Normen
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a Abs1 Z2
StGB §153
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a Abs1 Z2
StGB §153
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Gegen den Beschwerdeführer und weitere Mitangeklagte ist beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur AZ 242 Ur 287/06s (vormals 242 Ur 92/06i) wegen des Verdachtes des Verbrechens der Untreue nach §153 Abs1 und 2 zweiter Fall StGB und anderer Delikte ein umfangreiches Strafverfahren anhängig, das sich derzeit im Stadium der Hauptverhandlung befindet. Mit Beschlüssen des Untersuchungsrichters (jeweils) vom 13. September 2006 wurden gegen den damals in Frankreich aufhältigen Beschwerdeführer ein nationaler und ein Europäischer Haftbefehl wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr erlassen.
1.1. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer am 13. Februar 2007 von seinem französischen Aufenthaltsort in einem Ambulanz-Jet von Marseille nach Wien-Schwechat überstellt, unmittelbar nach der Landung durch österreichische Sicherheitsorgane festgenommen und am 14. Februar 2007 von der zuständigen Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien in Untersuchungshaft genommen wurde.
1.2. Mit Eingabe vom 20. März 2007 brachte der Beschwerdeführer beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: UVS) eine auf Art129a Abs1 Z2 B-VG iVm §67a Abs1 Z2 AVG gestützte Beschwerde gegen den Bundesminister für Justiz, gegen die Bundespolizeidirektion Wien sowie gegen die Sicherheitsdirektionen Wien und Niederösterreich ein. Diese Maßnahmenbeschwerde richtete sich gegen das Verbringen und "Festhalten" des Beschwerdeführers im Ambulanz-Jet, die Überstellung von Frankreich nach Wien-Schwechat, die Festnahme unmittelbar nach der Landung durch österreichische Polizeibeamte und die anschließende Anhaltung in Verwahrungshaft in der Justizanstalt Wien-Josefstadt.
Die einschreitenden Organe der belangten Behörden seien zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht berechtigt gewesen; es sei rechtswidrig unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt angewendet worden. Der Freiheitsentzug sei überdies nicht auf die im Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG) vorgeschriebene Weise erfolgt; auch sei dem Beschwerdeführer keine Rechtsmittelmöglichkeit in Frankreich eingeräumt worden.
2. Mit Bescheid des UVS vom 30. März 2007, Z UVS-02/11/2530/2007-1 ua., wurde die Beschwerde im Kern mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers ausschließlich Akte der Gerichtsbarkeit betreffe, die einer Überprüfung durch den UVS nicht zugänglich seien. Die in Rede stehenden Maßnahmen würden in keiner Form, auch nicht in Teilbereichen, Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellen, sie seien zur Gänze Ausfluss des Vollzugs der Gerichtshoheit; auch liege kein Anhaltspunkt dafür vor, dass ein Organ ohne Befassung des zuständigen Gerichtes eigenmächtig gehandelt hätte. Hinsichtlich des Vorwurfs des Fehlens von Rechtsschutzmöglichkeiten in Bezug auf Akte der französischen Justiz sei dem Beschwerdeführer die "Verfehlung der territorialen Zuständigkeit auf Basis des §6 AVG entgegenzuhalten".
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit (Art5 EMRK, PersFrBVG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu für den Fall der Abweisung oder Ablehnung die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
3.1. Der Beschwerdeführer bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass seine Auslieferung nach Österreich trotz der "rechtskräftige[n] Entscheidung des Berufungsgerichts Aix-en-Provence über die Aussetzung des Auslieferungsverfahrens" wegen seiner massiven gesundheitlichen Probleme vom 13. Dezember 2006 sowie ungeachtet des "Beschlusses der Untersuchungskammer des Berufungsgerichtes Aix-en-Provence vom 29. September 2006, in welchem die Freilassung des Beschwerdeführers unter gerichtlich angeordneter Aufsicht mit Kautionserlag rechtskräftig und bis heute unverändert ausgesprochen worden war," und ohne vorangehender Untersuchung durch einen ärztlichen Sachverständigen erfolgt sei.
