VfGH G74/12

VfGHG74/123.12.2012

Verstoß einer Bestimmung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 betreffend den Ausschluss der Möglichkeit der Aufhebung von Einreiseverboten gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

Normen

EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53, §60 Abs1, §69, §72
EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53, §60 Abs1, §69, §72

 

Spruch:

I. §60 Abs1 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2013 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B1097/11 eine Beschwerde gemäß Art144 B-VG anhängig, der im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Der im Jahr 1988 geborene Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsangehöriger, stellte am 1. Oktober 2003 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Dezember 2007 wurde die Berufung abgewiesen. Die Behandlung der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 9. April 2008 abgelehnt. Am 18. Dezember 2009 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 12. Jänner 2010 wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 AVG zurückgewiesen wurde; überdies wurde der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005 in den Herkunftsstaat ausgewiesen. Der Asylgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde mit Entscheidung vom 5. Februar 2010 als unbegründet abgewiesen.

1.2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft

Grieskirchen vom 14. Dezember 2007 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §§60, 62, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (idF BGBl. I 157/2005) wegen gerichtlich strafbarer Handlungen (rechtskräftige Verurteilungen wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls und des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch) ein unbefristetes Rückkehrverbot für das österreichische Bundesgebiet erlassen. In der Eingabe vom 26. September 2008 beantragte der Beschwerdeführer u.a. die "Aufhebung des Rückkehrverbotes gem. §65 FPG". Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 5. März 2009 wurde der Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbotes im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass "nicht absehbar [sei], wann [die vom Beschwerdeführer ausgehende] Gefahr nicht mehr" bestehe. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 23. August 2011 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen gemäß §66 Abs4 AVG "als unbegründet abgewiesen und der bekämpfte Bescheid bestätigt". In rechtlicher Hinsicht führte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich im Wesentlichen aus, dass einem Fremden gemäß §60 Abs1 FPG nur im Falle eines höchstens 5-jährigen Einreiseverbotes - nicht aber wie im gegenständlichen Fall bei einem unbefristeten Einreiseverbot - das Recht zustehe, dessen Aufhebung zu beantragen. Die fehlende Antragslegitimation führe zwangsläufig zur Zurückweisung des vorliegenden Ansuchens.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die eingangs genannte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt werden.

2. Bei der Behandlung dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §60 Abs1 FPG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof leitete daraufhin mit Beschluss vom 20. Juni 2012 gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der genannten Bestimmung ein.

Der Verfassungsgerichtshof hegte das Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung des §60 Abs1 FPG dem Sachlichkeitsgebot des ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, widerspricht und gegen Art8 EMRK verstößt.

Die Bundesregierung erstattete am 10. Juli 2012 zu den im Beschluss geäußerten Bedenken eine Äußerung. Diese enthält im Wesentlichen Ausführungen zum systematischen Aufbau des FPG seit der Novelle BGBl. I 38/2011 und der damit zusammenhängenden Differenzierung zwischen den Maßnahmen des FPG nach der Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit des vorangegangenen Aufenthalts. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes würden nach Auffassung der Bundesregierung nicht zutreffen. Eine Unsachlichkeit liege nicht vor, weil die Unterscheidung der Zulässigkeit der gänzlichen Aufhebung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme an die Rechtsmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des vorangegangen Aufenthalts eines Fremden und damit an ein sachliches Kriterium anknüpfe. Auch sei hinsichtlich der beschränkten Möglichkeit der Herabsetzung des Einreiseverbotes das Abstellen auf den Grad der Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit kein unsachliches Unterscheidungskriterium. Auch die Bedenken hinsichtlich des Verstoßes gegen Art8 EMRK würden nicht zutreffen, es sei gerechtfertigt, dass es für Drittstaatsangehörige, die während ihres nicht rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet schwerste Straftaten begehen, grundsätzlich keine Möglichkeit geben soll, vorzeitig in das Bundesgebiet zurückzukehren.

II. Rechtslage

1. Die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgebliche Rechtslage (§§52 Abs1, 53, 60, 69 und 72 FPG - jeweils samt Überschrift) nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011 (Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011), stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar (die aufgehobene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Rückkehrentscheidung

§52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen ist,

sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist §66 Abs4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

[...]

