Normen
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
GefahrgutbeförderungsG §2 Z1, §7 Abs1, §13 Abs1a, §37 Abs2
VStG §19 Abs2, §64 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
GefahrgutbeförderungsG §2 Z1, §7 Abs1, §13 Abs1a, §37 Abs2
VStG §19 Abs2, §64 Abs2
Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist gemäß Art6 Abs1 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird im Strafausspruch und im Kostenausspruch aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 30. August 2010 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 26. August 2009 in Stockerau auf der A22, Str.km 26 – Fahrtrichtung Hollabrunn, den LKW mit näher bezeichnetem behördlichen Kennzeichen mit dem gefährlichen Gut "UN 1170 ETHANOL (Ethylalkohol) 3, II, 1 IBC, 850 kg, UN 1170 ETHANOL, Lösung (Ethylalkohol, Lösung) 3, III, 11 Kanister, 60 kg" als handelsrechtlicher Geschäftsführer und daher gemäß §9 VStG verantwortliches, zur Vertretung nach außen berufenes Organ der H.&R. GmbH zu verantworten, dass diese Firma als Beförderer im Sinne des Gefahrgutbeförderungsgesetzes das angeführte gefährliche Gut befördert und es unterlassen habe, im Rahmen des §7 Abs1 GGBG (Sicherheitsvorsorgepflicht) sich zu vergewissern, dass die Ladung keine den gemäß §2 Z1 GGBG in Betracht kommenden Vorschriften widersprechenden offensichtlichen Mängel habe.
Die Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz legte dem Beschwerdeführer deswegen die Übertretung des §27 [richtig: §37] Abs2 Z8 iVm §§7 Abs1 und 13 Abs1a des Bundesgesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter (Gefahrgutbeförderungsgesetz – GGBG), BGBl I 145/1998 idF BGBl I 50/2012, iVm dem Europäischen Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße zur Last und verhängte über den Beschwerdeführer je festgestelltem Mangel der Gefahrenkategorie II gemäß §27 (richtig: §37) Abs2 litb GGBG eine Geldstrafe in der Höhe von € 110,– (Ersatzfreiheitsstrafe je zehn Stunden) und je festgestelltem Mangel der Gefahrenkategorie I gemäß §27 (richtig: §37) Abs2 lita GGBG eine Geldstrafe in der Höhe von € 750,– (Ersatzfreiheitsstrafe je sechs Stunden).
2. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers vom 14. September 2010 wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 2. Dezember 2011 mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (im Folgenden: UVS Niederösterreich) vom 28. Jänner 2013 dahingehend Folge gegeben, dass die Gefahrenkategorie I bei vier festgestellten Mängeln durch die Gefahrenkategorie II ersetzt wurde und der Spruch insoweit abgeändert, als die verhängten Geldstrafen von jeweils € 750,– auf jeweils € 110,– herabgesetzt wurden. Die Berufung zu den drei festgestellten Mängeln der Gefahrenkategorie II wurde vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
3. In der dagegen erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist nach Art6 Abs1 EMRK behauptet. Der Beschwerdeführer beantragt daher die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Strafausspruch.
4. Die belangte Behörde legte den bezughabenden Verwaltungsakt vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2. Die Beschwerde ist insofern berechtigt, als sie die Nichtberücksichtigung der überlangen Dauer des Verfahrens behauptet:
2.1. Die Aufforderung zur Rechtfertigung durch die Bezirkshauptmannschaft Mödling wurde dem Beschwerdeführer am 17. Dezember 2009 zugestellt. Als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist daher dieser Tag anzusehen.
Das Verfahren endete in erster Instanz mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 30. August 2010 und wurde in zweiter Instanz mit dem angefochtenen, am 2. Dezember 2011 mündlich verkündeten (mit 28. Jänner 2013 datierten) Bescheid der belangten Behörde abgeschlossen, der dem Beschwerdeführer am 21. Februar 2013 zugestellt wurde.
Die zu beurteilende Verfahrensdauer beträgt sohin drei Jahre und zwei Monate.
2.2. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, welche die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, ist auch die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer relevant (vgl. VfSlg 16.385/2001 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; VfSlg 18.743/2009, 19.605/2011). Nicht eine lange Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnisse staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre (vgl. VfSlg 16.385/2001, 17.821/2006 mwN; VfSlg 18.066/2007, 19.605/2011).
2.3. Im vorliegenden Fall fällt ins Gewicht, dass zwischen der mündlichen Verkündung des angefochtenen Bescheides am 2. Dezember 2011 und der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung am 21. Februar 2013 ein Jahr und drei Monate vergangen sind.
Die ungewöhnlich lange Dauer des Verfahrens – vor allem aber die Dauer von der mündlichen Verkündung bis zur Zustellung des angefochtenen Bescheides – ist dem Verhalten der belangten Behörde zuzuschreiben; insbesondere kann dem Beschwerdeführer kein Vorwurf gemacht werden, das Verfahren unnötig verzögert zu haben (vgl. dazu VfSlg 18.066/2007 und die dort zitierte Vorjudikatur).
Der Beschwerdeführer ist daher in seinem durch Art6 Abs1 EMRK gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden.
2.4. Der angefochtene Bescheid ist – abgesehen vom Kostenausspruch – lediglich im Umfang des Strafausspruchs aufzuheben, weil die festgestellte Rechtsverletzung den Ausspruch über die Schuld unberührt lässt und eine Änderung nur im Rahmen der Strafbemessung gemäß §19 VStG in Betracht kommt, insbesondere durch die verfassungskonforme Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer als Milderungsgrund iSd §19 Abs2 VStG unter sinngemäßer Anwendung des §34 Abs2 StGB (vgl. VfSlg 19.338/2011 mwN). Die belangte Behörde wird zu prüfen haben, inwieweit bei der Strafbemessung auch das Vorliegen des Milderungsgrundes der – hinsichtlich der Ausfertigung vorliegenden – unangemessenen Verfahrensdauer zu berücksichtigen ist.
Der Bescheid ist auch im Umfang des Kostenausspruchs aufzuheben, da der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sich nach der Höhe der verhängten Geldstrafe richtet (§64 Abs2 VStG) und daher mit dem Strafausspruch in Zusammenhang steht.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid in seinem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden.
2. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 240,– enthalten.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)