VfGH V30/2013 ua

VfGHV30/2013 ua2.10.2013

Gesetzwidrigkeit von nicht mehr dem Stand der Technik entsprechenden Verweisungen der Schienenverkehrslärm-Emissionsschutzverordnung auf bestimmte technische Normen und Standards infolge Unterlassung einer Überprüfung durch den Verordnungsgeber über einen Zeitraum von knapp zwanzig Jahren

Normen

B-VG Art18 Abs2
EisenbahnG 1957 §19 Abs4
Schienenverkehrslärm-EmissionsschutzV (SchIV), BGBl 415/1993 §2 Abs1, Abs2, Abs3
B-VG Art18 Abs2
EisenbahnG 1957 §19 Abs4
Schienenverkehrslärm-EmissionsschutzV (SchIV), BGBl 415/1993 §2 Abs1, Abs2, Abs3

 

Spruch:

I. 1. Die Wortfolge ", S 5004 (Ausgabe 1985) und S 5005 (Ausgabe 1992)" in §2 Abs1 sowie die Bestimmung des §2 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutz­maßnahmen bei Haupt-, Neben- und Straßenbahnen (Schienenverkehrs­lärm-Immissionsschutzverordnung – SchIV), BGBl Nr 415/1993, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. April 2014 in Kraft.

3. Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

II. Die Bestimmungen des §2 Abs1 mit Ausnahme der im Spruchpunkt I.1. genannten Wortfolge und des §2 Abs3 der Verordnung des Bundes-ministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutzmaßnahmen bei Haupt-, Neben- und Straßenbahnen (Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung – SchIV), BGBl Nr 415/1993, werden nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Geschäftszahlen B327/2012 und B373/2012 auf Art144 B-VG gestützte Beschwerden anhängig, welchen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 1. Februar 2012 wurde auf Antrag der beteiligten Partei ÖBB Infrastruktur AG das Vorhaben "Hochleistungsstrecke Nr 221 – Linz Hbf. bis Summerau" (Selektiver zweigleisiger Ausbau im Abschnitt Hbf. Linz bis Haltestelle St. Georgen an der Gusen; Umbau der Bahnhöfe Lungitz, Gaisbach-Wartberg, Kefermarkt, Freistadt und Summerau) gemäß den Bestimmungen der §§23b, 24, 24f Umweltver­träglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (in der Folge: UVP-G), der §§2, 3, 5 Hochleis­tungs­streckengesetz, des §31f Eisenbahngesetz (in der Folge: EisbG), des §94 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, der §§17 bis 19 Forstgesetz sowie der §§44a ff., §59 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz genehmigt. Gleichzeitig wurden der beteiligten Partei Auflagen vorgeschrieben (zB Kontrollmessungen der tatsächlich auftretenden Lärmimmissionen).

2. Bei der Behandlung der gegen diesen Bescheid gerichteten, zu B327/2012 und B373/2012 protokollierten Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Bestimmungen des §2 Abs1, 2 und 3 der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutzmaßnahmen bei Haupt-, Neben- und Straßenbahnen (Schienen­verkehrslärm-Immissionsschutzverordnung – SchIV), BGBl 415/1993, (in der Folge: SchIV) entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 12. März 2013 beschlossen, diese Verordnungsbestimmungen von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die hiemit in Prüfung gezogenen Bestimmungen des §2 Abs1, 2 und 3 Schienenverkehrslärm-Immissionsschutz­verordnung das Bedenken, dass diese nicht mehr dem gesetzlichen Erfordernis des Stands der Technik iSd §19 Abs4 EisbG entsprechen dürften.

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrmals ausgesprochen, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung nicht nur die zum Zeitpunkt ihrer Erlassung gegebenen Umstände maßgeblich sind, sondern dass auf die – möglicherweise geänderten – tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Prüfung abzustellen ist (vgl. VfSlg 6774/1972, 8329/1978, 8699/1979, 16.366/2001).

Bei wesentlichen Änderungen in den für die Verordnungserlassung ausschlaggebenden tatsächlichen Verhältnissen wird eine Verordnung rechtswidrig. Deshalb obliegt es dem Verordnungsgeber, sich in angemessenen Zeitabständen vom Weiterbestehen der tatsächlichen Verordnungsgrundlagen zu überzeugen, um die Verordnung allenfalls den Änderungen anzupassen (vgl. VfSlg 14.601/1996).

3.2. Vor diesem Hintergrund geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass auch Verordnungen, die – nach der gesetzlichen Maßgabe des Stands der Technik – an technische Normen und Standards anknüpfen, fallweise daraufhin zu überprüfen sind, ob diese dem Stand der Technik noch entsprechen. Wenn auch betreffend die SchIV weder im EisbG noch in anderen gesetzlichen Vorschriften Zeitabstände für Überprüfungen vorgesehen sind, hat der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass das Unterbleiben einer Überprüfung über einen Zeit­raum von knapp 20 Jahren einen Verstoß des Verordnungsgebers gegen die eben erwähnten Pflichten darstellen könnte.

3.3. Der Verfassungsgerichtshof kann vorderhand keinen Anhaltspunkt dafür finden, dass eine Überprüfung stattgefunden hätte:

Die im Jahr 1993 erlassene Verordnung erklärt in §2 Abs1, 2 und 3 ÖNORMEN aus den Jahren 1973, 1974, 1985 und 1992 sowie die ÖAL-Richtlinie Nr 30 aus dem Jahr 1990 für verbindlich. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig – dem Wortlaut des §2 SchIV entsprechend – davon aus, dass die belangte Behörde bei Anwendung der SchIV von den darin verwiesenen ÖNORMEN und der ÖAL‑Richtlinie nicht abweichen dürfte. Vor diesem Hintergrund hegt der Verfassungsgerichtshof Zweifel daran, dass sich bezüglich der Messung, Berechnung und Beurteilung von Schallimmissionen seit Erlassung dieser Standards keine technischen Neuerungen ergeben haben sollen. Angesichts des in dieser Hinsicht ohne Hinweise bleibenden Vorbringens der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie kann nicht ausgeschlossen werden, dass die verwiesenen – allenfalls gar nicht mehr existierenden – Regelwerke nicht mehr den heutigen Stand der Technik abbilden.

3.4. Im Verordnungsprüfungsverfahren wird zu klären sein, ob die Vorgaben des §2 Abs1, 2 und 3 SchIV allenfalls nicht bindend sein oder ob die verwiesenen ÖNORMEN in der aktuellen Fassung maßgeblich sein könnten und die anwendende Behörde – etwa im Fall der Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen nach §24f Abs2 UVP-G – dementsprechend von den festgelegten Standards abweichen könnte.

4. In von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals voll­ständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzu­wägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 9374/1982, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Bestimmungen des §2 Abs1, 2 und 3 Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung von einer allfälligen Gesetzwidrigkeit betroffen sein dürften."

4. Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie erstattete eine Äußerung.

4.1. Darin verweist sie zunächst auf die Bestimmung des §9b EisbG und tritt in der Folge den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegen:

"Die in Prüfung gezogene Bestimmung des §2 Abs1, 2 und 3 SchIV regelt schalltechnische Begriffe (§2 Abs1 erster Fall SchIV), schalltechnische Größen (§2 Abs1 zweiter Fall SchIV), schalltechnische Messverfahren (§2 Abs1 dritter Fall SchIV), die Berechnung von Schallimmissionen (§2 Abs2 SchIV) und die Bewertungsfunktion A für Schallpegel (§2 Abs3 SchIV).

Die in §2 Abs1 und 2 SchIV angeführten Regelwerke sind keine Rechtsverordnungen, son­dern Normen, die vom Österreichischen Normungsinstitut (nunmehr: Austrian Standards Institute/Österreichisches Normungsinstitut, ZVR-Zahl: 627457584) im Sinne des Normen­gesetzes 1971, BGBl Nr 240/1971 idF BGBl I Nr 136/2001, bzw. eine Richtlinie, die vom Österreichischen Arbeitsring für Lärmbekämpfung herausgegeben wurden. Die Bewertungsfunktion A für Schallpegel wird durch eine Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen geregelt.