Einreiseverbot

§53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung wird ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs1 ist, vorbehaltlich des Abs3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §20 Abs2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm §26 Abs3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß §99 Abs1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß §37 Abs3 oder 4 FSG, gemäß §366 Abs1 Z1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§81 oder 82 des SPG, gemäß den §§9 oder 14 iVm §19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs3 genannte Übertretung handelt;

4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag, es sei denn, er ist rechtmäßig zur Arbeitsaufnahme eingereist und innerhalb des letzten Jahres im Bundesgebiet mehr als sechs Monate einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen;

7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art8 EMRK nicht geführt hat oder

9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§278e StGB);

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. §73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs3 Z1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

[...]

Verkürzung, Gegenstandslosigkeit und Aufhebung

§60. (1) Die Behörde kann ein Einreiseverbot gemäß §53 Abs1 und 2 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände auf die Hälfte des festgesetzten Zeitraumes herabsetzen, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.

(2) Die Rückkehrentscheidung wird zu einem Rückkehrverbot, wenn der Drittstaatsangehörige einen Antrag auf internationalen Schutz einbringt.

(3) Die Rückkehrentscheidung wird gegenstandslos,

wenn einem Drittstaatsangehörigen

1. der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird;

2. ein Aufenthaltstitel gemäß §§41a Abs9 und 10, 43 Abs3 und 4 und 69a NAG erteilt wird.

(4) Das Rückkehrverbot wird gegenstandslos, wenn

einem Drittstaatsangehörigen

1. der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird;

2. der Status des subsidiär Schutzberechtigten

aberkannt wurde, ohne dass damit eine Ausweisung gemäß §10 Abs2 AsylG 2005 verbunden wurde.

(5) Das Rückkehrverbot ist auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

[...]

Gegenstandslosigkeit und Aufhebung

§69. (1) [...]

(2) Eine Ausweisung und ein Aufenthaltsverbot sind auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

(3) Das Aufenthaltsverbot tritt außer Kraft, wenn

einem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird.

[...]

Wiedereinreise während der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbots

§72. (1) Während der Gültigkeitsdauer des Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes darf der Fremde ohne Bewilligung nicht wieder einreisen.

(2) Die Bewilligung zur Wiedereinreise kann dem Fremden auf Antrag erteilt werden, wenn dies aus wichtigen öffentlichen oder privaten Gründen notwendig ist, die für das Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot maßgeblichen Gründe dem nicht entgegenstehen und auch sonst kein Visumsversagungsgrund vorliegt. Mit der Bewilligung ist auch die sachlich gebotene Gültigkeitsdauer festzulegen.

(3) Die Bewilligung kann im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit mit Auflagen belegt werden; hiebei ist auf den Zweck des Aufenthalts Bedacht zu nehmen. Auflagen sind insbesondere die Vorschreibung bestimmter Grenzübergangsstellen und Reiserouten, die Beschränkung des Aufenthalts auf den Sprengel einer Bezirksverwaltungsbehörde sowie die Verpflichtung, sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden. Die Erteilung von Auflagen ist im Reisedokument ersichtlich zu machen.

(4) Die Bewilligung wird ungeachtet des Bestehens

eines rechtskräftigen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes in Form eines Visums erteilt.

(5) Die Bewilligung ist zu widerrufen, wenn

nachträglich Tatsachen bekannt werden, die ihre Versagung gerechtfertigt hätten, wenn die Gründe für ihre Erteilung weggefallen sind oder wenn der Fremde während seines Aufenthalts im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das

1. im Zusammenhang mit den Gründen, die für das Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot maßgeblich waren, dessen unverzügliche Durchsetzung erforderlich macht oder

2. die Erlassung einer Rückkehrentscheidung oder

neuerlich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen würde.

(6) Die Bewilligung wird durch Ungültigerklärung im Reisedokument widerrufen.

[...]"

2. Im Besonderen Teil der Erläuterungen (RV 1078 BlgNR 24. GP, 30, 32 f.) wird zu §60 FPG auszugsweise Folgendes ausgeführt:

"Zu §60:

Der neue §60 normiert, unter welchen Voraussetzungen die Dauer des 'kleinen' Einreiseverbotes herabgesetzt werden kann, die gesamte Rückkehrentscheidung gegenstandslos wird oder das Rückkehrverbot gegenstandslos oder aufgehoben wird.

