Normen
B-VG Art11 Abs2
GewO 1994 §87, §365l
ZustellG §17 Abs3, §25
B-VG Art11 Abs2
GewO 1994 §87, §365l
ZustellG §17 Abs3, §25
Spruch:
I. §365l Gewerbeordnung, BGBl Nr 194/1994 idF BGBl I Nr 82/1997, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
III. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Antrag und Vorverfahren
1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 erster Satz B-VG gestützten Antrag in der berichtigten Fassung begehrt der Verwaltungsgerichtshof, "§365l Gewerbeordnung 1994 – GewO 1994 (in der Fassung BGBl I Nr 82/1997) samt Überschrift als verfassungswidrig aufzuheben", in eventu "den ersten Satz der genannten Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben".
2. Diesem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Bescheid vom 14. April 2010 wies der Landeshauptmann von Wien eine Berufung der beteiligten Partei gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 13. November 2008, mit dem der beteiligten Partei gemäß §87 Abs1 Z4a iVm §376 Z16a GewO (mangels Nachweises einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung) die Gewerbeberechtigung "Immobilienverwalter" entzogen worden war, gemäß §66 Abs4 AVG als verspätet zurück.
Der Berufungsentscheidung wurde zugrunde gelegt, dass der an den Standort der beteiligten Partei in Wien zuzustellende erstinstanzliche Bescheid am 10. Dezember 2008 an die Behörde erster Instanz mit dem Vermerk "verzogen" zurückgestellt worden sei.
In ihrer am 6. Dezember 2009 eingebrachten Berufung hatte die beteiligte Partei die rechtswirksame Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides bestritten und dazu vorgebracht, dass die handelsrechtliche Geschäftsführerin der beteiligten Partei zwischen 10. November 2008 und 12. Dezember 2008 nicht in Wien, somit ortsabwesend, gewesen sei.
In der Begründung führte die Berufungsbehörde aus, dass der erstinstanzliche Bescheid gemäß §365l GewO einen Monat nach der Zurückstellung an die Behörde, somit am 12. Jänner 2009 rechtswirksam zugestellt worden sei, sodass die zweiwöchige Berufungsfrist bereits am 26. Jänner 2009 abgelaufen sei. Die erst am 7. Dezember 2009 bei der Behörde erster Instanz eingebrachte Berufung sei daher als verspätet zurückzuweisen gewesen.
In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof behauptete die beteiligte Partei, in ihrem Recht auf "Unterlassung der Zustellfiktion mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des §365l GewO 1994" und auf "rechtsrichtige Anwendung der §§8, 17 und 19 Zustellgesetz" verletzt zu sein.
3. Hinsichtlich der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung gibt der Verwaltungsgerichtshof zunächst an, davon auszugehen, dass der vom 14. April 2010 datierende Berufungsbescheid der beteiligten Partei erst am 7. Juni 2011 und nicht, wie die Berufungsbehörde meine, nach §8 Abs2 ZustellG am 26. April 2010 zugestellt worden sei. Die Berufungsbehörde habe nämlich nicht behauptet, vor der Zustellung nach §8 Abs2 ZustellG auch nur mit "einfachen Hilfsmitteln" versucht zu haben, eine neue Abgabestelle auszuforschen; derartige Ermittlungsschritte seien auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt nicht ersichtlich. Die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Zustellung schon am 26. April 2010 entspreche somit nicht §8 Abs2 ZustellG.
In der Folge führt der Verwaltungsgerichtshof zur Präjudizialität Folgendes aus:
"[…] Sowohl bei der Prüfung der allfälligen Verspätung der Beschwerde […] als auch im Fall der inhaltlichen Behandlung der Beschwerde müsste der Verwaltungsgerichtshof die Bestimmung des §365l GewO 1994 anwenden:
[…]
§365l erster Satz GewO 1994 normiert eine gesetzliche Fiktion (vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO3, §365l Rz 3), wobei die Bestimmung (arg. 'Unzustellbarkeit') an §19 Abs1 erster Fall ZustG anknüpft (vgl. auch Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7, §365l Anm. 3).
Die beschwerdeführende Partei bringt in der Beschwerde – wie schon im Verwaltungsverfahren – vor, ihre handelsrechtliche Geschäftsführerin sei zwischen 10. November und 12. Dezember 2008 nicht in Wien gewesen, und behauptet weder, dass an ihrem Standort in 1010 Wien, Wipplingerstraße 13, an eine andere vertretungsbefugte Person zugestellt hätte werden können, noch, dass ein Nachsendeauftrag bestanden hätte. Die Beschwerde bestreitet auch nicht die von der belangten Behörde getroffene Feststellung, wonach der vom 13. November 2008 datierende erstinstanzliche Bescheid am 10. Dezember 2008 mit dem Vermerk 'verzogen' an die Erstbehörde zurückgestellt wurde.
Davon ausgehend bestehen gegen die Annahme der belangten Behörde, der erstinstanzliche Bescheid sei zu diesem Zeitpunkt gemäß §19 ZustG wegen Unzustellbarkeit an die Behörde zurückgestellt worden, keine Bedenken.
Vor diesem Hintergrund hängt die vom Verwaltungsgerichtshof zu treffende Entscheidung über die Frage der rechtswirksamen Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides am 12. Jänner 2009 (und damit die Frage der Verspätung der Berufung) von §365l GewO 1994 ab."
4. Die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, legt der Verwaltungsgerichtshof wie folgt dar:
"4.1. Bedarfskompetenz nach Art11 Abs2 B-VG:
Gemäß Art11 Abs2 B-VG wird (u.a.) das Verwaltungsverfahren, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird, auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht (...), durch Bundesgesetz geregelt; abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes folgen die Angelegenheiten des Verfahrensrechts einschließlich des Exekutionsrechts grundsätzlich nach dem Adhäsionsprinzip kompetenzrechtlich der Kompetenz in der jeweiligen materiellen Angelegenheit ('Sachkompetenz'), wobei diese Adhäsionskompetenz durch die Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz des Art11 Abs2 B-VG durchbrochen wird. Soweit eine Regelung durch ein auf Art11 Abs2 B-VG gestütztes Bedarfsgesetz erfolgt, ist eine abweichende Regelung in einem Materiengesetz nur zulässig, wenn dies durch 'besondere Umstände' erforderlich oder 'unerlässlich' ist (vgl. die Nachweise bei Mayer, B-VG4 Art11 Anm. II.2. und 3.).
