VfGH A7/10

VfGHA7/1021.2.2011

Klage auf Herausgabe eines gerichtlich beschlagnahmten Sparbuchs unzulässig; Geltendmachung des Anspruchs im ordentlichen Rechtsweg; Überprüfung der einstweiligen Verfügung durch Entscheidung des Gerichts

Normen

B-VG Art137 / ord Rechtsweg
FinStrG §207a
StPO §106, §109, §115, §516
VfGG §41
B-VG Art137 / ord Rechtsweg
FinStrG §207a
StPO §106, §109, §115, §516
VfGG §41

 

Spruch:

I. Die Klage wird zurückgewiesen.

II. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt

1. In ihrer auf Art137 B-VG gestützten Klage begehrt die Klägerin, der Verfassungsgerichtshof wolle folgendes Urteil fällen:

"1. die Republik Österreich (Landesgericht Wiener Neustadt) ist bei sonstiger Exekution binnen 14 Tagen schuldig, der Klägerin

das Sparbuch mit der Kontonummer ... bei der [V. Bank] im Original

auszufolgen;

2. die Republik Österreich (Landesgericht Wiener Neustadt) ist ferner schuldig, der klagenden Partei zu Handen des ausgewiesenen Rechtsvertreters die Kosten dieses Rechtsstreites binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen."

2. Zum Sachverhalt bringt die Klägerin - auf das Wesentliche zusammengefasst - Folgendes vor:

Gegen den Sohn der Klägerin seien im Zusammenhang mit Abgabenhinterziehung, Verletzung abgabenrechtlicher Anzeigen-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten und Verkürzung der Umsatzsteuer bereits seit 2001/2002 Erhebungen im Gange. Der Klägerin werde vorgeworfen, Beitragstäterin zu sein. Mit einstweiliger Verfügung der Ratskammer des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Februar 2007 sei zur Sicherung der Geldstrafe, des Verfalles und des Wertersatzes ein im Zuge einer Hausdurchsuchung aufgefundenes Sparbuch der Klägern gemäß §207a Abs1 FinStrG beschlagnahmt worden. Dieses Sparbuch werde bis heute gerichtlich verwahrt. Die einstweilige Verfügung sei u.a. damit begründet worden, dass die Klägerin diverse Geldtransfers an ein näher bezeichnetes Unternehmen vorgenommen hätte und als "Statthalterin" des Hauptbeschuldigten anzusehen wäre. Die einstweilige Verfügung sei bis zur rechtskräftigen Erledigung des u. a. gegen die Klägerin geführten Verfahrens bewilligt worden. Dies verstoße gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung ("ordre public"), die sich bereits in der Exekutionsordnung im Zusammenhang mit einstweiligen Verfügungen manifestieren.

Mit der Novellierung der StPO seien (aufgrund der Übergangsbestimmung des §516 leg.cit.) bestimmte Voruntersuchungen von Gesetzes wegen eingestellt worden, so auch jenes Verfahren, in dem die strittige einstweilige Verfügung erlassen wurde. Mit der Einstellung solcher Voruntersuchungen sei nach §516 StPO die Zuständigkeit für die Beschlagnahme vom Strafgericht auf die Staatsanwaltschaft übergegangen. Das Landesgericht Wiener Neustadt habe deshalb den von der Klägerin gestellten Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Diese Situation sei für die Klägerin in Anbetracht ihres Alters nicht mehr länger hinnehmbar. Die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung auf unbestimmte Dauer und ohne Fristsetzung für die Einleitung eines Strafverfahrens sei rechtlich unzulässig.

3. Zur Zulässigkeit der Klage nach Art137 B-VG führt die Klägerin aus, dass unter einem vermögensrechtlichen Anspruch auch ein Anspruch auf eine geldwerte Leistung, wie im vorliegenden Fall die Herausgabe eines beschlagnahmten Sparbuches, zu verstehen sei. Da das Landesgericht Wiener Neustadt den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 9. Februar 2010 zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet habe, liege "keine wirkliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Rückforderungsansprüche des zu Unrecht beschlagnahmten Sparbuches mehr vor". Zumindest sei bei den ordentlichen Gerichten kein Strafverfahren nach dem FinStrG anhängig, nach dem die einstweilige Verfügung vom 16. Februar 2007 erlassen wurde. Ebenso wenig sei die Herausgabe dieses Sparbuches durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B-VG sei daher gegeben.

