Normen
EMRK Art11
StGG Art12 / Versammlungsrecht
VersammlungsG §13, §14, §19
EMRK Art11
StGG Art12 / Versammlungsrecht
VersammlungsG §13, §14, §19
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird – insoweit sie die Rechtmäßigkeit der Auflösung der vorliegenden Versammlung betrifft – abgewiesen.
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 25. Mai 2012 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, dass er es unterlassen habe, am 2. Mai 2011 in 1080 Wien, Alser Straße 13, als Anwesender und Teilnehmer einer dort abgehaltenen Versammlung anlässlich des so genannten "Tierschützerprozesses" diese, nachdem sie vom Behördenvertreter um 19.59 Uhr für aufgelöst erklärt worden war, sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen. Vielmehr habe der Beschwerdeführer diese Versammlung trotz der erfolgten Auflösung gemeinsam mit anderen Personen fortgesetzt und erst um 20.13 Uhr an der Örtlichkeit 1090 Wien, Garnisongasse 3, beendet, nachdem die Versammlungsteilnehmer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten worden waren. Dadurch seien die Rechtsvorschriften gemäß §14 Abs1 in Verbindung mit §19 Versammlungsgesetz 1953, BGBl 98, idF BGBl I 50/2012 (im Folgenden: VersammlungsG) verletzt worden, weswegen über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 100,–, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit 50 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ein Verfahrenskostenbeitrag vorgeschrieben wurden.
2. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 30. Oktober 2012 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis in der Schuldfrage bestätigt, jedoch hinsichtlich des Strafausspruches festgestellt, dass die verhängte Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Stunden auf 40 Stunden herabgesetzt wird. Im Wesentlichen urteilte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien – nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16. Oktober 2012 – wie folgt:
"Gegen 19.40 Uhr [des 2. Mai 2011] setzte sich die unangemeldete Demonstration in Bewegung[;] die begleitenden Polizeiorgane warteten zunächst zu. Nachdem der Demonstrationszug in die Alser Straße weiter marschierte und sich nicht mit anderen Demonstrationsteilnehmern (zum selben Geschehen des Tierschutzprozesses) in der Wickenburggasse verband, entschied sich die Landespolizeidirektion Wien zur Auflösung, zumal weder Ziel noch Marschroute abschätzbar waren[,] und wurde dies mit klarer und deutlicher Ansage mittels Lautsprecherwagen vorgenommen.
Die etwa 120 Teilnehmer reagierten auf die behördliche Auflösung nicht. Die Demonstration wendete im Bereich des [A]lten AKH und zog auf der öffentlichen Straße weiter. Im Bereich der Garnisongasse wurde deshalb eine Absperrung durch die Landespolizeidirektion Wien vorgenommen[;] ein Großteil der Demonstrationsteilnehmer entfernte sich[;] etwa 60 Personen verblieben innerhalb der polizeilichen Absperrung trotz aufgelöster Demonstration[,] darunter der Berufungswerber. Um 20.11 Uhr war die Identitätsfeststellung der im Verbotsbereich verbliebenen Demonstrationsteilnehmer über Lautsprecherdurchsage mitgeteilt worden, gegen 21.00 Uhr war diese in etwa beendet.
[…]
Aus rechtlicher Sicht ist dem Berufungswerber entgegen zu halten:
Der Berufungswerber verweist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach Spontandemonstrationen zu dulden wären. Eine sogar 30-stündige Blockade der Brenner[-]Autobahn wäre eine hinzunehmende Einschränkung der Freiheit des Verkehrs gegenüber dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Das Recht auf Versammlungsfreiheit stehe im Verfassungsrang und dürfe nicht durch lediglich Verwaltungsstraftatbestände, wie das fehlende Anmelden, ausgehöhlt werden.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien entschied bereits zu UVS- 02/11/2253/2011, dass an die vom Verfassungsgerichtshof in Anlehnung an die Europäische Rechtsprechung herausgearbeitete Definition der Spontandemonstration eine rechtliche Prüfung anhand der vor Ort festzustellenden Parameter und Kriterien anzulegen ist.