Mit der – im vorliegenden Beschwerdefall anzuwendenden – Bestimmung des §365l GewO 1994 wurde eine gegenüber den allgemeinen Zustellregelungen des ZustG abweichende Regelung, welche für Gewerbetreibende oder deren vertretungsbefugte Organe gilt, geschaffen. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sollte mit dieser Regelung 'verhindert werden, dass durch gezielte Abwesenheiten der Verantwortlichen behördliche Verfügungen ins Leere gehen' (644 BlgNR XX. GP, S. 47).
Mit Blick auf die angeführte Verfassungsrechtsprechung sind beim Verwaltungsgerichtshof Bedenken entstanden, ob eine derartige – von den Bestimmungen des §17 Abs3 dritter Satz ZustG und des §25 Abs1 zweiter Satz ZustG abweichende – besonders strenge Zustellfiktion durch besondere Umstände erforderlich oder unerlässlich ist. Die angeführten Bestimmungen des ZustG enthalten ja für den Fall vorübergehender Abwesenheiten bzw. der Nichtfeststellbarkeit einer Abgabestelle bereits relativ strenge Regelungen, um ein Unterlaufen von Zustellungen zu vermeiden.
Da nicht ersichtlich ist, warum darüber hinaus gehende, noch strengere Spezialregelungen überhaupt notwendig sind, erscheint es dem Verwaltungsgerichtshof als fraglich, ob der Bundesgesetzgeber durch Art11 Abs2 zweiter Satz B-VG zur Erlassung des §365l GewO 1994 überhaupt ermächtigt war.
4.2. Gleichheitssatz (Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG):
Der in der Bundesverfassung verankerte Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber, welcher demnach nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vornehmen darf; eine solche setzt relevante Unterschiede im Tatsachenbereich (objektive Unterscheidungsmerkmale) voraus. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes muss der Gesetzgeber daher an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen. Bei der Sachlichkeitsprüfung von Gesetzen ist, wenn differenzierende Regelungen vorliegen, ein Normenvergleich durchzuführen; es ist zu fragen, ob die jeweils erfassten Sachverhalte so unterschiedlich sind, dass sie die unterschiedlichen Rechtsfolgen zu 'tragen' vermögen (vgl. etwa die Nachweise bei Mayer, B-VG4 Art2 StGG Anm. III.1. und IV.1.).
Auch in diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die hier Bedenken auslösende Norm des §365l GewO 1994 nur für Gewerbetreibende und deren vertretungsbefugte Organe eine besonders einschneidende gesetzliche Fiktion vorsieht, welche lediglich an die Voraussetzungen einer Zurückstellung eines Bescheides an die Behörde wegen Unzustellbarkeit und des Zeitablaufes von einem Monat anknüpft. Eine Zustellfiktion dieser Schärfe ist dem für gerichtliche Verfahren und Verwaltungsverfahren im allgemeinen geltenden ZustG (vgl. dessen §1) fremd, obwohl sich das Problem einer absichtlichen Zustellungsvereitelung – auf die die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur Gewerberechts-Novelle 1997 abzustellen scheinen – in anderen Verwaltungsverfahren als dem Gewerbeverfahren genauso stellen kann; insofern scheint es an ausreichenden Unterschieden im Tatsachenbereich zu mangeln, welche erst nach der wiedergegebenen Rechtsprechung eine differenzierende Regelung rechtfertigen würden.
Der Gleichheitssatz gebietet aber auch differenzierende Regelungen für Sachverhalte, die sich in wesentlicher Aspekten voneinander unterscheiden (vgl. etwa die Nachweise bei Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 1357).
Unter diesem Aspekt ist problematisch, dass §356l GewO nicht nur auf die in den Gesetzesmaterialien genannten Fälle von 'gezielten' Ortsabwesenheiten Anwendung findet, sondern auch auf jene, in denen sich die Ortsabwesenheit aus durchaus legitimen Gründen ergibt und nicht die Verhinderung von Zustellungen zum Ziel hat. Man kann auch nicht ohne Weiteres sagen, dass es sich bei jenen Fällen, in denen an sich gutgläubige und gutwillige Gewerbetreibende von einer solchen Situation betroffen sind, um bloße vernachlässigbare Härtefälle (vgl. die Nachweise bei Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, a.a.O. Rz 1359) handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass der Gesetzgeber mit §356l GewO keine den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügende differenzierende Regelung getroffen hat.
Dem Gleichheitssatz ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes schließlich auch ein allgemeines Sachlichkeitsgebot (vgl. Die Nachweise bei Mayer, B-VG4 Art2 StGG Anm. III.1.) zu entnehmen, das im Kern darauf hinausläuft, dass zur Erreichung der gesetzgeberischen Zielsetzungen keine unverhältnismäßigen Maßnahmen eingesetzt werden dürfen.
Als unverhältnismäßig erscheint die Bestimmung des §356l GewO insofern, als den von der Zustellfiktion Betroffenen zwar die Möglichkeit von Wiedereinsetzungsanträgen nach der Versäumung von Rechtsmittelfristen offensteht, sie aber unter Umständen schwerwiegende nachteilige Folgen auf Grund der bereits eingetretenen Rechtskraft eines nach dieser Bestimmung zugestellten Bescheides gewärtigen müssen (z.B. Verlust der Gewerbeberechtigung nach einer Gewerbeentziehung). Diese Unverhältnismäßigkeit dürfte in besonderer Weise für jene Fälle gelten, in denen die Ortsabwesenheit nicht darauf zurückzuführen ist, dass eine Zustellung verhindert werden soll (etwa wenn sich ein Einzelunternehmer vier Wochen krankheitsbedingt in einem Krankenhaus und daher nicht an seiner Abgabestelle aufhält).
Aus diesen Gründen hegt der Verwaltungsgerichtshof auch gleichheitsrechtliche Bedenken an der angefochtenen Bestimmung."
5. Zum Anfechtungsumfang führt der Verwaltungsgerichtshof Folgendes aus:
"Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bestehen die ausgeführten verfassungsrechtlichen Bedenken an sich gegen die in §365l erster Satz GewO 1994 enthaltene Regelung. Da im Fall einer Aufhebung nur des ersten Satzes der Bestimmung die Bestimmungen des zweiten und dritten Satzes des §365l GewO 1994 inhaltsleer und unanwendbar wären (vgl. etwa den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 1991, G247/91 = VfSlg 12.859), richtet sich der vorliegende Hauptantrag auf die Aufhebung der gesamten Bestimmung des §365l GewO 1994 (samt Überschrift). Der Eventualantrag erfolgt aus prozessualer Vorsicht (vgl. etwa den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2012, G139/11, mwN)."
6. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt und für den Fall der Aufhebung die Setzung einer Frist von einem Jahr beantragt:
"1. Zu den Bedenken hinsichtlich Art11 Abs2 B-VG:
1.1 Der Verwaltungsgerichtshof hegt in seinem Gesetzesprüfungsantrag Zweifel, ob eine derartige – von den Bestimmungen des §17 Abs3 dritter Satz ZustG und des §25 Abs1 zweiter Satz ZustG abweichende – besonders strenge Zustellfiktion aufgrund besonderer Umstände erforderlich oder unerlässlich sei. Begründend führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die angeführten Bestimmungen des ZustG für den Fall vorübergehender Abwesenheiten bzw. der Nichtfeststellbarkeit einer Abgabestelle bereits relativ strenge Regelungen enthalten würden, um ein Unterlaufen von Zustellungen zu vermeiden. Da nicht ersichtlich sei, warum über die Regelungen des Zustellgesetzes hinaus gehende, noch strengere Spezialregelungen überhaupt notwendig seien, erscheine es fraglich, ob der Bundesgesetzgeber durch Art11 Abs2 zweiter Satz B-VG zur Erlassung des §365I GewO 1994 überhaupt ermächtigt war.
1.2. Dieses Vorbringen trifft nach Ansicht der Bundesregierung nicht zu:
Nach Art11 Abs2 B-VG kann das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht, durch Bundesgesetz geregelt werden, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird. Durch die Inanspruchnahme dieser Bedarfskompetenz wird die Adhäsionskompetenz zur Regelung von Angelegenheiten des Verfahrensrechts von Bund und Ländern eingeschränkt (Mayer, B-VG Kurzkommentar4, Art11 B-VG, 71). Abweichende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen können nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.
Auch das Zustellgesetz, sofern es von Verwaltungsbehörden zu vollziehen ist, stellt eine 'einheitliche Vorschrift' im Sinne des Art11 Abs2 B-VG dar, weshalb eine von ihm abweichende Regelung auch zur Regelung des jeweiligen Gegenstandes erforderlich sein muss (vgl. VfSlg 13.831/1994). Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine abweichende Regelung in einem Materiengesetz nur zulässig, wenn dies durch 'besondere Umstände' erforderlich (VfSlg 8583/1979, 13.831/1994, 13.838/1994, 14.381/1995, 15.529/1999, 15.369/1998) oder im Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften unerlässlich ist (vgl VfSlg 11.564/1987, 14.153/1994, 15.351/1998, 16.414/2002, 16.460/2002, 17.340/2004).
1.3. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die angefochtene Bestimmung diesen Vorgaben entspricht: Mit dieser Regelung soll ausweislich der Erläuterungen verhindert werden, dass durch 'gezielte' Abwesenheiten der Verantwort lichen behördliche Verfügungen ins Leere gehen. Die Monatsfrist wurde vorgesehen, um Härtefälle zB in Fällen von Urlaub oder Geschäftsreisen zu vermeiden (RV 644 BlgNR 20. GP, 47).
Demgegenüber kommt die Zustellung durch Hinterlegung gemäß §17 Abs1 ZustG und die daran angeknüpfte Zustellfiktion dann zum Tragen, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des §13 Abs3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Wenn das Dokument durch Hinterlegung zugestellt werden kann, kommt §365l GewO 1994 (arg: 'wegen Unzustellbarkeit an die Behörde zurückgestellt') gar nicht zur Anwendung. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgt gemäß §25 Abs1 ZustG nur, wenn es sich um Zustellungen an Personen handelt, deren Abgabestelle unbekannt ist.
Mit der angefochtenen Bestimmung wollte der Gesetzgeber nicht das Problem der unbekannten Abgabestelle, sondern die zur Vereitelung einer Zustellung erfolgende Abwesenheit von einer an sich bekannten Abgabestelle einer Lösung zuführen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Gewerbeordnung 1994 zahlreiche Regelungen zur Gefahrenabwehr sowie Regelungen, die der Qualitätssicherung dienen, enthält. Beides sind Umstände, die eine besondere zustellrechtliche Regelung für die Fälle absichtlicher Zustellvereitelung durch Gewerbetreibende zu rechtfertigen vermögen. Nicht zuletzt kommt die angefochtene Bestimmung insbesondere – wie sich auch in dem dem Gesetzesprüfungsantrag zugrundeliegenden Verfahren zeigt – bei Entziehungsbescheiden gemäß den §§87 und 88 GewO 1994 in Betracht (vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Gewerbeordnung, §365I, Rz. 1), also jenen Fällen, welche gerade die genannte Gefahrenabwehr bzw. Qualitätssicherung vor Augen haben. Speziell in diesen Fällen – und dafür spricht auch, dass sich vergleichbare Regelungen in §360 GewO 1994 finden, der die Anordnung einstweiliger Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen normiert – wurde es als erforderlich gesehen, in der Gewerbeordnung Vorschriften zu erlassen, bei denen sich die Zustellung an einer bekannten und auch nicht geänderten Abgabestelle als nicht durchführbar erwiesen hat um dem behördlichen Akt Wirksamkeit zu verleihen und dadurch der Gefahrenabwehr und Qualitätssicherung zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass der Wirtschaftstreibende weiterhin am Wirtschaftsleben teilnimmt und potenziell Kunden akquiriert.
2. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG):
2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hegt vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes zusammengefasst folgende Bedenken: Zum einen könne sich das Problem der absichtlichen Zustellvereitelung in anderen Verfahren als dem Gewerbeverfahren genauso stellen, weshalb es insofern an hinreichenden Unterschieden im Tatsachenbereich mangle, welche erst eine differenzierende Regelung rechtfertigen würden. Zum anderen beziehe die Regelung auch Ortsabwesenheiten aus legitimen Gründen mit ein und differenziere insofern nicht ausreichend. In den Fällen, in denen die Ortsabwesenheit nicht darauf zurückzuführen sei, dass eine Zustellung absichtlich vereitelt werden solle, sei sie zudem unverhältnismäßig und widerspreche dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot.
