VfGH B2002/08

VfGHB2002/0821.6.2011

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen Unterlassung des Hinweises auf das Ruhen der Befugnis des Beschwerdeführers als Ziviltechniker bzw Ingenieurkonsulent für Maschinenbau

Normen

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
ZiviltechnikerG 1993 §17 Abs7
ZiviltechnikerkammerG 1993 §55 Abs1, §71 Abs5
VfGG §88
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
ZiviltechnikerG 1993 §17 Abs7
ZiviltechnikerkammerG 1993 §55 Abs1, §71 Abs5
VfGG §88

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch den

angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen.

III. Die Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Ingenieurkonsulent für Maschinenbau. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundeskammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten (im Folgenden: Berufungskommission) vom 7. Oktober 2008 wurde der Beschwerdeführer - nach Abhaltung einer (volks-)öffentlichen mündlichen Verhandlung am selben Tag - schuldig erkannt, durch sein Verhalten ein Disziplinarvergehen nach §55 Abs1 zweite Fallgruppe Ziviltechnikerkammergesetz (im Folgenden: ZTKG) iVm Punkt 1.1. erster Satz der Standesregeln der Ziviltechniker

begangen zu haben. Dies deshalb, weil "er ... - ohne auf das

aktuelle Ruhen seiner Befugnis hinzuweisen - sich in einem elektronisch versandten Brief vom 17. Oktober 2007 - der eine sein Fachgebiet betreffende Stellungnahme enthielt - als Ziviltechniker und Ingenieurkonsulent für Maschinenbau sowie in einem Abnahmegutachten für einen Hubstapler vom 31. Oktober/6. November 2006 als Ziviltechniker bezeichnet und

in seiner Homepage ... Ende Februar 2008 unter Zulassungen 'ZT

für Maschinenbau' angeführt" hat. Mit dem Bescheid wurde als Disziplinarstrafe gemäß §56 Abs1 Z1 ZTKG ein schriftlicher Verweis erteilt und dem Beschwerdeführer gemäß §74 ZTKG der Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens aufgetragen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende - auf Art144 B-VG gestützte - Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in den gemäß Art6 und Art7 EMRK gewährleisteten Rechten durch den bekämpften Bescheid geltend gemacht wird. Überdies wird - ohne dies näher darzulegen - die Anwendung verfassungswidriger genereller Normen behauptet. Der Beschwerdeführer begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. Die Berufungskommission als die belangte Behörde im verfassungsgerichtlichen Verfahren hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

II. Rechtslage

Die hier maßgebliche Rechtslage lautet - auszugsweise - wie folgt:

1. §17 Ziviltechnikergesetz, BGBl. 156/1994, lautet wie folgt:

"§17. (1) - (5) ...

(6) Ziviltechniker können jederzeit nach Ablegung des vorgeschriebenen Eides ihre Befugnis ruhen lassen. Sie haben dies der Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer innerhalb von zwei Wochen schriftlich anzuzeigen.

(7) Während des Ruhens der Befugnis sind

Ziviltechniker nicht berechtigt:

1. öffentliche Urkunden (§4 Abs3) zu errichten oder

2. Ziviltechnikerleistungen (§4 Abs1 und 2) zu

erbringen oder anzubieten.

(8) - (10) ..."

2. Die §§55, 66 und 71 Ziviltechnikerkammergesetz, BGBl. 157/1994, lauten - auszugsweise - wie folgt:

"§55. (1) Ziviltechniker begehen ein Disziplinarvergehen, wenn sie das Ansehen oder die Würde des Standes durch ihr Verhalten beeinträchtigen oder die Berufs- oder Standespflichten verletzen.

(2) - (4) ...

§66. (1) Die Akten über die abgeschlossene

Untersuchung sind dem Disziplinaranwalt zu übermitteln und von ihm mit dem Antrag auf Verweisung zur mündlichen Verhandlung oder mit dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens dem Senat vorzulegen.

