VfGH B800/09

VfGHB800/098.12.2010

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags; kein minderer Grad des Versehens; Zurückweisung des nachträglich gestellten Abtretungsantrags als verspätet

Normen

VfGG §33
VfGG §33

 

Spruch:

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Mit am 5. Mai 2010 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten

Schriftsatz begehren die Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines nachträglichen Antrags auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nach erfolgter Ablehnung der Beschwerdebehandlung und holen zugleich die versäumte Prozesshandlung nach.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags führen sie im Wesentlichen aus, dass sich am 19. April 2010 herausgestellt habe, dass der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Februar 2010 - neben vier weiteren gleichartigen Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes - über die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenats vom 27. Mai 2009, Z RV/0265-F/07, am 25. März 2010 bei der Kanzlei des Rechtsvertreters der Antragsteller eingelangt sei. Der Beschluss sei von der Sekretariatsfachkraft S.M. auf der ersten Seite mit einem Eingangstempel dieses Datums versehen worden. Aufgrund eines Versehens habe diese Mitarbeiterin jedoch weder die 14-tägige Frist zur Stellung des Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH in dem elektronisch und auch in Papierform geführten Fristenkalender vorgemerkt, noch den Beschluss gemeinsam mit dem "Rechtsanwaltshandakt" dem zuständigen Rechtsanwalt oder einem seiner Kollegen vorgelegt. Der Beschluss dürfte nach Anbringen des Poststempels versehentlich in den Stapel der an diesem Tag in der Rechtsanwaltskanzlei eingelangten Fachliteratur geraten sein. Diese Fachzeitschriften seien - wie üblich - auf einen gesonderten Stapel gegeben und von Frau S.M. Herrn Rechtsanwalt Dr. G.T. vorgelegt worden. Dieser habe jedoch den Stapel an Fachliteratur mangels Anzeichen dafür, dass sich darin aktenbezogene (und noch dazu fristauslösende) Poststücke befinden, erst am 19. April 2010 durchgesehen. Erst an diesem Tag habe Dr. G.T. erkannt, dass die Ablehnungsbeschlüsse in diesen Stapel geraten und die Fristen zur Antragstellung verstrichen sind. Bei Frau S.M. handle es sich um eine seit längerer Zeit in der Kanzlei beschäftigte und gewissenhaft tätige Kanzleikraft, die mit der Bearbeitung des Posteinganges und auch mit der Vormerkung und Wahrung von Rechtsmittel und anderen Fristen betraut war. Sie habe sich bisher durch absolute Zuverlässigkeit ausgezeichnet. Überhaupt habe sie alle ihre Aufgaben immer zur vollsten Zufriedenheit erfüllt, bisher sei ihr kein Fehler unterlaufen. Angesichts ihrer Verlässlichkeit über lange Zeit hinweg sei nicht zu erwarten gewesen, dass ihr ein derartiger Fehler unterlaufen würde.

Dem Vorbringen ist eine eidesstattliche Erklärung des Rechtsanwalts beigelegt. Mit Schriftsatz vom 8. September 2010 legten die Antragsteller ergänzend noch eine eidesstattliche Erklärung der Sekretariatsfachkraft der Kanzlei ihres Rechtsvertreters vom selben Tag vor, in der die Vorgänge, die zur Verspätung geführt haben, bezeugt werden.

II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des nachträglichen Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist nicht begründet.

1. Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff ZPO sinngemäß anzuwenden.

a) Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg. 9817/1981, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst zuzurechnen ist.

b) Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tag, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

2. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung des nachträglichen Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof fiel am 19. April 2010 weg. Mit dem am 3. Mai 2010 zur Post gegebenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher die Frist des §148 Abs2 ZPO gewahrt.

3. Dem Vorbringen des Antragstellers, dass seinen Bevollmächtigten kein eine leichte Fahrlässigkeit übersteigender Verschuldensgrad trifft, kann jedoch nicht gefolgt werden:

Es gehört zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation, u.a. Kontrollmechanismen anzulegen, die gewährleisten, dass Erledigungen des Verfassungsgerichtshofes, die gemäß §13 Abs4 erster Satz iVm §22 Abs1 und Abs2 erster Satz ZustellG zugestellt werden, in der Kanzlei der notwendigen weiteren Bearbeitung zugeführt werden; dazu gehört es auch, dass dem zuständigen Rechtsanwalt eingehende Geschäftsstücke, insbesondere solche, die eine Frist auslösen, rechtzeitig zur Kenntnis gelangen. Im vorliegenden Fall hat die Kanzleikraft weder die 14-tägige Frist zur Stellung des Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof in dem elektronisch und auch in Papierform geführten Fristenkalender vorgemerkt, noch den Beschluss gemeinsam mit dem "Rechtsanwaltshandakt" dem zuständigen Rechtsanwalt oder einem seiner Kollegen vorgelegt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass an diesem Tag - wie der Antragsteller selbst einräumt - vier weitere Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes einlangten, die in gleicher Weise nicht eingetragen und nicht vorgelegt wurden. Angesichts dieser Sorglosigkeit kann von einem "minderen Grad des Versehens" nicht mehr gesprochen werden (vgl. zB VfSlg. 16.611/2002, 18.771/2009; VfGH 22.2.2010, B950/09).

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher abzuweisen.

III. Der unter einem eingebrachte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erweist sich demnach wegen Versäumung der ab Zustellung des Beschlusses über die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde an die Antragsteller (25. März 2009) zu berechnenden zweiwöchigen Frist (§87 Abs3 VfGG) als verspätet und ist sohin zurückzuweisen.

IV. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

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