VfGH KI-5/12

VfGHKI-5/123.10.2012

Zuständigkeit des Amts der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde zur Entscheidung über einen auf das Eigentumsrecht gestützten Unterlassungsanspruch in Bezug auf in das Zusammenlegungsverfahren im Sinne der Flurverfassung einbezogene Grundstücke

Normen

B-VG Art138 Abs1 Z1
Tir FlVLG 1996 §2, §72
B-VG Art138 Abs1 Z1
Tir FlVLG 1996 §2, §72

 

Spruch:

I. Zur Entscheidung über den vom Antragsteller gegen die mitbeteiligte Partei geltend gemachten Anspruch, das Zuleiten von Regenwasser von ihrem Grundstück Nr. 5 in EZ 580 des GB 86026 Nesselwängle auf das Grundstück des Antragstellers, Grundstück Nr. 7 in EZ 581 des GB 86026 Nesselwängle zu unterlassen, ist das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz zuständig.

II. Der entgegenstehende Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz vom 29. Februar 2012, Zl. AgrB-ZH402/326-2012, wird aufgehoben.

III. Das Land Tirol ist schuldig, dem Antragsteller zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.

1. Mit dem auf Art138 Abs1 Z1 B-VG und §46 Abs1 Z1 VfGG gestützten Antrag wird die Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bezirksgericht Reutte und dem Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz begehrt. Diesem Begehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstückes Nr. 7 in EZ 581 des GB 86026 Nesselwängle, welches an das im Eigentum der mitbeteiligten Partei stehende Grundstück Nr. 5 in EZ 580 des GB 86026 Nesselwängle grenzt. Beide Grundstücke sind Teile des Zusammenlegungsgebietes im Verfahren zur Zusammenlegung der landwirtschaftlichen Grundstücke von Nesselwängle, das mit Verordnung des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz vom 22. April 1998 gemäß §3 des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes 1996 (TFLG 1996), LGBl. 74/1996, eingeleitet wurde. Mit der beim Bezirksgericht Reutte gegen die mitbeteiligte Partei eingebrachten Klage zu 2 C16/12 s begehrte der Antragsteller als Kläger, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, das Zuleiten von Regenwasser von ihrem Grundstück auf jenes des Klägers zu unterlassen. Das Bezirksgericht Reutte wies die Klage mit Beschluss vom 10. Jänner 2012 wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und begründete dies, von der Zugehörigkeit beider Grundstücke zum Zusammenlegungsgebiet ausgehend, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes damit, dass §72 Abs5 TFLG 1996 eine Sondervorschrift sei, die nach der Absicht des Gesetzgebers eine Erweiterung der Zuständigkeit über die Bestimmung des vorangehenden Absatzes hinaus enthalte, sodass jeder Streit über Eigentum und Besitz vor die Agrarbehörden gehöre, sofern die betroffenen Grundstücke nur überhaupt in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen seien. Die sich aus §72 Abs4 TFLG 1996 scheinbar ergebenden Ausnahmen, zum Beispiel ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung steht, schränke die Zuständigkeit der Agrarbehörde für Streitigkeiten über Eigentum und Besitz in Bezug auf das eingeleitete Zusammenlegungsverfahren nicht ein.

1.2. Der Antragsteller stellte sodann am 19. Jänner 2012 einen mit dem Klagebegehren inhaltsgleichen Antrag an das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz. Diesen wies die Agrarbehörde mit Bescheid vom 29. Februar 2012 unter Berufung auf §72 Abs4 TFLG 1996 wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Im gegenständlichen Fall handle es sich ausschließlich um "in Anspruch genommene Grundstücke" im Sinne des §2 Abs2 litb TFLG 1996, bei welchen bislang keine Grenzänderungen erfolgten. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch stehe weder mit einer erforderlichen agrarischen Operationsmaßnahme noch mit einer zu treffenden Neuordnung der Eigentumsverhältnisse an den betroffenen Grundstücken in irgendeinem Zusammenhang. Um die Zuständigkeit der Agrarbehörde zu begründen, müsste es sich jedoch um solche Verhältnisse handeln, die zum Zweck der Durchführung der Zusammenlegung in das Verfahren unbedingt einbezogen werden müssten. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine rein privatrechtliche Auseinandersetzung zwischen zwei Grundeigentümern, die losgelöst vom anhängigen Zusammenlegungsverfahren zu beurteilen sei und auf dieses keine Auswirkungen hätte.

2. Der Antragsteller stützt den Antrag auf den Umstand, dass sich sowohl das Bezirksgericht Reutte als auch das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde

I. Instanz für unzuständig erklärt hätten. Es wird beantragt, über den Kompetenzkonflikt zu entscheiden, den entgegenstehenden behördlichen Akt aufzuheben und dem Antragsteller die durch das Verfahren entstandenen Kosten zu ersetzen.

3. Das Bezirksgericht Reutte sowie das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz übermittelten die Bezug habenden Gerichts- bzw. Verwaltungsakten und erstatteten beide eine inhaltlich der jeweiligen Entscheidungsbegründung entsprechende Äußerung.

II.

1. Unter Bedachtnahme auf die Identität des Entscheidungsgegenstandes sowohl des gerichtlichen als auch des agrarbehördlichen Verfahrens sind - wie auch die Prozessparteien nicht bezweifeln - die Verfahrensvoraussetzungen des geltend gemachten verneinenden Kompetenzkonfliktes erfüllt. Entgegen der vom Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz vertretenen Rechtsauffassung ist deren Zuständigkeit zur Sachentscheidung über den vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch gegeben.

2. In seinem Erkenntnis VfSlg. 15.352/1998, dem ein diesem grundsätzlich gleichgelagerter Rechtsfall zugrunde lag, hat der Gerichtshof unter Bezugnahme auf seine Vorjudikatur (VfSlg. 3798/1960, 5747/1968, 7800/1976) sowie auf die damit übereinstimmende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (SZ 59/212 und SZ 49/128) den Standpunkt eingenommen, dass die Zuständigkeit der Agrarbehörde für Streitigkeiten über Eigentum und Besitz in Bezug auf in das Zusammenlegungsverfahren einbezogene Grundstücke umfassend ist und durch die sich aus §72 Abs4 TFLG 1996 scheinbar ergebenden Ausnahmen (zum Beispiel ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung steht) nicht eingeschränkt wird. Der Verfassungsgerichtshof hält diesen Standpunkt aufrecht (s. auch VfSlg. 15.353/1998, 15.604/1999, 17.785/2006). Der von der Agrarbehörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Argumentation, dass sich §72 Abs4 TFLG 1996 nur auf Streitigkeiten über den Bestand von Eigentum und Besitz bezieht, ist insbesondere auch das Erkenntnis

VfSlg. 15.604/1999 entgegenzuhalten, das einen Unterlassungsanspruch betreffend die Ablagerung von Bauschutt betraf.

III.

1. Daraus folgt (unter Beachtung des Umstandes, dass einer der Ausnahmetatbestände des §72 Abs7 TFLG 1996 offenkundig nicht vorliegt), dass das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz zuständig war, über den vom Antragsteller geltend gemachten Unterlassungsanspruch zu entscheiden. Es war sohin die Zuständigkeit der Agrarbehörde festzustellen und deren entgegenstehender Bescheid vom 29. Februar 2012 aufzuheben.

2. Die Entscheidung über den Kostenersatz in der begehrten Höhe stützt sich auf §52 erster Satz VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

und die Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-

enthalten.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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