Gemäß Abs1 kann ein Einreiseverbot gemäß §[...] 53 Abs1 und 2 - also ein solches, [d]as für die Dauer von höchsten fünf Jahren erlassen wurde - auf Antrag [...] auf die Hälfte des festgesetzten Zeitraumes herabgesetzt werden, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes durchgehend im Ausland verbracht hat und die für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände dem nicht entgegenstehen (Umsetzung des Art11 Abs3 iVm Abs1 Unterabsatz 2 der RückführungsRL). Eine solche Entscheidung berührt daher aber keinesfalls die ursprüngliche Entscheidung zur Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots und führt zu keiner Trennung des einheitlichen Spruchpunktes.

Die fristgerechte Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten hat der Drittstaatsangehörige in geeigneter Art und Weise nachzuweisen.

[...]

Abs5 bezieht sich nur noch auf die Aufhebung eines Rückkehrverbotes und entspricht dem §65 Abs1 der geltenden Rechtslage." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

III. Erwägungen

1.1. Zu den formellen Voraussetzungen des Gesetzesprüfungsverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig Folgendes angenommen:

"[...] Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist.

[...] Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass er §60 Abs1 FPG in seinem Verfahren anzuwenden hat, weil sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf diese Bestimmung bezieht, sie diese Bestimmung somit angewendet hat und die Anwendung denkmöglich war (vgl. VfSlg. 4625/1963, 5373/1966, 8999/1980, 11.644/1988, 11.945/1989, 15.202/1998, 15.215/1998, 15.267/1998, 17.606/2005). Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig weiters davon aus, dass §60 Abs1 FPG die Voraussetzungen für die 'Verkürzung, Gegenstandslosigkeit und Aufhebung' eines Einreiseverbotes abschließend regelt und die Regelung in einem untrennbaren Zusammenhang steht

(VfSlg. 15.631/1999, 15.773/2000, 16.212/2001).

[...] Da auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorzuliegen scheinen, dürfte das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig sein."

1.2. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde zu B1097/11 und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung sprechen. Es ist jedenfalls denkmöglich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich die angefochtene Wortfolge in dem dem Prüfungsbeschluss zugrunde liegenden Verfahren anzuwenden hatte. Auch die Bundesregierung bestreitet die Präjudizialität der Bestimmung nicht. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig.

2. In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung des §60 Abs1 FPG das Bedenken, dass der Ausschluss der Möglichkeit der Aufhebung eines Einreiseverbotes gegen Art8 EMRK verstößt, und begründete seine Bedenken wie folgt:

"[...] Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) davon aus, dass aus Art8 EMRK keine generelle Verpflichtung abzuleiten ist, dem Wunsch der Fremden, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat aufzuhalten, nachkommen zu müssen. Die Europäische Menschenrechtskonvention verbürgt Ausländern demnach kein Recht auf Einreise, Einbürgerung und Aufenthalt (s. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 §22 Rz 65) und der EGMR erkennt an, dass jeder Staat das Recht hat, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen in sein Gebiet einem Kontrollregime zu unterwerfen (EGMR 28.5.1985, Fall Abdulaziz ua., Appl. 9214/80, Z68). Art8 EMRK umfasst nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben (s. EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94, Z38). Bei der Festlegung der Bedingungen für die Einwanderung, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden wird den Vertragsstaaten ein weiter Gestaltungsspielraum zugestanden (zB EGMR 18.2.1991, Fall Moustaquim, Appl. 12.313/86, EuGRZ 1993, 552; 19.2.1998, Fall Dalia, 154/1996/773/974, ÖJZ 1998, 937; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554 mwN).

Nach der Rechtsprechung des EGMR kann es jedoch bei der Einreise oder dem Aufenthalt von Fremden verschiedene Fallgruppen geben, in denen die Möglichkeit eines Eingriffes in Art8 EMRK besteht (vgl. EGMR 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 22.4.2004, Fall Radovanovic, Appl. 42.703/98; 17.1.2006, Fall Mendizabal, Appl. 51.431/99; 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer,

Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 22.6.2006, Fall Kaftailova, Appl. 59.643/00). Der Verfassungsgerichtshof hat ausgesprochen (VfSlg. 17.013/2003, 17.734/2005 und 18.517/2008), dass sich aus Art8 EMRK unter besonderen Umständen eine Verpflichtung des Staates ergeben kann, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen. In den Fällen Radovanovic und Dalia hat sich der EGMR mit Anträgen auf Aufhebung von Aufenthaltsverboten befasst und im Fall Radovanovic die Verletzung des Art8 EMRK durch ein unbefristetes Aufenthaltsverbot festgestellt.

