VfGH A8/12

VfGHA8/1222.11.2012

Zurückweisung der Klage eines Beamten gegen den Bund auf Nachzahlung von Bezügen infolge Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages; keine bloße Liquidierungsklage; Entscheidung über die Gebührlichkeit der Bezugsbestandteile durch Bescheid; auch Voraussetzungen für einen Staatshaftungsanspruch wegen legislativen Unrechts nicht gegeben

Normen

B-VG Art137 / Bescheid
B-VG Art137 / Liquidierungsklage
B-VG Art137 / sonstige Klagen
GehG 1956 §8 Abs1
B-VG Art137 / Bescheid
B-VG Art137 / Liquidierungsklage
B-VG Art137 / sonstige Klagen
GehG 1956 §8 Abs1

 

Spruch:

I. Die Klage wird zurückgewiesen.

II. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt, Klagebegehren und Gegenschrift

1. Der Kläger steht als Justizwachebeamter seit 1. April 1997 in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 19. Februar 1997 wurde der 16. Dezember 1993 als Vorrückungsstichtag des Klägers festgelegt.

2. Mit dem Bescheid des Leiters der Vollzugsdirektion vom 21. Februar 2012 wurde auf Antrag des Klägers durch die zusätzliche Voransetzung von Zeiten der 26. Dezember 1990 als neuer Vorrückungsstichtag (§§12 und 113 Gehaltsgesetz 1956 idF BGBl. I 82/2010) ermittelt. Der Bescheid enthält den "Hinweis", dass die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages "keine Änderung [der] besoldungsrechtlichen Stellung" des Klägers bewirke. Dieser Bescheid wurde vom Kläger nicht bekämpft.

3. In seiner auf Art137 B-VG gestützten Klage gegen den Bund begehrt die klagende Partei die Zahlung von € 12.839,40 samt Anhang sowie die mit € 20.117,02 bewertete Feststellung, "dass der Kläger in Zukunft besoldungsrechtlich so zu stellen ist, wie er unter Heranziehung des Vorrückungsstichtags 26.12.1990 bei Geltung von §8 Abs1 Gehaltsgesetz vor dessen Änderung durch BGBl. I Nr 82/2010 stünde."

Die Klage wird im Wesentlichen darauf gestützt, dass die - in Reaktion des österreichischen Gesetzgebers auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 18. Juni 2009 im Fall Hütter, C-88/08 vorgenommene - Änderung des §8 Abs1 Gehaltsgesetz 1956 mit der Novelle BGBl. I 82/2010 unionsrechtswidrig sei, weil die Zeit in der ersten Gehaltsstufe von zwei auf fünf Jahren verlängert wurde.

4. Der Bund erstattete als beklagte Partei eine Gegenschrift, in der er das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen gemäß Art137 B-VG bestreitet. Bei der vom Kläger geltend gemachten Bezugsdifferenz handle es sich nicht um die Liquidierung eines besoldungsrechtlichen Anspruches, sondern um die dem Dienstrechtsverfahren vorbehaltene Schaffung eines Anspruches. Dem Klagsvorbringen wird weiters entgegengehalten, dass, sofern der Anspruch auf Schadenersatz wegen unionrechtswidrigem hoheitlichen Handeln gestützt wird, die Zuständigkeit des Amtshaftungsgerichtes gegeben sei; die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes scheide auch aus diesem Grund aus.

II. Erwägungen

Zur Zulässigkeit der Klage:

1. Nach Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind. Art137 B-VG enthält demnach für vermögensrechtliche Ansprüche gegen Gebietskörperschaften eine suppletorische Zuständigkeitsordnung, hat aber nicht den Sinn, neben bereits bestehenden Zuständigkeiten eine konkurrierende Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes einzuführen oder jene abzuändern (vgl. VfSlg. 3287/1957, 11.395/1987, 14.647/1996, 18.011/2006 uva.).

2. Mit der Klage wird ein vermögensrechtlicher

Anspruch gegen den Bund geltend gemacht. Er gründet sich auf das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses zu dieser Gebietskörperschaft. Da es sich somit um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, also nicht um eine bürgerliche Rechtssache iSd §1 JN handelt, ist eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung hierüber nicht gegeben.

