VfGH G110/11

VfGHG110/1124.9.2012

Individualantrag auf Aufhebung von Bestimmungen über Ausspielungen im Glücksspielgesetz unzulässig mangels Eingriffs in die Rechtssphäre der antragstellenden, Gewinnspiele anbietenden Gesellschaft

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
GlücksspielG §2 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
GlücksspielG §2 Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.

1. Mit ihrem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gesellschaft, die Wortfolge "oder andere" in §2 Abs1 Z2 GSpG "und/oder" die Wortfolge "oder von anderen" in §2 Abs1 Z3 GSpG, jeweils idF BGBl. I 54/2010, aufzuheben.

2. Der Antrag ist vor dem Hintergrund der folgenden Rechtslage zu beurteilen.

Die maßgeblichen Bestimmungen Bundesgesetzes zur Regelung des Glücksspielwesens (Glücksspielgesetz - GSpG), BGBl. 620/1989 idF BGBl. I 69/2012, lauten (die angefochtenen Wortfolgen des - seit BGBl. I 54/2010 unverändert gebliebenen - §2 Abs1 sind hervorgehoben):

"Glücksspiele

§1. (1) Ein Glücksspiel im Sinne dieses Bundesgesetzes ist ein Spiel, bei dem die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängt.

(2) Glücksspiele im Sinne dieses Bundesgesetzes sind insbesondere die Spiele Roulette, Beobachtungsroulette, Poker, Black Jack, Two Aces, Bingo, Keno, Baccarat und Baccarat chemin de fer und deren Spielvarianten. Der Bundesminister für Finanzen ist ermächtigt, aus Gründen der Rechtssicherheit durch Verordnung weitere Spiele als Glücksspiele im Sinne des Abs1 zu bezeichnen.

(3) In Angelegenheiten des Glücksspiels kann der Bundesminister für Finanzen Amtssachverständige bestellen.

(4) Der Bundesminister für Finanzen hat per

Verordnung einen Beirat oder eine Stelle zur Suchtprävention und Suchtberatung unter Beiziehung des Bundesministers für Gesundheit sowie des Bundesministers für Konsumentenschutz einzurichten, dessen bzw. deren Aufgabe die inhaltliche, wissenschaftliche und finanzielle Unterstützung des Spielerschutzes ist. Zur Finanzierung der Arbeit dieser Stelle oder dieses Beirates wird ab 1. Jänner 2011 ein Finanzierungsbeitrag von 1 vT der jeweiligen Bemessungsgrundlage nach §28 sowie nach §57 Abs4 gemeinsam mit den jeweiligen Abgaben erhoben.

Ausspielungen

§2. (1) Ausspielungen sind Glücksspiele,

1. die ein Unternehmer veranstaltet, organisiert, anbietet oder zugänglich macht und

2. bei denen Spieler oder andere eine vermögenswerte Leistung in Zusammenhang mit der Teilnahme am Glücksspiel erbringen (Einsatz) und

3. bei denen vom Unternehmer, von Spielern oder von anderen eine vermögenswerte Leistung in Aussicht gestellt wird (Gewinn).

(2) Unternehmer ist, wer selbstständig eine

nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus der Durchführung von Glücksspielen ausübt, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein.

Wenn von unterschiedlichen Personen in Absprache miteinander Teilleistungen zur Durchführung von Glücksspielen mit vermögenswerten Leistungen im Sinne der Z2 und 3 des Abs1 an einem Ort angeboten werden, so liegt auch dann Unternehmereigenschaft aller an der Durchführung des Glücksspiels unmittelbar beteiligten Personen vor, wenn bei einzelnen von ihnen die Einnahmenerzielungsabsicht fehlt oder sie an der Veranstaltung, Organisation oder dem Angebot des Glücksspiels nur beteiligt sind.

(3) Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung im Glücksspielautomaten selbst erfolgt. Der Bundesminister für Finanzen ist ermächtigt, durch Verordnung bau- und spieltechnische Merkmale von Glücksspielautomaten näher zu regeln sowie Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten festzulegen. Glücksspielautomaten gemäß §5 sind verpflichtend an die Bundesrechenzentrum GmbH elektronisch anzubinden. [...]

(4) Verbotene Ausspielungen sind Ausspielungen, für die eine Konzession oder Bewilligung nach diesem Bundesgesetz nicht erteilt wurde und die nicht vom Glücksspielmonopol des Bundes gemäß §4 ausgenommen sind.

Glücksspielmonopol

§3. Das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ist, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).

Ausnahmen aus dem Glücksspielmonopol

§4. (1) Glücksspiele unterliegen nicht dem Glücksspielmonopol des Bundes, wenn sie

1. nicht in Form einer Ausspielung im Sinne des §2 Abs1 und

2. a) bloß zum Zeitvertreib und um geringe Beträge oder

b) nur einmalig zur Veräußerung eines körperlichen Vermögensgegenstandes

durchgeführt werden.