2.2. Die Bundesregierung geht aus folgenden Gründen von der Gleichheitskonformität sowie der Sachlichkeit der angefochtenen Bestimmung aus:
2.2.1 Gemäß §2 Z4 ZustG ist Abgabestelle die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers. Ändert eine Partei während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle, so hat sie dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen (§8 Abs1 ZustG). Hierzu ist festzuhalten, dass eine gewerbliche Tätigkeit grundsätzlich nur am Standort der Gewerbeberechtigung ausgeübt werden darf. Dieser ist der Behörde insofern bekannt, als er in der Gewerbeanmeldung enthalten sein muss (§339 Abs2 GewO 1994) bzw. der Bewilligungsbescheid der Gewerbebehörde auf den Standort lautet (vgl. Potacs, in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Band 12, Gewerberecht, 74). Der Gewerbeinhaber hat die Verlegung des Betriebes eines Gewerbes in einen anderen Standort der Behörde generell – also unabhängig von der Kenntnis von einem laufenden Verfahren – anzuzeigen (§46 Abs2 Z2 GewO 1994). Diese Anzeige ist so rechtzeitig zu erstatten, dass sie spätestens mit dem Tag der Aufnahme der Gewerbeausübung im neuen Standort bei der Behörde einlangt.
Der Gewerbetreibende muss zudem gemäß §93 Abs1 GewO 1994 das Ruhen und die Wiederaufnahme der Gewerbeausübung binnen drei Wochen der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft anzeigen. Über diese allgemeine Bestimmung hinaus enthält die Gewerbeordnung 1994 besondere Regelungen betreffend die Anzeige des Ruhens der Gewerbeausübung bei bestimmten Gewerben, mit deren Ausübung besondere Gefahren verbunden sind. So haben Immobilientreuhänder gemäß §117 GewO 1994 das Ruhen und die Wiederaufnahme der Gewerbeausübung der Behörde im Vorhinein anzuzeigen (§93 Abs3 GewO 1994, siehe mit weiteren Beispielen Potacs, in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Band 12, Gewerberecht, 82).
Auf Grund dieser rechtlichen Rahmenbedingungen kann die Gewerbebehörde in der Regel davon ausgehen, dass der Gewerbeinhaber, der die Ausübung nicht ruhend gemeldet hat und auch keine Sitzverlegung bekannt gegeben hat, am Standort seiner Gewerbeberechtigung ortanwesend bzw. nicht abwesend ist. Hinzu kommt, dass ein Unternehmer, der eine gewerberechtliche Tätigkeit ausübt, sein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht führt (vgl. §1 Abs2 GewO 1994). Der Unternehmer nimmt am Wirtschaftsverkehr teil, wobei er Aufträge akquiriert und mit Kunden, Lieferanten, Kreditinstituten, Behörden, Sozialversicherungsträgern ua. kontinuierlich in Kontakt ist. Auch dies begründet ein verstärktes Interesse des Gewerbetreibenden an seinem Standort regelmäßig anzutreffen zu sein.
Auch die speziellen Regelungen betreffend die Bekanntgabe der Sitzverlegung und des Ruhens der Gewerbeberechtigung deuten darauf hin, dass die Situation im Gewerbeverfahren anders gelagert ist als in anderen Verwaltungsverfahren und unterstreichen die besondere Bedeutung des Standortes der Gewerbeausübung für das Gewerbeverfahren. Wenn die Gewerbeordnung nun besondere zustellrechtliche Regelungen dahingehend trifft, dass die Fälle der absichtlichen Vereitelung einer Zustellung einer vom ZustG abweichenden Regelung unterworfen werden, so ist dies auch vor dem Hintergrund der Regelungsanliegen der Gefahrenabwehr sowie der Qualitätssicherung zu sehen.
Wenn der Verwaltungsgerichtshof nun vorbringt, die angefochtene Regelung differenziere nicht zwischen Fällen der gezielten Ortsabwesenheiten und jenen der Ortsabwesenheiten aus legitimen Gründen bzw. sie sei unverhältnismäßig, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Regelung vor dem Hintergrund der Pflichten des Gewerbetreibenden, Sitzverlegungen bzw. das Ruhen der Gewerbeberechtigung der Behörde bekannt zu geben, als konsequent angesehen werden kann. Darüber hinaus ist es dem Gesetzgeber zuzugestehen, davon auszugehen, dass sich der Gewerbetreibende bei Ortsabwesenheiten aus legitimen Gründen den üblichen Gepflogenheiten entsprechend verhält und, wenn er seinen Standort nicht verlegt bzw. die Gewerbeberechtigung nicht für ruhend erklärt, entsprechende Vorkehrungen – zu denken wäre etwa an einen Nachsendeauftrag – trifft, dass ihn Zusendungen nach wie vor erreichen. Die Annahme des Vorliegens eines zielgerichteten Vermeidungsverhaltens ist nicht von der Hand zu weisen, wenn Gewerbetreibende im Fall einer einen Monat andauernden Abwesenheit keine Vorsorge treffen, dass sie für an sie gerichtete Zusendungen auch postalischer Arterreichbar bleiben. Auch in Fällen, in denen die Ortsabwesenheit zwar aus legitimen Gründen aber unerwartet eintritt, sind jene Situationen, in denen es dem Gewerbetreibenden nicht möglich ist, die Behörde über Änderungen der Abgabestelle gemäß §8 Abs1 ZustG zu informieren, wohl selten, weshalb sie insofern als Härtefälle gesehen werden können.
3. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass §365I der Gewerbeordnung 1994, BGBl Nr 194 idF BGBl I Nr 82/1997, nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."
7. Die beim Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführende Partei erstattete eine Äußerung, in der sie sich im Wesentlichen den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes anschließt:
§365l GewO schaffe eine rechtliche Differenzierung, die nicht mit tatsächlichen Unterschieden in einer Weise korrespondiere, die sachlich gerechtfertigt werden könne. Bereits das Zustellgesetz sehe in §17 Abs3 und §25 Abs1 Regelungen vor, die eine hinreichend strenge Zustellfiktion enthalten würden. Im Unterschied dazu normiere §365l GewO eine Zustellfiktion, die lediglich an die Zurückstellung des Bescheides iSd §19 ZustellG sowie den Ablauf eines Zeitraums von einem Monat anknüpfe. Die Regelung des §365l GewO sei somit weitaus strenger als die vergleichbaren Bestimmungen des allgemeinen Zustellrechts, die den Behörden und Gerichten bereits ausreichend Handhabe einräumen würden, um bewussten Zustellvereitelungen entgegenzuwirken.
Weiters differenziere §365l GewO nicht zwischen beabsichtigten und berechtigten Fällen einer Abwesenheit von der Abgabestelle. Im vorliegenden Fall habe sich die Geschäftsführerin der beteiligten Partei auf Grund von gesundheitlichen Problemen auf einem Rekonvaleszenzaufenthalt in Niederösterreich befunden. Darüber liege eine schriftliche Bestätigung vor, sodass der Geschäftsführerin der beteiligten Partei keinesfalls die Intention unterstellt werden könne, eine Zustellung verhindern zu wollen. Ungeachtet dessen würde die Anwendung von §365l GewO dazu führen, dass eine – weitreichende Rechtsfolgen auslösende – Zustellfiktion zum Tragen käme.