3.2. In seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachtet sich der Beschwerdeführer für verletzt, weil die belangte Behörde zu Unrecht das Vorliegen von Akten der Gerichtsbarkeit angenommen und aus diesem Grund (rechtsirrig) eine Sachentscheidung verweigert habe. Die belangte Behörde habe aus der Tatsache der Verweigerung der Herausgabe der bezughabenden Justizakten (verfehlt) gefolgert, dass ihr eine Kontrollbefugnis fehle.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde liege nämlich ein der Überprüfung des UVS unterliegender unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsakt vor: Das Handeln der Justiz- und der Sicherheitsorgane (Ingewahrsamnahme, Überstellung und Verwahrung des Beschwerdeführers) könne nicht mit dem Vorliegen des österreichischen und des Europäischen Haftbefehls des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. September 2006 gerechtfertigt werden, weil das (zunächst zwar auf Grundlage dieser Entscheidungen gegen den Beschwerdeführer eingeleitete) französische Inhaftierungs- und Auslieferungsverfahren zum Zeitpunkt der Überstellung nach Österreich durch die in Pkt. 3.1. genannten Entscheidungen des französischen Gerichtes rechtskräftig ausgesetzt war. Diese Entscheidungen wären nach §1 Abs1 Z1 EU-JZG auch in Österreich anzuerkennen und zu berücksichtigen gewesen. Angesichts der rechtskräftigen Aussetzung des Auslieferungsverfahrens und dessen Auswirkungen auf den österreichischen und auf den Europäischen Haftbefehl seien die Handlungen der einschreitenden nationalen Organe nicht mehr der Gerichtsbarkeit zuzuordnen, sondern sei von einem (nicht durch richterlichen Befehl gedeckten) Verwaltungshandeln auszugehen.
3.3. Der Beschwerdeführer sei durch sein Festhalten im Ambulanz-Jet sowohl auf französischem als auch auf österreichischem Hoheitsgebiet durch (ihm unbekannte) inländische Organe (Piloten, Flugbegleiter und Gerichtsgutachter, die für die österreichischen Sicherheitsbehörden tätig geworden seien) in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt und mangels gesetzlicher Grundlage sowie mangels richterlicher Anordnung in Bezug auf dieses Vorgehen (insbesondere auf französischem Hoheitsgebiet) in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
4. Der UVS hat den Verwaltungsakt vorgelegt; bezüglich der vom Verfassungsgerichtshof angeforderten Verwaltungsakten der weiters involvierten Behörden hat der UVS auf ein Schreiben der Bundesministerin für Justiz vom 24. April 2007, Z BMJ-D1102/0013-IV 2/2007, verwiesen, mit dem - in einer anderen (denselben Beschwerdeführer betreffenden) Rechtssache (s. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom heutigen Tag, B505/07) - bekannt gegeben wurde, dass die angeforderten Akten nicht übersendet werden.
Von der Erstattung einer Gegenschrift hat die belangte Behörde Abstand genommen.
5. Über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofs übermittelte der Beschwerdeführer eine Kopie der in der Beschwerde angeführten Entscheidungen (des Untersuchungssenates) des Berufungsgerichtes Aix-en-Provence vom 19. Oktober 2006, Nr. 154EXT/06, und vom 13. Dezember 2006, Nr. 171EXT/06; ferner liegt dem Gerichtshof je eine Kopie des - vom Bundesministerium für Justiz übermittelten - Beschlusses des angeführten Berufungsgerichtes vom 4. April 2007, Nr. 28EXT/07, sowie des Bezug habenden österreichischen und des Europäischen Haftbefehls vor.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
1.1. Die belangte Behörde begründete die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde damit, dass die Organhandlungen im Rahmen der Auslieferung des Beschwerdeführers keine Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellen und daher eine Zuständigkeit des UVS nicht gegeben sei.
1.2. Gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG iVm §67a Abs1 Z2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges (sofern ein solcher in Betracht kommt) über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes).
1.3. Die belangte Behörde hat ihre Zuständigkeit zufolge Vorliegens gerichtlicher Akte im Ergebnis zu Recht verneint.
Aus der Kopie des Beschlusses Nr. 28EXT/07 des Berufungsgerichtes Aix-en-Provence vom 4. April 2007 iZm der Entscheidung desselben Spruchkörpers vom 13. Dezember 2006, Nr. 171EXT/06, und der Stellungnahme der mit dem in Rede stehenden Übergabeverfahren befassten Europäischen Einheit für justizielle Zusammenarbeit (EUROJUST) ergibt sich in Bezug auf das hier maßgebliche Übergabeverfahren Folgendes:
Mit Beschluss des Untersuchungssenates des genannten französischen Berufungsgerichtes vom 29. September 2006 wurde (nach vorangegangener gerichtlicher Genehmigung der Übergabe des Beschwerdeführers an Österreich) die Freilassung des Beschwerdeführers unter bestimmten gerichtlichen Kontrollmaßnahmen angeordnet. In der Folge sprach derselbe Untersuchungssenat mit Beschluss vom 19. Oktober 2006 allerdings aus, dass kein Anlass für einen weiteren Aufschub der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls in Bezug auf den Beschwerdeführer bestehe; das dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Rechtsmittel blieb zufolge Entscheidung des (französischen) Obersten Gerichtshofs (Cour de Cassation in Paris) vom 28. November 2006 ohne Erfolg.