[…]
Vorweg stellt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien klar, dass die vorliegende Entscheidung nicht die Frage der Zulässigkeit der Untersagung der Versammlung durch das LVT [Anm.: Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung] der Landespolizeidirektion Wien zu LVT-W-704-EX/1376/2011 berührt. Die Untersagung per se wurde durch den Berufungswerber auch nicht in Beschwerde gezogen. Soweit sie vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angefochten werde, ist zur rechtlichen Beurteilung der Untersagung und der daran anknüpfenden kurzfristigen Anhaltung zwecks Identitätsfeststellung auf die diesbezüglichen Sachverhaltsfeststellung[en] und die Entscheidung zu UVS-02/13/5015/2011 et 02/13/6649/2011 zu verweisen.
Auf Grund der vorliegenden gemeinsamen Artikulierung der Versammlungsteilnehmer (Demonstration gegen den Tierschützerprozess am Landesgericht Wr. Neustadt) war von einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes grundsätzlich auszugehen. Entgegen des Berufungsvorbringens[…] und entgegen der in der Berufung vertretenen Rechtsansicht war von keiner zulässigen Spontandemonstration auszugehen.
Die anfängliche Duldung im Bereich der W[iener] Ringstraße durch die Landespolizeidirektion Wien darf nicht als Legitimation der ungemeldeten Versammlung verstanden werden, sondern entsprach lediglich der verfassungskonformen Auslegung durch die Landespolizeidirektion Wien, dass auch Spontandemonstrationen unter gewissen Voraussetzungen grundsätzlich zulässig sind. Zufolge der unabsehbaren Marschrichtung stößt die von der Landespolizeidirektion Wien letztlich veranlasste Auflösung auf keine Bedenken bei der erkennenden Behörde. Der Berufungswerber unterließ es jedoch darzulegen, aus welchen Erwägungen er trotz der Auflösung weiter am Versammlungsort verweilte. Die pauschale Verantwortung mit Versammlungsfreiheit und de[r]en Verfassungsrang vermag ein rechtswidriges Einschreiten der Polizeiorgane nicht darzulegen. Es ist davon auszugehen, dass der Berufungswerber die Auflösung klar und deutlich verstand […].
Er war demnach zur Befolgung der Auflösung verpflichtet."
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des Beschwerdeführers in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt werden. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt:
"Die am 2.5.2011 anlässlich des sog. Tierschützerprozesses am Straflandesgericht [Anm.: Wiener Neustadt] stattfindende Demonstration wurde von der Behörde, nachdem diese ausgehend vom Universitätsring in die Alserstraße gezogen war, aufgelöst. Mehrere Teilnehmer entfernten sich daraufhin, andere zogen sich auf den angrenzenden [Universitäts-]Campus zurück. Ab diesem Zeitpunkt konnte auch nicht länger von einer organisierten Zusammenkunft der Teilnehmer ausgegangen werden, sodass keine Demonstration mehr gegeben war. Jedenfalls bestand weder ein Demonstrationszug, noch ein gemeinsames Wirken.
Da kein Auflösungsgrund vorlag und ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit offenkundig war, entschlossen sich einige der verbleibenden Teilnehmer der 1. Demonstration vielmehr spontan, gegen die ungerechtfertigte Unterbindung der 1. Manifestation und die für die Demonstranten damit verbundene Willkür der Gesetzesauslegung bzw Machtausübung durch die Bundespolizeidirektion Wien zu protestieren. Es formte sich spontan ein neuer Demonstrationszug, dessen Thema nicht länger der Tierschutz war, sondern Protest gegen die Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit. Dies drückte sich auch in den Parolen aus, welche nunmehr nicht länger aus Solidaritätsbekundungen für Tierschützer bestanden, sondern sich eindeutig gegen das Vorgehen der Polizei wandte. Die Teilnehmerzahl reduzierte sich um mehr als 30% und änderte sich nunmehr auch die Marschrichtung. Während der 1. Demonstrationszug stadtauswärts zog, bewegte sich die 2. Demonstration Richtung Innenstadt.
Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde liegt damit kein einheitlicher Demonstrationszug vor, sondern ist von 2 Demonstrationen auszugehen. Aufgelöst wurde allerdings nur die 1. Demonstration, wobei festzuhalten ist, dass die Teilnehmer dieser Aufforderung auch nachkamen. Rund ein Drittel der Teilnehmer der 1. Demonstration nahm an der 2. nicht mehr teil. Im Übrigen wurde die 1. Demonstration in der Alserstraße aufgelöst, während Ausgangspunkt der 2. Demonstration der Campus des [A]lten AKH war. Es kann dem Bf folglich auch nicht vorgeworfen werden, dass er am Versammlungsort verweilte.