II. Rechtslage
1. Die angefochtene Bestimmung des §365l Gewerbeordnung 1994, BGBl 194 idF BGBl I 82/1997, lautet wie folgt:
"q) Erlassung von Bescheiden an Empfänger unbekannten Aufenthalts
§365l. Ein Bescheid an den Gewerbetreibenden oder dessen vertretungsbefugtes Organ gilt, wenn er gemäß §19 des Zustellgesetzes, BGBl Nr 200/1982, wegen Unzustellbarkeit an die Behörde zurückgestellt worden ist, einen Monat nach der Zurückstellung an die Behörde als zugestellt. Die Zustellregelungen des §360 Abs2, 3 und 4 bleiben unberührt. Diese Regelung gilt nicht in Verwaltungsstrafverfahren."
2. Die weiteren für die Beurteilung des Gesetzesprüfungsantrags maßgeblichen Bestimmungen der Gewerbeordnung, BGBl 194/1994 idF BGBl I 125/2013, lauten wie folgt:
"§87. (1) Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde (§361) zu entziehen, wenn
1. auf den Gewerbeinhaber die Ausschlußgründe gemäß §13 Abs1 oder 2 zutreffen und nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist oder
2. einer der im §13 Abs4 oder Abs5 zweiter Satz angeführten Umstände, die den Gewerbeausschluss bewirken, vorliegt oder
3. der Gewerbeinhaber infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt oder
4. der Gewerbeinhaber wegen Beihilfe zur Begehung einer Verwaltungsübertretung gemäß §366 Abs1 Z1 bestraft worden ist und diesbezüglich ein weiteres vorschriftswidriges Verhalten zu befürchten ist oder
4a. im Sinne des §117 Abs7 eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung wegfällt oder ein Nachweis im Sinne des §376 Z16a nicht rechtzeitig erfolgt oder
4b. im Sinne des §136a Abs5 oder des §136b Abs3 das letzte Vertretungsverhältnis oder im Sinne des §136a Abs10 das Vertretungsverhältnis weggefallen ist oder
4c. im Sinne des §136a Abs12 eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung wegfällt oder ein Nachweis im Sinne des §376 Z2 nicht rechtzeitig erfolgt oder
4d. im Sinne des §99 Abs7 eine Haftpflichtversicherung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden wegfällt oder ein Nachweis im Sinne des §376 Z13 nicht rechtzeitig erfolgt oder
5. im Sinne des §137c Abs5 eine Berufshaftpflichtversicherung oder eine sonstige Haftungsabsicherung wegfällt.
Schutzinteressen gemäß Z3 sind insbesondere die Hintanhaltung der illegalen Beschäftigung, der Kinderpornographie, des Suchtgiftkonsums, des Suchtgiftverkehrs, der illegalen Prostitution sowie der Diskriminierung von Personen allein auf Grund ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung (ArtIII Abs1 Z3 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 - EGVG, BGBl I Nr 87/2008). |
(2) Die Behörde kann im Falle des Vorliegens einer Berechtigung zu Tätigkeiten der Versicherungsvermittlung von der im Abs1 Z2 vorgeschriebenen Entziehung der Gewerbeberechtigung wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens absehen, wenn die Gewerbeausübung vorwiegend im Interesse der Gläubiger gelegen ist.
(3) Die Behörde kann die Gewerbeberechtigung auch nur für eine bestimmte Zeit entziehen, wenn nach den Umständen des Falles erwartet werden kann, daß diese Maßnahme ausreicht, um ein späteres einwandfreies Verhalten des Gewerbeinhabers zu sichern.
(4) Von der Entziehung der Gewerbeberechtigung kann abgesehen werden, wenn auf Grund des §4 des Berufsausbildungsgesetzes, BGBl Nr 142/1969, ein Verbot des Ausbildens von Lehrlingen besteht und dieses Verbot im Hinblick auf die Eigenart des strafbaren Verhaltens ausreicht.
(5) Von der Entziehung der Gewerbeberechtigung kann abgesehen werden, wenn auf Grund des §31 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987, BGBl Nr 599, ein Verbot der Beschäftigung Jugendlicher besteht und dieses Verbot im Hinblick auf die Eigenart des strafbaren Verhaltens ausreicht.
(6) Treffen die für die Entziehung der Gewerbeberechtigung vorgesehenen Voraussetzungen nur auf einen Teil der gewerblichen Tätigkeit zu, so kann die Gewerbeberechtigung auch nur zum Teil entzogen werden, wenn auch durch die nur teilweise Entziehung der Gewerbeberechtigung der Zweck der Maßnahme erreicht wird.
(7) Das Insolvenzgericht hat im Falle des Abs1 Z2 die zuständige Behörde vom Vorliegen des Ausschlusstatbestandes unverzüglich zu verständigen.
§88. (1) Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde (§361) zu entziehen, wenn sich der Gewerbeinhaber nach den für ihn in Betracht kommenden Rechtsvorschriften nicht mehr zulässigerweise in Österreich aufhält.
(2) Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde zu entziehen, wenn das Gewerbe während der letzten drei Jahre nicht ausgeübt worden ist und der Gewerbeinhaber mit der Entrichtung der Umlage an die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft mehr als drei Jahre im Rückstand ist. Vor der Erlassung des Entziehungsbescheides ist der Gewerbeinhaber auf die Rechtsfolge der Entziehung nachweislich aufmerksam zu machen. Von der Entziehung ist abzusehen, wenn spätestens zugleich mit der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, mit dem die Entziehung verfügt worden ist, die Bezahlung des gesamten Umlagenrückstandes nachgewiesen wird.
[(3) - (5)…]
[…]
j) Einstweilige Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen
§360. (1) Besteht der Verdacht einer Übertretung gemäß §366 Abs1 Z1, 2 oder 3, so hat die Behörde unabhängig von der Einleitung eines Strafverfahrens den Gewerbeausübenden bzw. den Anlageninhaber mit Verfahrensanordnung zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes innerhalb einer angemessenen, von der Behörde zu bestimmenden Frist aufzufordern; eine solche Aufforderung hat auch dann zu ergehen, wenn der Verdacht einer Übertretung gemäß §367 Z25 besteht und nicht bereits ein einschlägiges Verfahren gemäß §79c oder §82 Abs3 anhängig ist. Kommt der Gewerbeausübende bzw. der Anlageninhaber dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so hat die Behörde mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes jeweils notwendigen Maßnahmen, wie die Stillegung von Maschinen oder die Schließung von Teilen des Betriebes oder die Schließung des gesamten Betriebes zu verfügen.