Nach §5 Normengesetz 1971 können ÖNORMEN durch Gesetze oder Verordnungen zur Gänze oder teilweise für verbindlich erklärt werden. Es ist festzuhalten, dass die Verweise in §2 SchIV auf die Normen bzw. die Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Ver­messungswesen nicht als allumfassende Verweisungen auf diese Regelwerke ausgeführt sind, sondern nur hinsichtlich einzelner Inhalte verwiesen wird. Dementsprechend kann sich eine Änderung des Standes der Technik bzw. eine daraus resultierende Anpassung der Norm nur dann auf die SchIV auswirken (im Sinne einer Notwendigkeit der Anpassung), wenn von der Änderung auch jene Bereiche umfasst sind, die durch den Verweis in die Verordnung integriert wurden.

Zur Frage, inwieweit sich bei den in den in Prüfung gezogenen Bestimmungen angeführten Normtexten zwischenzeitig Änderungen am Stand der Technik ergeben haben, wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, das dieser schriftlichen Stellungnahme in Kopie beigeschlossen wird.

Dieses Gutachten kommt zusammenfassend zum Ergebnis, dass die in den angeführten Normen verwendeten, für die SchIV maßgebenden schalltechnischen Begriffe (§2 Abs1 erster Fall SchIV) und schalltechnischen Größen (§2 Abs1 zweiter Fall SchIV) unverändert Gültigkeit haben. Dies leuchtet hinsichtlich der schalltechnischen Größen schon deshalb ein, weil die zugrundeliegenden Basiseinheiten durch das Maß- und Eichgesetz (MEG), BGBl Nr 152/1950 idF BGBl I Nr 28/2012, definiert sind: Neben den Basiseinheiten (§2 Abs1 MEG für die Länge das Meter, für die Masse das Kilogramm, für die Zeit die Sekunde, für die elektrische Stromstärke das Ampere, für die thermodynamische Temperatur das Kelvin, für die Stoffmenge das Mol und für die Lichtstärke die Candela) werden in §2 Abs1 auch aus den Basiseinheiten kohärent abgeleitete Einheiten (§2 Abs2 MEG) sowie sonst zulässige Einheiten (§2 Abs3 und 5 MEG) festgelegt. So werden in §2 Abs5 Z6 MEG das Bel (B) und das Dezibel (dB) definiert ('für den Zehnerlogarithmus des Verhältnisses zweier Leistungen oder zweier Energien das Bel (B), das gleich ist dem Zehnerlogarithmus des Verhältnisses zweier Leistungen oder zweier Energien, die sich wie 10 : 1 verhalten, und das Dezibel (dB): 1 dB = 10-1 B').

Hinsichtlich der schalltechnischen Messverfahren (§2 Abs1 dritter Fall SchIV) wird im Sachverständigengutachten ausgeführt, dass nach der angeführten ÖNORM im Freien durch­geführte Schallpegelmessungen unabhängig von der Ausgabe der Norm (sei es die in der SchIV angeführte Ausgabe 1985 oder die derzeit aktuelle Ausgabe vom 1. Dezember 2008) keine abweichenden Ergebnisse erwarten lassen.

Hinsichtlich der Berechnung der Schallimmissionen (§2 Abs2 SchIV) wird im Gutachten ausgeführt, dass sich gegenüber der in der SchIV angeführten ÖAL-Richtlinie Nr 30 durch die Nachfolgenormen im Wesentlichen lediglich eine Erweiterung einer Tabelle über die Schalleistungspegel der verschiedenen Fahrzeuge bei verschiedenen Geschwindigkeiten (sohin Änderungen bei den in der Berechnung zu verwendenden Parameter) ergeben hat. Gegenüber den bisher im Betriebsprogramm berücksichtigten Zugsgattungen, Zugslängen und Geschwindigkeiten ergeben sich in den Ergebnissen der längenbezogenen Schall­leistungspegel demnach keine Änderungen. Das Gutachten führt weiters aus, dass die Berechnung der Schallimmissionen jedoch nicht abschließend durch die ÖAL-Richtlinie Nr 30 geregelt wird, sondern in dieser Richtlinie auch auf die ÖAL-Richtlinie Nr 28 ver­wiesen wird, die die Schallausbreitung im Freien behandelt. Gegenüber dem Stand der Technik, wie er der Richtlinie Nr 28 (Ausgabe Dezember 1987) zu Grunde gelegt wird, haben sich seit Erlassung der SchIV Ver­feinerungen, vorwiegend durch die verfeinerte Berücksichtigung der Geländemodelle, ergeben.

Das Gutachten führt abschließend aus, dass einige in der SchIV angeführte Normen und Richtlinien für die Messung und Berechnung nicht mehr dem letzten Ausgabe-Stand der Normen entsprechen. Schalltechnisch inhaltlich wären dadurch bei Messungen keine und in den Ergebnissen von Berechnungen nur geringfügige Unterschiede innerhalb der Wahr­nehmbarkeitsgrenzen von weniger als ±1 dB zu erwarten.

In der Bestimmung des §2 Abs3 SchIV ist ein Verweis auf die Bewertungsfunktion A der Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Juni 1979, veröffentlicht im Amtsblatt für das Eichwesen Nr 6/79, vorgesehen. Zur angeführten Verordnung stellt das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen in der eingeholten Stellungnahme vom 29. April 2013 fest:

'Das BEV erlaubt sich mitzuteilen, dass die Verordnung des BEV vom 29.6.1979 mit der Bewertungsfunktionen für objektive Schallpegelmessungen samt Bezugswert festgelegt werden, kundgemacht im Amtsblatt für das Eichwesen Nr 6/1979 Seite 234, noch gültig ist.

In der aktuellen Norm EN 61 672-1 sind die Bewertungsfunktionen Bund D nicht mehr ange­führt. Die restlichen Bestimmungen der oben angeführten VO entsprechen dem Stand der Technik und sind auch Grundlage der im BEV durchgeführten Verfahren zur Zulassung zur Eichung von Schallpegelmessern.

Der in §2 Abs3 der Schienenverkehrslärm-ImmissionsschutzVO – SchIV BGBl 415/1993 vorgenommene Verweis auf die Bewertungsfunktion A gemäß der Verordnung des BEV vom 29.6.1979 mit der Bewertungsfunktionen für objektive Schallpegelmessungen samt Bezugswert festgelegt werden, kundgemacht im Amtsblatt für das Eichwesen Nr 6/1979 Seite 234, stellt nicht nur einen Verweis auf geltendes Recht dar sondern entspricht auch dem Stand der Technik.'

Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie geht daher davon aus, dass der in §2 Abs3 SchIV vorgesehene Verweis auf die Bewertungsfunktion A dem Stand der Technik entspricht.

Zusammenfassend ist daher zur Übereinstimmung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen der SchIV mit dem Stand der Technik festzuhalten, dass die schall­technischen Begriffe (§2 Abs1 erster Fall SchIV), die schalltechnischen Größen (§2 Abs1 zweiter Fall SchIV), die schalltechnischen Messverfahren (§2 Abs1 dritter Fall SchIV) sowie die Bewertungsfunktion A (§2 Abs3 SchIV) weiterhin uneingeschränkt dem Stand der Technik entsprechen. Hinsichtlich der Berechnung von Schallimmissionen (§2 Abs2 SchIV) haben sich beim Stand der Technik bei der Berechnung Verfeinerungen ergeben, die auf das Ergebnis der Berechnung aber nur irrelevante Auswirkungen haben können.

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die Berechnung zur Erstellung einer Prognose der Lärmsituation und für die Überprüfung der Dimensionierung von Lärmschutzmaßnahmen im Baugenehmigungsverfahren dient, da zu diesem Zeitpunkt, also vor der Verwirklichung der baulichen Maßnahme eine Messung unmöglich ist. Da die SchIV aber die tatsächliche Einhaltung der in §4 SchIV festgelegten Immissionsgrenzwerte verlangt, erfolgt nach Abschluss der baulichen Maßnahmen eine Überprüfung durch Messungen, die– sofern dies nicht ohnehin Antragsbestandteil ist – von der Behörde als Ausfluss der Aufsichtstätigkeit in der Regel bereits im Genehmigungsbescheid angeordnet wird.

