VfGH B1501/08

VfGHB1501/0816.6.2009

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt ua wegen unzulässiger Doppelvertretung infolge mangelhafter Bescheidbegründung; keine hinreichende Sachverhaltsdarstellung und keine Wiedergabe des bekämpften Bescheides

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AVG §60
DSt 1990 §16 Abs1 Z2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AVG §60
DSt 1990 §16 Abs1 Z2

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, insoweit seiner Berufung nicht Folge gegeben wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu erstatten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit

Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 10. Juli 2007 wurde er wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes gemäß §16 Abs1 Z2 Disziplinarstatut 1990 zu einer Geldbuße in Höhe von € 3.000,- verurteilt. Hinsichtlich eines weiteren gegen ihn erhobenen Vorwurfs wurde er freigesprochen.

2. Der gegen die Verurteilung erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 7. April 2008 teilweise Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis im Schuldspruch zu I. a) und demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien verwiesen. Im Übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben.

In der Begründung des als Bescheid zu wertenden Erkenntnisses der OBDK wird wörtlich ausgeführt:

"Entscheidungsgründe:

Zu Punkt 1. des Schuldspruchs ist die beweiswürdigende Begründung der getroffenen Feststellungen mit Stillschweigen über die Aussage der I F hinweggegangen, wonach keine Gewaltanwendung stattgefunden habe. Die Feststellung, dass um den Ordner gerungen worden sei, beruht daher auf einer unvollständigen Beweiswürdigung im Sinn des zweiten Falles der Z5 des §281 Abs1 StPO. Daher war in diesem Punkt das Erkenntnis aufzuheben, was auch die Kassation des Strafausspruches nach sich zog.

Zu Punkt 1. b) des Spruches hat der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien im angefochtenen Erkenntnis in nachvollziehbarer Weise die auf Seite 4, letzter Absatz, und Seite 5, erster Absatz, des angefochtenen Erkenntnisses enthaltenen Feststellungen getroffen. Wenn der Disziplinarbeschuldigte in seiner Berufung vorbringt, ein Hausverwalter könne in seiner Funktion Aufträge an einen berufsmäßigen Parteienvertreter erteilen, so dürfen diese Aufträge, falls nicht ein ausdrücklicher entsprechender Beschluss der Mehrheit der Hausmiteigentümer vorliegt, nicht Tätigkeiten umfassen, die in die unmittelbare Verpflichtung des Hausverwalters selbst fallen wie das Erstellen der jährlichen Hausabrechnung. Der Disziplinarrat hat aufgrund der Angaben des Disziplinarbeschuldigten in der mündlichen Verhandlung und der übrigen Beweisergebnisse unbedenklich festgestellt, dass die vom Disziplinarbeschuldigten für die Erstellung der Jahresabrechnungen 2002 und 2003 errechneten Kosten mit dessen Kenntnis zusätzlich zu dem vom Hausverwalter verrechneten Verwaltungshonorar in die Jahresabrechnung aufgenommen wurden, ohne die Miteigentümer von diesem Vorgang in Kenntnis zu setzen und auf mögliche Rückforderungsansprüche aufmerksam zu machen, umso mehr, als unbestrittenermaßen ein diesbezüglicher Beschluss der Mehrheit der Miteigentümer zur Verrechnung derartiger Kosten des Disziplinarbeschuldigten nach seiner eigenen Aussage nicht vorgelegen ist. Der Disziplinarrat hat dieses Verhalten des Disziplinarbeschuldigten zu Recht als disziplinär zu ahndende Verletzung der Treue und Aufklärungspflicht des Disziplinarbeschuldigten gegenüber den Miteigentümern gewertet.

Zu Punkt 1. c):

Der Disziplinarbeschuldigte verweist in seiner Berufung auf den mit dieser Berufung als Beilage vorgelegten Teilsachbeschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien ..., in welchem das Gericht im Rahmen der Begründung ausführt, dass der Antragsgegner, F F, von 1976 bis 30. September 2005 Verwalter der Liegenschaft mit der

Grundstücksadresse ... gewesen ist, und leitet daraus ab, dass die

Aufträge, die er vom Hausverwalter F F erhalten hat, jedenfalls bis 30. September 2005 rechtswirksam gewesen seien.