Am 30. November 2006 begehrte der Beschwerdeführer beim Berufungsgericht Aix-en-Provence unter Bezugnahme auf seinen labilen Gesundheitszustand die vorübergehende Aufschiebung seiner Übergabe an die österreichischen Behörden. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des genannten Berufungsgerichtes vom 13. Dezember 2006, Nr. 171EXT/06, für gegenstandslos erklärt, weil die Oberstaatsanwaltschaft die vorübergehende Aussetzung der Übergabe bereits verfügt hatte. Am 13. Februar 2007 wurde der Beschwerdeführer schließlich - nach Einholung medizinischer Gutachten eines österreichischen und eines französischen Sachverständigen, die dem Beschwerdeführer jeweils Transportfähigkeit attestierten, und nachdem der (französische) öffentliche Ankläger deshalb den Grund für die Verschiebung der Übergabe für weggefallen erachtete - mit einer medizinisch ausgestatteten Flugambulanz nach Österreich ausgeflogen. Unmittelbar davor beantragte der Beschwerdeführer erneut, seine Überstellung aufzuschieben. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Berufungsgerichtes Aix-en-Provence vom 4. April 2007, Nr. 28EXT/06, mit Blick auf die bereits abgeschlossene Übergabe des Beschwerdeführers an die österreichischen Behörden für gegenstandslos erklärt.
1.4. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Übergabe an Österreich und die nachfolgenden (vor Verhängung der Untersuchungshaft gelegenen) Amtshandlungen in Österreich seien unter Missachtung von auch in Österreich maßgeblichen französischen Gerichtsentscheidungen über die Aussetzung seiner Übergabe erfolgt, ist daher der Boden entzogen: Denn die Übergabe geschah nach dem Inhalt der vorliegenden französischen Gerichtsentscheidungen in Vollziehung des vom Landesgericht für Strafsachen Wien ausgestellten Europäischen Haftbefehls und die vom Staatsanwalt in Frankreich (und nicht vom dortigen Gericht) zunächst für gegeben erachteten Gründe für eine Aussetzung der Auslieferung wurden seitens der (französischen) Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Überstellung als weggefallen beurteilt. Der Beschwerdeführer unterlegt den in Rede stehenden Entscheidungen der französischen Justiz mithin einen mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht übereinstimmenden Inhalt bzw. interpretiert staatsanwaltschaftliche Verfügungen irrig als Akte der Gerichtsbarkeit.
Die ferner in Beschwerde gezogene Festnahme und Anhaltung durch Sicherheitsorgane in Österreich beruhten auf dem (nationalen) Haftbefehl, sodass der UVS auch in Bezug auf diese Maßnahmen zu Recht von Akten der Gerichtsbarkeit ausgehen konnte (vgl. zB VfSlg. 12.136/1989), die als solche nicht seiner Kontrolle unterliegen.
Für eine Überschreitung des richterlichen Befehls durch ein mit dem in Rede stehenden Übergabevorgang befasstes (österreichisches) (Verwaltungs-)Organ (sodass nicht [mehr] von einem der Gerichtsbarkeit zuzuordnenden, sondern von einem offenkundig nicht vom richterlichen Auftrag erfassten, rechtswidrigen verwaltungsbehördlichen Handeln auszugehen wäre) besteht kein Anhaltspunkt (vgl. zB VfSlg. 11.098/1986, 11.524/1987, 12.746/1991; VwGH 16.02.2000, 96/01/0233; 21.12.2000, 99/01/0174).
2. Da die Beschwerde von der belangten Behörde somit im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen worden ist, wurde der Beschwerdeführer nicht im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Es musste daher auch nicht geprüft werden, ob der UVS ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat oder ob der Bescheid im Einzelnen richtig begründet wurde. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die Zurückweisung tragenden Rechtsvorschriften ist es damit auch ausgeschlossen, dass er in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 10.374/1985, 15.312/1998).
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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