Durch die in der SchIV festgelegten Maßnahmen ist damit sichergestellt, dass der nach dem Stand der Technik gebotene Immissionsschutz jedenfalls gewährleistet wird."

4.1. Zur Überprüfungs- und Anpassungspflicht des Verordnungsgebers führt die verordnungserlassende Behörde Folgendes aus:

"Die im Prüfbeschluss geäußerte Ansicht, dass der Verordnungsgeber nach der Rechts­ordnung verpflichtet ist, sich in angemessenen Zeitabständen vom Weiterbestehen der tatsächlichen Verordnungsgrundlagen zu überzeugen, um die Verordnung allenfalls den Änderungen anzupassen, wird geteilt. Diese Prüfpflicht ist aber im Zusammenhang mit der Änderungsanfälligkeit der technischen Grundlagen sowie der sonstigen Behördentätigkeit zu sehen.

Im konkreten Fall wurde die SchIV durch die verordnungserlassende Behörde selbst laufend im Rahmen von Genehmigungsverfahren angewendet und die Einhaltung der Bestimmungen der SchIV durch behördlich bestellte Sachverständige kontrolliert. Aus dieser Anwendungspraxis war und ist bekannt, dass die in die SchIV durch Verweis inte­grierten Normen zwischenzeitig neu erlassen wurden, sich die für die Vollziehung der SchIV maßgebenden Inhalte aber nicht wesentlich geändert haben bzw. diese Änderungen auf den Immissionsschutz keine Auswirkungen haben können.

Aufgrund dieser laufenden Überprüfung im Rahmen von Genehmigungsverfahren erschien es unter der Zielsetzung der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns nicht geboten, darüber hinaus auch noch durch eigens bestellte Sachverständige abseits von konkreten Verfahren die Übereinstimmung der SchIV mit dem Stand der Technik zu überprüfen.

Die Behörde hat nach dem klaren Wortlaut der Verordnung bzw. der Verordnungs­ermächtigung bei Anwendung der SchIV von den darin verwiesenen ÖNORMEN, der ÖAL-Richtlinie und der Bewertungsfunktion A der Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Juni 1979 auszugehen. Dieser Verweis ist als statischer anzu­sehen, der sich auf die in der Verordnung angeführten Fassungen bezieht. Ein dynamischer Verweis, durch den die Bestimmung einzelner Inhalte der Verordnung letztlich auf einen anderen Verordnungsgeber übertragen würden, ist damit nicht anzunehmen. Durch den Verweis auf einen bestimmten Normentext wird ein Verordnungsgeber aber auch nicht verpflichtet, Änderungen der Normtexte immer in der Verordnung nachzuvollziehen; dies insbesondere dann nicht, wenn die Änderungen einer Norm auf den Inhalt einer Verordnung keine Auswirkungen haben oder die Änderungen zwar Auswirkungen auf den Inhalt der Verordnung hätten, aber nicht dem Stand der Technik (§9b EisbG) entsprechen.

Umgekehrt wird der Verordnungsgeber verpflichtet sein, die Verordnung anzupassen, wenn sich der Stand der Technik, nicht aber die in die Verordnung integrierte Norm geändert hat.

Es könnte aber im konkreten Fall dahingestellt bleiben, ob die Vorgaben des §2 Abs1, 2 und 3 SchIV allenfalls nicht bindend sein oder ob die verwiesenen ÖNORMEN in der aktu­ellen Fassung maßgeblich sein könnten, da zwischen den beiden Fassungen keine Unter­schiede bestehen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten.

Unter Berücksichtigung des hiezu eingeholten Sachverständigengutachtens treffen somit die aufgeworfenen Bedenken aus Sicht der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie nicht zu.

Ergänzend wird angemerkt, dass bei der Anpassung der SchIV auch die europäische Normung bzw. die Entwicklung des Unionsrechts zu berücksichtigen ist. In der Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG (die durch das Bundes-Umgebungs­lärmschutzgesetz – Bundes-LärmG, BGBl I Nr 50/2005, umgesetzt wurde) wird angemerkt, dass zur Vereinheitlichung der Berechnungsmethoden die Europäische Kommission 'spätestens am 1. Juli 2003' einen Leitfaden veröffentlichen und auf der Grundlage vorhandener Daten Emissionsdaten für Fluglärm, Straßenverkehrslärm und Eisenbahnlärm zur Verfügung stellen werde. Es ist nahe­liegend, diese einheitliche Berechnungsmethode dann nicht nur beim Umge­bungslärm, zB für strategische Umgebungslärmkarten, sondern auch in der SchIV heranzuziehen. Da hin­sichtlich der Entwicklung des Standes der Technik kein dringender Anpassungsbedarf bei der SchIV besteht, wurde trotz Säumigkeit der Europäischen Kommission bei der Vorlage des Leitfadens mit einer Anpassung der SchIV abgewartet, um zu vermeiden, dass eine ohne diesen angekündigten Leitfaden angeordnete Novellierung der SchIV durch eine darauf folgende Veröffentlichung des Leitfadens innerhalb kurzer Zeit abermals abgeändert werden müsste, wobei eine Änderung der Rechtslage in diesem Bereich für die Normunterworfenen regelmäßig auch mit Nachteilen (zB Um- bzw. Neuprogrammierung von Berechnungspro­grammen) verbunden ist."

4.2. Für den Fall der Aufhebung beantragt die verordnungserlassende Behörde die Bestimmung einer Frist von sechs Monaten für das Inkrafttreten der Aufhebung.

5. Die im Anlassfall B327/2012 beschwerdeführende Partei erstattete eine Äußerung, in der sie u.a. vorbringt, dass die eigentliche Gesetzwidrigkeit der Verordnung nicht in einem Verstoß gegen die Prüfpflicht, sondern darin liege, dass sie derzeit bzw. im Zeitpunkt der Erlassung des auf die Verordnung gestützten Bescheides nicht ihrer gesetzlichen Grundlage, dem Stand der Technik nach §19 EisbG, entsprochen habe. Selbst wenn der Bundesministerin der Nachweis gelänge, vor zwei Jahren die Verordnung überprüft zu haben, sei die Verordnung nicht rechtmäßig, weil sie nicht den aktuellen Stand der Technik widerspiegle.

Ausgehend von der Frage des Verfassungsgerichtshofes, ob die Vorgaben des §2 Abs1, 2 und 3 SchIV bindend seien oder ob die verwiesenen ÖNORMEN in der aktuellen Fassung maßgeblich sein könnten, könne kein Zweifel daran bestehen, dass die zitierten Normen in der dort bezogenen Fassung verbindlich für maßgeblich erklärt worden seien. Dies ergebe sich bereits aus der Formulierung der Bestimmung sowie aus dem Verordnungscharakter der SchIV selbst.

6. Auch die im Anlassfall B373/2012 beschwerdeführende Partei erstattete eine Äußerung.

6.1. Darin bringt sie zunächst vor, dass die in §2 Abs1 bis 3 SchIV als maßgeblich bestimmten ÖNORMEN bzw. die ÖAL‑Richtlinie Nr 30 sowie die Bewertungs­funktion A gemäß der Verordnung des Bundesamtes für Eich‑ und Vermessungs­wesen durch die SchIV in ihren jeweils konkret angegebenen Fassungen für verbindlich erklärt worden seien. Eine Anwendung dieser Normen in der jeweils geltenden Fassung komme nicht in Betracht (unzulässige dynamische Verweisung durch den Verordnungsgeber). Außerdem verweise §24f Abs2 UVP-G ausdrücklich darauf, dass bei Eisenbahnbauvorhaben die Zumutbarkeit einer Belästigung nach bestehenden besonderen Immissionsschutzvorschriften zu beurteilen sei, womit ausschließlich die SchIV, nicht jedoch technische Normen und Richtlinien, die ihrerseits nicht für verbindlich erklärt wurden, gemeint sei.