[...] Die in Prüfung gezogene Bestimmung des §60 Abs1 FPG scheint nun generell die Möglichkeit auszuschließen, dass ein länger als auf fünf Jahre verhängtes Einreiseverbot - oder ein als solches geltendes Rückkehrverbot - für den Zeitraum der Dauer desselben bzw. - bei unbefristeten Verboten - jemals aufgehoben werden kann; dies scheint für den Fremden dazu zu führen, dass er während der Dauer bzw. für immer einen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht begründen kann. Eine solche Regelung dürfte jedoch im Widerspruch zu Art8 EMRK stehen, weil es die in Prüfung gezogene Bestimmung dem Fremden unmöglich zu machen scheint, durch das Verbot der Einreise und letztendlich des Aufenthaltes in Österreich - bzw. im 'Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten' (vgl. RV 1078 BlgNR 24. GP, 29) - sein Familienleben während des Bestehens des Einreiseverbotes auszuüben; dies auch dann, wenn die Gründe, die zur Erlassung geführt haben, weggefallen sind, sich die Familiensituation maßgeblich geändert hat oder einem gemeinsamen Familienleben im Heimatstaat des Fremden wesentliche Hindernisse entgegenstehen oder der Aufenthalt eines Teils der Familie in Österreich derart gefestigt ist, dass eine Übersiedlung in den Heimatstaat unzumutbar ist (vgl. EGMR 21.12.2001, Fall Sen, Appl. 31.465/96 sowie Fall Dalia und Fall Radovanovic).

Daran dürfte auch die 'besondere Bewilligung' der 'Wiedereinreise während der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbots' gemäß §72 FPG nichts ändern, weil damit nur ein vorläufiges Recht auf befristeten Aufenthalt verbunden zu sein scheint und sich nichts an den mit einem Einreiseverbot verbundenen Folgen ändern dürfte."

2.1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art8 EMRK bringt die Bundesregierung in ihrer Äußerung Folgendes vor:

"[...] Dieses Bedenken trifft nach Auffassung der Bundesregierung [...] nicht zu:

[...] Wie der Verfassungsgerichtshof zutreffend

ausführt, verbürgt die EMRK Ausländern kein Recht auf Einreise, Einbürgerung und Aufenthalt und wird den Vertragsstaaten vom EGMR bei der Festlegung der Bedingungen für die Einwanderung, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden ein weiter Gestaltungsspielraum zugestanden (zB EGMR 18.2.1991, Moustaquim, Nr. 12313/86, EuGRZ 1993, 552; 19.2.1998, Dalia, 154/1996/773/974, ÖJZ 1998, 937; 16.6.2005, Sisojeva, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).

Der EGMR erkennt es grundsätzlich als ein legitimes Interesse der Vertragsstaaten an, straffällig gewordene Ausländer auszuweisen (EGMR [...] 18.2.1991, Moustaquim, Nr. 12313/86, Z43; 26.3.1992, Beldjoudi, Nr. 12083/86, EuGRZ 1993, 556, Z. 74; 30.11.1999, Baghli, Nr. 34374/97, Z40; 17.4.2003, Yilmaz, Nr. 52853/99, NJW 2004, 2147, Z41). Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung von familiär gebundenen Straftätern stellt der EGMR auf eine Reihe von Kriterien ab, die zur Gewichtung des Interesses der Allgemeinheit an der Ausweisung und dem Interesse des Betroffenen an der Ermöglichung seines Familienlebens herangezogen werden (vgl. insbesondere EGMR, 2.8.2001, Boultif, Nr. 54273/00, Z48; 18.10.2006, Üner, Nr. 46410/99, Z59 f; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Auflage, 2012, S. 270 mwH).