Es ist aber zu prüfen, ob über den mit Klage geltend gemachten Anspruch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erkennen ist:

Besoldungsrechtliche Ansprüche eines Beamten werden in der Regel in drei Phasen - Schaffung eines Rechtstitels, Bemessung und Liquidierung - verwirklicht. Die letzte Phase (Liquidierung, Auszahlung) ist ein technischer Vorgang, der nur der Verwirklichung der vorangegangenen Bescheide dient, also selbst nicht durch Bescheid der Verwaltungsbehörde zu erledigen ist, sodass für die Entscheidung eines solchen Liquidierungsbegehrens die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art137 B-VG gegeben ist (so die ständige, mit VfSlg. 3259/1957 eingeleitete Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes). Geht es nicht bloß um die Liquidierung eines besoldungsrechtlichen Anspruches, sondern um die Rechtsfrage der Gebührlichkeit, so ist darüber im Streitfall durch Bescheid der zuständigen (Dienst-)Behörde zu entscheiden (vgl. die mit den Erkenntnissen VfSlg. 7172/1973 und 7173/1973 beginnende Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes; weiters zB VfSlg. 10.756/1986, 11.395/1987, 12.313/1990, 15.711/2000 mwN, 16.006/2000, 17.039/2003).

Im vorliegenden Fall besteht Streit darüber, ob durch die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages eine Verbesserung der besoldungsrechtlichen Stellung durch Einreihung in eine höhere Gehaltsstufe des Klägers zu erfolgen hat (vgl. VwGH 4.9.2012, 2012/12/0007); es handelt sich demnach nicht bloß um die Liquidierung dieser Bezugsbestandteile, sondern um die Rechtsfrage der Gebührlichkeit. Für den Kläger besteht die Möglichkeit, einen (Feststellungs-)Bescheid über die Gebührlichkeit des Anspruches zu erwirken, zumal ein rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung vorliegt, in welcher Höhe ihm sein Bezug zusteht. Über die Gebührlichkeit und die Höhe der dem Kläger allenfalls gebührenden Bezugsbestandteile bzw. eine Änderung seiner Vorrückung hätte daher - auf seinen Antrag hin - die zuständige Behörde mit Bescheid zu entscheiden (vgl. VfSlg. 14.401/1996, 15.238/1998, 16.006/2000, 17.039/2003 und 18.011/2006), weil mit der im "Hinweis" des Bescheides vom 21. Februar 2012 enthaltenen Aussage, dass die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages keine Änderung der besoldungsrechtlichen Stellung bewirkt, darüber nicht in einer der Rechtskraft fähigen Weise abgesprochen wurde.

Da sohin über den vom Kläger geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Anspruch mit Bescheid zu erkennen ist, sind die Prozessvoraussetzungen des Art137 B-VG nicht gegeben.

3. Soweit der Kläger seinen Anspruch auf den Titel der Staatshaftung nach Unionsrecht wegen "legislativen Unrechts" stützt, ist zu bemerken, dass der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über vermögensrechtliche Ansprüche aus diesem Titel nur dann zuständig ist, wenn die anspruchsbegründende Handlung oder Unterlassung unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (VfSlg. 18.600/2008). Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur auch ausgesprochen, dass "es bei der Zuständigkeit der ordentliche Gerichte auch für eine gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung [bleibt], wenn der behauptete Schaden an ein verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln [anknüpft]". Aus der Judikatur geht weiters hervor, dass dies auch dann gilt, wenn die verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Handlung "durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmt" ist

(VfSlg. 16.107/2001, 17.611/2005, 18.020/2006, 19.294/2011). Eine auf Unionsrecht gestützte Staatshaftungsklage unterliegt der Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte somit auch dann, wenn die schadenskausale Handlung der Vollziehung durch ein unionsrechtswidriges Gesetz "zwingend vorherbestimmt" sein sollte (VfSlg. 18.505/2008).

Im vorliegenden Fall hat die zuständige (Dienst-)Behörde über die Rechtsfrage der Gebührlichkeit des Anspruches zu befinden (s. oben II.2.); sie hätte auch zu beurteilen, ob die dem behördlichen Verfahren zu Grunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen dem Unionsrecht entsprechen. Da somit die Voraussetzungen für einen Staatshaftungsanspruch wegen "legislativen Unrechts" nicht vorliegen, ist auch aus diesem Grund keine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gegeben.

4. Der Verfassungsgerichtshof ist aus diesen Gründen auch nicht zuständig, über das Feststellungsbegehren zu entscheiden (VfSlg. 5789/1968, 18.600/2008, 19.294/2011).

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Da die Prozessvoraussetzungen des Art137 B-VG

sohin nicht gegeben sind, ist der Verfassungsgerichtshof nicht zuständig, über das Klagebegehren zu entscheiden.

2. Die Klage war zurückzuweisen.

3. Da der beklagte Bund Kosten weder begehrt noch ziffernmäßig verzeichnet hat, waren ihm keine Kosten zuzusprechen (zB VfSlg. 9280/1981 sowie 16.858 - 17.115, 17.536/2003).

4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs3 Z2 VfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

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