VfGH G124/06, V44/06

VfGHG124/06, V44/06G124/06, V44/0611.10.2006

Gleichheitswidrigkeit der Regelung des Bundesvergabegesetzes 2002 betreffend die für Feststellungsanträge im Nachprüfungsverfahren zu leistende Pauschalgebühr für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes; Kumulierung und Multiplizierung der hohen Gebühren infolge verschiedenartiger Anträge sachlich nicht gerechtfertigt; Behinderung der Effizienz des Rechtsschutzes;

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Gebühr für Bauaufträge im Unterschwellenbereich;

Feststellung der Gesetzwidrigkeit der gleichlautenden Bestimmung in der Pauschalgebührenverordnung mangels gesetzlicher Grundlage

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
BundesvergabeG 2002 §175, §177, §191, Anhang X
PauschalgebührenV, BGBl II 324/2002 §1
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
BundesvergabeG 2002 §175, §177, §191, Anhang X
PauschalgebührenV, BGBl II 324/2002 §1

 

Spruch:

I. Die Wortfolge ", 171 Abs1" in §177 Abs1 und die Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ..." in der letzten Zeile des Anhanges X jeweils des Bundesvergabegesetzes, BGBl. I Nr. 99/2002, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Die Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ... 1600 €" in der letzten Zeile des §1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl. II Nr. 324/2002, war gesetzwidrig.

Die Bundesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit einem beim Verfassungsgerichtshof zu B850/05 angefochtenen Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 24. Juni 2005 wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft für den mit einem Nachprüfungsantrag (§162 Abs2 Z2 BVergG 2002) betreffs eines Lieferauftrags im Sinne des §2 BVergG 2002 (mit einem geschätzten Auftragswert von 2,1 Mio €) gestellten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (§171 Abs1 BVergG 2002) eine Pauschalgebühr von (weiteren) 1600 € vorgeschrieben.

In der gegen diese Vorschreibung erhobenen Beschwerde wird die Gesetzwidrigkeit der Pauschalgebührenverordnung und die Gleichheitswidrigkeit der Gebührenvorschreibung gerügt und darüber hinaus die Verfassungswidrigkeit des Pauschalgebührensystems behauptet.

II. Unter der Rubrik "Gebühren und Gebührenersatz" bestimmte §177 BVergG 2002 Folgendes (in Prüfung Gezogenes hervorgehoben):

"§177. (1) Für Anträge gemäß den §§163 Abs1, 164 Abs1, 171 Abs1 und 175 Abs1 hat der Antragsteller eine Pauschalgebühr zu entrichten.

(2) Die Höhe der Pauschalgebühr gemäß Abs1 richtet sich nach dem vom Auftraggeber durchgeführten Verfahren und ist gemäß den in Anhang X ausgewiesenen Sätzen bei Antragstellung zu entrichten.

(3) bis (5) ..."

Anhang X lautete:

"Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes

Direktvergaben..................................... 200 €

Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß §26 Abs3

Bauaufträge........................................ 400 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 300 €

Geistig-schöpferische Dienstleistungen....

Nicht offene Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß §26 Abs1

Bauaufträge........................................ 600 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge.......

Sonstige Verfahren im Unterschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 2 500 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge.......

Sonstige Verfahren im Oberschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 5 000 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge....... "

Unter der Rubrik "Vollziehung" sieht §191 Abs4 BVergG 2002 vor:

"(4) Die Bundesregierung hat die Gebührensätze in Anhang X durch Verordnung entsprechend anzupassen, falls es der mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes verbundene Personal- und Sachaufwand zur Deckung der Kosten der Rechtschutzeinrichtung erfordert."

Am 3. September 2002 erließ die Bundesregierung unter Berufung auf §191 Abs4 des Gesetzes folgende Verordnung:

"§1. Die Gebührensätze in Anhang X des Bundesvergabegesetzes 2002 werden wie folgt angepasst:

Direktvergaben..................................... 200 €

Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß §26 Abs3 und 4

Bauaufträge........................................ 400 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 300 €

Geistig-schöpferische Dienstleistungen............. 350 €

Nicht offene Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß §26 Abs1

Bauaufträge........................................ 600 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 350 €

Sonstige Verfahren im Unterschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 2 500 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 800 €

Sonstige Verfahren im Oberschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 5 000 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 1 600 €

§2. Diese Verordnung tritt mit 1. September 2002 in Kraft."

Mit Erkenntnis vom 4. März 2006, G154/05, V118/05 wurde die Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "und §175 Abs1" in §177 Abs1 des BVergG 2002 sowie der Position "Bauaufträge ... 2500 €" in der fünftletzten Zeile des Anhanges X des BVergG 2002 und die Gesetzwidrigkeit der einschlägigen Position der Pauschalgebührenverordnung festgestellt. Diese Aussprüche wurden im Bundesgesetzblatt unter den Nummern I 52/2006 sowie II 175/2006 jeweils am 28. April 2006 kundgemacht.