6.2. In der Folge wird in der Äußerung zum Stand des Lärmschutzes Folgendes ausgeführt:

"Der Umstand, dass die SchIV seit ca 20 Jahren unverändert besteht, obwohl sich der Stand der Lärmvermeidungstechnik in diesem Zeitraum erheblich verbessert hat, muss im Sinne des Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes zur Gesetzwidrigkeit der Verordnung führen.

Tatsächlich hat sich der Standard des Lärmschutzes seit 1993 erheblich verändert. Zu den in §2 Abs1 bis 3 SchIV zitierten Normen und Richtlinien ist Folgendes auszuführen:

Bis auf die zwei letztangeführten ÖNORMEN, S 5004 (Ausgabe 1985) und S 5005 (Ausgabe 1992), sind die übrigen verwiesenen ÖNORMEN bereits zurückgezogen worden. Das Zurückziehungsdatum der S 5002 (Ausgabe 1973) ist der 01.12.1998, das Zurückziehungsdatum der S 5003‑2 ist der 01.04.2005 (vgl dazu die Angaben in der Baudatenbank www.bdb.at ).

Die SchIV verweist in §2 Abs2 auf eine veraltete ÖAL-Richtlinie […]. Die für verbindlich erklärte ÖAL‑Richtlinie Nr 30, Ausgabe 1990, wurde vom Österreichischen Arbeitsring für Lärmbekämpfung zurückgezogen und ist daher nicht mehr aktuell.

[…]

Im Übrigen ist auf die Umgebungslärm‑RL 2002/49/EG hinzuweisen, die zwar keine spezifischen, die Mitgliedstaaten bindenden Lärmgrenzwerte statuiert und die Festlegung der konkreten Lärmgrenzwerte den Mitgliedstaaten überlässt. Die RL betont jedoch ausdrücklich, dass die Mitgliedsstaaten grundsätzlich ein hohes Schutzniveau anzustreben haben. Die Mitgliedstaaten haben daher bei der Umsetzung ein System zu wählen, das geeignet ist, das von der RL vorgegebene Schutzniveau zu erreichen und längerfristig zu gewährleisten. Dass dies im Zusammenhang mit den Bestimmungen der SchIV der Fall ist, ist im Hinblick auf die dargelegten Bedenken gegen diese Verordnung außerordentlich zweifelhaft. Die derzeit geltende SchIV geht daher auch mit den Zielen der Umgebungslärm‑RL nicht konform und ist auch aus diesem Grund gesetzwidrig."

6.3. Weiters behandelt die Äußerung auch den für die Beurteilung des Schienenverkehrslärms heranzuziehenden energieäquivalenten Dauerschallpegel. Das ausschließliche Abstellen auf den Dauerschallpegel entspreche nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik.

Der energieäquivalente Dauerschallpegel stelle einen mathematischen Wert in Form einer Mittelung der über einen bestimmten Zeitraum tatsächlich stattgefundenen Lärmemissionen dar. Tatsächlich sei es jedoch mittlerweile gängiger, allseits anerkannter Standard der Lärmforschung, dass Spitzenpegel wie auch Geräuschcharakteristik in die Lärmbeurteilung einfließen müssten und der energieäquivalente Dauerschallpegel nicht alleine maßgeblich sei. Dieser sei auf längere Zeiträume berechnet und nicht geeignet, Einzelereignisse in die Beurteilung einfließen zu lassen, wenn diese von einem Grundpegel stark abweichen würden.

Verschiedene Studien würden daran zweifeln, dass die nach der SchIV maßgeblichen Grenzwerte ausreichend seien, um den Schutz der Gesundheit der Anrainer zu gewährleisten. Eine Studie habe ergeben, dass die tatsächliche Lärmbelastung keinesfalls sachgerecht wiedergegeben werde, da die hohen Spitzenpegel der vorbeifahrenden (Güter‑)Züge auf Grund ihrer relativ geringen Dauer eine bloß geringfügige Erhöhung des Dauerschallpegels bewirken würden. Gerade die Spit­zenpegel und – in der Folge – die Anzahl der pro Nacht zu erwartenden Aufwach­ereignisse seien aber direkt verantwortlich für Gesundheitsbeeinträchtigungen.

II. Rechtslage

1. Die Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutzmaßnahmen bei Haupt-, Neben- und Straßenbahnen (Schienen­verkehrslärm-Immissionsschutzverordnung – SchIV), BGBl 415/1993, lautet wie folgt (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Auf Grund des §19 Abs4 des Eisenbahngesetzes 1957, BGBl Nr 60, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl Nr 452/1992, wird verordnet:

Geltungsbereich

§1. (1) Diese Verordnung gilt hinsichtlich der Schallimmissionen auf Grund des Schienenverkehrs (Zugverkehrs) sowohl für den Neubau als auch für den wesentlichen Umbau von Strecken(-teilen) im Zuge von Haupt-, Neben- und Straßenbahnen gemäß §§4 und 5 des Eisenbahngesetzes 1957.

(2) Bauliche Maßnahmen gelten dann als wesentlicher Umbau, wenn

1. zumindest ein zusätzliches durchgehendes Gleis (Streckengleis) errichtet wird oder

2. durch die Änderung der örtlichen Lage der durchgehenden Gleise (Streckengleise) in den maßgebenden Immissionspunkten eine Erhöhung des Beurteilungs­pegels um mehr als zwei dB (Dezibel) eintritt.

Allgemeine Festlegungen

§2. (1) Hinsichtlich der schalltechnischen Begriffe, Größen und Meßverfahren gelten die Bestimmungen der ÖNORMEN S 5002 (Ausgabe 1973), S 5003, Teile 1 und 2 (Ausgabe 1974), S 5004 (Ausgabe 1985) und S 5005 (Ausgabe 1992).

(2) Die Schallimmissionen sind gemäß ÖAL-Richtlinie Nr 30 (Ausgabe 1990), herausgegeben vom Österreichischen Arbeitsring für Lärmbekämpfung, zu berechnen.

(3) Sämtliche Schallpegel sind unter Anwendung der Bewertungsfunktion A gemäß Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Juni 1979, veröffentlicht im Amtsblatt für das Eichwesen Nr 6/79, zu bewerten.

(4) Der für die Beurteilung des Schienenverkehrslärms maßgebliche Beurteilungspegel Lr ist der um fünf dB verminderte A-bewertete energieäquivalente Dauerschallpegel LA,eq.

(5) Bei Gebäuden befindet sich der maßgebende Immissionspunkt 0,50 m außerhalb und in der Mitte des betrachteten Fensters. Bei Freiflächen (Erholungs-, Park- und Gartenanlagen), die vor Lärm zu schützen sind, ist der Immissionspunkt 1,50 m über Boden an der maßgebenden Stelle anzunehmen.

(6) Als Tagzeit gilt der Zeitraum zwischen 6 Uhr und 22 Uhr, als Nachtzeit der Zeitraum zwischen 22 Uhr und 6 Uhr.

Maßgebliche Verkehrsbelastung

§3. Grundlage für die Berechnung der Beurteilungspegel sind die längenbezogenen Schalleistungspegel der jeweiligen Strecken(-teile). Diese sind unter Berück­sichtigung der im Betriebsprogramm festgelegten Daten und unter Bedacht­nahme auf mittel- und langfristige technische und verkehrliche Entwicklungen zu ermitteln.

Immissionsgrenzwerte

§4. Die Immissionsgrenzwerte sind vom jeweiligen Beurteilungspegel Lr vor Realisierung der baulichen Maßnahmen abhängig und betragen

1. für die Tagzeit

- 60 dB, wenn Lr <= 50 dB,

- Lr + 10 dB, wenn 50 dB <= Lr <= 55 dB, sowie

- 65 dB, wenn Lr >= 55 dB, und

2. für die Nachtzeit

- 50 dB, wenn Lr <= 40 dB,

- Lr + 10 dB, wenn 40 dB <= Lr <= 45 dB, sowie

- 55 dB, wenn Lr >= 45 dB.