Die Begehung strafbarer Handlungen spielt dabei eine große Rolle (vgl. Oswald, Das Bleiberecht, 2012, S. 259 ff). Der EGMR nennt die Natur und Schwere der begangenen Straftaten als ein zu beachtendes Kriterium (vgl. etwa EGMR, 2.8.2001, Boultif, Nr. 54273/00, Z48). Zum Beispiel sah der EGMR in der Ausweisung eines Beschwerdeführers, der wegen Zuhälterei zu einer erheblichen Freiheitsstrafe verurteilt worden war (EGMR, 24.4.1996, Boughanemi, Nr. 22070/93, ÖJZ 1996, 834), und eines Beschwerdeführers, der vor einer ersten Ausweisung eine Vergewaltigung begangen hatte und illegal wieder eingereist war (EGMR, 29.1.1997, Bouchelkia, Nr. 23078/93, ÖJZ 1998, 116), trotz gegebener Familienbindung keinen Verstoß gegen Art8 EMRK. Auch für den Verfassungsgerichtshof sind die strafgerichtliche Unbescholtenheit und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung maßgebliche Kriterien (zB VfSlg. 18.224/2007).

Grundsätzlich ausgewiesen werden kann, wer sich

illegal im Gastland aufhält (Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2. Auflage, 2010, Rz. 285). Wie oben unter Punkt II.1. bereits ausgeführt, pflichtet der Verfassungsgerichtshof der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts große Bedeutung bei (VfSlg. 19.086/2010). Auch die Frage, ob das Privat- oder Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthalts bewusst waren, ist von Bedeutung (VfSlg. 18.224/2007 mwH auf die Rechtsprechung des EGMR).

[...] §60 Abs1 FPG stellt - in Umsetzung von Art11 Abs2 zweiter Satz der Rückführungsrichtlinie und ihrer Zielsetzung sowie aus Gründen der Generalprävention - auf eben diese Kriterien, nämlich insbesondere die Schwere der Straftaten und die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts, ab. Für Drittstaatsangehörige, die während ihres nicht rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet schwerste Straftaten begehen, soll es nach ergangener Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot schon von Gesetzes wegen grundsätzlich keine Möglichkeit geben, vorzeitig, also vor Ablauf des Einreiseverbotes, in das Bundesgebiet zurückzukehren. Auch nach der [...] bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist angesichts der rechtkräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von einem Aufenthaltsverbot offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes gelegen. Die Möglichkeit einer Abänderung und Behebung des Einreiseverbots von Amts wegen nach §68 AVG und die Möglichkeit einer Wiedereinreise während der Gültigkeitsdauer des Einreiseverbotes nach §72 FPG bleiben davon unberührt. Nach Auffassung der Bundesregierung wird damit der von Art8 EMRK eingeräumte weite Gestaltungsspielraum nicht überschritten."

2.2. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken

treffen zu. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was diese zerstreuen könnte.

Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner bisherigen - im Prüfungsbeschuss unter Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dargelegten - Rechtsprechung fest, wonach zwar aus Art8 EMRK keine generelle Verpflichtung abzuleiten ist, dem Wunsch der Fremden, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat aufzuhalten, nachkommen zu müssen (s. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 §22 Rz 65), sich aber unter besonderen Umständen aus Art8 EMRK eine Verpflichtung des Staates ergeben kann, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen (VfSlg. 17.013/2003, 17.734/2005 und 18.517/2008). Dadurch ergeben sich für die Mitgliedstaaten Einschränkungen in ihrer Gestaltungsfreiheit in der Regelung des Einwanderungs- und Aufenthaltsrechts bis hin zur Pflicht, Einreise oder Aufenthalt zu gewähren (s. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 §22 Rz 65).

Auf Grund des ausdrücklichen Wortlautes des §60 Abs1 FPG ist eine gänzliche Aufhebung eines ausgesprochenen Einreiseverbotes überhaupt nicht und die Herabsetzung auf die Hälfte des festgesetzten Zeitraumes eines solchen - im Hinblick auf den Verweis auf §53 Abs1 und 2 leg.cit. - nur dann möglich, wenn es nicht für einen fünf Jahre übersteigenden Zeitraum erlassen wurde. Diese Regelung bewirkt, dass es einem Fremden jedenfalls für einen bestimmten Zeitraum bzw. unbefristet nicht möglich ist, das österreichische Bundesgebiet zu betreten oder in dieses zurückzukehren. §60 Abs1 FPG schließt damit eine Aufhebung von Einreiseverboten grundsätzlich aus.