4. Der beklagte Bund (Bundesministerin für Justiz) hat, vertreten durch die Finanzprokuratur, eine Gegenschrift erstattet, in der er die Zulässigkeit und die Berechtigung der Klage bestreitet und ihre Zurück- bzw. Abweisung sowie den Zuspruch von (näher bezifferten) Prozesskosten beantragt.

Zur Zulässigkeit führt die Finanzprokuratur Folgendes aus:

Gemäß der durch das Strafprozessreformgesetz, BGBl. I 19/2004, geänderten Bestimmung des §115 StPO sei die Beschlagnahme unter den in §115 Abs1 StPO näher geregelten Voraussetzungen auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht zu bewilligen (Abs2 leg.cit.). Wenn die Voraussetzungen der Beschlagnahme nicht oder nicht mehr bestehen, hat die Staatsanwaltschaft, nach dem Einbringen der Anklage das Gericht, gemäß §115 Abs6 StPO die Beschlagnahme aufzuheben. Zuständig für die Aufhebung der vorliegenden (nach §207a StPO aF iVm §144a StPO aF erlassenen) einstweiligen Verfügung sei aufgrund der Übergangsbestimmung des §516 Abs2 dritter Satz StPO idF BGBl. I 109/2007 der Drei-Richter-Senat des Landesgerichts. Gegen die Beschlüsse des Drei-Richter-Senates stehe der klagenden Partei gemäß §87 Abs1 StPO das Rechtsmittel der Beschwerde an das Oberlandesgericht zu. Die klagende Partei habe auch tatsächlich die Aufhebung der einstweiligen Verfügung beantragt, ihr Antrag sei vom Landesgericht Wiener Neustadt als Drei-Richter-Senat jedoch abgewiesen worden, weil die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme nach §207a Abs1 FinStrG in Verbindung mit (nunmehr) §115 Abs1 Z3 StPO nach wie vor vorlägen.

Die klagende Partei replizierte auf dieses Vorbringen der Finanzprokuratur und legte einen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vor, mit dem der von der Finanzprokuratur erwähnte Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt aufgehoben und ausgesprochen wurde, dass die Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung (nicht dem Drei-Richter-Senat, sondern) der Staatsanwaltschaft zukomme.

II. Erwägungen

1. Nach Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich in Fällen, in welchen vom Bund die Herausgabe von Sachen begehrt wird, um einen vermögensrechtlichen Anspruch handelt (vgl. VfSlg. 11.180/1986, 14.971/1997, 17.556/2005). Es handelt sich bei der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B-VG jedoch um eine subsidiäre Zuständigkeit, die nur dann gegeben ist, wenn über den umstrittenen vermögensrechtlichen Anspruch weder ein Gericht noch eine Verwaltungsbehörde zu entscheiden hat (vgl. VfSlg. 3287/1957, 11.395/1987, 14.647/1996, 18.011/2006 uva.).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, besteht - sofern nichts anderes angeordnet ist - keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Rückforderungsansprüche, wenn ein Vermögenszuwachs auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruht. Dies gilt auch für Rückforderungsansprüche im Fall der Verweigerung der Rückstellung zu Unrecht beschlagnahmter Sachen (vgl. VfSlg. 11.180/1986 und die dort zitierte Vorjudikatur, 14.971/1997). Im hier zu beurteilenden Fall ist indes von einer "anderen Anordnung" im Sinne dieser Rechtsprechung auszugehen. Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich ebenfalls wiederholt dargelegt hat (vgl. VfSlg. 12.242/1989 mwN), ist der Begriff des ordentlichen Rechtsweges nicht auf jene Fälle zu beschränken, die von den ordentlichen Gerichten im Streitverfahren nach den Bestimmungen der ZPO zu entscheiden sind; die Zuständigkeit ist vielmehr auch etwa in solchen Angelegenheiten ausgeschlossen, in denen der vermögensrechtliche Anspruch im Zuge eines strafgerichtlichen Verfahrens geltend gemacht werden kann (VfSlg. 3287/1957, 12.242/1989, 17.556/2005).

3. Das Sparbuch, auf dessen Herausgabe die Klage gerichtet ist, wurde mit einstweiliger Verfügung der Ratskammer des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Februar 2007 gerichtlich beschlagnahmt. Das Schicksal einer nach §207a FinStrG in der Fassung vor der FinStrG-Novelle 2007 durch die Ratskammer verfügten Beschlagnahme unterliegt nunmehr der neuen Fassung des §207a FinStrG (BGBl. I 44/2007), welcher seinerseits auf die (neu gefassten) §§109 und 115 StPO (BGBl. I 19/2004) verweist. Übergangsbestimmungen für den Übergang zur Rechtslage nach dem Strafprozessreformgesetz enthält die Bestimmung des §516 StPO.