(2) - (6) [...]"

3. Zu ihrer Antragslegitimation bringt die antragstellende Gesellschaft vor, Entwicklerin und Anbieterin von "innovativen Glücks- und Gewinnspielen" zu sein, die insbesondere über die "neuen Medien (Mobiltelefonie, Internet, social networks)" veranstaltet werden könnten. Ab 22. Jänner 2010 habe die Gesellschaft auf dem österreichischen Markt das Gewinnspiel "L - Mach' einen Freund zum Millionär" angeboten. Bei diesem habe man die Telefonnummer eines Freundes per Mehrwert-SMS setzen können; falls diese Telefonnummer bei der täglich veranstalteten Ziehung aus den in Österreich vergebenen Telefonnummern gezogen worden sei, habe dieser Freund den Hauptgewinn von einer Million Euro gewonnen.

Dieses Spiel sei nach der damals geltenden Fassung des GSpG zulässig gewesen, weil derjenige, der den vermögenswerten Einsatz geleistet habe, nicht gewinnen konnte; derjenige, der gewonnen habe, habe keinen vermögenswerten Einsatz dafür geleistet. Das glücksspielrechtlich geforderte Synallagma von vermögenswertem Einsatz und In-Aussicht-Stellen eines Gewinns sei unterbrochen gewesen. Außerdem habe man die Telefonnummer des Freundes auch mit Postkarte gratis setzen können.

Dennoch habe der Bundesminister für Finanzen eine "beispiellose Kampagne" gegen die antragstellende Gesellschaft geführt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Bundespolizeidirektion hätten Ermittlungen durchgeführt, diese aber wieder eingestellt. Die Verbandsklage des Vereins für Konsumenteninformation sei vom OLG Wien abgewiesen worden.

Mit der GSpG-Novelle 2008 sei jedoch der seit Jahrzehnten unveränderte Ausspielungsbegriff des §2 GSpG so novelliert worden, dass das Erfordernis eines Synallagmas zwischen dem vermögenswerten Einsatz und dem vermögenswerten Gewinn entfallen sei; seither liege eine Ausspielung bereits dann vor, wenn der Spieler nichts verlieren, sondern nur gewinnen könne. Mit dieser "lex L" sei das Gewinnspiel dem Monopol unterworfen und kriminalisiert worden. Ein weiteres Anbieten des Gewinnspiels wäre als "verbotene Ausspielung" iSd ebenfalls neu gefassten §2 Abs4 GSpG zu qualifizieren; die antragstellende Gesellschaft würde damit gegen das Glücksspielmonopol des Bundes verstoßen und wäre verwaltungsrechtlich und allenfalls sogar gerichtlich strafbar. Die angefochtenen Regelungen würden daher unmittelbar in die Rechte der antragstellenden Gesellschaft eingreifen. Der Eingriff sei durch das Gesetz eindeutig bestimmt; allein schon durch die Einfügung der angefochtenen Wortfolgen werde die Gewinnspielidee, die darauf beruhe, dass voneinander verschiedene Personen den Einsatz leisten bzw. den Gewinn in Aussicht gestellt bekommen würden, verboten. Es bestehe keine andere Möglichkeit, die Normbedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

4. In der Sache hegt die antragstellende Gesellschaft gegen die angefochtenen Wortfolgen verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Kompetenzverteilung, auf den Gleichheitsgrundsatz, auf die Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf die Unversehrtheit des Eigentums. Des Weiteren macht sie die Unionsrechtswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesstellen geltend.

5. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie dem Antragsvorbringen entgegentritt und die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrags beantragt.

5.1. Insbesondere bestreitet die Bundesregierung,

dass die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaft unmittelbar berührt sei. Es sei höchst zweifelhaft, ob das von der antragstellenden Gesellschaft konzipierte Gewinnspiel ein Glücksspiel sei, bei dem "von anderen eine vermögenswerte Leistung in Aussicht gestellt" werde. Vielmehr handle es sich um ein Glücksspiel, bei dem die Gesellschaft selbst als Unternehmerin den Gewinn in Aussicht stelle.

Zum besseren Verständnis der Wortfolge "oder von anderen" sei auf die Erläuterungen zu §2 Abs1 Z3 GSpG hingewiesen; diesen zufolge sei der bisherige Abs4 in Abs1 integriert worden. Durch die Neufassung werde verdeutlicht, dass das konzessionslose Anbieten von Glücksspiel unter unternehmerischer Mitwirkung auch dann verboten sei, wenn der Unternehmer nicht selbst die Gewinne stelle, aber an der Durchführung des Spiels veranstaltend, organisierend oder anbietend mitwirke. Da die antragstellende Gesellschaft offenbar selbst einen Gewinn in Aussicht stelle, bestehe hinsichtlich §2 Abs1 Z3 GSpG keine rechtliche Betroffenheit, da sich die Norm mit der Wortfolge "oder von anderen" nicht an sie wende.