Lärmschutzmaßnahmen

§5. (1) Das Eisenbahnunternehmen hat bauliche Maßnahmen (§1) nach dem Grundsatz auszulegen, daß Beeinträchtigungen der Wohnbevölkerung durch den Schienenverkehrslärm so weit herabgesetzt werden, als dies mit einem im Hinblick auf den erzielbaren Zweck wirtschaftlich vertretbaren Aufwand erreicht werden kann, sofern die Beeinträchtigung nicht wegen der Art der Nutzung des benachbarten Geländes zumutbar ist.

(2) Das Eisenbahnunternehmen hat Lärmschutzmaßnahmen vorzusehen, wenn die Beurteilungspegel Lr in den maßgebenden Immissionspunkten nach Rea­ ­ ­lisierung der baulichen Maßnahmen (§1) die Immissionsgrenzwerte über­ ­schrei­ten und wenn zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung für ein von den Im­missionen betroffenes Gebäude nicht bekannt sein konnte, daß in diesem Bereich mit erheblichen Lärmbelästigungen durch den Schienenverkehr gerechnet werden muß.

(3) Der erforderliche Lärmschutz gegen Beeinträchtigungen der Wohnbevölkerung durch den Schienenverkehrslärm ist vornehmlich durch bahnseitige Maß­nahmen sicherzustellen. Wenn die für die bahnseitigen Maßnahmen aufzu­wen­denden Kosten das Dreifache der Herstellungskosten objektseitiger Maßnahmen übersteigen, sind grundsätzlich objektseitige Maßnahmen zu setzen; hievon kann im Einzelfall insofern abgegangen werden, als eine Abwägung der berührten Interessen einen größeren Vorteil für die Öffentlichkeit ergibt.

(4) Als bahnseitige Maßnahmen gelten insbesondere Lärmschutzwände, Lärmschutzwälle, Grünverbauungen und Kombinationen derselben. Ein unmittelbarer örtlicher Zusammenhang mit dem Bahnkörper ist nicht erforderlich, sofern sich andere Anordnungen für die Abwicklung des Eisenbahnbetriebes oder hinsichtlich der Auswirkungen auf die Umwelt als zweckmäßiger und wirtschaftlicher erweisen.

(5) Als objektseitige Maßnahmen gelten Lärmschutzeinrichtungen, die auf Fremdgrund getroffen werden, wie insbesondere der Einbau von Lärmschutzfenstern und -türen einschließlich der erforderlichen Lüftungseinrichtungen in Räumlichkeiten, die zumindest überwiegend Wohn- oder Schlafzwecken dienen, sofern die Erhaltung und Erneuerung dieser objektseitigen Lärmschutzeinrichtungen durch den Eigentümer oder einen Dritten sichergestellt ist. Bei der Di­mensionierung der objektseitigen Maßnahmen ist von einem Richtwert des Beurteilungspegels im Rauminneren von 30 dB auszugehen.

(6) Die Behörde kann in Abwägung mit den Schutzinteressen der Wohnbevölkerung in begründeten Einzelfällen eine über den Zeitraum der Bauausführung um höchstens zehn Jahre hinausgehende Frist für die Fertigstellung der objektseitigen Lärmschutzmaßnahmen festsetzen. Dies gilt insbesondere in jenen Fällen, in welchen vom Eisenbahnunternehmen glaubhaft nachgewiesen wird, daß der Zeitaufwand für die Herstellung der Lärmschutzmaßnahmen erheblich über demjenigen für die Herstellung des Bauvorhabens liegt oder daß eine rechtzeitige Fertigstellung der Lärmschutzmaßnahmen vor Inbetriebnahme der neuen Strecke (des neuen Streckenabschnittes) einen unzumutbaren wirtschaftlichen Nachteil für das Eisenbahnunternehmen zur Folge hätte.

(7) Subjektiv-öffentliche Rechte werden durch diese Verordnung nicht begründet."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über Eisenbahnen, Schienenfahrzeuge auf Eisenbahnen und den Verkehr auf Eisenbahnen (Eisenbahngesetz 1957 – EisbG), BGBl 69/1957 idF BGBl I 125/2006, lauten:

"Stand der Technik

§9b. Der Stand der Technik im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher technologischer Verfahren, Einrichtungen, Bau- und Betriebsweisen, deren Funktionstüchtigkeit erwiesen und erprobt ist. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen, Bau- oder Betriebsweisen heranzuziehen und die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Aufwand für die nach der vorgesehenen Betriebsform erforderlichen technischen Maßnahmen und dem dadurch bewirkten Nutzen für die jeweils zu schützenden Interessen zu berücksichtigen.

[…]

6. Hauptstück

Pflichten des Eisenbahnunternehmens

Vorkehrungen

§19. (1) Ein zum Bau und zum Betrieb von Eisenbahnen berechtigtes Eisenbahnunternehmen ist verpflichtet, die Eisenbahn einschließlich der zugehörigen Eisenbahnanlagen, Betriebsmittel und des sonstigen Zugehörs unter Berücksichtigung der Sicherheit, der Ordnung und der Erfordernisse des Betriebes der Eisenbahn und des Verkehrs auf der Eisenbahn zu bauen, zu erhalten, zu ergänzen und nach Maßgabe der Rechtsvorschriften und entsprechend der nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Konzessionen, Genehmigungen und Bewilligungen zu betreiben und hat diesbezüglich die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.

(2) Ein zum Bau und zum Betrieb von Eisenbahnen berechtigtes Eisenbahnunternehmen hat Vorkehrungen zu treffen, dass durch den Bau, Bestand oder Betrieb der Eisenbahn keine Schäden an öffentlichem und privatem Gut entstehen.

(3) Ein zur Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen auf Eisenbahnen berechtigtes Eisenbahnunternehmen ist verpflichtet, die Schienenfahrzeuge, Eisenbahn­anlagen, Betriebsmittel und sonstiges Zugehör unter Berücksichtigung der Sicher­ ­ ­heit, der Ordnung und der Erfordernisse des Verkehrs auf der Eisenbahn zu bauen, zu erhalten, zu ergänzen und nach Maßgabe der Rechtsvorschriften und entsprechend der nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Genehmigungen und Bewilligungen zu betreiben und hat diesbezüglich die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.

(4) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie kann allgemein, für alle oder einzelne Arten von Eisenbahnen durch Verordnung bestimmen, wie die Anforderungen an die Sicherheit und Ordnung und die Erfordernisse des Betriebes einer Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf Eisenbahnen und des Verkehrs auf Eisenbahnen nach dem jeweiligen Stand der Technik zu erfüllen sind, und welche Vorkehrungen von den Eisenbahnunternehmen zur Wahrung der ihnen gemäß den Abs1 bis 3 obliegenden Verpflichtungen zu treffen sind. Er kann weiters allgemein, für alle oder einzelne Arten von Eisenbahnen durch Verordnung Anforderungen an die Ausbildung und Prüfung der für die Sicherheit verantwortlichen Eisenbahnbediensteten und derjenigen, die Tätigkeiten zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung des Betriebes einer Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf einer Eisenbahn und des Verkehrs auf einer Eisenbahn ausführen, festlegen.

(5) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat durch Verordnung die grundlegenden Anforderungen an die Sicherheit und die Ordnung und die Erfordernisse des Betriebes einer Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf einer Eisenbahn und des Verkehrs auf Eisenbahnen fest­zu­le­gen, welche beim Bau, bei der Erhaltung und insbesondere als Signal-, Verkehrs- und Betriebsregelungen beim Betrieb von Eisenbahnen, dem Betrieb von Schienenfahrzeugen auf Eisenbahnen und dem Verkehr auf Eisenbahnen zur Gewähr­leistung eines hohen Sicherheitsniveaus unter Berücksichtigung der ge­mein­samen Sicherheitsmethoden, der gemeinsamen Sicherheitsziele, des Standes der Technik, einer Verknüpfung der Eisenbahnen sowie des Schutzes der Anrainer zu beachten sind; eine solche Festlegung durch Verordnung ist insoweit nicht erforderlich, als sich diese Anforderungen aus unmittelbar anzuwendenden gemeinschaftsrechtlichen oder sonstigen bundesrechtlichen Rechtsvorschriften ergeben. Soweit Gegenstand einer solchen Verordnung der Betrieb von Haupt- und vernetzten Nebenbahnen, der Betrieb von Schienenfahrzeugen auf solchen Eisenbahnen oder der Verkehr auf solchen Eisenbahnen ist, ist diese der Europäischen Kommission mitzuteilen.