(1a) In den Fällen des Verdachts einer Übertretung gemäß §366 Abs1 Z2 oder Z3 oder §367 Z25 hat ein Bescheid gemäß Abs1 nicht zu ergehen, wenn und solange im konkreten Einzelfall
1. für die Behörde keine Bedenken vom Standpunkt des Schutzes der im §74 Abs2 umschriebenen Interessen oder der Vermeidung von Belastungen der Umwelt (§69a) hervorkommen, und
2. innerhalb einer von der Behörde gleichzeitig mit der Verfahrensanordnung gemäß Abs1 bestimmten, angemessenen und nicht erstreckbaren Frist ein diesem Bundesgesetz entsprechendes Ansuchen (§353) um die erforderliche Genehmigung eingebracht und sodann auf Grund dieses Ansuchens ein entsprechender Genehmigungsbescheid erlassen wird.
Abs1a gilt nicht für in der Anlage 3 zu diesem Bundesgesetz angeführte Betriebsanlagen.
(2) Wenn bei einer Tätigkeit offenkundig der Verdacht einer Übertretung gemäß §366 Abs1 Z4, 5 oder 6 gegeben ist und wenn mit Grund anzunehmen ist, daß die solchermaßen gesetzwidrige Gewerbeausübung fortgesetzt wird, darf die Behörde auch ohne vorausgegangenes Verfahren und vor Erlassung eines Bescheides die zur Unterbindung dieser Gewerbeausübung notwendigen Maßnahmen, insbesondere auch die Beschlagnahme von Waren, Werkzeugen, Maschinen, Geräten und Transportmitteln, an Ort und Stelle treffen; hierüber ist jedoch binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die getroffene Maßnahme als aufgehoben gilt. Der Bescheid gilt auch dann als erlassen, wenn er gemäß §19 des Zustellgesetzes, BGBl Nr 200/1982, wegen Unzustellbarkeit an die Behörde zurückgestellt worden ist.
(3) Ist eine Übertretung gemäß §366 Abs1 Z1 offenkundig, so hat die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren und vor Erlassung eines Bescheides den gesamten der Rechtsordnung nicht entsprechenden Betrieb an Ort und Stelle zu schließen; eine solche Betriebsschließung liegt auch dann vor, wenn eine Gewerbeausübung unterbunden wird, die keine Betriebsstätte aufweist; hierüber ist jedoch binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die getroffene Maßnahme als aufgehoben gilt. Der Bescheid gilt auch dann als erlassen, wenn er gemäß §19 des Zustellgesetzes, BGBl Nr 200/1982, wegen Unzustellbarkeit an die Behörde zurückgestellt worden ist.
(4) Um die durch eine diesem Bundesgesetz unterliegende Tätigkeit oder durch Nichtbeachtung von Anforderungen an Maschinen, Geräte und Ausrüstungen (§71) verursachte Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für das Eigentum abzuwehren oder um die durch eine nicht genehmigte Betriebsanlage verursachte unzumutbare Belästigung der Nachbarn abzustellen, hat die Behörde, entsprechend dem Ausmaß der Gefährdung oder Belästigung, mit Bescheid die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes, die Stillegung von Maschinen, Geräten oder Ausrüstungen oder deren Nichtverwendung oder sonstige die Anlage betreffende Sicherheitsmaßnahmen oder Vorkehrungen zu verfügen. Hat die Behörde Grund zur Annahme, daß zur Gefahrenabwehr Sofortmaßnahmen an Ort und Stelle erforderlich sind, so darf sie nach Verständigung des Betriebsinhabers, seines Stellvertreters oder des Eigentümers der Anlage oder, wenn eine Verständigung dieser Person nicht möglich ist, einer Person, die tatsächlich die Betriebsführung wahrnimmt, solche Maßnahmen auch ohne vorausgegangenes Verfahren und vor Erlassung eines Bescheides an Ort und Stelle treffen; hierüber ist jedoch binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die getroffene Maßnahme als aufgehoben gilt. Der Bescheid gilt auch dann als erlassen, wenn er gemäß §19 des Zustellgesetzes wegen Unzustellbarkeit an die Behörde zurückgestellt worden ist.
(5) Die Bescheide gemäß Abs1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 sind sofort vollstreckbar; wenn sie nicht kürzer befristet sind, treten sie mit Ablauf eines Jahres, vom Beginn der Vollstreckbarkeit an gerechnet, außer Wirksamkeit. Durch einen Wechsel in der Person des Inhabers der von den einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen betroffenen Anlagen, Anlagenteile oder Gegenstände wird die Wirksamkeit dieser Bescheide nicht berührt.
(6) Liegen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Bescheides gemäß Abs1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 nicht mehr vor und ist zu erwarten, daß in Hinkunft jene gewerberechtlichen Vorschriften, deren Nichteinhaltung für die Maßnahmen nach Abs1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 bestimmend war, von der Person eingehalten werden, die die gewerbliche Tätigkeit ausüben oder die Betriebsanlage betreiben will, so hat die Behörde auf Antrag dieser Person die mit Bescheid gemäß Abs1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 getroffenen Maßnahmen ehestens zu widerrufen."
3. Die für die Beurteilung des Gesetzesprüfungsantrags wesentlichen Bestimmungen des Zustellgesetzes, BGBl 200/1982 idF BGBl I 33/2013, lauten:
"Änderung der Abgabestelle
§8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.
[…]
2. Abschnitt
Physische Zustellung
Zustellung an den Empfänger
§13. (1) Das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist aber auf Grund einer Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes an eine andere Person als den Empfänger zuzustellen, so tritt diese an die Stelle des Empfängers.
(2) Bei Zustellungen durch Organe eines Zustelldienstes oder der Gemeinde darf auch an eine gegenüber dem Zustelldienst oder der Gemeinde zur Empfangnahme solcher Dokumente bevollmächtigte Person zugestellt werden, soweit dies nicht durch einen Vermerk auf dem Dokument ausgeschlossen ist.
(3) Ist der Empfänger keine natürliche Person, so ist das Dokument einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen.
(4) Ist der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person, so ist das Dokument in deren Kanzlei zuzustellen und darf an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden; durch Organe eines Zustelldienstes darf an bestimmte Angestellte nicht oder nur an bestimmte Angestellte zugestellt werden, wenn der Parteienvertreter dies schriftlich beim Zustelldienst verlangt hat. Die Behörde hat Angestellte des Parteienvertreters wegen ihres Interesses an der Sache oder auf Grund einer zuvor der Behörde schriftlich abgegebenen Erklärung des Parteienvertreters durch einen Vermerk auf dem Dokument und dem Zustellnachweis von der Zustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden.
