VfGH B762/03

VfGHB762/0325.11.2003

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Aufforderung sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen infolge Fehlens einer nachvollziehbaren Begründung in einem entscheidungswesentlichen

Punkt; keine Auseinandersetzung mit den im Sicherheitspolizeigesetz festgelegten Voraussetzungen

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
SicherheitspolizeiG §65
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
SicherheitspolizeiG §65

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 1.962,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem bekämpften Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 2.4.2003 wurde der Beschwerdeführer gemäß §65 Abs1 und 4 iVm. §77 Abs2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) verpflichtet, an seiner erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken. Der Beschwerdeführer stehe im Verdacht, ein Vergehen nach §83 StGB (Körperverletzung) begangen zu haben; einer schriftlichen Aufforderung der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld, sich der erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen (§77 Abs1 SPG), habe er nicht Folge geleistet.

Zur Begründung ihres Bescheides führt die Behörde aus:

"Der Gendarmerieposten Traisen hat der erkennenden Behörde berichtet, dass Sie im Verdacht stehen, den im Spruch dieses Bescheides näher bezeichneten gefährlichen Angriff [ein Vergehen nach §83 StGB (Körperverletzung)] begangen zu haben.

Hierbei haben Sie Ihre erkennungsdienstliche Behandlung gegenüber den öffentlichen Sicherheitsorganen verweigert.

Aus diesem Grunde wurden Sie von der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld am 11.3.2003 schriftlich aufgefordert, sich der erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen.

Da Sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen sind und die gesetzlichen Voraussetzungen für die erkennungsdienstliche Behandlung im Sinne des §65 Abs1 SPG bei Ihnen vorliegen, war Ihnen die Verpflichtung, an Ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken, bescheidmäßig aufzuerlegen."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebenden Rechtsvorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes - SPG, BGBl. Nr. 566/1991 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 104/2002, lauten:

"Erkennungsdienstliche Behandlung

§65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint.

(2) - (3) ...

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

(5) - (6) ..."

"Verfahren

§77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß §65 Abs4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) - (4) ..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987). Darüber hinaus begründet das Unterlassen jeglicher Begründung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Willkür (VfSlg. 12.477/1990, 15.409/1999, 15.696/1999).

2.1. Gemäß §65 Abs1 SPG ist die Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung eines Menschen an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zum einen hat der Betroffene im Verdacht zu stehen, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben; zum anderen muss er entweder im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muss sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheinen.

2.2. Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid zwar ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Verdacht stehe, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben.

Sie hat es jedoch gänzlich unterlassen, sich sodann mit der zweiten Voraussetzung des §65 Abs1 SPG auseinanderzusetzen und darzulegen, weshalb sie eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers aus den in dieser Bestimmung genannten Gründen für erforderlich hält. Die Behörde ist daher in einem entscheidungswesentlichen Punkt jede nachvollziehbare Begründung schuldig geblieben (vgl. bereits VfGH 26.2.2002, B433/01; 26.6.2002, B931/02).

Der Beschwerdeführer wurde dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der angefochtene Bescheid war somit aufzuheben.

IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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