(6) In Verzeichnissen zu Verordnungen gemäß Abs4 und 5 können, soweit Dokumentationen über ihren vollständigen Inhalt vorliegen und diese Doku­men­ta­tionen für jedermann gleichermaßen zugänglich sind, österreichische und inter­nationale Normen, technische Spezifikationen, technische Regelungen oder sonstige technische Vorschriften angeführt werden, bei deren Anwendung davon auszugehen ist, dass den grundlegenden Anforderungen nach dem Stand der Technik entsprochen wird oder die bei der Beurteilung, ob dem entsprochen wird, wichtig oder hilfreich sind. Diese Verzeichnisse können durch Kundmachung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie dem aktuellen Stand angepasst werden."

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshinder­nisse hervorgekommen sind, erweist sich das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss geäußerten Ansicht, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung nicht nur die zum Zeitpunkt ihrer Erlassung gegebenen Umstände maßgeblich sind, sondern dass auf die – möglicherweise geänderten – tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Prüfung abzustellen ist (vgl. VfSlg 6774/1972, 8329/1978, 8699/1979, 16.366/2001). Bei wesentlichen Änderungen in den für die Verordnungserlassung ausschlaggebenden tatsächlichen Verhältnissen wird eine Verordnung rechtswidrig. Deshalb obliegt es dem Verordnungsgeber, sich in angemessenen Zeitabständen vom Weiterbestehen der tatsächlichen Verordnungsgrundlagen zu überzeugen, um die Verordnung allenfalls den Änderungen anzupassen (vgl. VfSlg 14.601/1996).

Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, dass die Änderung von technischen Regelwerken und Standards, auf die in Rechtsvorschriften verwiesen wird, die Pflicht des Normsetzers nach sich zieht, die Rechtsvorschriften in angemessener Frist, wenn auch nicht sofort, an die neueren Gegebenheiten anzupassen (vgl. VfSlg 12.290/1990, 14.601/1996).

Verweisungen, die sich – nach der gesetzlichen Maßgabe des Stands derTechnik – auf technische Normen und Standards beziehen, sind daher fallweise daraufhin zu überprüfen, ob diese noch den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Wenn auch für die SchIV weder im EisbG noch in anderen gesetzlichen Vorschriften Zeitabstände für Überprüfungen vorgegeben sind, so ist der Verordnungsgeber seiner Pflicht nicht nachgekommen, wenn er über einen Zeitraum von knapp zwanzig Jahren keine Überprüfung vorgenommen hat. Von einer solchen Unterlassung der Überprüfung hat der Verfassungsgerichtshof jedenfalls dann auszugehen, wenn sich im Verordnungsprüfungsverfahren ergibt, dass die Verweisungen tatsächlich nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen.

Im Verordnungsprüfungsverfahren hat sich die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass die Verordnung und damit auch die in Prüfung gezogenen Verweisungsbestimmungen seit ihrer Erlassung keiner – eine Änderung der technischen Normen und Standards nachvollziehenden – Überprüfung unterzogen wurden, hinsichtlich §2 Abs1 und 2 SchIV als zutreffend erwiesen:

2.2. Im Prüfungsbeschluss wurde die Frage aufgeworfen, ob die Vorgaben des §2 Abs1, 2 und 3 SchIV allenfalls nicht bindend sein oder ob die verwiesenen ÖNORMEN in der aktuellen Fassung maßgeblich sein könnten und die anwendende Behörde – etwa im Fall der Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen nach §24f Abs2 UVP-G – dementsprechend von den festgelegten Standards abweichen könnte.

Der Verfassungsgerichtshof geht diesbezüglich – wie auch die verordnungserlassende Behörde in ihrer Äußerung – davon aus, dass die in §2 Abs1, 2 und 3 SchIV festgelegten Verweisungen auf ÖNORMEN, die ÖAL-Richtlinie Nr 30 und die Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Juni 1979, Nr 6/79, als statische Verweisungen auf die in der SchIV genannten Fassungen und Ausgaben zu verstehen sind, zumal die genannten Bestimmungen der SchIV ausdrücklich auf bestimmte Ausgaben der jeweiligen Regelwerke Bezug nehmen. Die SchIV schließt damit selbst aus, dass die verwiesenen Regelwerke in ihrer aktuellen Fassung maßgeblich sein sollen.

2.3. Im Prüfungsbeschluss hegte der Verfassungsgerichtshof gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des §2 Abs1, 2 und 3 SchIV das Bedenken, dass diese nicht mehr dem gesetzlichen Erfordernis des Stands der Technik iSd §19 Abs4 EisbG entsprechen dürften. Es bestünden Zweifel daran, dass sich bezüglich der Messung, Berechnung und Beurteilung von Schallimmissionen keine technischen Neuerungen ergeben haben sollten, und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die verwiesenen, allenfalls gar nicht mehr existierenden Regelwerke nicht mehr den heutigen Stand der Technik abbilden würden.

2.4. Das Gutachten eines Sachverständigen für Lärmschutz und die Mitteilung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen, welche zusammen die Grundlage der Äußerung der verordnungserlassenden Behörde bilden, enthalten Ausführungen zu den einzelnen in Prüfung gezogenen Bestimmungen der SchIV:

2.4.1. Zu den in §2 Abs1 SchIV bezogenen ÖNORMEN wird im Gutachten auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt:

Die ÖNORM S 5002 ("Normfrequenzen für akustische Messungen") wurde am 1. Dezember 1998, die ÖNORM S 5003 Teil 2 ("Grundlagen der Schallmessung – Normalkurven gleicher Lautstärkepegel") am 1. April 1994 zurückgezogen. Beide ÖNORMEN haben keinen direkten Bezug zu schalltechnischen Anforderungen der SchIV.

Die ÖNORM S 5003 Teil 1 ("Grundlagen der Schallmessung – Physikalische und subjektive Größen von Schall") wurde am 1. April 1994 zurückgezogen. Die darin beschriebenen und definierten Größen wie der Schalldruckpegel Lp und der Schallleistungspegel LW haben nach wie vor unveränderte Gültigkeit.

Die Ausgabe der ÖNORM S 5004 ("Messung von Schallimmissionen") vom 1. November 1985 wurde zunächst durch die Ausgabe vom 1. März 1998 und schließlich durch die Ausgabe vom 1. Dezember 2008 ersetzt. Die darin festgelegten Messgrößen, die Auswahl der Messgeräte, die Auswahl der Messpunkte und die Verwendung der A-Bewertung bei Schallpegelmessungen sind für die Be­stimmungen der SchIV relevant.

Die Ausgabe der ÖNORM S 5005 ("Messung der Schallimmissionen von Schienenverkehr") vom 1. Juli 1992 wurde durch die Ausgabe vom 1. April 2011 ersetzt. Die darin festgelegten speziellen Messgrößen für Schallimmissionen von Schienenverkehr sind für die Bestimmungen der SchIV relevant.

Schalltechnische Begriffe und Größen können grundsätzlich Änderungen unterworfen sein; die in der SchIV bei der Ermittlung des Beurteilungspegels Lr sowohl für die Messung als auch für die Berechnung maßgebliche Größe des A‑bewerteten energieäquivalenten Dauerschallpegels LA,eq ist aber unverändert geblieben.