Eine Möglichkeit zur Aufhebung des Einreiseverbotes besteht selbst dann nicht, wenn die Gründe, die zur Erlassung des Einreiseverbotes geführt haben, nachträglich weggefallen sind: Während nämlich bei Rückkehr- und Aufenthaltsverboten aus den sich aus dem Verfassungsrecht ergebenden Gründen eine Aufhebungsmöglichkeit durch den Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen wurde (§60 Abs5 und §69 Abs2 FPG), enthalten die Bestimmungen über das Einreiseverbot keine solche Möglichkeit. Da das FPG die Aufhebungsgründe bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abschließend regelt, schließt §60 Abs1 FPG auch eine Interpretation dahingehend aus, dass eine Aufhebung bei Wegfall der Gründe, die zur Erlassung geführt haben, auch bei Einreiseverboten möglich ist; einem Antrag auf Aufhebung eines Einreiseverbotes wäre - abgesehen von der Herabsetzungsmöglichkeit im Fall des §53 Abs1 und 2 leg.cit - daher nicht stattzugeben.

Damit macht es §60 Abs1 FPG aber unmöglich, der sich aus Art8 EMRK ergebenden Verpflichtung, unter besonderen Umständen den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, nachzukommen, und zwar insbesondere auch in jenen Fällen, in denen die Gründe, die zur Erlassung geführt haben, nachträglich weggefallen sind, sich die Familiensituation maßgeblich geändert hat oder einem gemeinsamen Familienleben im Heimatstaat des Fremden wesentliche Hindernisse entgegenstehen. Die Berücksichtigung solcher besonderen Umstände, die nach Verhängung des Einreiseverbotes eintreten oder zum Vorschein gelangen, durch die Vornahme einer Interessenabwägung wird dadurch in allen Fallkonstellationen unmöglich gemacht, weil auch Einreiseverbote bis zu fünf Jahren nicht aufgehoben, sondern nur bis auf die Hälfte herabgesetzt werden können. Dadurch wird deutlich, dass selbst für einen nicht straffällig gewordenen Fremden, über den ein Einreiseverbot bis zu fünf Jahren verhängt wurde, es für die Hälfte der Dauer dieses Einreiseverbotes unmöglich ist, in das Bundesgebiet zurückzukehren.

Die Bundesregierung bestreitet nicht, dass es keine Möglichkeit der Aufhebung von Einreiseverboten gibt. Damit gesteht sie auch zu, dass zu keinem späteren Zeitpunkt und in keiner Konstellation (auch dann, wenn die Betroffenen nicht auf Grund der Begehung von schweren Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen) eine neuerliche Abwägung der Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben, erfolgen kann. Fallen jedoch beispielsweise die Voraussetzungen für die Erlassung des Einreiseverbotes überhaupt weg, so kann es dazu kommen, dass es an der Erforderlichkeit bzw. der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes in das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens fehlt. Angesichts der Intensität des Eingriffes muss es auch in solchen Fällen möglich sein, eine entsprechende Abänderung des Einreiseverbotes bewirken zu können. Auch die von der Bundesregierung ins Treffen geführte Möglichkeit einer amtswegigen Aufhebung nach §68 AVG vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, da dadurch dem Betroffenen kein Antragsrecht eingeräumt wird. Hinsichtlich §72 FPG ist festzustellen, dass die dadurch vorgesehene Möglichkeit einer Wiedereinreisebewilligung das Einreiseverbot nicht beseitigt und den Aufenthalt nur vorläufig und unter restriktiven Bedingungen ermöglicht. Die übrigen Wirkungen des Einreiseverbotes, wie etwa die Tatsache, dass es im Rahmen eines Verfahrens zur Erlangung eines anderen Aufenthaltstitels zu berücksichtigen ist bzw. einen Hinderungsgrund darstellt, werden nicht beseitigt.

3. Da sich §60 Abs1 FPG schon auf Grund des Widerspruches zu Art8 EMRK als verfassungswidrig erwiesen hat, ist auf die weiteren im Prüfungsbeschluss aufgeworfenen Bedenken nicht weiter einzugehen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. §60 Abs1 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG), BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG. Die Frist dient dem Gesetzgeber zur Herstellung einer verfassungskonformen gesetzlichen Regelung des Fremdenpolizeigesetzes.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche

Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur

unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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