Auch hinsichtlich §2 Abs1 Z2 GSpG sei die rechtliche Betroffenheit in Zweifel zu ziehen. Da nach den Ausführungen der antragstellenden Gesellschaft die Teilnahme am Gewinnspiel auch durch eine Gratis-Postkarte möglich sei, fehle es in dieser Konstellation offensichtlich an einer vermögenswerten Leistung, die vom Spieler erbracht werde. Mangels Entgeltlichkeit liege für den Fall der Teilnahme mittels Gratis-Postkarte keine Ausspielung im Sinne des Glücksspielgesetzes vor. Insoweit wende sich §2 Abs1 Z2 GSpG nicht an die antragstellende Gesellschaft und sei diese daher auch nicht rechtlich betroffen. Freilich liege eine Ausspielung iSd §2 Abs1 GSpG vor, soweit auf entgeltlichem Weg teilgenommen werde.

5.2. Hinsichtlich des von der antragstellenden Gesellschaft behaupteten "Obsiegens" in anderen Verfahren gibt die Bundesregierung an, dass die Klage des Vereins für Konsumenteninformation durch das OLG Wien deshalb abgewiesen worden sei, weil die Wiederholungsgefahr, und damit die materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung der Gefahr künftiger Rechtsverletzungen vor Schluss der mündlichen Verhandlung weggefallen sei und daher kein Unterlassungsanspruch bestanden habe. Von einem Obsiegen könne hier nur in prozessualer Hinsicht die Rede sein.

Zum Absehen von der Verfolgung einer Straftat und zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Wien mit Benachrichtigung vom 5. Juli 2010 sei auszuführen, dass dies gemäß §190 Z2 StPO mangels nachweisbaren Vorsatzes erfolgt sei, sodass von einem Obsiegen auch hier nur bezogen auf die subjektive Tatseite die Rede sein könne. Schließlich sei auch - wie aus der Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. Jänner 2011 ersichtlich - das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Geschäftsführer der antragstellenden Gesellschaft gemäß §45 Abs1 Z2 VStG "mangels subjektiver Tatseite" eingestellt worden. Daraus sei zwar abzuleiten, dass der Beschuldigte die Verwaltungsübertretung nicht begangen habe, jedoch nicht, dass die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung darstelle; ansonsten wäre nach §45 Abs1 Z1 zweiter Fall VStG einzustellen gewesen.

6. Die antragstellende Gesellschaft replizierte auf die Äußerung der Bundesregierung.

II.

Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrags erwogen:

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

2. Aus dem Vorbringen geht nicht hervor, dass und weshalb die antragstellende Gesellschaft nach einer allfälligen Aufhebung im beantragten Ausmaß - nämlich der Wortfolgen "und andere" in §2 Abs1 Z2 GSpG sowie "oder von anderen" in §2 Abs1 Z3 GSpG - nicht mehr dem Anwendungsbereich des §2 GSpG unterliegen würde. Auch bei Beseitigung dieser Wortfolgen ist anzunehmen, dass die Voraussetzungen des §2 Abs1 Z2 und 3 GSpG durch ein Gewinnspiel, wie es von der antragstellenden Gesellschaft angeboten wird, nach wie vor erfüllt sind, sofern die Teilnahme am Gewinnspiel nicht per Postkarte unentgeltlich, sondern entgeltlich über eine Mehrwert-SMS erfolgt: Zum einen wird die vermögenswerte Leistung des Einsatzes vom Spieler erbracht (Z2), zum anderen wird die vermögenswerte Leistung des Gewinns von der antragstellenden Gesellschaft, also vom Unternehmer, in Aussicht gestellt (Z3). Dass es darauf ankommt, wem der Gewinn in Aussicht gestellt wird (dem Spieler oder einem Dritten), ist in §2 Abs1 Z2 und 3 GSpG nicht vorgesehen; dies stellt somit keine Voraussetzung für die Anwendung der glücksspielrechtlichen Bestimmungen für Ausspielungen dar. Die derzeitige Rechtsposition der antragstellenden Gesellschaft wird durch die bekämpften Wortfolgen somit nicht verändert. Sie ist daher nicht unmittelbar in ihren Rechten betroffen.

3. Sofern die Teilnahme am Gewinnspiel aber unentgeltlich erfolgt, wird vom Spieler nicht die nach §2 Abs1 Z2 GSpG erforderliche vermögenswerte Leistung erbracht und fällt das solcherart durchgeführte Spiel von vornherein nicht unter den Ausspielungsbegriff des §2 Abs1 GSpG. Auch in dieser Konstellation fehlt es daher an einer unmittelbaren rechtlichen Betroffenheit der antragstellenden Gesellschaft.

III.

1. Der Antrag ist daher mangels Legitimation zurückzuweisen, ohne dass darauf einzugehen ist, ob die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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