Die Finanzprokuratur vertritt unter Hinweis auf den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung die Auffassung, aus §516 Abs2 dritter und vierter Satz StPO (idF BGBl. I 93/2007) folge, dass gerichtliche Voruntersuchungen mit dem In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes von Gesetzes wegen beendet sind (und dass die Akten der Staatsanwaltschaft zu übersenden sind). Nach den ersten zwei Sätzen des §516 Abs2 leg.cit. seien Anträge auf gerichtliche Vorerhebungen nach altem Recht zu erledigen. Der dritte Satz des §516 StPO (idF BGBl. I 109/2007) sehe vor, dass "[ü]ber sonstige Anträge, Entscheidungen und Beschwerden, für deren Erledigung die Ratskammer gemäß den durch das Strafprozessreformgesetz und Strafprozessreformbegleitgesetz I, BGBl. I Nr. 93/2007, geänderten Verfahrensbestimmungen zuständig

wäre, ... an ihrer Stelle das Landesgericht als Senat von drei

Richtern gemäß §31 Abs5 nach den neuen Verfahrensbestimmungen zu entscheiden [hat]".

Dem tritt die Klägerin mit dem Hinweis entgegen, dass das Oberlandesgericht Wien den zitierten Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt mit der Begründung aufgehoben hat, dass eine Zuständigkeit des Drei-Richter-Senates gemäß der Übergangsbestimmung des §516 Abs2 dritter Satz StPO idF BGBl. I 109/2007 im vorliegenden Fall nicht gegeben sei, weil diese Bestimmung nur den - hier nicht gegebenen Fall - betreffe, dass in der jeweiligen Strafsache Anträge, Entscheidungen oder Beschwerden bei Gericht anhängig seien. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Wien sei daher bereits die neue Rechtslage zur Gänze anwendbar, wonach über einen Antrag auf Aufhebung einer (gerichtlich bewilligten) Beschlagnahme gemäß §195 Abs1 FinStrG iVm §115 Abs6 StPO die Staatsanwaltschaft zu entscheiden habe.

4. Der Verfassungsgerichtshof kann es dahin gestellt lassen, ob im vorliegenden Fall - wie es der Auffassung des Landesgerichts Wiener Neustadt und jener der Finanzprokuratur entspricht - aufgrund von §516 Abs2 dritter Satz StPO idF BGBl. I 109/2007 ein Drei-Richter-Senat an die Stelle der ursprünglich zuständigen Ratskammer tritt oder ob - wie es der Auffassung des Oberlandesgerichts Wien und der Klägerin entspricht - bereits die neue Rechtslage zur Anwendung kommt, wonach der Staatsanwalt zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung zuständig ist. In beiden Fällen steht der Klägerin nämlich der Weg offen, über ihren Antrag auf Herausgabe des Sparbuches die Entscheidung eines Gerichts zu erwirken.

Im erstgenannten Fall würde bereits die Entscheidung des Drei-Richter-Senats eine Entscheidung eines Gerichts darstellen (die zudem im Rechtsmittelweg bekämpfbar wäre).

Im zweiten Fall könnte die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zunächst bei der Staatsanwaltschaft beantragt werden. Aus §106 StPO ergibt sich, dass der Klägerin im Fall einer negativen Entscheidung der Staatsanwaltschaft ein Weg offen stünde, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Auch ein allfälliges Unterlassen der Staatsanwaltschaft lässt sich auf diesem Weg einer gerichtlichen Überprüfung zuführen (vgl. Fabrizy, StPO10, §106 Rz 4 mwN).

Steht es der Klägerin offen, ihren behaupteten Anspruch im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen, so ist die Klagsführung vor dem Verfassungsgerichtshof gestützt auf Art137 B-VG unzulässig. Selbst wenn das Strafgericht ihr Begehren letztlich abweisen sollte, würde dies keine Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes begründen (vgl. VfSlg. 12.242/1989). Die Klage war daher zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §41 VfGG, wonach dem unterliegenden Teil (im Verfahren nach Art137 B-VG) auf Antrag der Ersatz der Prozesskosten auferlegt werden kann. Nach Lage des vorliegenden Falles war es jedoch zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die Finanzprokuratur mit der Vertretung des Bundes zu betrauen (vgl. auch VfSlg. 9281/1981, 9507/1982, 15.041/1997, 17.673/2005, 17.985/2006).

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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