(2) Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung zu beschließen, ob die Sache zur mündlichen Verhandlung zu verweisen oder ob das Verfahren einzustellen ist.

(3) Im Verweisungsbeschluß müssen die Anschuldigungspunkte bestimmt angeführt und die Verfügungen bezeichnet werden, die zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu treffen sind. Gegen den Verweisungsbeschluß ist kein Rechtsmittel zulässig. Gegen die Einstellung steht dem Disziplinaranwalt das Recht der Berufung an die Berufungskommission zu.

(4) Nach Zustellung des Verweisungsbeschlusses ist dem Beschuldigten und seinem Verteidiger auf Verlangen Einsicht in die Akten, mit Ausnahme der Beratungsprotokolle, sowie die Herstellung von Abschriften auf eigene Kosten zu gewähren.

§71. (1) Gegen Erkenntnisse des Disziplinarausschusses können der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt wegen des Ausspruches über Schuld und Strafe sowie der Entscheidung über den Kostenersatz Berufung erheben.

(2) Die Berufung hat einen begründeten Antrag zu enthalten und ist binnen zwei Wochen beim Vorsitzenden des Disziplinarausschusses schriftlich oder telegraphisch einzubringen. Die rechtzeitig eingebrachte Berufung hat aufschiebende Wirkung.

(3) Der Vorsitzende des Disziplinarausschusses hat die Berufung zurückzuweisen, wenn sie verspätet oder unzulässig ist.

(4) Ist kein Grund zur Zurückweisung gegeben, so hat der Vorsitzende des Disziplinarausschusses die Berufung unter Beischluß der Akten der Berufungskommission vorzulegen, die in der Sache selbst zu entscheiden hat.

(5) Eine mündliche Verhandlung ist nur durchzuführen, wenn sie die Berufungskommission zur Klarstellung des Sachverhaltes für erforderlich hält oder wenn sie in der Berufung beantragt wurde. Die mündliche Verhandlung ist nicht öffentlich. Der Beschuldigte kann jedoch verlangen, dass drei Kammermitgliedern seines Vertrauens der Zutritt zur Verhandlung gestattet wird.

(6) Die Berufungskommission ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener des Disziplinarausschusses zu setzen und das angefochtene Erkenntnis nach jeder Richtung abzuändern. Ist nur vom Beschuldigten Berufung erhoben, so kann die Berufungskommission keine strengere Strafe verhängen, als in dem angefochtenen Erkenntnis ausgesprochen worden ist."

3. Punkt 1.1. der Standesregeln der Ziviltechniker lautet wie folgt:

"Der Ziviltechniker hat die ihm verliehene Befugnis unter Beachtung der einschlägigen Gesetze gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb seines Berufes der Achtung und des Vertrauens der Öffentlichkeit gegenüber seinem Stand würdig zu erweisen."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Aus Anlass der Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Dezember 2010, B2002/08-6, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §71 Abs5 zweiter Satz ZTKG ("Die mündliche Verhandlung ist nicht öffentlich.") ein. Mit Erkenntnis vom 20. Juni 2011, G2/11-6, hob der Verfassungsgerichtshof die genannte Bestimmung als verfassungswidrig auf.

Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist eine vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Bestimmung eines Gesetzes im Anlassfall nicht mehr anzuwenden. Da für den Anlassfall die Aufhebung sofort wirksam wird, hat der Verfassungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid so zu beurteilen, als ob im Zeitpunkt seiner Erlassung der zweite Satz des §71 Abs5 ZTKG nicht gegolten hätte.

Entgegen dem - mit Erkenntnis vom 20. Juni 2011 aufgehobenen - §71 Abs5 zweiter Satz ZTKG führte die Berufungskommission eine (volks-)öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durch. Angesichts dessen ist es ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer wegen Durchführung einer mündlichen Verhandlung in seinen Rechten verletzt wurde.