[…]Der angefochtene Bescheid nimmt auf die genannten Umstände nicht [b]edacht, obwohl vom Bf bereits im Verwaltungsverfahren mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass es sich um 2 Demonstrationen handelte. Hinzu kommt, dass es betreffend die 2. Demonstration einer (gesonderten) Auflösung bedurft hätte.
Abgesehen davon, dass die spontane 2. Demonstration nicht vom Behördenvertreter aufgelöst wurde, würden auch keine Auflösungsgründe vorliegen. Jedenfalls vermag die Verletzung der Anzeigepflicht alleine eine Auflösung nicht zu rechtfertigen. Andere Umstände, die eine Gefährdung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Schutzgüter darstellen, lagen nicht vor und wurden von der Behörde auch gar nicht behauptet. Jedenfalls traf die massive Verkehrsbeeinträchtigung, welche betreffend die 1. Demonstration behauptet wurde, auf die 2. Demonstration nicht zu, zumal diese lediglich aus rund 80 Teilnehmern bestand, friedlich verlief und sich vorwiegend auf dem Gehsteig stadteinwärts bewegte.
Die 2. Demonstration wäre daher als zulässig zu qualifizieren gewesen. Da keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit vorlag, hätte entsprechend dem Opportunitätsprinzip von der Identitätsfeststellung und Anzeige zudem abgesehen werden müssen."
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der den Beschwerdebehauptungen – zusammengefasst – wie folgt entgegengetreten wird:
"[Dem angefochtenen] Bescheid lag eine öffentliche mündliche Verhandlung zu Grunde, in der der Bf umfassend Parteiengehör erhielt und der Einsatzleiter der Polizeikräfte zeugenschaftlich einvernommen wurde. Es ist festzuhalten, dass im gesamten mündlichen Verfahren vor der erkennenden Behörde nicht im Mindesten von einer zweiten[,] gesonderten Demonstration zur Versammlungsfreiheit gesprochen wurde[…] und der Bf im Rahmen des Parteiengehörs diesbezüglich kein Vorbringen oder Ausführungen erstattete […].
Aus dem bekämpften Bescheid ist ersichtlich, dass [sich] dieses Vorbringen lediglich in den Berufungsausführungen […] des bekämpften Bescheides […] findet […]:
Punkt 8 und 9 der Stellungnahme des Bf vom 25.11.2011, hiezu verwiesen in der Berufung vom 13.6.2012, lauten auszugsweise, der Bf erachte, es liege eine eigenständige nachfolgende Demonstration vor, diese habe sich nach geraumer Zeit nach der Auflösung ersterer gebildet und hätte einer eigenen Auflösung bedurft. Diese nachfolgende Demonstration wäre Ausdruck gegen die Willkür der Behörde wegen vorangegangener Auflösung gewesen.
[…]
Vor der erkennenden Behörde hatte sich der Bf mündlich dahingehend gerechtfertigt, die Auflösung (betreffend offenkundig die erste Versammlung) nicht gehört zu haben[;] ein Großteil der Versammlungsteilnehmer habe die Auflösung nicht mitbekommen und sich sodann zu einem neuen Zug formiert, dem er sich angeschlossen habe und der letztlich in der Garnison[gasse] gestoppt worden wäre […].
[…]
Marginal wurde hier zwar von einer gesonderten zweiten Demonstration, nicht jedoch einer spontanen mit anderem Thema, nämlich gegen die Versammlungsfreiheit[,] argumentiert […]. Es wurde auch kein Beweis geführt, der die Richtigkeit der Argumentation des Bf im Lichte einer zweiten Demonstration unterlegen hätte können. Nur am Rande [gegenüber] dem Einsatzleiter fragte der Bf nach, ob getrennte Demonstrationen vorgelegen hätten, was dieser verneinte […][.]
Es möge erlaubt sein, darzulegen, da[ss] die Verhandlung des Bf mit 3 anderen Demonstrationsteilnehmern erfolgte, die nicht im Mindesten seine Argumentation einer eigenständigen zweiten Demonstration unterstützten […].