[(5) - (6) …]
[…]
Hinterlegung
§17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des §13 Abs3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des §13 Abs3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde.
[…]
Rücksendung, Weitersendung und Vernichtung
§19. (1) Dokumente, die weder zugestellt werden können, noch nachzusenden sind oder die zwar durch Hinterlegung zugestellt, aber nicht abgeholt worden sind, sind entweder an den Absender zurückzusenden, an eine vom Absender zu diesem Zweck bekanntgegebene Stelle zu senden oder auf Anordnung des Absenders nachweislich zu vernichten.
(2) Auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) ist der Grund der Rücksendung, Weitersendung oder Vernichtung zu vermerken.
[…]
Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung
§25. (1) Zustellungen an Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist, oder an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, können, wenn es sich nicht um ein Strafverfahren handelt, kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist und nicht gemäß §8 vorzugehen ist, durch Kundmachung an der Amtstafel, daß ein zuzustellendes Dokument bei der Behörde liegt, vorgenommen werden. Findet sich der Empfänger zur Empfangnahme des Dokuments (§24) nicht ein, so gilt, wenn gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, die Zustellung als bewirkt, wenn seit der Kundmachung an der Amtstafel der Behörde zwei Wochen verstrichen sind.
(2) Die Behörde kann die öffentliche Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise ergänzen."
4. Die Bestimmung des §11 AVG, BGBl 51/1991 idF BGBl I 5/2008, lautet:
"§11. Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines Sachwalters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§109 JN) veranlassen."
III. Erwägungen
1. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 B‑VG bzw. des Art139 B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzungen zweifeln ließe. Es ist jedenfalls nicht denkunmöglich, dass der Verwaltungsgerichtshof die Bestimmung des §365l GewO in seinem Verfahren zur Entscheidung über die Beschwerde der im Gesetzesprüfungsverfahren beteiligten Partei anzuwenden hat.
1.3. Sowohl in von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren als auch in auf Antrag eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren ist der Umfang der allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 9374/1982, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).
Die Grenzen der Aufhebung müssen auch in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).
Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass der im (Haupt-)Antrag des Verwaltungsgerichtshofes festgelegte Anfechtungsumfang richtig abgegrenzt ist. Zwar liegt der Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit ausschließlich im ersten Satz des §365l GewO, doch steht diese Bestimmung mit dem zweiten und dem dritten Satz des §365l GewO insofern in einem untrennbaren Zusammenhang, als diese an den ersten Satz anknüpfen und bei einer Aufhebung allein des ersten Satzes in ihrer Bedeutung verändert wären. Der auf die Aufhebung der gesamten Bestimmung des §365l GewO gerichtete Hauptantrag des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich daher im Hinblick auf den Aufhebungs- und Prüfungsumfang als zulässig.
1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der Antrag zulässig.
2. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Der Antrag ist begründet. Die unter dem Gesichtspunkt des Art11 Abs2 B‑VG geäußerten Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gegen die in §365l GewO normierte Fiktion der Zustellung treffen zu.
2.2.1. Nach Art11 Abs2 B-VG kann der Bundesgesetzgeber u.a. das Verwaltungsverfahren regeln, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird. Abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind. Solche Regelungen sind nach ständiger Rechtsprechung nur dann "zur Regelung des Gegenstandes erforderlich", wenn sie – im Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften (VfSlg 11.564/1987) – unerlässlich sind (vgl. VfSlg 8945/1980, 13.831/1994, 14.153/1995, 15.218/1998, 15.351/1998, 17.340/2004 uva.).
2.2.2. Das Zustellgesetz beruht – soweit es von Verwaltungsbehörden zu vollziehen ist – auf der kompetenzrechtlichen Grundlage des Art11 Abs2 B‑VG, und die Bestimmungen des Zustellgesetzes stellen "einheitliche Vorschriften" iSd Art11 Abs2 B-VG dar (VfSlg 13.831/1994, 13.878/1994). Die angefochtene Bestimmung – die ungeachtet ihrer Überschrift nicht nur Fälle des unbekannten Aufenthalts regelt – weicht von den Bestimmungen des Zustellgesetzes (insbesondere seines 1. und 2. Abschnitts) bzw. den für die Zustellung maßgeblichen Bestimmungen des AVG ab. Diese enthalten für den Fall, dass – das Vorliegen einer Abgabestelle vorausgesetzt – der Empfänger sich nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, Regelungen nur insoweit, als zum einen eine Zustellung durch Hinterlegung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte, wirksam wird (§17 Abs3 ZustellG) und zum anderen nach §25 ZustellG bei Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist und nicht festgestellt werden kann, eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen kann bzw. nach §11 AVG in wichtigen Fällen ein Abwesenheitskurator zu bestellen ist.
Bei den Vorschriften des Zustellgesetzes handelt es sich – mit Ausnahme einiger Regelungen wie des §8 Abs2 ZustellG – auch nicht bloß um Bestimmungen, die gegenüber besonderen Verwaltungsvorschriften subsidiär sind. Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, dass die Bestimmung des §365l GewO eine vom Regelungssystem des Zustellrechts "abweichende Regelung" iSd Art11 Abs2 B-VG und als solche an den in dieser Verfassungsbestimmung normierten Anforderungen zu messen ist.
2.2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hegt unter dem Gesichtspunkt des Art11 Abs2 B-VG das Bedenken, dass die in §365l GewO vorgesehene weitreichende Zustellfiktion nicht durch besondere Umstände erforderlich oder unerlässlich sei, da in §17 Abs3 und §25 ZustellG für Fälle vorübergehender Abwesenheiten bzw. der Nichtfeststellbarkeit einer Abgabestelle bereits relativ strenge Regelungen enthalten seien und nicht ersichtlich sei, warum darüber hinausgehende, noch strengere Spezialregelungen überhaupt notwendig seien.
2.2.4. Hingegen geht die Bundesregierung – unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien – davon aus, dass die angefochtene Bestimmung den Vorgaben des Art11 Abs2 B-VG entspreche. Die an §17 Abs1 ZustellG geknüpfte Zustellfiktion komme nur dann zum Tragen, wenn der Zusteller Grund zur Annahme habe, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des §13 Abs3 ZustellG regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte. In diesem Fall komme §365l GewO gar nicht zur Anwendung. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung wiederum erfolge gemäß §25 Abs1 ZustellG nur, wenn es sich um Zustellungen an Personen handle, deren Abgabestelle unbekannt sei.