Dieser Argumentation ist zu entgegnen, dass das Bezirksgericht Innere Stadt Wien in der vorzitierten Entscheidung nicht begründet hat, aufgrund welcher Tatsachen es zu seiner Aussage gekommen ist. Aus den Beweisergebnissen des Disziplinarverfahrens ergibt sich, dass nicht nur durch Beschluss der Mehrheit der Wohnungseigentümer vom 15. Juli 2003 KR F als Verwalter der Liegenschaft per sofort gekündigt wurde, sondern es hat die Mehrheit der Wohnungseigentümer am 24. August 2004 den weiteren Mehrheitsbeschluss gefasst, den Hausverwaltervertrag mit KR F Ende der Abrechnungsperiode 2004 aufzukündigen. Aufgrund dieses Sachverhalts ist die Rechtsansicht des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien im angefochtenen Erkenntnis zutreffend, dass jedenfalls das Auftragsverhältnis zwischen der Miteigentümergemeinschaft einerseits und KR F andererseits mit 31. Dezember 2004 geendet hat. Da der Disziplinarbeschuldigte nach den auf seinen eigenen Angaben und den sonstigen Beweisergebnissen beruhenden Feststellungen volle Kenntnis von diesen Fakten hatte, war er, wie der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls verpflichtet, vor Einbringung von Klagen einen entsprechenden Auftrag von der Mehrheit der Miteigentümer abzuwarten. Dies hat der Disziplinarbeschuldigte unterlassen.

Er verweist auch in seiner Berufung auf die bestehende Vollmacht des Hausverwalters und verkennt nach wie vor, dass im gegenständlichen Fall die disziplinäre Verantwortlichkeit des Beschuldigten nichts mit einer Vollmacht zu tun hat, sondern im Mangel eines ordnungsgemäß bestehenden Auftragsverhältnisses zur Mehrheit der Miteigentümer begründet ist.

Zu Punkt 1. d) des Spruches:

Wenn der Disziplinarbeschuldigte vermeint das

Beschlussanfechtungsverfahren zu ... des Bezirksgerichtes Innere

Stadt Wien, in dem er vier Miteigentümer gegen die anderen 18 vertreten hat, stehe in keinem Zusammenhang mit dem für die Eigentümerschaft geltend gemachten Betriebskostenklagen gegen einzelne säumige Wohnungseigentümer und somit liege auch kein Fall einer unechten Doppelvertretung vor, ist er auf die ständige Rechtsprechung der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission zu verweisen, wonach das gleichzeitige Tätigwerden desselben Rechtsanwalts auf verschiedenen Seiten in zwei gleichzeitig anhängigen Rechtssachen, auch wenn diese in keinem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen, jedenfalls unstatthaft und somit disziplinär ist, insbesondere wenn dieses Auftreten noch vor dem selben Gericht erfolgt (OBDK 4.10.1993, AnwBl 1994/611; OBDK 30.5.1994, AnwBl 1995/266).

Über die Strafberufung war aufgrund der Aufhebung des Strafausspruchs nicht mehr zu entscheiden. Über die Straffrage wird, nachdem sich der Disziplinarrat mit dem der Aufhebung zugrunde liegenden Faktum befasst hat, wieder in erster Instanz zu erkennen sein."

3. Die vorliegende Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen den die Berufung abweisenden Teil des Bescheides. Begründend wird die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2. Der Beschwerdeführer ist jedoch mit seiner Behauptung der Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten im Recht:

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000).

3. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind der belangten Behörde unterlaufen:

3.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes widerspricht es grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Bescheiden, wenn sich der Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung nicht aus dem Bescheid selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung des Bescheides erster Instanz ergeben. Die für den bekämpften Bescheid maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung des Bescheides hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006).

3.2. Im vorliegenden Fall entspricht die belangte Behörde den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Begründung eines Bescheides nicht. Im angefochtenen Bescheid ist die Begründung mangels hinreichender Darstellung des Sachverhalts und angesichts dessen, dass der bekämpfte Bescheid nicht wiedergegeben wird, nicht in einer Weise nachvollziehbar, dass dem Willkürverbot des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung von Bescheiden entsprochen wäre.

Der Bescheid war daher schon wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufzuheben, sodass sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 220,- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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