[…]
Aus all diesen Anbringen ist jedoch zu ersehen, dass keinerlei Vorbringen erstattet wurde, nämlich es habe sich um eine gesonderte zweite Demonstration gegen die behauptete Unterdrückung der Versammlungsfreiheit im Lichte einer Spontandemonstration [gehandelt].
[…]
Klar erweist sich die letztlich gestoppte Demonstration (an der der Bf teilnahm) als Fortsetzung der ersten, als rechtswidrig aufgelösten Demonstration, wie im Sachverhalt festgestellt.
Es ist festzustellen, dass der Bf mündlich kein Vorbringen erstattet hatte, das ein erweitertes Beweisverfahren in Lichte der mündlich nicht mehr aufrecht erhaltenen Version einer zweiten Demonstration bedingt hätte.
Ein Vorbringen, wie nunmehr primär vor dem Höchstgericht behauptet, nämlich einer zweiten[,] eigenen Spontandemonstration gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit[,] war vor der erkennenden Behörde nicht weiter aufrecht erhalten worden und auch somit nicht Gegenstand der Feststellungen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
Im Ergebnis beantragt die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und dem Beschwerdeführer die Kosten des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes aufzuerlegen.
II. Rechtslage
Die im konkreten Fall einschlägigen §§13, 14 und 19 VersammlungsG lauteten im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides wie folgt:
"§13. (1) Wenn eine Versammlung gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltet wird, so ist sie von der Behörde (§§16 und 17) zu untersagen und nach Umständen aufzulösen.
(2) Desgleichen ist die Auflösung einer, wenngleich gesetzmäßig veranstalteten Versammlung vom Abgeordneten der Behörde oder, falls kein solcher entsendet wurde, von der Behörde zu verfügen, wenn sich in der Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen oder wenn sie einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmt.
§14. (1) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen.
(2) Im Falle des Ungehorsams kann die Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden.
[…]
§19. Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.
2. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften sind – aus Sicht des Beschwerdefalles – nicht entstanden (vgl. auch VfSlg 14.366/1995, 14.761/1997).
3. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer es verabsäumt hätte, nach Auflösung der vorliegenden Versammlung den Versammlungsort zu verlassen, weswegen eine Übertretung des §14 VersammlungsG vorliege, aus der eine Bestrafung gemäß §19 leg.cit. folgen würde. Der Beschwerdeführer argumentiert demgegenüber – zusammengefasst – dahingehend, dass eine "zweite" Versammlung, an welcher er unmittelbar im Anschluss an die Auflösung der "ersten" Versammlung teilgenommen habe, nicht von dieser behördlichen Auflösung erfasst gewesen wäre, sodass seine Bestrafung zu Unrecht erfolgt sei. Er sei in seinem Versammlungsrecht verletzt, da "Umstände, die eine Gefährdung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Schutzgüter darstellen" hätten können, weder vorlägen noch von der Behörde behauptet worden seien.
4. Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes ist es zu prüfen, ob die hier zu beurteilende Versammlung zu Recht aufgelöst wurde, denn durch das Unterbinden dieser Versammlung könnte eine Verletzung in dem in Art11 EMRK festgelegten Recht auf Versammlungsfreiheit erfolgt sein.
4.1. §13 VersammlungsG erlaubt es, eine Versammlung aufzulösen, wenn diese gegen die Vorschriften des VersammlungsG veranstaltet wird und deren Abhaltung eine drohende Gefahr für die in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Schutzgüter (u.a. öffentliche Ordnung und Sicherheit, Rechte und Freiheiten anderer) darstellt (vgl. u.a. VfSlg 10.955/1986, 11.132/1986, 14.366/1995).
4.2. Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall eine Versammlungsanzeige unterblieb, doch unterfällt auch eine Versammlung, die nicht angemeldet wurde, dem grundrechtlichen Schutz sich friedlich zu versammeln. Insoweit ist die Auflösung einer unangemeldeten Versammlung nur unter Beachtung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe erlaubt; unterblieb die Anzeige, hat die Behörde – nach den am Versammlungsort gegebenen Umständen – zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Auflösung vorliegen (vgl. etwa VfSlg 11.132/1986, 14.366/1995, 14.761/1997).
4.3. Der Verfassungsgerichtshof ist mit der belangten Behörde der Auffassung, dass es sich bei der vorliegenden Versammlung um eine Zusammenkunft bzw. einen Demonstrationszug handelte, die wegen ihres engen zeitlichen, örtlichen und sachlichen Zusammenhanges als eine Einheit zu betrachten sind (vgl. hierzu auch VfSlg 14.367/1995).
