VfGH B902/08

VfGHB902/088.10.2008

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags einer kenianischen Staatsangehörigen, Nichtanerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung nach Kenia; keine Auseinandersetzung mit der Frage der drohenden Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin

Normen

AsylG 2005 §3, §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.160,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine im Jahr 1986 geborene

kenianische Staatsangehörige, stellte am 2. Juli 2007 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag und führte zu ihren Fluchtgründen aus, dass sie in ihrer Heimat zwangsverheiratet und beschnitten werden solle und dass ihr Vater Mitglied eines Geheimbundes sei, der Gerüchten zufolge für die Ermordung ihres Bruders verantwortlich sei.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. November 2007 wurde der Asylantrag gemäß §3 Asylgesetz 2005 abgewiesen, der Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und die Ausweisung nach Kenia verfügt.

3. Die dagegen erhobene Berufung hat der Unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Der UBAS bezweifelt die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin, da sie nicht angeben konnte, wann und durch wen ihre geplante Beschneidung durchgeführt werden sollte, zumal sie nur vorgebracht habe, dass ihr Vater auf dieser Maßnahme aufgrund ihres Alters und der geplanten Verheiratung bestanden habe. Es sei nach Auffassung des UBAS wenig überzeugend, dass die Beschwerdeführerin, die einen gebildeten Eindruck mache, offensichtlich trotz konkreter Gefahr kein Interesse an der Einholung näherer Informationen über die Beschneidung gezeigt habe. Es sei nicht überzeugend, dass eine Beschneidung der Beschwerdeführerin nicht bereits im Kindesalter erfolgt sei, und es sei unglaubwürdig, dass die Mutter der Beschwerdeführerin diese Maßnahme dadurch verhindert habe, dass sie ihr zunächst die Ohren und Nase durchstechen habe lassen.

Im Hinblick auf die behauptete drohende Zwangsverheiratung erachtet der UBAS das Vorbringen der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig, da sie einerseits angegeben habe nicht zu wissen, wen sie heiraten solle, in einer anderen Einvernahme angegeben habe, dass sie einen älteren und wirren Mann heiraten solle, dessen mutmaßlichen Rufnamen sie kenne. Auch einen Zusammenhang zwischen der von der Beschwerdeführerin erwähnten Sekte und der behaupteten Ermordung ihres Bruders habe die Beschwerdeführerin nach Meinung des UBAS nicht darlegen können.

Zu den Länderfeststellungen verweist der angefochtene Bescheid einerseits auf den erstinstanzlichen Bescheid, andererseits wird ergänzend ausgeführt wie im Folgenden wiedergegeben:

"Unter Berücksichtigung der Länderberichte, wie sie bereits im angefochtenen Bescheid dargelegt sind, sowie - ergänzend - unter Berücksichtigung des Berichts des UK Home office vom 23.11.2007 ist festzuhalten, dass es einerseits seit dem Jahr 2001 ein gesetzliches Verbot von Genitalverstümmelung gibt, andererseits die Regierung die Aktivitäten von nichtstaatlichen Organisationen zur Bekämpfung dieses Phänomens aktiv unterstützt und es auch tatsächlich in den vergangenen Jahren bereits zu Anklagen und Verhaftungen gekommen ist. Auch ist nach den Berichten von einem Rückgang der Genitalverstümmelungen in Kenia auszugehen, so dass die angesprochenen Maßnahmen - wenn auch nur langsam - Wirkung zeigen. Somit kann nicht von der Asylrelevanz begründenden fehlenden Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Staates ausgegangen werden. Die Berufungswerberin ist diesen Ergebnissen nicht substantiiert entgegen getreten."

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde nach Art144 B-VG, in der die Bescheidaufhebung wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte beantragt wird.

5. Der UBAS hat als belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn er auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Der erstinstanzliche Bescheid führt in den Länderfeststellungen zur Frage der Genitalverstümmelung ua. aus, dass ca. 40 % aller kenianischen Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren betroffen seien und der Verbreitungsgrad je nach Ethnie unterschiedlich sei. Bei der Volksgruppe der Meru liege er bei 54 %. Der kenianische Children's Act von 2001 verbiete alle Formen von weiblicher Genitalverstümmelung an Mädchen unter 18 Jahren. Die gesetzlichen Regelungen seien jedoch unzureichend und weibliche Genitalverstümmelung sei insbesondere in ländlichen Gegenden noch immer weit verbreitet. Das gesetzliche Verbot habe dazu geführt, dass die Genitalverstümmelung an immer jüngeren Kleinkindern praktiziert werde, da sich ältere Mädchen eher wehrten.

Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid nicht mit der Frage auseinander gesetzt, weshalb die Beschwerdeführerin als Angehörige der Volksgruppe der Meru einer derartigen Bedrohung nicht ausgesetzt wäre. Sie hat auch nicht dargelegt, wie sie zum Schluss kommt, dass ein Beschneidungsverbot, das seit dem Jahr 2001 für Mädchen unter 18 Jahren existiert (in diesem Jahr war die Beschwerdeführerin bereits 15 Jahre alt), dazu führen könnte, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 2007 vor einer geplanten Beschneidung geschützt wäre. Die Länderfeststellungen stützen die von der belangten Behörde gezogenen Schlussfolgerungen nicht (vgl. VfGH vom 9. Juni 2008, B2029/07).

Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Beschwerdeführerin über die geplante Beschneidung und Verheiratung nicht näher Auskunft geben konnte. Der UBAS hat nicht dargelegt, wie er zu dem Schluss kommen konnte, dass gerade die Beschwerdeführerin anders als der Großteil der betroffenen kenianischen Frauen nicht der in den Länderberichten zitierten Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen ausgesetzt gewesen sein soll.

3. Der belangten Behörde ist daher Willkür im Sinne der obgenannten Rechtsprechung vorzuwerfen. Sie hat somit die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung gründet auf §88 VfGG. In den Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- enthalten.

IV. Dieses Erkenntnis wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

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