G76/12), sind Beschränkungen des Grundrechtes auf Datenschutz nach dem Gesetzesvorbehalt des §1 Abs2 DSG 2000 (abgesehen von lebenswichtigen Interessen des Betroffenen an der Verwendung personenbezogener Daten oder seiner Zustimmung hiezu) bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art8 Abs2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und die ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar regeln, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erlaubt ist (vgl. VfSlg 16.369/2001, 18.146/2007, 18.963/2009, 18.975/2009, 19.657/2012). Der Gesetzgeber muss somit nach den Vorgaben des §1 Abs2 DSG 2000 eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkretisiert und begrenzt werden (VfSlg 18.643/2008).

Diesen Anforderungen genügt §65 Abs1 SPG – wie im Prüfungsbeschluss angenommen – aus den oben bereits dargestellten Gründen eben nicht.

IV. Ergebnis

1. §65 Abs1 SPG idF BGBl I 13/2012 ist daher als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken.

2. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne münd­liche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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