4.4. Im konkreten Fall hat – wie dem beigeschafften Verwaltungsakt zu entnehmen ist – der Behördenvertreter der Bundespolizeidirektion Wien die Auflösung der unangemeldeten Versammlung deshalb verfügt, weil diese – seiner Einschätzung nach – "de[n] Verkehr vor Ort stark behindert" hätte.
4.5. Selbst wenn durch eine Versammlung ausgelöste kurzfristige Verkehrsbehinderungen im Lichte des Rechts auf Versammlungsfreiheit an sich hinzunehmen sind (vgl. zB VfSlg 11.832/1988), fällt im konkreten Fall ins Gewicht, dass der Behörde aufgrund der Unterlassung einer Versammlungsanzeige keine Möglichkeit geboten wurde, im Vorfeld Vorkehrungen zu treffen, um bei Abhaltung der Versammlung die Verkehrssituation zu entspannen. Da die (unangemeldete) Versammlung erst auf der Wiener Ringstraße stattfand und sich dann als Marsch in Richtung Alser Straße – allerdings mit unbekanntem Ziel – fortbewegte, hatten die am Versammlungsort anwesenden Sicherheitsorgane auf Basis einer umfassenden Lageanalyse ad hoc die Entscheidung zu treffen, ob im weiteren Verlauf der Versammlung eine Situation entstehen würde, die im Lichte des Art11 Abs2 EMRK die Auflösung der Versammlung zulässig machen würde, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten und die Rechte und Freiheiten anderer zu schützen.
4.6. Dient dieser Eingriff – wie im vorliegenden Fall – in Ermangelung der Möglichkeiten verkehrlicher Vorsorge dem Ziel, den städtischen Verkehrsfluss in den Abendstunden im Wesentlichen aufrecht zu erhalten, ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie nach Abwägung aller Umstände in diesem Fall die Auflösung als legitim und auch verhältnismäßig beurteilte.
4.7. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Auflösung der Versammlung gemäß §13 VersammlungsG in Verbindung mit Art11 Abs2 EMRK im hier vorliegenden Fall und der spezifischen Konstellation dieser Versammlung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig war (vgl. dazu VfSlg 14.366/1995, 14.367/1995).
4.8. Wurde jedoch eine Versammlung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise aufgelöst, sind die im Gefolge der Auflösung bestehenden Verpflichtungen der Versammlungsteilnehmer, wie etwa jene gemäß §14 VersammlungsG, und deren Durchsetzung in der Regel folglich bloß einfachgesetzliche Fragestellungen.
5. Zum angefochtenen Strafbescheid:
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer bestraft, weil er trotz Aufforderung die behördlich aufgelöste Versammlung nicht verließ.
5.1. Ein Eingriff in das durch Art11 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet wurde; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Entscheidung mit einem so schweren Fehler belastet ist, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise ein verfassungswidriger, insbesondere ein dem Art11 Abs1 EMRK widersprechender und durch Art11 Abs2 EMRK nicht gedeckter Inhalt unterstellt wurde (vgl. in diesem Sinne zu Art8 EMRK VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
5.2. Einen solchen Fehler hat die belangte Behörde nicht begangen.
5.3. Wie unter 4. dargelegt, wurde die vorliegende Versammlung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise aufgelöst. Die Auffassung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass die Versammlungsteilnehmer gemäß §14 VersammlungsG nicht nur dazu verpflichtet sind, den Versammlungsort nach Versammlungsauflösung sogleich zu verlassen, sondern auch gehalten sind auseinanderzugehen, und die Nichtbefolgung der Anordnung als verwaltungsstrafbehördlich relevantes Verhalten qualifiziert ist, ist nicht denkunmöglich (vgl. Keplinger, Versammlungsrecht. Kurzkommentar zum Versammlungsrecht samt Judikatur, 2002, 249).
IV. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung des Beschwerdeführers in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
2. Insoweit die Beschwerde weitere Rechtswidrigkeiten behauptet, genügt es nach dem vorhin Gesagten darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen hat, ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Dem Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Kosten als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes ist schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (zB VfSlg 17.873/2006 mwN).
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