Bei den Messverfahren haben sich seit 1985 Änderungen in der Festlegung der Messmethode und in der Auswertung der Messergebnisse ergeben. Die Definition des "Schallereignispegels" oder "A-bewerteten Schallereignispegels" gab es in der ÖNORM S 5004, Ausgabe 1985, noch nicht, während sie in moderneren Ausgaben der ÖNORM S 5004 (Ausgaben vom 1. März 1998 und 1. Dezember 2008) sowie der ÖNORM S 5005 einen wesentlichen Bestandteil bildet. Einfluss auf die für den Schienenverkehrslärm maßgeblichen Schallpegel haben diese Änderungen, die Erleichterungen bei der Messung und der Auswertung der Messergebnisse ergeben, nicht.

Den letzten Stand der Technik iSd §9b EisbG hinsichtlich der – für den Schienenverkehrslärm maßgeblichen – schalltechnischen Begriffe und Größen stellen die ÖNORM S 5004, Ausgabe vom 1. Dezember 2008, die ÖNORM S 5005, Ausgabe vom 1. April 2011, die ON-Regel ONR 305011, Ausgabe vom 15. November 2009, und die ÖNORM ISO 9613-2, Ausgabe vom 1. Juli 2008, dar.

Hinsichtlich der schalltechnischen Messverfahren sind die ÖNORM S 5004, Ausgabe vom 1. Dezember 2008, und die ÖNORM S 5005, Ausgabe vom 1. April 2011, als letzter Stand der Technik anzusehen. In der ONÖRM S 5004, Ausgabe vom 1. Dezember 2008, bleiben zwar wesentliche Merkmale gleich (Beschreibung der Messung des energieäquivalenten Dauerschallpegels LA,eq; Beschrei­ ­ ­ ­ ­bung der Lage der Messpunkte), allerdings wird erstmals der Schallereignispegel LA,E definiert und für Messungen in Räumen die Ermittlung der Nachhallzeit verlangt.

2.4.2. Zu der in §2 Abs2 SchIV bezogenen ÖAL-Richtlinie Nr 30 (Ausgabe 1990) wird im Gutachten auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt:

Die ÖAL-Richtlinie Nr 30 ("Berechnung der Schallimmission durch Schienenverkehr") legt als kennzeichnende Größe zur Beschreibung des Schienenverkehrs­lärms den A-bewerteten energieäquivalenten Dauerschallpegel LA,eq fest. Sie ver­weist auf die ÖAL-Richtlinie Nr 28 ("Schallabstrahlung und Schallausbreitung"); diese gibt Rechenverfahren an, mit denen aus der Schallemission von Anlagen die an Immissionspunkten in der Nachbarschaft verursachten Schallimmissionspegel ermittelt werden können. So können bereits bei der Planung von Industrie- und Gewerbebetrieben ausreichend wirksame Schallschutzmaßnahmen berücksichtigt werden. Im Anhang der ÖAL-Richtlinie Nr 28 wird die A-Bewertungs­funktion festgelegt. Die Ergänzung der ÖAL-Richtlinie Nr 28 vom Februar 2001 legt – für die SchIV relevant – fest, dass es im Allgemeinen genügt, bis zur Reflexion 3. Ordnung zu rechnen, während "für generelle Projekte über große Flächen mit den Reflexionen 1. Ordnung das Auslangen gefunden werden kann".

Seit der ÖAL-Richtlinie Nr 30 (einschließlich der ÖAL-Richtlinie Nr 28), deren Erstausgabe vom 1. November 1990 durch die Ausgabe vom September 1995 ersetzt wurde, bis zur "letztgültigen" ON-Regel ONR 305011, Ausgabe vom 15. November 2009, haben sich Änderungen vor allem dadurch ergeben, dass die Tabelle 1 für die längenbezogenen Schallleistungspegel LW' der verschiedenen Schienenfahrzeuge wesent­lich erweitert worden ist und dass in Tabelle 2 ergänzend die längenbezogenen Schallleistungspegel LW'für Reisezüge mit Maximal­geschwindigkeiten von mehr als 200 km/h bis 250 km/h festgelegt worden sind. Nach dem Letztstand der Methode zur Berechnung der Schallimmissionen wird in der ON-Regel ONR 305011 die Schallemission einer Schienenstrecke als äquivalenter, längenbezogener Schallleistungspegel LW',eq berücksichtigt. Die früher vorgesehene verein­fachte Immissionsberechnung ist nicht mehr möglich. Änderungen gegenüber der früheren Berechnungsmethode ergeben sich im Wesent­lichen bei der Berechnung der Schirmwirkung von Schallausbreitungshinder­nissen, wobei die Unterschiede praktisch nur in speziellen Fällen mit Mehrfach­hindernissen maßgeblich pegelrelevant sein können. Änderungen haben sich bei der ONR 305011 auch durch die Anpassung an die Anforderungen der Umgebungslärmrichtlinie (2002/49/EG) ergeben; die Letztausgabe der ONR 305011 führte für die Anwendung der SchIV die Beurteilungspegel für die Tagzeit und die Nachtzeit ein.

Den letzten Stand der Technik stellen die ON-Regel ONR 305011, Ausgabe vom 15. November 2009, mit der die ÖAL-Richtlinie Nr 30 mit 1. September 2004 ersetzt wurde, und die ÖNORM ISO 9613-2, Ausgabe vom 1. Juli 2008, mit der die ÖAL-Richtlinie Nr 28 ersetzt wurde, dar.

2.4.3. Zu der in §2 Abs3 SchIV bezogenen Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Juni 1979 wird in der Mitteilung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt:

Die Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Juni 1979 und die in der Verordnung festgelegte Bewertungsfunktion A sind weiterhin gültig. Die in §2 Abs3 SchIV vorgenommene Verweisung auf die Bewertungsfunktion A entspricht dem Stand der Technik.

2.4.4. Allgemein wird im Gutachten noch Folgendes ausgeführt:

Einige der in der SchIV angeführten Normen und Richtlinien für die Messung und Berechnung entsprechen im Ergebnis nicht mehr dem letzten Ausgabestand der Normen. "Schalltechnisch inhaltlich" wären dadurch bei Messungen keine und in den Ergebnissen von Berechnungen nur geringfügige Unterschiede "innerhalb der Wahrnehmbarkeitsgrenzen von weniger als ± 1dB" zu erwarten.

Tatsächlich seien in den einschlägigen Prüf- und Genehmigungsverfahren (Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. eisenbahnrechtliche Baugenehmigung) aus fachlicher Sicht jeweils der aktuelle Stand der Technik der schalltechnischen Untersuchungen überprüft und darüber hinaus in Auflagen verlangt worden, die tatsächliche Höhe der Lärmimmissionen sowohl für den Baubetrieb als auch für den Schienenverkehr durch konkrete Messungen zu überprüfen.

2.5. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich nur zum Teil als zutreffend erwiesen.

2.5.1. Hinsichtlich der Bestimmung des §2 Abs3 SchIV erweisen sich die Bedenken als nicht zutreffend:

Die verordnungserlassende Behörde hat unter Hinweis auf die Mitteilung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen, wonach mit der Verweisung auf die Bewertungsfunktion A gemäß der Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Juni 1979, Amtsblatt für das Eichwesen Nr 6/79, auf geltendes Recht verwiesen wird, nachvollziehbar dargetan, dass §2 Abs3 SchIV dem Stand der Technik entspricht. Die Bestimmung des §2 Abs3 SchIV ist daher nicht als gesetzwidrig aufzuheben.

2.5.2. Auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Verweisung auf die ÖNORMEN S 5002 (Ausgabe 1973) und S 5003, Teile 1 und 2 (Ausgabe 1974) in §2 Abs1 SchIV konnten zerstreut werden:

Die ÖNORMEN S 5002 und S 5003, Teil 2, enthalten keine Festlegungen, die für die schalltechnischen Anforderungen der SchIV maßgeblich wären. Insofern ist es aus­geschlossen, dass die Verweisung auf diese ÖNORMEN nicht mehr den für die SchIV gebotenen Stand der Technik iSd §19 Abs4 EisbG abbildet, mögen diese ÖNORMEN auch am 1. April 1994 bzw. am 1. Dezember 1998 bereits zurückgezogen worden sein.