Am 1. Februar 2006 war nämlich das BVergG 2006 in Kraft getreten, hatte das BVergG 2002 außer Kraft gesetzt und die Pauschalgebührenverordnung aufgehoben (§345 Abs1 Z1, Z3 und Abs11 BVergG 2006). Anhängige Verfahren sind jedoch vom Bundesvergabeamt nach den Bestimmungen des Gesetzes 2002 fortzuführen (§345 Abs4 BVergG 2006).

Aus Anlass des Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof am 24. Juni 2006 beschlossen

1. gemäß Art140 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge ", 171 Abs1" in §177 Abs1 und die Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ..." in der letzten Zeile des Anhanges X jeweils des Bundesvergabegesetzes, BGBl. I Nr. 99/2002, und

2. gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ... 1600 €" in der letzten Zeile des §1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl. II Nr. 324/2002,

von Amts wegen zu prüfen.

Er ist vorläufig davon ausgegangen, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei der Beurteilung des vorliegenden, vor In-Kraft-Treten des BVergG 2006 entschiedenen Fall den §177 Abs1 und den Anhang X des BVergG 2002 sowie die Pauschalgebührenverordnung anzuwenden hätte und zwar im Hinblick auf die Überschreitung der Schwellengrenze von 200.000 € (§9 Abs1 Z2 BVergG 2002) den Gebührenansatz für Verfahren im Oberschwellenbereich betreffend Liefer- und Dienstleistungsaufträge. Es scheint nämlich, dass diese Aufträge ungeachtet des Fehlens eines Gebührensatzes in das gesetzliche Pauschalgebührensystem einbezogen sind.

Er äußerte

a) gegen die Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung auch von Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Zuge eines Nachprüfungsverfahrens (durch die Wortfolge ", 171 Abs1" in §177 Abs1 BVergG 2002) angesichts des gleichen Gebührensatzes für alle in §177 Abs1 BVergG 2002 genannten Anträge das Bedenken, dass die mehrfache Gebührenpflicht für Anträge betreffend dieselbe Vergabe in keinem auch nur annähernden Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensaufwand steht und die Effizienz des Rechtsschutzes beeinträchtigen kann (vgl. das genannte Erkenntnis G154/05, V118/05 und den dort wiedergegebenen, auch Anträge auf einstweilige Verfügungen erfassenden Prüfungsbeschluss),

b) gegen die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ..." im Anhang X BVergG 2002 das Bedenken, dass das Auferlegen einer Gebührenpflicht nicht ohne Festsetzung eines bestimmten Gebührensatzes zulässig ist (zumal der fehlende Gebührensatz auch aus keiner anderen Gesetzesbestimmung suppliert werden zu können scheint), und

c) gegen die Gesetzmäßigkeit des einschlägigen Satzes der Pauschalgebührenverordnung das Bedenken, dass die Bundesregierung nicht ermächtigt ist, einen im Gesetz fehlenden Gebührensatz unter Berufung auf die Möglichkeit der Anpassung der im Gesetz geregelten Gebührensätze (§191 Abs4 BVergG 2002) - erstmals - festzulegen.

Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.

IV. Die Normenprüfungsverfahren sind zulässig und die Bedenken des Gerichtshofes begründet.

1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Normen zweifeln ließe. Insbesondere ermangelt die in Prüfung gezogene Wortfolge im Anhang X des Gesetzes wegen des Fehlens des Gebührensatzes nicht etwa der normativen Wirkung. Sie legt nämlich ausdrücklich die Gebührenpflicht von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Oberschwellenbereich fest (und hat auch die Bundesregierung zur "Anpassung" eines Gebührensatzes veranlasst).

Auch sonst sind die Prozessvoraussetzungen gegeben.

2. Wie der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis G154/05, V118/05 vom 4. März 2006 dargelegt hat, steht die mehrfache Gebührenpflicht für Anträge betreffend dieselbe Vergabe in keinem auch nur annähernden Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensaufwand und kann die Effizienz des Rechtsschutzes beeinträchtigen. Es ist nichts hervorgekommen, was für Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu einer anderen Beurteilung führen könnte.

Der fehlende Gebührensatz der einschlägigen Position im Anhang X des Gesetzes ist wohl - wie in anderen Positionen - ein Redaktionsversehen, kann aber aus keiner anderen Gesetzesbestimmung suppliert werden; eine sinngemäße Übertragung der Differenz zwischen Bauaufträgen und Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung - für die anderen Verfahren fehlt der Vergleichsbetrag ebenfalls - scheitert an den unterschiedlichen Voraussetzungen und Ansätzen (wie denn auch die Verordnung ganz andere Beträge festlegt). Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, die Gebühr festzulegen.

Fällt aber der unvollständige Posten im Anhang X infolge Aufhebung weg, erweist sich auch die "Anpassung" des Gebührensatzes als gesetzwidrig.

Infolgedessen war die Rechtswidrigkeit der in Prüfung gezogenen (inzwischen außer Kraft getretenen) Normen festzustellen (Art140 Abs4 und Art139 Abs4 B-VG).

Die Kundmachungsverpflichtungen stützen sich auf Art140 Abs5 und Art139 Abs5 B-VG.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs4 erster Satz und Z2 VfGG).

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