1.2. Soweit der Beschwerdeführer des Weiteren

behauptet, durch die "Anwendung verfassungswidriger genereller Normen" in seinen Rechten verletzt zu sein, unterlässt er es, konkrete Normen zu bezeichnen. Beim Verfassungsgerichtshof sind keine Bedenken gegen die den Bescheid sonst tragenden Rechtsvorschriften entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher auch insoweit nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz dadurch verletzt zu sein, dass der belangten Behörde ein willkürlicher Wechsel des Verfahrensgegenstandes vorzuwerfen sei und die Verteidigungsposition des Beschwerdeführers nicht dargestellt werde.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Angesichts der verfassungsrechtlichen

Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften (s. oben, Pkt. III.1.2.) und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Darüber, welche Umstände gegeben sein müssen, damit einer Behörde Willkür anzulasten ist, lässt sich keine allgemeine Aussage treffen. Ob Willkür vorliegt, kann nur dem Gesamtbild des Verhaltens der Behörde im einzelnen Fall entnommen werden (zB VfSlg. 5491/1967, 6404/1971, 6471/1971, 8808/1980, 14.573/1996 uva.).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB

VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Keiner dieser Mängel liegt jedoch hier vor.

Es kann der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass dem Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegte Handlung bereits im frühesten Anfangsstadium des Verfahrens zur Kenntnis gebracht und ihm Möglichkeit zur Stellungnahme geboten wurde. Dem Beschwerdeführer wurde - noch vor Erhebung der Disziplinaranzeige - von der zuständigen Kammer Gelegenheit gegeben, sich zur Anzeige eines Kammerkollegen gegen ihn zu äußern. Der Beschwerdeführer verantwortete sich dahingehend, dass er - bei ruhender Befugnis - "keine Ziviltechnikertätigkeiten ausführe". Dem Beschwerdeführer war schon aus diesem Grund der Gegenstand des Disziplinarverfahrens hinlänglich bekannt und auch der Verweisungsbeschluss des Disziplinarsenates ist damit begründet, dass der Beschwerdeführer "in der Öffentlichkeit den Anschein erweckt [hat], über eine aufrechte Befugnis als Ingenieurkonsulent für Maschinenbau zu verfügen". Im Übrigen hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit dem bereits im Berufungsverfahren geltend gemachten Vorbringen des Beschwerdeführers hinreichend auseinandergesetzt. Von einem willkürlichen Wechsel des Prozessgegenstandes kann somit keine Rede sein.

Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht erkennen, dass die belangte Behörde der Pflicht zur Begründung ihrer Entscheidung - soweit der Beschwerdeführer dies unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Entscheidungen des Asylgerichtshofes (VfSlg. 18.614/2008) behauptet - in einer verfassungsrechtlich zu beanstandenden Weise nicht nachgekommen ist.

3. Zu den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verletzungen der Art6 und Art7 EMRK ist zunächst auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren sind zudem keine Hinweise für die vom Beschwerdeführer behaupteten "fehlende[n] Tatbestände" oder "unklare[n] Sachverhalte" entstanden. Aus §17 Abs7 Z2 ZTG ergibt sich, dass Ziviltechniker während des Ruhens der Befugnis nicht berechtigt sind, Ziviltechnikerleistungen zu erbringen oder anzubieten. Die belangte Behörde hat denkmöglich angenommen, dass der Beschwerdeführer durch die ihm zur Last gelegten Handlungen gegen die Berufs- oder Standespflichten gemäß §55 Abs1 ZTKG iVm Punkt 1.1. der Standesregeln der Ziviltechniker verstoßen hat, weil er gesetzliche Bestimmungen nicht beachtet hat.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte bzw. von Rechten durch die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

2. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

3. Da die Beschwerde jedoch insofern Erfolg hatte, als sie zur Aufhebung einer im Beschwerdefall präjudiziellen Gesetzesbestimmung, nämlich des zweiten Satzes des §71 Abs5 ZTKG, geführt hat, ist dem Beschwerdeführer nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 16.200/2001 mwN) der Ersatz der Kosten der Beschwerde zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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