Mit der Verweisung auf die ÖNORM S 5003, Teil 1, wird die Heranziehung schalltechnischer Größen wie des Schalldruckpegels Lp und des Schallleistungspegels LW angeordnet; da diese nach wie vor für die Messung und Berechnung von Schallimmissionen maßgeblich sind, entspricht auch die Verweisung auf diese ÖNORM dem Stand der Technik, mag die ÖNORM auch am 1. April 1994 zurückgezogen worden sein.

2.5.3. Die Bedenken gegen §2 Abs1 SchIV erweisen sich hingegen insofern als zutreffend, als diese Bestimmung auf die ÖNORMEN S 5004 (Ausgabe 1985) und S 5005 (Ausgabe 1992) verweist.

Die Bedeutung dieser ÖNORMEN für die Anwendung des §2 Abs1 SchIV erschöpft sich nicht bloß in der Festsetzung schalltechnischer Begriffe, sondern es werden darin auch Messgrößen für Schallimmissionen, Messgeräte sowie die Auswahl der Messpunkte festgelegt. Die Festlegungen haben unmittelbar Auswirkung auf das Ausmaß tatsächlich gemessener Immissionen und damit auf die Vereinbarkeit eines Eisenbahnbetriebes mit auf Grund der SchIV verfügten Auflagen.

Aus dem von der verordnungserlassenden Behörde vorgelegten Gutachten und aus dem Vergleich der in der SchIV genannten Ausgaben mit den aktuellen Ausgaben der beiden ÖNORMEN wird deutlich, dass die für die SchIV relevanten Festlegungen seit Erlassung der SchIV Änderungen unterworfen waren:

Wie sich aus dem Gutachten ergibt, haben sich Änderungen insbesondere in der Festlegung der Messmethode – dazu gehören das Erfordernis der Ermittlung der Nachhallzeit für Messungen in Räumen und die Einführung der Grenzflächenmethode sowie neue Anforderungen an die Schallpegelmesseinrichtungen – und in der Auswertung der Messergebnisse ergeben; so werden heute beispielsweise der energieäquivalente Dauerschallpegel Leq und der A-bewertete energieäquivalente Dauerschallpegel LA,eq in den Schallpegelmessern integriert ermittelt. Die Schallereignispegel LE und A-bewerteter Schallereignispegel LA,E waren (ungeachtet der Regelung des §2 Abs3 SchIV) in der ÖNORM S 5004, Ausgabe 1985, noch nicht definiert, während sie für die Messung von Schallimmissionen nach der Ausgabe der ÖNORM S 5004 von 2008 vorgesehen sind. Durch die aktuelle Ausgabe der ÖNORM S 5005 wurden zusätzliche Kenngrößen eingeführt. Letztlich enthalten die aktuellen Ausgaben der ÖNORMEN S 5004 und S 5005 auch Verweisungen auf weitere technische Regelwerke, die in den älteren Ausgaben nicht (bzw. nicht in der aktuellen Fassung) enthalten waren.

Dass – dem Gutachten zufolge – all diese Änderungen Erleichterungen bei der Messung und der Auswertung der Messergebnisse bewirken würden, aber ein Einfluss dieser Änderungen auf die für den Schienenverkehrslärm maßgeblichen Schallpegel – die Messergebnisse – nicht zu erwarten ist, ändert an der Annahme der Gesetzwidrigkeit der Verweisung auf die ÖNORMEN S 5004 und S 5005 nichts: §2 Abs1 SchIV enthält explizit (arg. "Hinsichtlich der schalltechnischen Begriffe, Größen und Meßverfahren gelten die Bestimmungen …") Festlegungen von Größen und Messverfahren und damit normative Festlegungen, die auf ihre Gesetzmäßigkeit, nämlich auf ihre Übereinstimmung mit dem Stand der Technik, zu prüfen sind.

Daraus folgt, dass die Änderungen der ÖNORM S 5004 im Vergleich der Ausgabe vom 1. November 1985 mit der Ausgabe vom 1. Dezember 2008 sowie die Änderungen der ÖNORM S 5005 im Vergleich der Ausgabe vom 1. Juli 1992 mit der Ausgabe vom 1. April 2011 von solcher Bedeutung sind, dass davon auszugehen ist, dass die in §2 Abs1 SchIV genannten Ausgaben nicht mehr den Stand der Technik iSd §19 Abs4 EisbG abzubilden vermögen.

2.6. Schließlich konnten die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §2 Abs2 SchIV im Verordnungsprüfungsverfahren nicht zerstreut werden.

Auch diesbezüglich ergeben sich sowohl aus dem Gutachten als auch aus der Durchsicht der ÖAL-Richtlinie Nr 30 und der diese ersetzenden ON-Regel ONR 305011, dass seit Erlassung der SchIV Änderungen vorgenommen wurden, die für die Beurteilung, ob die in §2 Abs2 SchIV enthaltene Verweisung dem Stand der Technik entspricht, maßgeblich sind. Dazu zählt etwa die erhebliche Erweiterung der die Schallleistungspegel verschiedener Schienenfahrzeuge enthaltenden Tabelle; in diesem Zusammenhang wird im Gutachten auch festgehalten, dass für zukünftige Betriebsprogramme dadurch unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten seien. Diese Änderung kann für sich genommen bereits als derart wesentliche Weiterentwicklung des Standes der Technik angesehen werden, dass die Verweisung auf die ÖAL-Richtlinie Nr 30 als nicht mehr dem Stand der Technik entsprechend anzusehen ist.

Als wesentliche Änderung, deren Auswirkungen auf die Ergebnisse der Berechnung von Schallimmissionen nicht ausgeschlossen werden können, ist auch der Wegfall des früher vorgesehenen vereinfachten Verfahrens zur Berechnung von Immissionen anzusehen, auf den im Gutachten hingewiesen wird.

Im Übrigen entspricht die in der ÖAL-Richtlinie Nr 30 enthaltene Verweisung auf die ÖAL-Richtlinie Nr 28, Ausgabe 1987, nicht mehr dem Stand der Technik, da sich seit deren Erlassung hinsichtlich der Berechnung der Schallausbreitung wesentliche Änderungen ergeben haben (siehe oben 2.4.2.) und an deren Stelle letztlich die in der ONR 305011 verwiesene, den letzten Stand der Berechnungsmethode darstellende ÖNORM ISO 9613-2, Ausgabe 1. Juli 2008, getreten ist.

2.7. Die Wortfolge ", S 5004 (Ausgabe 1985) und S 5005 (Ausgabe 1992)" in §2 Abs1 sowie die Bestimmung des §2 Abs2 SchIV erweisen sich daher als gesetzwidrig.

3. In von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).

Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass die Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung der Wortfolge ", S 5004 (Ausgabe 1985) und S 5005 (Ausgabe 1992)" in §2 Abs1 SchIV sowie der Bestimmung des §2 Abs2 SchIV beseitigt werden kann. Ein untrennbarer Zusammenhang, der zu einer weitergehenden Aufhebung von Verordnungsbestimmungen führen müsste, besteht weder zwischen der genannten Wortfolge und dem darüber hinausgehenden Teil der Bestimmung des §2 Abs1 SchIV noch zwischen der Bestimmung des §2 Abs2 SchIV und den übrigen in Prüfung gezogenen Bestimmungen.

IV. Ergebnis

1. Die Wortfolge ", S 5004 (Ausgabe 1985) und S 5005 (Ausgabe 1992)" in §2 Abs1 sowie die Bestimmung des §2 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutzmaßnahmen bei Haupt-, Neben- und Straßenbahnen (Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung – SchIV), BGBl 415/1993, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsstellen gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B‑VG.

3. Die Verpflichtung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden weiteren Ausspruchs erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §60 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.

4. Die Bestimmungen des §2 Abs1 mit Ausnahme der in Punkt 1. genannten Wortfolge und des §2 Abs3 der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutzmaßnahmen bei Haupt-,Neben- und Straßenbahnen (Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzver-ordnung – SchIV), BGBl 415/1993, werden nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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