Mit der angefochtenen Bestimmung habe der Gesetzgeber nicht das Problem der unbekannten Abgabestelle, sondern die zur Vereitelung einer Zustellung erfolgende Abwesenheit von einer an sich bekannten Abgabestelle einer Lösung zugeführt. Die in der Gewerbeordnung enthaltenen Regelungen zur Gefahrenabwehr sowie zur Qualitätssicherung würden eine besondere zustellrechtliche Regelung für die Fälle absichtlicher Zustellvereitelung durch Gewerbetreibende rechtfertigen. Insbesondere komme §365l GewO bei Entziehungsbescheiden gemäß §§87, 88 GewO in Betracht. Vergleichbare Regelungen fänden sich in §360 GewO, der die Anordnung einstweiliger Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen normiere. Es sei erforderlich, dass die GewO Vorschriften für Fälle vorsehe, in denen sich die Zustellung an einer bekannten und auch nicht geänderten Abgabestelle als nicht durchführbar erwiesen habe, um dem behördlichen Akt Wirksamkeit zu verleihen und dadurch der Gefahrenabwehr und Qualitätssicherung zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei sei insbesondere zu beachten, dass der Wirtschaftstreibende weiterhin am Wirtschaftsleben teilnehme und potenziell Kunden akquiriere.
2.2.5. Der Verfassungsgerichtshof geht zunächst nicht davon aus, dass die Zustellung von gewerbehördlichen Bescheiden an Gewerbetreibende bzw. an deren vertretungsbefugte Organe generell Besonderheiten aufweist, die Abweichungen von Bestimmungen des Zustellgesetzes erforderlich machen. Zwar führen die Erläuterungen zu §365l GewO aus, dass durch gezielte Abwesenheiten der Verantwortlichen behördliche Verfügungen ins Leere gehen würden (RV 644 BlgNR 20. GP, 47). Damit werden jedoch keine Gründe dargetan, die es notwendig erscheinen lassen, dass für die Zustellung gerade in gewerbebehördlichen Verfahren (jenseits der Regelungen des §360 Abs2, 3 und 4 GewO) zusätzlich zu den Vorschriften des Zustellgesetzes besondere Vorschriften gelten. Vielmehr scheint der hinter der angefochtenen Bestimmung stehende Zweck, das gewerbebehördliche Verfahren durch die Zustellung und die damit für den Gewerbetreibenden eintretende Wirksamkeit des gewerbebehördlichen Bescheides zum Abschluss zu bringen und eine Wirkung des Bescheides eintreten zu lassen, bereits durch die einheitlichen Vorschriften des Zustellgesetzes und des AVG hinreichend gewährleistet. Der Zweck der Hintanhaltung von Zustellungsvereitelungen macht eine von den einheitlichen Zustellregelungen abweichende gesetzliche Zustellfiktion sohin nicht unerlässlich. Auch sonst sind dem Verfassungsgerichtshof keine Gründe erkennbar, die eine Abweichung vom ZustellG in dieser Weise als unerlässlich erscheinen lassen.
2.2.6. Der Verfassungsgerichtshof vermag ferner nicht zu erkennen, dass die vom Zustellgesetz abweichende Zustellregelung des §365l GewO mit dem System gewerbebehördlicher Verfahren in einem derartigen Regelungszusammenhang steht, dass sie schon deshalb als unerlässlich erachtet werden kann (vgl. VfSlg 11.564/1987 zu der vom AVG abweichenden, in Ansehung der besonderen bergbehördlichen Aufsicht als unerlässlich anzusehenden Kostentragungsregelung des §209 Abs1 BergG). Die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zeigt, dass ein aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften begründetes Abweichen vor allem dann angenommen wurde, wenn mit einer Tätigkeit besondere Gefahren verbunden sind und auf Grund dieser eine besondere Aufsicht geschaffen wurde (vgl. VfSlg 15.351/1998 mit Verweis auf VfSlg 11.564/1987).
Zwar kommen die vom Verwaltungsgerichtshof genannten Bestimmungen des §17 Abs3 und des §25 ZustellG in den Fällen, in denen §365l GewO anzuwenden ist, nämlich jenen, in denen eine Abgabestelle zwar bekannt ist, aber eine Zustellung an dieser auf Grund der (nicht nur kurzfristigen) Abwesenheit des Empfängers nicht durchgeführt werden kann und bei Hinterlegung eine Abholung nach der Rückkehr an die Abgabestelle wegen der bereits erfolgten Rücksendung an die Behörde nicht mehr erfolgen kann, nicht zum Tragen.
Eine derartige Dringlichkeit der Zustellung von Bescheiden der Gewerbebehörde, die es erforderlich macht, diese auch während der Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle wirksam werden zu lassen, vermag der Verfassungsgerichtshof aber lediglich in Fällen zu erkennen, in denen sofort wirksame Maßnahmen getroffen werden müssen.
2.2.7. Die bloße Verzögerung der Zustellung gewerbebehördlicher Bescheide bis zur Rückkehr des Empfängers an die Abgabestelle stellt jedenfalls keinen eine Bestimmung wie die angefochtene unerlässlich erscheinen lassenden, die Abweichung von den Zustellregelungen rechtfertigenden Grund dar. Dass die Zustellung mit einem – im Vergleich zu einer beim erstmaligen Versuch wirksamen Zustellung – größeren behördlichen Aufwand verbunden ist, steht dem nicht entgegen.
2.3. Die angefochtene Bestimmung beinhaltet daher keine für die Zustellung von gewerbebehördlichen Bescheiden an Gewerbetreibende unerlässliche und somit keine von den einheitlichen Zustellregelungen in verfassungsrechtlich zulässiger Weise abweichende Regelung.
Insgesamt sind die vom Verwaltungsgerichtshof gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung unter dem Blickpunkt des Art11 Abs2 B-VG geäußerten Bedenken berechtigt. Die Bestimmung des §365l GewO ist daher aufzuheben.
IV. Ergebnis
1. Die Bestimmung des §365l Gewerbeordnung, BGBl 194/1994 idF BGBl I 82/1997, ist daher wegen Verstoßes gegen Art11 Abs2 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Antrag dargelegten Bedenken.
2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.
3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Abgesehen davon, dass in der Äußerung der beteiligten Partei zwar Kosten verzeichnet wurden, der Kostenersatz aber nicht beantragt wurde, wären der beteiligten Partei die für die abgegebene Äußerung entstandenen Kosten nicht zuzusprechen, da es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichts ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).
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